Verschwunden

Jeremy bestand darauf, Tolliver hinauszubegleiten, und ich schloss mich an – unter dem Vorwand, Frühstück besorgen zu wollen, und in der Hoffnung, ein paar Worte unter vier Augen mit Jeremy reden zu können.

Im Foyer hörte ich mein Handy summen. Rita, die mir mitteilte, dass sie das Verschwinden von Lyle Sanderson bestätigen konnte.

»Drei Leute aus einer Wohngegend«, sagte sie. »Irgendwas stimmt da nicht. Als ich’s den Kollegen gegenüber erwähnt habe, haben wir Wetten abgeschlossen, wie lang es dauern wird, bis irgendwer eine Verbindung zu dem toten Mädchen von gestern Abend zieht.«

Ich blieb stehen. »Du glaubst, es gibt eine?«

»Zum Teufel, nein. Nach allem, was ich je gelernt und gesehen habe, würde ich sagen, es gibt keine. Leute verschwinden spurlos, ohne dass auch nur ein Erpresserbrief auftaucht, und dann haben wir da noch einen exhibitionistischen Dreckskerl, der seine Arbeit öffentlich und außerdem in Rufweite von Passanten ausführt. Vielleicht hat er die anderen umgebracht und nicht genug Spaß dabei gehabt, also hat er seine Methoden geändert, aber das wäre ein ziemlich drastischer Schritt. Meiner Ansicht nach jedenfalls.«

»Darf ich das zitieren?«

Sie lachte. »Probier’s ruhig. Übrigens, inzwischen kommen die Spinner wirklich aus ihren Löchern gekrochen. Heute Morgen hat uns einer erzählt, er hätte eine lebende Leiche durch die Innenstadt laufen sehen. Eine Hitzewelle und ein Hygieneproblem, das reicht schon, um bei manchen Leuten den Verstand aussetzen zu lassen. Zombies, Killerratten, Vorboten der Apokalypse … Ich warte jetzt nur noch drauf, dass mir einer erzählt, er hätte Vampire im Don Valley gesehen.«

Ich sah zu dem Tisch hinüber, an dem Zoe saß und an einem Mimosa nippte. »Das mit den Vampiren würde ich glauben.«

»Klar würdest du. Hey, ich muss los. Ruf mich an, ich will mich mit dir treffen, bevor du wieder aus der Stadt verschwindest. Und pass auf dich auf wegen dieser Vampire.«

»Mache ich.«

Als ich das Gespräch beendet hatte und mich zur Treppe umdrehte, sah ich Clay die Stufen herunterkommen.

»Rauf ins Bett«, sagte ich. »Du hast gehört, was der Onkel Doktor gesagt hat.«

»Yeah, und vom Essen hat er auch was gesagt. Da oben würde ich verhungern, bis du endlich mit dem Frühstück wiederkommst.«

»Clay, bitte …«

Er trat neben mich; seine Hand fand meine. »Ich drehe durch, wenn ich den ganzen Tag im Bett liegen muss, Darling. Das weißt du auch. Ich werde vorsichtig sein.«

Ich zögerte und nickte dann, und wir gingen zu dem Tisch hinüber, an dem Zoe mit den anderen saß und über eine Geschichte lachte, die Jaime erzählte. Sie brach ab, als sie uns näher kommen sah.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie Clay. »Jedenfalls siehst du okay aus.«

»Ist es auch«, sagte er, während er mir einen Stuhl heranzog. »Bloß eine Infektion. Der Doc hat mir was gegen das Fieber gegeben, mir geht’s gut. Aber wir müssen dieser Frau hier was zu essen besorgen.« Er konnte das Grinsen nicht länger unterdrücken. »Nachdem sie jetzt für drei isst.«

Während der auf diese Mitteilung folgenden Welle von Glückwünschen begann ich Nicks Teller zu untersuchen.

Er zog ihn aus meiner Reichweite. »Es ist ein Büfett. Keine Schlange. So viel du willst. Ich bringe dir sogar was.« Er schob seinen Stuhl zurück. »Lass einfach mein Essen in Frieden, solange ich weg bin.«

Ich griff nach seinem Teller, aber Clay war schneller als ich; er stahl zwei Streifen Speck und gab einen an mich weiter.

»Jaime hat uns gerade von einer ihrer Shows letzten Monat erzählt.« Zoe gab mir einen Klaps auf den Handrücken. »Du hast sie vor mir versteckt, stimmt’s?« Und als sie meinen Blick bemerkte: »Nein, nicht auf die Art. Ich meine – Jaime Vegas. Die Königin der Spiritistinnen.«

»Zoe ist ein Fan von ihr«, sagte Nick, während er einen beladenen Teller vor mir absetzte.

»Ein großer Fan sogar«, sagte Zoe. »Hab ihr aber erzählt, ich kenne einen noch größeren. Ein Freund von mir, Produzent – ist zurzeit gerade in L.A., und sie planen ein Fernsehspecial für nächstes Jahr. Sie wollen den Geist von Marilyn Monroe kontaktieren, rausfinden, wie sie gestorben ist. Große Sache.« Sie sah Jaime an. »Es wäre ein Riesenspaß. Du weißt, dass es ein Riesenspaß wäre.«

Jaime lachte. »Unseriös ohne Ende. Genau mein Ding also.«

»Ist das ein Ja?«

»Das ist ein Vielleicht.«

Wir brachten Zoe auf den letzten Stand, was die Vorfälle des vergangenen Abends anging.

Zoe ließ die Nägel gegen ihr Champagnerglas klicken. »Wisst ihr, vielleicht könnte ich euch da einen Zeugen besorgen. Weiß nicht, ob es was nützt, aber wenn ihr sowieso auf Randys Anruf warten müsst …«

»Auch eine Prostituierte?«

»Nein, Paranormale. Sie … na, sagen wir, sie jagt in dieser Gegend.«

»Ich dachte, du bist der einzige Vampir in Toronto.«

»Sie ist kein Vamp. Sie ist … wir sind uns nicht ganz sicher, was sie ist, aber …«

Ein Handy klingelte. Jaime, Zoe, Nick, Antonio und ich fuhren beim ersten Ton ausnahmslos zusammen und begannen nach unseren Telefonen zu suchen. Clay verdrehte die Augen und murmelte etwas von elektronischen Hundeleinen. Als der Klingelton erkennbar wurde, sagte ich: »Das ist meins.«

»Du hast das verdammte Ding nicht mal in die Tasche zurückgesteckt, stimmt’s?«

»Es ist … oh, es ist Anita Barrington.«

Clay knurrte und versuchte, mir das Telefon aus der Hand zu ziehen, aber ich hielt es außer Reichweite.

»Geh nicht dran …«, begann er.

Zu spät. Unser Gespräch war sehr kurz.

»Lass mich raten«, sagte Jaime. »Sie hat wichtige Informationen und will sofort vorbeikommen.«

»Nee«, sagte Clay. »Jetzt heißt es wieder, wir sollen zu ihr kommen.«

»Aber es ist dringend wie üblich«, bemerkte Nick, während er behutsam eine Melonenspalte von Clays Teller fischte. »Sie hat sich allerdings wirklich ziemlich ängstlich angehört.«

»Woher wollt ihr eigentlich …«, begann Jaime. »Oh, das schärfere Hörvermögen, ja? Sehr praktisch.«

»Denk einfach dran, du solltest in ihrer Gegenwart nie irgendwas flüstern«, sagte Zoe zu ihr. »Was ist also los mit Anita?«

»Sie hat es nicht sagen wollen. Nur, dass es diesmal wirklich extrem wichtig ist, und sie hat eine entscheidende Information für uns, die wir unbedingt und augenblicklich hören müssen, weil wir nämlich einen großen Fehler machen.«

»Uh-oh. Und indem du gesagt hast, du würdest gleich vorbeikommen, wolltest du sie bloß abschütteln?«

»Das wird Jeremy entscheiden. Und da kommt er gerade, mit Matthew Hull im Schlepptau.«

Zoe nahm einen Schluck von ihrem Mimosa. »Wenn du willst, könnten wir bei Anita vorbeigehen, wenn wir diese Freundin von mir besuchen. Sie wohnt in der Nähe.«

»Ich dachte, du wolltest Anita Barrington lieber aus dem Weg gehen«, sagte Clay.

»Einer neugierigen alten Frau aus dem Weg gehen ist eine Sache. Aber eine unsterblichkeitssuchende Hexe, die hinreichend besessen ist, um sich mit Werwölfen anzulegen? Da wird es vielleicht Zeit, sich das dazugehörige Gesicht einzuprägen, bevor ich mich am falschen Ende eines Bindezaubers wiederfinde.«

 

Jeremy schickte uns zu Anita, gab uns aber Antonio und Nick als Verstärkung mit. Als wir eintrafen, war der Perlenvorhang vor dem Schaufenster noch zugezogen, und das Schild an der Tür erklärte den Laden für geschlossen. Wir klopften an die Ladentür, klingelten an der Wohnungstür und hämmerten sogar an die Hintertür. Keine Antwort.

Antonio brach die Hintertür auf.

»Soll ich mit Elena hier draußen warten?«, flüsterte Zoe.

Clay schüttelte den Kopf. »Nick?«

»Ich bleibe bei den Damen.«

 

Zehn Minuten später kamen Clay und Antonio wieder heraus.

»Sie ist fort«, sagte Antonio. »Wir haben Blutspuren gefunden.«

Ich schob mich an Clay vorbei ins Haus. Nick und Antonio blieben draußen, um die Türen zu bewachen; Clay und Zoe kamen mit mir.

Im Inneren des Ladens war es still und dunkel. Ich schaltete das Licht ein.

»Ist ja winzig«, sagte Zoe, während sie einen Blick hinter den Ladentisch warf. »Und wo ist …«

Sie atmete scharf ein und drehte sich um, folgte dem Blutgeruch bis zu einem kleinen Tischchen. Neben ihm sah ich nicht »Spuren« von Blut, sondern eine Lache, die mehrere Bodenfliesen bedeckte. Links davon war ein verschmierter Abdruck, groß und breit, wahrscheinlich von einem Mann.

Mein Kopf rammte Zoes, als ich neben der Lache in die Hocke ging.

»Sorry«, sagte sie. »Ich wollte nur einen Blick darauf werfen.«

Ich schnupperte und sah dann zu Clay auf. »Das Blut stammt von ihr.« Ich wandte mich an Zoe. »Wäre ein solcher Blutverlust …?«

»Tödlich?« Sie studierte die Pfütze. »Wahrscheinlich nicht mehr als ein halber Liter. Nicht tödlich, aber … na ja, so viel Blut verliert man nicht, wenn man sich bloß an einem Blatt Papier schneidet.«

Als ich mich aus der Hocke wieder hocharbeitete, sah ich einen weiteren blutigen Abdruck einen halben Meter weiter. Einen kleinen Handabdruck, der höchstwahrscheinlich nicht zu derselben Person gehörte wie der Fußabdruck. Links davon befand sich etwas, das zunächst einfach wie verschmiertes Blut aussah. Aber als ich näher trat, sah ich, dass es eine mit einem blutigen Finger exakt gezogene Linie war. Auf einer Seite davon war eine Diagonale, als hätte jemand versucht, einen Pfeil zu zeichnen, und sei dabei unterbrochen worden.

Wir folgten der Richtung, in die der Pfeil zeigte – es war die gleiche, in die auch der Handabdruck wies.

Zoe fluchte leise, als sie das vollgestopfte Bücherregal musterte. »Lasst mich raten, eins von diesen Hunderten von Büchern enthält einen Hinweis.«

»Vergiss es«, sagte Clay. »Keine Zeit für Spielchen.«

Ich studierte das Regal. »Wie wäre es mit einer kurzen Runde von ›Was gehört nicht in dieses Bild‹?«

Ich bückte mich und nahm Anitas Keksteller von einem Bücherstapel. Ein zusammengefaltetes Stück Papier, das unter ihm versteckt gelegen hatte, flatterte auf den Fußboden hinunter.

»Kluge Hexe«, murmelte Zoe.

Ich faltete den Zettel auseinander und las ihn, während Clay mir über die eine, Zoe über die andere Schulter sah.

Elena,

Ich weiß, ich hätte Dir dies persönlich sagen sollen, aber ich wage es nicht. Ich bin eine alte Frau, und wenn ich die Antworten nicht finde, nach denen ich suche, dann kann ich mir doch wenigstens die wenige Zeit erhalten, die mir noch bleibt. Patrick Shanahan ist hier gewesen. Er hat nicht bekommen, was er wollte, aber er wird nicht so schnell aufgeben. Du musst wissen, dass …

Danach war die Tinte verschmiert, als sei der Füller abgerutscht. Darunter noch eine hastig hinzugefügte Zeile in enger, hektischer Schrift:

Du bist der Schlüssel zum Ritual, und Patrick würde alles sagen und tun, um zu der …

Damit endete die Mitteilung.

 

Wir riefen Jeremy an. Nach einigem Hin und Her stimmte er zu, dass Clay und ich weitermachen sollten – wir würden trotzdem noch Zoes Kontaktperson besuchen. Er selbst würde mit Jaime zu der Buchhandlung kommen, sich dort mit Antonio und Nick treffen, und vielleicht konnte Jaime herausfinden, was mit Anita geschehen war.

Zoe führte uns eine Abkürzung entlang – durch einen Durchgang, in dem Müllsäcke in der Mittagshitze vor sich hin dampften. Ich hielt mir mit der Hand die Nase zu.

»Sorry«, sagte Zoe. »Für dich muss das noch schlimmer sein als für mich. Wenn wir erst mal da sind, wird es … na ja, vielleicht nicht besser werden, aber es wird jedenfalls nicht nach Müll riechen. Kommst du klar?«

Ich nickte. Wir kamen in einer Straße heraus, die sich durch Cabbagetown und Regent Park zog. Wie die Straße mit dem Portal war sie von Häusern aus dem neunzehnten Jahrhundert gesäumt, aber hier erinnerten die Gebäude an runzlige alte Damen – Spuren ihrer früheren Schönheit waren noch sichtbar, aber man musste genau hinsehen, um sie unter den Zeichen des Verfalls zu entdecken.

Gute Substanz, würde ein Immobilienmakler sagen. Weiter unten an der Straße hatte der Prozess der Luxussanierung bereits eingesetzt; dort hatten die alten Damen eine Rundumsanierung verpasst bekommen in der Hoffnung, wohlhabende Großstädter anzuziehen, die von einem historischen Haus ohne die Nachteile zischender Heizkörper und altmodischer Lichtschalter träumten. Unser Teil der Straße war von alldem noch verschont geblieben. Hier saßen die alten Damen in behaglichem Verfall und blickten die Straße entlang zu ihren neureichen Nachbarn hinunter.

»Hier«, sagte Zoe, während sie ein verrostetes Tor zu einem von Unkraut überwucherten Vorgarten aufstieß.

»Diese Frau … es ist doch eine Frau, oder?«, begann ich, als wir uns durch das Unkraut arbeiteten.

»Hm, das glauben wir jedenfalls.«

Zoe führte uns zur Rückseite des Hauses, wo sie eine übervolle Mülltonne aus dem Weg zu zerren begann. Clay streckte die Hand aus und gab der Tonne einen Ruck.

»Pass auf mit deinem Arm«, sagte ich.

Zoe glitt in die Lücke, die die Tonne hinterlassen hatte.

»Diese … Frau«, sagte ich. »Was ist sie?«

Zoe ging vor einer verschlossenen Luke auf die Knie. »Wir glauben, sie könnte Hellseherin sein. Sie scheint die entsprechenden Fähigkeiten zu haben, und der Wahnsinn würde auch dazu passen.«

»Wahnsinn?«

Clay zuckte zu mir hin die Achseln, als wollte er sagen, dass es ihn nach all den Dimensionsportalen, Zombiesklaven und halbdämonischen Serienmördern nicht weiter gewundert hätte, wenn Zoe uns auf der Suche nach einem weißen Kaninchen in einen Bau hineingeführt hätte.

»Hellseher«, sagte ich. »Sie können nicht in die Zukunft sehen, stimmt’s? Es ist eher eine Art … laterales Sehen. Sie sehen Dinge, die gerade jetzt anderswo passieren.«

»Stimmt genau.« Sie hatte das erste Kombinationsschloss an der Luke geöffnet.

»Und was sie sehen, treibt sie in den Wahnsinn. Aber … wie wahnsinnig in diesem Fall?«

Clay sah mich an. »Wie wahnsinnig? Die sind sich nicht sicher, welches Geschlecht sie hat, Darling.«

»Okay, war eine blöde Frage. Hat sie einen Namen?«

Zoe öffnete das zweite Schloss. »Ich bin sicher, sie hatte einen. Irgendwann mal. Wir nennen sie Tee. Es ist …« Ihr Blick senkte sich gleichzeitig mit ihrer Stimme, als sei es ihr unangenehm. »Es ist eine Abkürzung. War nicht meine Idee.«

Die hölzerne Falltür war mindestens einen Meter lang und sechzig Zentimeter breit, und als sie an ihr zog, musste sie die Fersen in den Boden stemmen; ihr winziger Körper verspannte sich vor Anstrengung. Clay beugte sich vor und öffnete die Luke mit einem kurzen Ruck.

»Danke, Professor. Ganz der Südstaatengentleman heute, hm?«

Sie versuchte ihren üblichen leichten Ton anzuschlagen, aber es gelang ihr nicht ganz.

Eine schmale Treppe führte abwärts.

»Sie – Tee wohnt in der Souterrainwohnung?«, fragte ich.

Zoe schüttelte den Kopf. »Das ganze Haus gehört ihr. Elena, du gehst zuerst. Ich helfe dir da runter, und Clayton kann …«

»Elena sollte sich nicht bücken müssen, um wacklige Treppen runterzusteigen«, sagte Clay.

»Es ist der einzige Weg ins Innere. Die Türen sind zugemauert.«

»Kein Problem«, sagte ich.

Ich hatte die unterste Stufe kaum erreicht, als ich zu würgen begann. Clay rammte mit dem Kopf die niedrige Decke, so eilig hatte er es, mich einzuholen.

»Schon in Ordnung«, sagte ich, wobei ich zu sprechen versuchte, ohne zu schlucken und ohne zwischendurch den Mund zu schließen. Ich gab ihm ein Zeichen, er sollte warten, rannte die Stufen wieder hinauf und spuckte draußen aus. Als ich zurückkam, setzte der Würgreflex sofort wieder ein, und ich zögerte auf der untersten Stufe.

»Komm«, sagte er, während er nach meinem Arm griff. »Wir machen, dass wir hier …«

»Nein.«

Ich löste seine Finger von meinem Arm und tat ein paar Schritte in den Raum hinein, wobei ich flach atmete, um mich an den Geruch zu gewöhnen. Was die Frage anging, wonach es roch – diesen Gedanken schob ich zur Seite, als mir wieder übel wurde.

»Ich kann mit Tee reden«, sagte Zoe. »Geht ihr beide raus an die frische Luft, vielleicht nimmst du irgendwas, damit sich dein Magen beruhigt.«

»Ich bin in Ordnung. Gib mir einfach einen Moment Zeit, damit ich mich … dran gewöhnen kann.«

Ich sah mich in dem Raum um. Draußen herrschte sonniger Mittag, aber durch das Fenster über uns kam nur ein schwacher Lichtschein herein, der einen knappen Meter tanzender Staubkörnchen erleuchtete. Als meine Nase sich allmählich an den Geruch gewöhnt hatte, konnten auch meine Augen wieder etwas sehen, und ich stellte fest, dass wir in einem Gang standen, leer bis auf einige ordentlich aufgestapelte Kisten. Der Gang wirkte aufgeräumt, geradezu sauber. Der Geruch schien von einer geschlossenen Tür am anderen Ende her zu kommen, der Treppe gegenüber, die ins Erdgeschoss hinaufführte.

»Kein Licht, nehme ich an«, sagte ich.

Zoe schüttelte den Kopf. »Manchmal bringe ich eine Taschenlampe mit, aber … so ist es besser.«

»Sie … Tee mag kein Licht?«

»Hm, es ist nicht so sehr ihretwegen.« Zoe glitt von der Kiste herunter, auf der sie gesessen hatte, und machte sich auf den Weg den Gang entlang.