Zweites Kapitel
Wir hatten geplant, zeitig in der Früh, nämlich um acht Uhr, loszufahren. Gegen zehn Uhr waren wir beinahe fertig. Um zehn Uhr dreißig waren wir etwa vier Kilometer vom Haus entfernt und begannen auf den Tailors Stitch hinaufzufahren. Es ist eine ziemliche Schinderei, einen Weg hinaufzufahren, der im Lauf der Jahre vollkommen verwahrlost ist; Löcher, die so groß sind, dass ich dachte, der Landrover würde darin verloren gehen, Erdrutsche, Bäche, die man überqueren musste. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir wegen umgestürzter Bäume halten mussten. Wir hatten die Kettensäge mit und nach einer Weile schlug Homer vor, wir sollten sie eingeschaltet lassen. Er würde sich darum kümmern und wir müssten sie dann nicht jedes Mal anwerfen, wenn wir wieder zu einem Baumstamm kamen. Ich glaubte nicht, dass er es ernst meinte. Ich hoffte, dass er es nicht ernst meinte.
Es war lange her, dass jemand hier oben gewesen war. Wir wissen es immer, weil sie über unsere Koppeln müssen, um zu den Ausläufern zu gelangen. Wenn Dad gewusst hätte, wie schlecht der Weg war, hätte er uns den Landrover nie gegeben. Er vertraut meinen Fahrkünsten, doch so weit auch wieder nicht. Aber wir rumpelten weiter, ich kämpfte mit dem Lenkrad und schaffte gleichmäßig fünf km/h, gelegentlich auch bis zu zehn. Auf etwa halbem Weg kam es zu einem nicht vorgesehenen Aufenthalt, weil Fi erklärte, dass ihr schlecht wäre. Ich hielt sofort an, sie verschwand bleich wie eine Leiche durch die hintere Tür und hinterließ vorbeikommenden verwilderten Hunden oder Katzen eine eklige Masse in den Büschen.
Es war kein schöner Anblick. Fi macht alles, was sie tut, sehr graziös, aber sogar ihr fiel es schwer, graziös zu kotzen. Danach ging sie lange Zeit zu Fuß, während wir Übrigen den Tailors Stitch im Landrover hinaufschlingerten. Auf eine seltsame Art war es tatsächlich lustig. Lee stellte fest, dass das besser war als eine Fahrt auf dem Karussell, weil es länger dauerte – und gratis war.
Wir hatten auf die Messe verzichtet, um diesen Ausflug zu unternehmen. Wir waren einen Tag vor dem Gedenktag aufgebrochen, an dem das ganze Land stillsteht; in unserem Distrikt stehen die Leute jedoch nicht einfach still. Sie stehen zunächst einmal still und strömen dann nach Wirrawee, weil der Gedenktag traditionell der Tag der Wirrawee-Landwirtschaftsmesse ist. Es ist ein besonderer Anlass. Trotzdem machte es uns nichts aus, dass wir ihn versäumten. Es gibt eine Grenze für die Anzahl der Bälle, mit denen ein Clown jonglieren kann, und es gibt eine Grenze dafür, zum wievielten Mal man sich darüber freuen kann, dass Mum den Preis für die am schönsten verzierte Torte gewonnen hat. Ein Jahr Urlaub von der Messe würde uns nicht schaden.
Dachten wir jedenfalls.
Es war etwa halb drei, als wir oben anlangten. Fi war die letzten Kilometer wieder mitgefahren, aber wir waren alle erleichtert, als wir aus dem Landrover steigen und unsere Beine ausstrecken konnten. Wir hielten an der Südseite einer Kuppe in der Nähe des Mount Martin. Hier endete der Weg für Fahrzeuge; von da an hieß es, zu Fuß weiter. Vorläufig schlenderten wir jedoch herum und bewunderten die Aussicht. Auf der einen Seite sah man den Ozean: die schöne Cobblers Bay, einen meiner Lieblingsplätze und laut Dad einer der großen natürlichen Häfen der Welt, die nur gelegentlich von Fischerbooten oder einer Yacht auf Kreuzfahrt angelaufen wird. Für alles andere war die Bucht zu weit von der Stadt entfernt. Diesmal sahen wir dort allerdings zwei Schiffe; eines sah aus wie ein großer Schleppnetzfischer. Das Wasser war so blau wie königliches Blut; tief, dunkel und ruhig. In der entgegengesetzten Richtung führt der Tailors Stitch zum Gipfel des Mount Martin, ein scharfer, gerader Kamm, dessen nackte schwarze Felsen eine dünne Linie bilden, als hätte ein Chirurg vor einigen Jahrhunderten einen riesigen Einschnitt vorgenommen. Wir blickten auch in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren; unter dem Dach aus Bäumen und Schlingpflanzen war der Weg unsichtbar. In der Ferne erblickte man stellenweise das ertragreiche Ackerbaugebiet des Wirrawee-Distrikts, auf dem Häuser und Baumgruppen stehen und durch das sich langsam der träge Fluss Wirrawee schlängelt.
Und auf der anderen Seite war die Hölle.
»Toll!«, sagte Kevin, nachdem er lange hinuntergeblickt hatte. »Da wollen wir also runter?«
»Wir werden es versuchen«, antwortete ich. Ich hegte bereits Zweifel, versuchte aber stark und sicher zu klingen.
»Es ist beeindruckend«, sagte Lee. »Ich bin beeindruckt.«
»Ich habe zwei Fragen«, sagte Kevin, »aber ich werde nur eine stellen. Wie?«
»Wie lautet die andere Frage?«
»Die andere lautet Warum?. Aber das werde ich nicht fragen. Sag mir nur wie und ich bin zufriedengestellt. Ich bin leicht zufriedenzustellen.«
»Das deckt sich nicht mit dem, was Corrie sagt.« Homer hatte schneller reagiert als ich.
Ein paar Steine flogen und es kam zu ein paar Ringkämpfen. Homer hätte beinahe den schnellsten Weg in die Hölle eingeschlagen. Jungen können ohne zwei Dinge nicht sein: Steine werfen und ringen. Aber mir ist aufgefallen, dass diese Jungs inzwischen keins von beidem mehr tun. Warum wohl?
»Wie werden wir also hinunterkommen?«, fragte Kevin schließlich.
Ich zeigte nach rechts. »Da ist der Weg. Das ist unsere Route.«
»Das da? Diese Ansammlung von Felsen?«
Er übertrieb ein wenig, aber nicht sehr. Die Satansstufen sind riesige Granitblöcke, die aussehen, als hätte sie in der Steinzeit ein betrunkener Riese willkürlich hinuntergeworfen. Auf ihnen gibt es keinerlei Vegetation; sie sind kompromisslos nackt. Je länger ich sie betrachtete, desto unwahrscheinlicher sah das ganze Vorhaben aus, aber das hinderte mich nicht daran, meine große, anfeuernde Rede zu halten.
»Ich weiß nicht, ob es möglich ist, Freunde, aber es gibt rund um Wirrawee genügend Leute, die behaupten, es sei möglich. Wenn ihr an Geschichten glaubt, lebte ein alter Ex-Mörder jahrelang hier – der Einsiedler in der Hölle. Wenn ein Rentner es konnte, schaffen wir es bestimmt. Wir sollten die Hemdsärmeln aufkrempeln und es unter Einsatz unserer gesamten Kräfte versuchen.«
»Mensch, Ellie«, sagte Lee respektvoll, »jetzt verstehe ich, warum du Kapitän der Basketballmannschaft bist.«
»Wie wird man zum Ex-Mörder?«, fragte Robyn.
»Was?«
»Also was ist der Unterschied zwischen einem Ex-Mörder und einem Mörder?«
Robyn traf immer ins Schwarze.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte Kevin.
»Und zwar?«
»Kennst du wirklich jemanden, der dort unten war?«
»Räumen wir endlich den Landrover aus.«
Das taten wir, setzten uns dann hin, lehnten uns an die Rucksäcke, bewunderten die Aussicht und den blauen Himmel und kauten Huhn mit Salat. Fis Rucksack war genau in meinem Blickfeld, und je länger ich ihn ansah, desto deutlicher wurde mir bewusst, wie geschwollen er aussah.
»Fi«, fragte ich schließlich, »was hast du in deinem Rucksack?«
Sie richtete sich erschrocken auf. »Was meinst du damit? Kleidung und anderes Zeug. Das Gleiche wie alle anderen.«
»Was für Kleidung genau?«
»Was mir Corrie gesagt hat. Shirts. Pullover. Handschuhe, Socken, Unterwäsche, Handtuch.«
»Und was noch? Das kann nicht alles sein.«
Sie wurde verlegen.
»Ein Pyjama.«
»Oh, Fi!«
»Morgenmantel.«
»Morgenmantel? Fi!«
»Man kann nie wissen, wen man trifft.«
»Was noch?«
»Ich sage nichts mehr. Ihr werdet mich auslachen.«
»Wir müssen noch die Vorräte in den Rucksäcken verstauen. Und sie dann weiß Gott wie weit tragen.«
Wir bildeten ein Sechserkomitee, um Fis Rucksack zu reorganisieren. Fi war nicht Mitglied des Komitees. Danach verteilten wir die Vorräte, die Corrie und ich so sorgfältig eingekauft hatten. Anscheinend war ein ganzer Berg vorhanden, aber wir waren sieben und hatten vor, fünf Tage wegzubleiben. Sosehr wir uns auch bemühten, wir brachten nicht alles unter. Etliche der sperrigen Dinge waren ein großes Problem. Schließlich entschlossen wir uns, einige harte Entscheidungen zu treffen – zwischen den Vollkornkeksen und den Marshmallows, dem Gesundheitsbrot und den Doughnuts, dem Müsli und den Kartoffelchips. Ich schäme mich zu gestehen, wie wir bei einzelnen Posten entschieden, aber dann dachten wir vernünftig und erklärten: »Vielleicht entfernen wir uns nicht weit vom Landrover, so dass wir jederzeit zurückkommen und uns etwas holen können.«
Gegen fünf Uhr setzten wir uns in Bewegung; die Rucksäcke auf unseren Schultern sahen wie riesige Auswüchse, wie seltsame Höcker aus. Wir gingen zunächst am Kamm entlang; Robyn führte, Kevin und Corrie blieben ziemlich weit zurück, unterhielten sich leise und gingen mehr ineinander auf als in der Landschaft. Der Boden war hart und trocken; obwohl der Tailors Stitch gerade verläuft, war der Weg über ihn gewunden und verschwand zeitweise. Aber er war leicht zu begehen und die Sonne stand noch hoch am Himmel. Jeder von uns trug drei volle Wasserflaschen, wodurch die Rucksäcke viel schwerer wurden – sie würden trotzdem nicht lange reichen. Wir verließen uns darauf, dass wir in der Hölle Wasser finden würden – vorausgesetzt, wir schafften es überhaupt bis dorthin. Wenn nicht, würden wir am nächsten Morgen zum Landrover zurückkehren und uns Wasser holen. Falls unser Vorrat nicht reichte, würden wir die paar Kilometer zu der Quelle fahren, bei der ich oft mit Mum und Dad gecampt hatte.
Ich ging neben Lee und wir sprachen über Horrorfilme. Er war ein Fachmann auf dem Gebiet: Anscheinend hatte er Tausende gesehen. Das überraschte mich, weil ich vor allem sein Klavier und seine Geige schätzte, was eigentlich nicht zu Horrorfilmen passt. Er erzählte mir, dass er sich die Filme spätnachts ansah, wenn er nicht schlafen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass er ziemlich einsam war.
Von oben sahen die Satansstufen genauso wild und gefährlich aus wie aus der Entfernung. Wir blieben stehen, betrachteten alles und warteten darauf, dass uns Kevin und Corrie einholten.
»Hm«, sagte Homer. »Interessant.«
Das war der kürzeste Satz, den ich je von ihm gehört hatte.
»Es muss eine Möglichkeit geben«, sagte Corrie, die genau in diesem Augenblick eintraf.
»Als wir Kinder waren«, sagte ich, »behaupteten wir, dass das dort drüben links wie ein Weg aussieht. Wir sagten uns immer, dass es der Weg des Einsiedlers war. Wir machten einander Angst, weil wir uns einbildeten, dass er jeden Augenblick auftauchen würde.«
»Er war vermutlich ein netter, missverstandener Mann«, sagte Fi.
»Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Angeblich hat er seine Frau und sein Kind ermordet.«
»Ich glaube jedenfalls nicht, dass es ein Weg ist«, sagte Corrie. »Nur eine Verwerfung im Felsen.«
Wir standen lange dort und betrachteten die Schlucht, als könnten unsere Blicke in dem Wirrwarr einen Weg erscheinen lassen. Homer ging ein Stück an der Böschung entlang. »Ich glaube, wir könnten den ersten Felsblock schaffen«, rief er uns zu. »Diese Felsbank auf der anderen Seite scheint beinahe bis zum Boden der Schlucht zu führen.«
Wir gingen zu ihm. Es sah tatsächlich aus, als wäre es möglich.
»Was ist, wenn wir hinunterklettern und dann nicht weiterkönnen?«, fragte Fi.
»Dann klettern wir wieder hinauf und versuchen es an einer anderen Stelle«, sagte Robyn.
»Und wenn wir nicht wieder hinaufklettern können?«
»Was hinuntergeht, muss hinaufkommen«, sagte Homer und bewies damit, wie aufmerksam er während des Unterrichts in Naturgeschichte gewesen war.
»Versuchen wir's«, sagte Corrie überraschend entschlossen. Ich war froh. Ich wollte die anderen nicht zu sehr drängen, aber ich wusste, dass der Erfolg oder das Versagen dieser Expedition von mir – oder zumindest von Corrie und mir – abhing. Wir hatten sie dazu überredet mitzukommen, wir hatten ihnen ein tolles Erlebnis versprochen und es war unsere Idee gewesen, uns in die Hölle zu stürzen. Wenn wir kläglich versagten, würde ich mich schrecklich fühlen. Es wäre genauso, als würde ich eine Party geben und dann den ganzen Abend Mums Lieblingsschlager aus uralten Fernsehshows spielen.
Sie waren zumindest bereit, es mit der ersten Satansstufe zu versuchen. Aber sogar die war schwierig. Wir mussten in ein Gewirr von alten Baumstämmen und Brombeerhecken springen und dann die schräge, narbenbedeckte Fläche des Felsens hinaufklettern. Was uns ebenfalls etliche Narben eintrug. Es wurde reichlich geflucht und geschwitzt, wir zogen die einen hinauf und hielten uns an den Rucksäcken der anderen fest, bis wir endlich alle oben standen und auf Homers Felsbank hinuntersahen.
»Wenn alle so schwierig sind wie diese ...«, keuchte Fi; sie musste den Satz nicht beenden.
»Da drüben«, sagte Homer. Er ging auf Knie und Hände, wandte sich uns zu und glitt dann rückwärts über die Kante.
»Tatsächlich?«, sagte Fi.
»Kein Grund zur Besorgnis«, rief der unsichtbare Homer.
Es gab einen Grund, besorgt zu sein, und das war die Frage, wie wir wieder hinaufkommen sollten. Aber niemand erwähnte es, also tat ich es auch nicht. Uns hatte wahrscheinlich die Abenteuerlust gepackt. Robyn folgte Homer; dann ließ sich Kevin mühsam und stöhnend vorsichtig hinuntergleiten. Die Nächste war ich; ich kratzte mir ein wenig die Hand auf. Es war nicht einfach, weil die schweren Rucksäcke uns nach hinten zogen. Als ich hinunterkam, sprangen Homer und Robyn bereits von der Felsbank hinunter und kämpften sich durch das Gebüsch, um den zweiten riesigen Granitblock zu begutachten.
»Die andere Seite sieht besser aus«, sagte Lee. Ich folgte ihm um die Kante herum und wir prüften die Möglichkeiten. Es sah sehr schwierig aus. Beide Seiten des Felsens fielen trotz der Büsche und Gräser, die aus den Spalten wuchsen, jäh ab und der Felsen selbst war steil und hoch. Unsere einzige Hoffnung war ein alter, umgestürzter Baumstamm, der in die Schatten und das Unterholz verschwand, aber wenigstens in die richtige Richtung zeigte.
»Das ist unser Weg«, sagte ich.
»Hmmm«, sagte Homer, der neben uns auftauchte.
Ich setzte mich rittlings auf den Baumstamm und begann langsam hinunterzugleiten.
»Sie mag es, was?«, sagte Kevin. Ich grinste, als ich hörte, wie Corries Hand auf irgendeinem Teil von Kevins nacktem Fleisch landete. Der Baumstamm war morsch und feucht, hielt aber. Er war überraschend lang und mir wurde klar, dass er mich unter die Vorderseite des Felsens brachte. Als ich zu dem dünneren, verfaulteren Ende des Baumes kam, begannen große schwarze Käfer, Asseln und Ohrwürmer zwischen meinen Beinen hervorzukriechen. Ich grinste wieder und hoffte, dass ich alle verjagt hatte, bevor Fi mir hierher folgte.
Als ich aufstand, stellte ich fest, dass ich mich unter einem vegetationslosen Überhang befand, jedoch vor einem Dickicht aus Bäumen stand, das den nächsten riesigen Felsblock beinahe verbarg. Wir würden uns zwar einen Weg durch das Dickicht bahnen können und dabei zweifellos neue Kratzer abbekommen, aber nichts garantierte uns, dass wir um oder unter oder über den Granitblock klettern konnten. Ich bewegte mich seitwärts, lugte durch das Dickicht und suchte nach Möglichkeiten, während die anderen allmählich nachkamen. Fi war die Vierte; sie war ein wenig atemlos, machte aber kein Theater. Seltsamerweise hatten die Insekten Kevin aus der Fassung gebracht. Er glitt die letzten Meter im Eilzugstempo hinunter und schrie dabei hysterisch: »O mein Gott, nein, Hilfe, hier sind überall scheußliche Kriechtiere. Holt sie von mir runter! Holt sie von mir runter!« Während der nächsten drei Minuten streifte er sich mit den Händen ab, drehte sich auf dem engen Raum, der uns zur Verfügung stand, um sich selbst, versuchte alles zu entdecken, was sich auf ihm befand, und schüttelte verzweifelt seine Kleidung aus. Ich fragte mich, was er mit Schafen anfing, die voller Ungeziefer waren.
Kevin beruhigte sich allmählich, aber wir hatten noch immer keinen Weg aus dem Überhang gefunden.
»Na ja«, sagte Robyn fröhlich, »sieht so aus, als würden wir hier eine Woche lang campen.«
Kurze Stille trat ein.
»Ellie«, sagte Lee freundlich, »ich glaube nicht, dass wir einen Weg hinunter finden. Und je weiter wir gehen, desto schwieriger wird es sein zurückzugehen.«
»Versuchen wir es nur noch mit einer Stufe«, bat ich, dann fügte ich etwas unlogisch hinzu: »Drei ist meine Glückszahl.«
Wir stöberten noch eine Weile herum, allerdings eher zweifelnd. Schließlich sagte Corrie: »Vielleicht haben wir eine Chance, wenn wir uns hier durchwinden. Vielleicht gelingt es uns, irgendwo um die Seite herumzukommen.«
Der Spalt, den sie entdeckt hatte, war so eng, dass wir unsere Rucksäcke abnehmen mussten, um durchkriechen zu können. Ich übernahm Corries Rucksack, während sie sich in ein stachliges, zugewachsenes Loch zwängte. Ihr Kopf verschwand, dann ihr Rücken, dann ihre Beine. Hinter mir sagte Kevin: »Das ist verrückt!«, dann sagte Corrie: »Okay, jetzt meinen Rucksack«, also schob ich ihn hinter ihr her. Dann übergab ich meinen Rucksack Robyn und folgte Corrie.
Mir wurde bald klar, dass ihre Idee richtig war, aber es war wirklich schwierig. Wenn ich keine so eigensinnige, dickschädlige Idiotin wäre, hätte ich an diesem Punkt aufgegeben. Wir krochen schließlich wie an Myxomatose erkrankte Kaninchen weiter und ich schob Corries Rucksack vor mir her. Aber ich erblickte links von mir gelegentlich eine Felswand und wir krochen eindeutig bergab, daher nahm ich an, dass wir uns wahrscheinlich um die dritte Satansstufe herumkämpften. Dann hielt Corrie vor mir an und ich war gezwungen es ihr nachzutun.
»He!«, sagte sie. »Kannst du hören, was ich höre?«
Es gibt einige Fragen, die mich wirklich ärgern, zum Beispiel: »Was weißt du?«, »Arbeitet ihr mit vollem Einsatz?« (die Lieblingsfrage unseres Klassenlehrers), »Rat mal, woran ich gerade denke«, »Was glaubst du, dass du tust, junge Dame?« (wenn Dad verärgert ist). »Kannst du hören, was ich höre?« gehört auch in diese Kategorie. Außerdem war ich müde, mir war heiß und ich war frustriert. Deshalb gab ich eine unfreundliche Antwort. Nach einer kurzen Pause bewies Corrie mehr Geduld als ich und sagte: »Vor uns ist Wasser. Fließendes Wasser.«
Ich horchte und dann hörte ich es ebenfalls. Also sagte ich es nach hinten zu den anderen durch. Es war nur eine Kleinigkeit, aber es half uns, noch ein bisschen länger durchzuhalten.
Ich kroch entschlossen weiter und lauschte, wie das Geräusch immer lauter wurde. Es musste ein sehr eifriger Bach sein und das bedeutete in dieser Höhe eine Quelle. Wir alle brauchten inzwischen einen erfrischenden Schluck aus einer dieser Gebirgsquellen. Wir würden es für den mühseligen Rückweg zum obersten Rand der Hölle brauchen. Und wir mussten uns beeilen. Es wurde spät; Zeit, ein Lager aufzuschlagen.
Plötzlich war ich am Bach und Corrie stand schon auf einem Felsen und grinste mich an.
»Wir haben wirklich etwas gefunden«, sagte ich und grinste zurück.
Der Bach war klein und hübsch. Die Sonne erreichte ihn nicht, deshalb war er dunkel, kühl und geheimnisvoll. Das Wasser sprudelte über Felsen, die vor Moos grün und glatt waren. Ich kniete nieder, tauchte mein Gesicht in den Bach, und während die anderen eintrudelten, schleckte ich das Wasser mit der Zunge, wie ein Hund. Wir hatten nicht viel Platz, aber Robyn begann in eine Richtung weiterzugehen, wobei sie vorsichtig von einem Felsen auf den nächsten trat. Lee machte das Gleiche in die entgegengesetzte Richtung. Ich bewunderte ihre Energie.
»Ein hübscher Bach«, sagte Fi, »aber es wäre wirklich besser, Ellie, wenn wir wieder hinaufgehen würden.«
»Ich weiß. Aber lasst uns zuerst fünf Minuten Pause machen. Wir haben es verdient.«
»Das hier ist schlimmer als das Überlebenscamp«, beschwerte sich Homer.
»Ich bin leider nicht dabei gewesen«, sagte Fi. »Ihr habt alle mitgemacht, nicht wahr?«
Ich war dabei gewesen und hatte es genossen. Ich hatte mit meinen Eltern sehr oft gecampt, aber das Überlebenscamp hatte in mir den Geschmack nach etwas Härterem geweckt.
Ich war gerade dabei, mich daran zu erinnern, als Robyn plötzlich wieder auftauchte. Ihr Gesichtsausdruck war beinahe erschreckend. Ich konnte in dem dichten Buschwerk nicht stehen, aber ich richtete mich sehr schnell so weit wie möglich auf.
»Was ist passiert?«
Robyn antwortete wie jemand, der seine eigene Stimme hört, aber seinen eigenen Worten nicht traut: »Ich habe gerade eine Brücke gefunden.«