Drittes Kapitel

Der Pfad war mit Blättern und kleinen Zweigen bedeckt und an manchen Stellen ein wenig überwachsen, aber im Vergleich zu dem, was wir auf dem Weg hinunter erlebt hatten, war er eine Schnellstraße. Wir staunten ihn an. Mir schwindelte beinahe vor Erleichterung, Verblüffung und Befriedigung.

»Ich werde dich nie wieder als dummen, blöden, eigensinnigen Schlackenhaufen bezeichnen, Ellie«, sagte Homer feierlich.

»Danke, Homer.«

Es war ein süßer Moment.

»Ich sage euch etwas«, meinte Kevin. »Es ist ein Glück, dass ich euch Drückeberger davon abgehalten habe, dort umzudrehen, wo ihr alle aussteigen wolltet.«

Ich ignorierte ihn.

Die Brücke war alt, aber schön gebaut. Sie überspannte den Bach an einer großen Lichtung und war etwa einen Meter breit und fünf Meter lang. Sie besaß sogar ein Geländer. Ihre Oberfläche bestand aus runden Holzstämmen statt Brettern, aber die Holzstämme waren vollkommen gleichmäßig zurechtgeschnitten. Die in jedes Ende eingesetzten Verbindungsstücke waren mit Querriegeln versehen und das erste und das letzte Verbindungsstück waren mit hölzernen Nägeln an den Querriegeln befestigt.

»Gute Arbeit«, lobte Kevin. »Erinnert mich an meine ersten.«

Plötzlich hatten wir so viel Energie, als wären wir high. Wir hätten beinahe beschlossen, auf dieser kühlen, schattigen Lichtung zu campen, aber der Forscherdrang war zu groß. Wir luden uns unsere Rucksäche wieder auf und eilten wie schnatternde Kakadus den Weg entlang.

»Die Geschichte von dem Einsiedler muss wahr sein. Kein anderer hätte sich diese Mühe gemacht.«

»Wie lange er hier wohl gelebt hat?«

»Woher willst du wissen, dass es ein Er war?«

»Die Leute in der Umgebung sprachen immer von einem Mann.«

»Die meisten Einsiedler werden als Mann bezeichnet.« Das war Lee, unser Schlaumeier.

»Er muss Jahre hier verbracht haben, wenn er sich die Mühe gemacht hat, diese Brücke zu bauen.«

»Und der Pfad ist so gut ausgetreten.«

»Wenn er jahrelang hier gelebt hat, hatte er genügend Zeit, die Brücke zu bauen und noch vieles mehr. Stellt euch einmal vor, wie ihr eure Zeit ausfüllen würdet.«

»Nahrung wäre das Wichtigste. Sobald man seine Mahlzeiten organisiert hat, gehört einem der Rest des Tages.«

»Ich möchte wissen, wovon du leben würdest.«

»Von Opossums, vielleicht auch von Kaninchen.«

»In einem solchen Gebiet gibt es wahrscheinlich nicht viele Kaninchen. Es gibt aber Wallabys, eine Menge Opossums, Wildkatzen.«

»Igitt!«

»Du könntest Gemüse anbauen.«

»Buschnahrung.«

»Ja, er hat sich wahrscheinlich diese Fernseh-Show angesehen.«

»Wombats.«

»Ja, wie wohl Wombats schmecken?«

»Es heißt ohnehin, dass die meisten Leute zu viel essen. Wenn er nur gegessen hat, wenn er wirklich hungrig war, hat er nicht viel gebraucht.«

»Man kann sich dazu erziehen, viel weniger zu essen.«

»Kennst du Andy Farrar? Er hat im Busch in der Nähe des Wombegonoo einen handgeschnitzten Spazierstock gefunden, der sehr schön verziert und einfach großartig ist. Alle haben behauptet, dass es sich nur um den Stock des Eremiten handeln könne, aber ich dachte, dass sie nur Spaß machen.«

Der Weg führte die ganze Zeit abwärts. Er wand sich ein wenig durch das Gelände und suchte die beste Route, aber die allgemeine Richtung führte bergab. Wieder hinaufzugehen würde eine Menge Schweiß kosten. Wir hatten viel an Höhe verloren. Trotzdem war es schön, ruhig, schattig, kühl und feucht. Es gab keine Blumen, aber mehr Schattierungen von Grün und Braun, als unsere Sprache kennt. Der Boden war mit abgefallenen Blättern bedeckt; gelegentlich verloren wir den Weg unter Haufen von Rinde, Blättern und Zweigen, aber wenn wir ihn unter den Bäumen suchten, fanden wir ihn jedes Mal wieder. Er führte uns immer wieder zu den Satansstufen zurück, so dass wir für ein paar Meter die hohen Granitwände streiften. Einmal verlief er zwischen zwei der Stufen und führte auf der anderen Seite weiter: Der Spalt war nur zwei Meter breit und wirkte beinahe wie ein Tunnel durch die massiven Felsbrocken.

»Für die Hölle ist es wirklich sehr hübsch«, sagte Fi zu mir, während wir uns in dem Felsspalt ausruhten.

»Hmmm. Ich möchte wissen, wann jemand zum letzten Mal hier unten war.«

»Mehr als das«, sagte Robyn, die vor Fi ging. »Ich möchte wissen, wie viele menschliche Wesen in der Geschichte des Universums jemals hier gewesen sind. Ich meine, warum hätten sich die Ureinwohner dafür interessieren sollen? Warum hätten sich die frühen Forscher oder Siedler dafür interessieren sollen? Niemand, den wir kennen, hat sich dafür interessiert. Vielleicht sind der Einsiedler und wir die einzigen Menschen, die sie je gesehen haben. Jemals!«

Zu diesem Zeitpunkt war es offensichtlich, dass wir schon in der Nähe der Talsohle waren. Der Boden wurde eben und die letzten Sonnenstrahlen drangen zu uns durch und wärmten unsere Gesichter. Die Überwucherung und das Unterholz waren jetzt zwar spärlicher, aber noch immer ziemlich dicht. Der Weg kehrte zum Bach zurück und verlief einige hundert Meter lang an seiner Seite. Dann erweiterte er sich zu unserem Lagerplatz für die Nacht.

Wir befanden uns auf einer Lichtung, die ungefähr so groß wie ein Hockeyfeld oder etwas größer war. Doch es wäre schwierig gewesen, hier Hockey zu spielen, weil sie mit Bäumen bestanden war: drei schöne alte Eukalyptusbäume sowie zahlreiche Schösslinge und junge Bäume. Der Bach befand sich am westlichen Rand; man hörte ihn, sah ihn aber nicht. Hier war er seichter und breiter und kalt, eiskalt, sogar an einem Sommertag. Zeitig am Morgen schmerzte und stach er. Aber wenn einem heiß war und man das Gesicht in ihn tauchte, war es ein wunderbar erfrischender Schock.

Da bin ich jetzt.

Allen kleinen Lebewesen der Lichtung mussten wir wie Besucher aus der Hölle vorgekommen sein, nicht wie Besucher der Hölle. Wir machten eine Menge Lärm. Und Kevin – man kann ihm nie die schlechte Angewohnheit abgewöhnen, Zweige von den Bäumen abzubrechen, statt noch ein paar Meter weiterzugehen und abgestorbene Aste einzusammeln. Das ist einer der Gründe, warum ich nie ganz überzeugt war, wenn Corrie davon sprach, wie liebevoll und feinfühlig er ist. Aber er versteht es, Feuer zu machen: Etwa fünf Minuten nach unserem Eintreffen stieg weißer Rauch auf und nach weiteren zwei Minuten brannten die Flammen lichterloh.

Wir beschlossen uns nicht mit den Zelten herumzuschlagen – wir hatten ohnehin nur zweieinhalb mitgenommen –, denn es war warm und würde bestimmt nicht regnen. Also hängten wir nur einige Zeltplanen als Schutz vor dem Tau auf. Dann widmeten Lee und ich uns dem Kochen. Fi kam herübergeschlendert.

»Was gibt es heute?«, fragte sie.

»Zuerst Zwei-Minuten-Nudeln. Wir werden später auch Fleisch kochen, aber ich bin zu hungrig, um zu warten.«

»Was sind Zwei-Minuten-Nudeln?«, fragte Fi.

Lee und ich sahen einander an und grinsten.

»Es ist ein erhabenes Gefühl zu erkennen, dass man gerade dabei ist, das Leben eines Menschen für immer zu verändern«, sagte Lee.

»Habt ihr niemals Zwei-Minuten-Nudeln gegessen?«, fragte ich Fi.

»Nein. Meine Eltern schwören auf Reformkost.«

Ich hatte bis dahin niemanden kennengelernt, der nie zuvor Zwei-Minuten-Nudeln gegessen hatte. Manchmal kam mir Fi wie ein exotischer Schmetterling vor.

Ich kann mich an keine Wanderung und an kein Zeltlager erinnern, bei dem die Leute ums Feuer herumgesessen und Geschichten erzählt oder gesungen hätten. Anscheinend kam das nie vor. Aber in dieser Nacht blieben wir lange wach und redeten und redeten. Wir waren aufgeregt, weil wir an diesem seltsamen, schönen Ort waren, den so wenige Menschen jemals gesehen hatten. Es gibt auf der Welt nur noch wenige Wildnisse, aber ein glücklicher Zufall hatte uns mitten in dieses kleine, wilde Königreich versetzt. Es war gut so. Ich war wirklich müde, aber ich war so aufgekratzt, dass ich erst schlafen gehen konnte, als die anderen zu gähnen begannen, aufstanden und sich nach ihren Schlafsäcken umsahen. Fünf Minuten später waren alle im Bett; höchstens fünf Minuten danach war ich eingeschlafen.