Zehntes Kapitel

Bei Einbruch der Nacht wurde Corrie etwas vernünftiger, konnte uns verstehen und uns flüsternd antworten. Doch ihre Stimme war leblos, und als wir sie auf die Beine stellten und mit ihr herumgingen, bewegte sie sich wie eine alte Frau. Wir hatten Decken von den Betten der Scherer geholt und sie eingewickelt und wir wussten, dass wir sie nie auf ein Fahrrad bringen würden. Daher nahmen Homer und Kevin bei Einbruch der Dunkelheit den Toyota, fuhren zu Kevin und brachten den Ford und den Toyota zurück. Homer hielt es noch immer für wichtig, den Toyota bei Corrie zu lassen, damit es so aussah, als hätten wir ihn nicht benützt. Er hoffte, dass sie dachten, wir wären mit dem Haus in die Luft geflogen. »Schließlich können sie nur vermuten, dass jemand hier war«, argumentierte er. »Vielleicht haben sie eine Bewegung im Haus gesehen oder Flip hat sie misstrauisch gemacht.«

Homer besaß die Fähigkeit, sich in die Soldaten hineinzuversetzen, ihre Gedanken zu lesen und mit ihren Augen zu sehen. Ich glaube, man nennt das Vorstellungskraft.

Ich suchte Flip, aber es gab keine Spur von ihr. Falls sie die Explosion überlebt hatte, rannte sie vermutlich immer noch. ›Jetzt wäre sie schon in Stratton‹, dachte ich. Trotzdem versprach ich Kevin, dass ich sie suchen würde, während er den Ford holte.

Die beiden Jungs kamen gegen zehn Uhr zurück. Wir waren während ihrer Abwesenheit nervös gewesen; wir waren so sehr aufeinander angewiesen. Doch die Wagen schwankten endlich langsam die Auffahrt herauf und wichen dabei den Trümmern aus. Es war offensichtlich, dass Homer den Toyota fuhr. Er war kein besonders guter Fahrer.

Dann kam es wieder zu einem Streit, als Homer sagte, wir müssten die ursprünglichen Pläne beibehalten, einschließlich der Aufteilung in zwei Gruppen. Als die Jungs die Autos holten, hatte sich Corrie schon schlimm genug aufgeführt. Doch als sie jetzt damit konfrontiert wurde, dass Homer und ich nach Wirrawee fahren würden, in – wie sie wusste – gefährliches Territorium, klammerte sie sich schluchzend an mich und flehte Homer an hierzubleiben. Aber er wollte nicht nachgeben.

»Wir können nicht einfach unters Bett kriechen und dort bleiben, bis alles vorbei ist«, sagte er zu ihr. »Wir haben heute eine Menge Fehler gemacht und das hat uns verdammt viel gekostet. Aber wir lernen. Und wir müssen Lee und Robyn zurückholen. Du willst sie doch wiederhaben, nicht wahr?«

Das war das einzige Argument, das bei ihr ankam. Während sie darüber nachdachte, schob Kevin sie in den Ford. Dann sprangen er und Fi rechts und links von ihr ins Auto; wir verabschiedeten uns schnell und bestiegen unsere Fahrräder für die Fahrt nach Wirrawee.

Ich kann nicht behaupten, dass ich scharf darauf war zu fahren. Aber ich wusste, dass wir beide es richtig machen würden. Und ich wollte mehr Zeit mit dem neuen Homer verbringen, diesem interessanten, klugen Jungen, den ich so viele Jahre lang gekannt und doch nicht gekannt hatte. Seit unserem Ausflug in die Hölle interessierte ich mich ziemlich für Lee, aber ein paar Stunden weg von ihm und stattdessen in Homers Gesellschaft machten einen Unterschied.

Ich weiß noch, dass ich einmal aus irgendeinem Grund mit Dad in die Schlachthäuser gegangen bin; während er mit dem Geschäftsführer verhandelte, sah ich zu, wie die Tiere über die Rampe zur Schlachtbank getrieben wurden. Ich habe nie den Anblick von zwei jungen Stiere vergessen, von denen einer auf halbem Weg in den Tod noch versuchte den anderen zu besteigen. Ich weiß, dass es ein roher Vergleich ist, aber ein bisschen waren wir genauso. »Inmitten des Todes stehen wir im Leben.« Wir waren mitten in einem verzweifelten Kampf, um am Leben zu bleiben, aber ich dachte noch immer an Jungs und Liebe.

Nachdem wir einige Minuten lang schweigend gefahren waren, rückte Homer neben mir auf. »Halt meine Hand, Ellie«, sagte er. »Kannst du mit einer Hand fahren?«

»Klar.«

Wir fuhren einen oder zwei Kilometer so, stießen ein halbes Dutzend Mal beinahe zusammen, mussten dann aber loslassen, damit wir schneller vorwärtskamen. Aber wir unterhielten uns ein wenig, nicht über Bomben, Tod und Vernichtung, sondern über dumme kleine Dinge. Dann spielten wir zum Zeitvertreib Gruppen finden.

»Nenne bis zu dem Moment, in dem wir abbiegen, vier Länder, deren Name mit B beginnt.«

»Hilfe! Brasilien, Belgien, Britannien, nehme ich an. Hm. Bali? Ah, Bolivien. Okay, du bist an der Reihe, fünf grüne Gemüsesorten, bevor wir am Telegrafenmast vorbei sind.«

»Kohl, Brokkoli, Spinat. Fahr langsamer. Ah, Erbsen und Bohnen natürlich. Jetzt bis zum Wegweiser fünf Hunderassen.«

»Leicht. Corgis, Labradors, Deutsche Schäferhunde, Collies, Windhunde. Jetzt was Griechisches.

Nenne drei Olivenarten.«

»Oliven! Ich kenne keine einzige.«

»Es gibt drei Arten. Grüne, schwarze und gefüllte.« Er lachte so laut, dass er beinahe von der Straße abkam.

Beim Fünf-Kilometer-Schild wurden wir wieder ernst, hielten uns am Rand, schwiegen. Homer fuhr zweihundert Meter hinter mir. Ich übernehme gern Verantwortung – das ist kein Geheimnis – und Homer hatte offenbar für eine Weile genug. Vor jeder Kurve stieg ich ab, ging ein Stück vor und winkte dann Homer zu, wenn die Straße frei war. Wir kamen am Willkommen – Schild vorbei, dann an der alten Kirche und waren in den Vororten von Wirrawee, wie Homer es ausdrückte. Da die Bevölkerung von Wirrawee kaum einen Häuserblock in der Innenstadt füllt, war die Bezeichnung »Vororte« ein weiterer Witz von Homer. Je näher wir zu Robyns Haus kamen, desto angespannter wurde ich. Ich machte mir große Sorgen um sie und Lee. Sie fehlten mir so sehr und ich hatte solche Angst vor weiteren Zusammenstößen mit Soldaten. Während des Tages war so viel geschehen, dass ich kaum Zeit gehabt hatte, an Robyn und Lee zu denken; mir fielen nur banale Dinge ein wie: »Wo sie jetzt wohl sind. Hoffentlich sind sie heute Abend da. Hoffentlich geht es ihnen gut.«

Aber obwohl sie abgedroschen klangen, waren es wahre Gedanken.

Auf dem letzten Kilometer bis zu Robyns Haus bewegten wir uns sehr, sehr vorsichtig, schoben die Räder und waren bereit, uns auf alles zu stürzen – einen Ast, der sich bewegte, ein klapperndes Rindenstück, das auf den Boden fiel, einen schreienden Nachtvogel. Wir erreichten das vordere Tor und betrachteten die Auffahrt. Das Haus war stumm und finster.

»Ich weiß es nicht mehr«, flüsterte Homer. »Haben wir gesagt, dass wir einander im Haus treffen würden oder auf dem Hügel dahinter?«

»Ich glaube, auf dem Hügel.«

»Das glaube ich auch. Sehen wir zuerst dort nach.«

Wir ließen die Fahrräder hinter einem Busch in der Nähe des vorderen Tors und gingen durch das hohe Gras um das Haus herum. Ich war noch immer vorn und bewegte mich so leise wie möglich, abgesehen von einigen Ausrutschern wie gegen einen Schubkarren stoßen oder schmerzhaft über einen hohen Rasensprenger stolpern. Nach dem fahrbaren Rasenmäher in Mrs Alexanders Garten, der Corrie erledigt hatte, begann ich mich langsam zu fragen, ob irgendwer jemals irgendwas wegräumte. Aber ich sah keine Möglichkeit, den Schubkarren oder den Rasensprenger in Waffen zu verwandeln. Vielleicht konnten wir den Rasensprenger einschalten und den Feind nass spritzen? Ich kicherte bei dieser Idee und erntete einen erschrockenen Blick von Homer.

»Genießt du das?«, flüsterte er.

Ich schüttelte den Kopf, aber ehrlich gesagt fühlte ich mich selbstsicherer und entspannter als vorher. Mir ist Handeln immer lieber; ich bin glücklicher, wenn ich etwas tun kann. Fernsehen zum Beispiel hat mich immer gelangweilt; ich ziehe es vor, die Rinder zu füttern oder zu kochen oder sogar Zäune zu reparieren.

Auf der Spitze des Hügels hatte sich nichts verändert. Der Blick auf Wirrawee war der gleiche, die Lichter auf dem Messegelände und an einigen weiteren Stellen waren eingeschaltet. Einer dieser Orte war, wie Homer bemerkte, das Krankenhaus. Es sah aus, als wäre es in Betrieb. Aber es gab kein Zeichen von Robyn oder Lee. Wir warteten etwa zwanzig Minuten. Dann wurde uns kalt und wir begannen zu gähnen, so dass wir beschlossen Plan B, das Haus, auszuführen.

Wir gingen den Hügel hinunter. Etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt packte mich Homer am Arm. »Dadrinnen ist jemand«, sagte er.

»Woher weißt du das?«

»Ich habe an einem der Fenster eine Bewegung gesehen.«

Wir beobachteten das Haus eine Weile, sahen jedoch nichts.

»Könnte es eine Katze gewesen sein?«, schlug ich vor.

»Es könnte ein Schnabeltier gewesen sein, aber das glaube ich nicht.«

Ich begann mich vorwärtszubewegen, aus keinem bestimmten Grund, nur weil ich fühlte, dass wir nicht ewig hier stehen bleiben konnten. Homer folgte mir. Ich blieb erst dicht vor der Hintertür stehen; hätte ich den Arm ausgestreckt, hätte ich sie berühren können. Ich wusste noch immer nicht genau, warum wir das taten. Meine größte Angst war, dass wir in einen Hinterhalt gerieten. Aber es war denkbar, dass Robyn und Lee im Haus waren, und solange das möglich war, konnten wir kaum fortgehen. Ich wollte die Tür öffnen, wusste aber nicht, wie ich es tun konnte, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Ich versuchte mir einige Szenen aus Filmen ins Gedächtnis zu rufen, in denen die Helden sich in solchen Situationen befanden, aber mir fielen keine ein. Meist traten sie in den Filmen die Tür ein und stürzten mit gezogener Pistole in den Raum. Das konnten wir aus mindestens zwei Gründen nicht tun. Erstens machte es Lärm; zweitens hatten wir keine Pistolen.

Ich schob mich näher an die Tür heran und nahm eine unbequeme Stellung ein: Rücklings an die Wand gedrückt, versuchte ich mit der linken Hand die Tür zu öffnen. Doch ich konnte nicht genügend Hebelkraft einsetzen, also drehte ich mich um, hockte mich hin und griff mit der rechten Hand nach oben, um den Knauf zu packen. Er drehte sich geräuschlos, aber meine Nerven versagten für einen Augenblick und ich wartete, wobei ich den Knauf in seiner Stellung festhielt.

Dann zog ich die Tür zu mir, etwas zu kräftig, weil ich halb erwartet hatte, dass sie versperrt war. Sie ging etwa dreißig Zentimeter auf und kreischte dabei wie eine gequälte Seele. Homer stand hinter mir. Ich konnte ihn nicht mehr sehen, aber ich hörte und fühlte seinen Atem und sein Körper richtete sich ein wenig auf. Wie sehr ich mich nach einer Ölkanne sehnte! Ich wartete, dann fand ich, dass es keinen Sinn mehr hatte, und zog die Tür einen weiteren Meter auf. Sie krächzte über jeden Zentimeter. Mir war schlecht, aber ich erhob mich und machte drei langsame, vorsichtige Schritte in die Dunkelheit hinein. Dann wartete ich, weil ich hoffte, dass sich meine Augen anpassen und ich im Stande sein würde, die dunklen Formen zu erkennen, die sich vor mir befanden. Hinter mir bewegte sich die Luft, weil Homer hereinkam; ich hoffte jedenfalls, dass es Homer war. Bei der Vorstellung, es wäre jemand anderer, ergriff mich solche Panik, dass ich mir einen ernsten Vortrag über Selbstbeherrschung halten musste. Aber meine Nerven trieben mich noch einige Schritte vorwärts, bis mein Knie gegen einen weich gepolsterten Stuhl stieß. In diesem Augenblick hörte ich aus dem nächsten Zimmer ein scharrendes Geräusch, als hätte jemand einen Holzstuhl auf einem Holzboden zurückgeschoben. Ich versuchte verzweifelt mich daran zu erinnern, was es im nächsten Zimmer gab und wie es aussah, aber mein Gehirn war für diese Arbeit zu müde. Stattdessen versuchte ich mir einzureden, dass da kein scharrender Stuhl gewesen war, dass niemand dort war, dass ich mir das nur eingebildet hatte. Aber dann kam die schreckliche Bestätigung, das Geräusch eines knarrenden Bretts und ein leiser Schritt.

Ich ging instinktiv zu Boden, glitt leise nach rechts und schlängelte mich an dem weich gepolsterten Stuhl vorbei, den ich gerade berührt hatte. Ich spürte, wie Homer hinter mir das Gleiche tat. Ich lag auf dem Teppich. Er roch wie Stroh, sauberes, trockenes Stroh. Ich hörte Homer scharren wie einen alten Hund, der es sich bequem macht. Ich war entsetzt darüber, wie viel Lärm er machte. Begriff er denn nicht? Aber vor mir war ein weiteres Geräusch: das unverkennbare Geräusch, wenn ein Bolzen in den Verschluss gezogen wird und dann vorwärtsgleitet, so dass der Gewehrhahn gespannt ist.

»Robyn!«, kreischte ich.

Nachher behauptete Homer, ich sei verrückt. Und sogar als ich es ihm erklärte, behauptete er, dass ich all das unmöglich in einem Sekundenbruchteil hatte berechnen können. Aber ich konnte es und ich hatte es getan. Ich wusste, dass die Soldaten, die uns gejagt hatten, moderne automatische Waffen besaßen. Und die Waffe, die da gespannt wurde, war ein typisches einschüssiges Gewehr. Ich erinnerte mich auch daran, dass Mr Mathers oft mit Dad auf die Jagd gegangen war und dass sein Gewehr ein .243er war. Daher wusste ich, dass es Robyn oder Lee sein musste, und ich hielt es für besser, etwas zu sagen, bevor die Kugeln zu fliegen begannen.

Später wurde mir klar, dass es jemand ganz anderer hätte sein können, ein Plünderer, ein Deserteur, ein Squatter oder jemand, der vor den Soldaten flüchtete. Zum Glück war das nicht der Fall, aber ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn mir das alles damals eingefallen wäre.

»Ellie«, sagte Robyn und wurde ohnmächtig. Sie neigt seit jeher dazu, in Ohnmacht zu fallen. Ich erinnere mich daran, wie der Medizinische Schuldienst eintraf und Mr Kassar bekannt gab, dass die Mädchen jetzt Injektionen gegen Röteln bekommen würden. Sobald er das Wort Injektionen ausgesprochen hatte, lag Robyn auf dem Fußboden. Und als wir in Geografie einen Film über Gesichtsschnitzereien auf den Solomon-Inseln sahen, verloren wir sie wieder.

Homer hatte eine Taschenlampe und wir holten ein wenig Wasser aus dem Badezimmer und spritzten es ihr ins Gesicht, bis sie wieder zu sich kam. An diesem Tag schienen wir uns hauptsächlich mit Gesichtswäsche zu befassen. Interessanterweise funktionierte die Wasserversorgung noch. Strom gab es in Robyns Haus keinen, obwohl in anderen Teilen der Stadt die Straßenbeleuchtung eingeschaltet war.

Ich war noch ziemlich ruhig, doch uns stand einer der schlimmsten Augenblicke bevor. Als Robyn sich aufsetzte, fragte ich als Erstes: »Wo ist Lee?«

»Sie haben auf ihn geschossen«, antwortete sie und ich hatte das Gefühl, dass man auf mich geschossen hatte und alles auf der Welt tot war.

Homer stöhnte abgrundtief auf; im Licht der Taschenlampe sah ich, wie sein Gesicht sich verzerrte und er plötzlich alt und schrecklich aussah. Er packte Robyn; zuerst nahm ich an, dass er weitere Informationen von ihr haben wollte, aber ich glaube, dass er sich an jemandem festhalten musste. Er war verzweifelt.

»Er ist nicht tot«, sagte Robyn. »Es ist eine saubere Wunde, aber sie ist ziemlich groß. In der Wade.«

Robyn sah ebenfalls gespenstisch aus; ihr Gesicht war mehr ein Schädel als ein Gesicht, hohe Wangenknochen, hohle Wangen und eingesunkene Augen. Und wir rochen alle furchtbar. Es war lange her, dass wir im Fluss geschwommen waren, und inzwischen hatten wir oft und viel geschwitzt.

»Wie finden wir ihn?«, fragte Homer drängend. »Ist er frei? Wo ist er?«

»Bleib ruhig«, sagte Robyn. »Er ist im Restaurant. Aber es ist zu früh, um dorthin zu gehen. In der Barker Street geht es zu wie während der Stoßzeit in einer Stadt. Ich bin die ärgsten Risiken eingegangen, um hierherzukommen.«

Sie erzählte uns, was passiert war. Sie hatten bei jeder Straßenecke Schwierigkeiten gehabt, waren fast in eine Patrouille gerannt, mussten sich vor einem Lastwagen verstecken, hörten Schritte hinter sich. Das Restaurant von Lees Eltern lag in der Mitte des Einkaufzentrums und ihre Wohnung befand sich oberhalb des Restaurants. Wie schon Homer und Fi festgestellt hatten, war die Barker Street, die wichtigste Einkaufsstraße, in schlimmem Zustand. Robyn und Lee waren vom entgegengesetzten Ende dorthin gelangt, aber ihre Probleme waren die gleichen gewesen. Sie hatten eine Stunde gebraucht, um einen Häuserblock weiterzukommen, weil dort zwei Gruppen von Soldaten plünderten; eine Gruppe in der Apotheke und eine in Ernies Milchbar.

Während sie im Treppenhaus einer Versicherung warteten, hörten sie am oberen Ende der Treppe ein Geräusch. Sie drehten sich um und standen Mr Clement, dem Zahnarzt, gegenüber, der verstohlen oben hockte und zu ihnen hinunterblickte.

Lee und Robyn waren ganz aus dem Häuschen, als sie ihn sahen, und uns ging es beim Zuhören nicht anders. Er war allerdings nicht so erfreut, sie zu sehen. Es stellte sich heraus, dass er die ganze Zeit da gewesen war und sie stumm beobachtet hatte. Erst als er einen Krampf bekam, machte er ein Geräusch. Als sie ihn fragten warum, sagte er etwas wie: »Je weniger geredet wird, desto rascher wird alles wieder gut.«

Er gab ihnen wertvolle Informationen, wenn auch widerwillig und ungeduldig. Er sagte, dass alle, die erwischt worden waren, auf dem Messegelände festgehalten wurden. Es gab zwei Arten von Soldaten: Berufssoldaten und jene, die nur dabei waren, um die Zahlen aufzufüllen. Zwangsweise eingezogene Soldaten wahrscheinlich. Die Berufssoldaten waren überaus fähig, aber die anderen waren schlecht ausgebildet und ausgerüstet und einige von ihnen waren richtig bösartig. Seltsamerweise behandelten die Berufssoldaten die Bevölkerung besser.

Die Soldaten waren nicht zahlreich genug, um die Stadt gründlich Haus für Haus zu durchsuchen. Ihnen ging es darum, um jeden Preis am Leben zu bleiben. Wenn sie den Verdacht hatten, dass ihnen in einem Haus Gefahr drohte, stellten sie einen Raketenwerfer auf und zerstörten es, um ja nicht in einen Hinterhalt zu geraten. Es gab einige Dutzend Leute, die sich genauso versteckten wie Mr Clement, aber nachdem sie gesehen hatten, was mit Leuten geschah, die »Helden sein wollten«, wie er es ausdrückte, hielten sie sich alle außer Sichtweite. Robyn hatte den Eindruck gehabt, dass Mr Clement seine Familie irgendwo in der Nähe versteckt hatte, aber er wollte keine persönlichen Fragen beantworten und sie hörten auf zu fragen. Dann ging eine Patrouille am Gebäude vorbei und Mr Clement wurde ganz aufgeregt und sagte ihnen, sie sollten gehen.

Sie schlichen die Straße entlang, aber es gab nur wenig Deckung und kaum Dunkelheit, da in einigen Geschäften das Licht an war. Sie wichen zur Tür der Nachrichtenagentur aus, als sie Schüsse hörten. Robyn sagte, sie klangen so laut, als würden sie zehn Meter hinter ihnen abgefeuert, doch in Wirklichkeit wussten sie nicht, woher die Schüsse kamen und wer schoss. Die Ziele waren eindeutig Robyn und Lee.

»Wir waren zwei Schritte von dem verglasten Eingang entfernt, durch den man zur Tür der Agentur gelangt«, erklärte Robyn. »Das war das Einzige, was uns rettete. Es war, als hätten wir bereits den Impuls, um diese beiden Stufen hinaufzugehen. Selbst wenn uns ein Dutzend Kugeln getroffen hätte, wären wir noch immer die beiden Stufen hinaufgegangen.«

Die beiden erreichten das bisschen Deckung und gingen durch die zerschmetterte Tür der Agentur weiter. Robyn übernahm die Führung. Ihr war nicht klar, dass Lee getroffen worden war. In der Nachrichtenagentur war es dunkel, aber von der Straße fiel so viel Licht herein, dass sie deutlich sahen, wohin sie gehen mussten. Das Problem war, dass das Licht auch ausreichte, um sie zu leichten Zielen zu machen.

Beide wussten natürlich, dass die Agentur sich bis zum Parkplatz und zur Glover Street erstreckte. Sie hatten vor, durch die Hintertür zu verschwinden und dann jene Richtung einzuschlagen, die sie für die beste hielten. Doch als Robyn die Hintertür erreichte, bemerkte sie zwei Dinge: Die Tür war versperrt und Lee war weit hinter ihr. »Ich nahm an, dass er stehen geblieben war, um sich die Pornos anzusehen«, sagte sie. Als sie sich umdrehte, erkannte sie jedoch an Lees blassem Gesicht, dass er verletzt war. Er hinkte schwerfällig, starrte sie an und biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Sie hoffte, dass er sich nur einen Muskel gezerrt hatte, fragte aber: »Bist du getroffen?«, und er nickte.

Robyn überflog den nächsten Teil rasch, aber einer der Gründe, warum ich all das aufschreibe, ist, dass ich den Menschen zeigen will, was alles passiert ist und wie tapfer Robyn in dieser Nacht war. Ich will keine Medaillen für sie und sie würde sie auch nicht wollen – na ja, ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gefragt, wahrscheinlich würde sie sich sehr darüber freuen –, aber ich halte sie für eine verdammte Heldin. Sie packte den Fotokopierer, der neben dem Lotteriepult stand und schleuderte ihn durch die Tür. Dann lief sie zu Lee, hob ihn auf Rücken und Schultern und trug ihn durch die zertrümmerte Tür, wobei sie die Glasscherben wegschob. Ich weiß zwar, dass Robyn fit und stark ist, aber dass sie so stark ist, wusste ich nicht. Verlangt nicht, dass ich es erkläre.

Wahrscheinlich ist es so wie bei den Geschichten über Mütter, die Autos hochstemmen, um darunterliegende Babys herauszuholen. Wenn man sie am nächsten Tag auffordert es wieder zu tun, ist es nicht mehr nötig und sie können das Auto nicht einmal bewegen. Robyn ist religiös und hat eine andere Erklärung dafür – und wer weiß? Ich bin nicht so dumm zu sagen, dass sie nicht Recht hat.

Sie trug also Lee und stolperte die fünf Gebäude entlang, um zum Restaurant zu gelangen. Die Hintertür gegenüber vom Parkplatz war aufgebrochen worden, also gelangte sie ohne weiteres hinein. Sie ließ Lee auf die Laderampe fallen, zog den Rollladen hoch und schleppte ihn in die Dunkelheit. Dann rannte sie zur Vorderseite und warf einen Blick in die Barker Street. Drei Soldaten schauten in das Gebäude der Nachrichtenagentur hinein. Zwei Minuten später kamen zwei weitere Soldaten heraus und die fünf gingen gemeinsam am Restaurant vorbei, zündeten sich Zigaretten an, redeten und lachten. Sie gingen einfach davon, ohne viel Interesse zu zeigen, also rechnete sie sich aus, dass sie eine Zeit lang keine Probleme mehr mit ihnen haben würde.

»Sie nahmen wahrscheinlich an, dass ihr Plünderer seid«, sagte Homer. »Mr Clement sagte ja, dass hier etliche unterwegs sind, also sehen die Patrouillen sie relativ oft. Ihretwegen werden sie keine große Operation starten. Und sie werden die Barker Street bestimmt nicht unnötigerweise in die Luft jagen.«

»Aber sie haben Corries Haus in die Luft gejagt«, sagte ich.

»Mhmmm«, machte Homer zustimmend. »Aber die Geschäfte in der Barker Street sind noch voller Waren. Und vielleicht haben sie irgendwie eine Verbindung zwischen Corries Haus und der Rasenmäher-Bombe hergestellt. Oder vielleicht war es nur ein leichtes, risikoloses Ziel für sie. Vielleicht radieren sie alle Farmhäuser aus.«

Robyn sah uns entsetzt an und wir mussten ihr erklären, was mit Corries Haus geschehen war. Aber dann erzählte sie ihre Geschichte zu Ende. Sie hatte Lees Hose weggeschnitten, während er unanständige Witze riss, aber er war kalt und blass und sie nahm an, dass er einen Schock hatte. Sie hatte die Blutung mit einem Druckverband gestoppt und ihn warm eingepackt. Dann hatte sie irgendwie den Mut aufgebracht, zu der Versicherung zurückzugehen, und beinahe eine Stunde lang auf Mr Clement gewartet. Als er mit einigen Säcken Lebensmitteln zurückkehrte, bearbeitete sie ihn so lange, bis er mit ihr zu Lee ging.

»Er hatte keine Lust dazu«, gab sie zu, »aber letztlich war er in Ordnung. Er ging in sein Sprechzimmer und kam mit allen möglichen Dingen zurück, einschließlich schmerzstillender Injektionen. Er gab Lee eine Injektion und untersuchte dann die Wunde. Er stellte fest, dass sie sauber und die Kugel direkt hindurchgegangen war, und wenn wir sie weiter sauber hielten, würde Lee wahrscheinlich okay sein, aber es würde eine Weile dauern, bis sie heilte. Er nähte die Wunde, dann zeigte er mir, wie man Injektionen gibt, und unter der Bedingung, dass ich ihn nicht mehr belästige, gab er mir etliches Zeug – schmerzstillende Mittel, Desinfektionsmittel, eine Spritze sowie Injektionsnadeln. Ich habe Lee heute zwei Injektionen gegeben. Es war nicht gerade lustig.»

»Robyn!« Ich fiel vor Verblüffung fast in Ohnmacht. »Du verlierst das Bewusstsein, wenn jemand eine Injektion auch nur erwähnt.«

»Ja, ich weiß.« Sie legte den Kopf schief, als wäre sie ein Botaniker, der sich selbst studiert. »Es ist komisch, nicht wahr?«

»Wie geht es ihm jetzt?«, fragte Homer. »Kann er gehen?«

»Nicht sehr weit. Mr Clement hat gesagt, dass er Ruhe haben muss, bis die Nähte entfernt werden, frühestens nach einer Woche. Er hat mir gezeigt, wie man das macht.«

Ich verdrehte nur die Augen. Robyn sollte Nähte entfernen! Es hatte keinen Sinn, auch nur einen Kommentar abzugeben.

»War jemand von Lees Familie zu sehen?«

»Nein. Und das Restaurant war ein einziges Durcheinander. Zerbrochene Fenster, zerschmetterte Tische und Stühle. Die Wohnung im oberen Stockwerk war geplündert worden. Man kann kaum feststellen, ob es einen Kampf gegeben hat oder ob die Soldaten es zu ihrem Vergnügen gemacht haben.«

»Wie reagiert Lee auf all das?«

»Er konnte wegen seines Beins nicht hinaufgehen, deshalb musste ich es ihm beschreiben. Dann fiel ihm etwas anderes ein, über das er etwas wissen wollte, und ich musste hinauflaufen und es suchen. Ich bin die Treppe sehr oft hinauf – und hinuntergegangen. Er war natürlich wegen allem sehr aufgeregt: seine Familie, die Wohnung, das Restaurant, sein Bein. Aber heute Nacht ging es ihm etwas besser. Sein Gesicht bekam langsam Farbe. Das war vor etwa drei Stunden. Ich habe hier lange gesessen und auf euch gewartet. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

»Du hättest auf dem Hügel hinter dem Haus warten sollen«, sagte ich.

»Nein, das stimmt nicht. Wir sollten hierherkommen. Das haben wir ausgemacht!«

»Nein! Es war der Hügel!«

»Hör zu, wir haben uns darauf geeinigt ...«

Es war verrückt. Wir stritten. Homer sagte müde: »Schnauze! Nächstes Mal müssen wir eben bessere Vorbereitungen treffen. Als wir vorher darüber sprachen, Ellie, konntest du dich übrigens nicht erinnern, ob es das Haus oder der Hügel war.«

Es folgte eine Pause. Dann fuhr Homer fort: »Wir müssen ihn herausholen. Sie werden ihn dort sehr schnell finden. Je besser sich diese Leute auskennen, desto besser werden sie sich organisieren und dadurch werden sie eine bessere Kontrolle über alles bekommen. Eine Zeit lang werden sie Leute wie Mr Clement dulden, aber das wird nicht lang dauern. Diese Leute haben bei Corrie gezeigt, wie ernst es ihnen ist.«

Wir saßen schweigend beieinander und drei Gehirne beschäftigten sich mit einem Thema: Wie können wir Lee trotz seines verwundeten Beins aus der Barker Street fortschaffen?

»Eines der größten Probleme ist, dass es in der Barker Street vor Soldaten wimmelt – jedenfalls im Vergleich zum Rest der Stadt«, fügte Homer hinzu.

»Wir brauchen ein Fahrzeug«, sagte Robyn hilfsbereit.

»Na wunderbar«, sagte ich nicht hilfsbereit.

»Wie wär's mit einem geräuschlosen Fahrzeug?«, fragte Homer. »Es wäre schwierig, hier einen Wagen zu fahren, ohne dass wir alle erschossen werden.«

»Lasst uns überlegen«, sagte Robyn.

»Großartig«, sagte ich. »Ich beschaffe die Filzstifte und das Papier.«

»Ellie!«, sagte Robyn.

»Seitenhieb Nummer zwei«, sagte Homer zu mir. »Drei Seitenhiebe und du bist draußen.«

Ich weiß nicht, was mit mir los war. Wahrscheinlich war ich nur müde. Und wenn ich müde bin, neige ich dazu, sarkastisch zu werden.

»Entschuldigt«, sagte ich. »Bin schon wieder ernst. Was war der letzte Vorschlag? Geräuschlose Fahrzeuge. Okay. Golfwägelchen. Einkaufswagen. Schubkarren.«

Ich war von mir selbst beeindruckt und die anderen waren es auch.

»Ellie!«, sagte Robyn wieder, aber in einem ganz anderen Ton.

»Kinderwagen. Kinderbuggys.«

Die Ideen kamen geflogen.

»Möbel mit Rädern.«

»Fahrradtaxis.«

»Pferdefuhrwerke.«

»Toboggans. Skier. Schlitten. Gabelstapler.«

»Die Dinger auf Rädern, wie heißen sie noch, auf denen die Leute früher den Nachmittagstee servierten.«

»Ja, ich weiß, was du meinst.«

»Betten auf Rädern. Krankenhausbetten.«

»Tragbahren.«

»Rollstühle.«

Wie bei dem Verschluss des Benzintanks hatten wir das Naheliegendste einfach übersehen. Homer und ich sahen Robyn an. »Könnte er in einem Rollstuhl fahren?«

Sie dachte nach. »Vermutlich. Ich glaube, dass es ihm wehtun würde. Aber wenn wir sein Bein hoch lagern und achtgeben, dass er damit nirgends anstößt ... Und«, fügte sie mit leuchtenden Augen hinzu, »ich könnte ihm noch eine Injektion geben.«

»Robyn! Du bist gefährlich!«

»Welches der Dinge, die wir erwähnt haben, ist noch brauchbar?«

»Ein Schubkarren ist brauchbar, aber auch der würde ihm wehtun. Von unserem Standpunkt aus wäre er viel einfacher als alles andere. Eine Tragbahre wäre gut für Lee, aber wir sind alle sehr müde. Ich weiß nicht, wie weit wir ihn tragen könnten.«

»Ein Gabelstapler wäre am witzigsten. Ich glaube, sie sind leicht zu fahren. Und die Kugeln würden einfach abprallen.«

Etwas in Homers letztem Satz legte in meinem Gehirn einen Schalter um.

»Vielleicht haben wir den falschen Weg eingeschlagen.«

»Ja?«

»Wir denken an kleine, ruhige, schleichende Dinge. Wir könnten das andere Extrem wählen. Uns in etwas so Unzerstörbarem einschließen, dass es uns gleichgültig wäre, ob man uns sieht oder hört.«

Robyn setzte sich auf. »Zum Beispiel?«

»Ich weiß nicht, ein Bulldozer?«

»Oh!«, sagte Robyn. »Einer dieser großen Lastwagen mit der Schaufel vorn. Wir könnten die Schaufel als Schild benützen.«

Plötzlich wurden wir alle sehr aufgeregt.

»Also gut«, sagte Homer. »Schauen wir uns das genau an. Problem eins: Fahrer. Ellie?«

»Ja, ich glaube schon. Wir haben zu Hause den alten Dodge, mit dem wir Heu und anderes Zeug in den Koppeln verteilen. Es ist so, als fahre man einen großen Wagen. Er hat ein Zwei-Geschwindigkeiten-Differenzial, aber das ist egal. Ich kann nicht genau sagen, ob es geht, bevor ich ihn gesehen habe, aber es sollte okay sein.«

»Problem zwei: Wo kriegen wir einen her?«

Robyn unterbrach uns. Ich hatte vergessen, dass sie Homer bei Corries Haus nicht in Aktion gesehen hatte.

»Bist du high, Homer?«

»Wie bitte?«

»Wenn du so weitermachst, wirst du deinen Ruf verlieren. Solltest du nicht bloß ein wilder, verrückter Kerl sein?«

Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst. Robyn blinzelte mir zu und ich blinzelte zurück.

»Also Problem zwei?«

»Das Depot des Gemeinderats wäre das Vernünftigste. Es ist drei Blocks vom Restaurant entfernt. Es ist wahrscheinlich aufgebrochen worden, aber wir sollten sicherheitshalber Bolzenschneider mitnehmen. Die Schlüssel zu dem Fahrzeug sollten in einem Büro in der Nähe sein, wieder vorausgesetzt, dass sie nicht geplündert worden sind.«

»In Ordnung. Klingt logisch. Problem drei: Angenommen, wir holen Lee ab. Wir können mit dem Laster logischerweise nicht bis zu Ellies Haus fahren und Lee kann kein Fahrrad benutzen. Wie schaffen wir ihn zu Ellie?«

Das war das Schwierigste. Niemand hatte eine einfache Antwort darauf. Wir starrten einander an und wälzten Ideen. Schließlich meldete sich Homer.

»Wir werden später darauf zurückkommen. Schauen wir uns andere Details an. Im Wesentlichen ist der Plan gut. Er hat den großen Vorteil des Überraschungsmoments, außerdem verschafft er uns eine Position der Stärke. Wenn wir Lee in einen Rollstuhl oder einen Schubkarren setzen, ihn die Straße hinunterschieben und es taucht eine Patrouille auf – was können wir dann tun? Schneller schieben? Lee abladen? Wir wären in einer sehr schwachen Position. Aber wenn Robyn ins Restaurant zurückkehrt, Lee fertig macht, ihn auf die Straße bringt, ihn akupunktiert und seinen Blinddarm entfernt und alles andere, worauf sie Lust hat, um die Zeit auszufüllen, können Ellie und ich den Lastwagen holen, die Straße hinunterbrausen, anhalten, euch hineinwerfen, Gas geben und in einem Höllentempo verschwinden. Wenn wir es zwischen drei und vier Uhr morgens machen, wären sie gerade am schwächsten.«

»Um diese Zeit sind Menschen immer am schwächsten«, ergänzte ich. »Das hatten wir in Entwicklung des Menschen. Drei bis vier Uhr morgens ist die Zeit, zu der in den Krankenhäusern die meisten Todesfälle eintreten.«

»Danke für diesen tröstlichen Gedanken«, sagte Robyn.

»Wir müssen eben am stärksten sein«, sagte Homer.

»Wo bringen wir Lee wirklich unter?«, fragte ich. »Es muss blitzschnell gehen. In der Kabine ist nicht genug Platz, also müssen wir ihn irgendwo anders verstauen.«

Homer sah mich an; seine Augen leuchteten vor Vergnügen. Ich begriff, dass der wilde, verrückte Kerl nicht so weit weg war. »Wir nehmen ihn in der Schaufel mit«, sagte er und wartete auf unsere Reaktion.

Unsere erste Reaktion enttäuschte ihn nicht, aber je länger ich darüber nachdachte, desto vernünftiger erschien es mir. Alles hing davon ab, den Teil mit der Schaufel schnell und genau auszuführen. Wenn wir das schafften, war es die beste Lösung. Wenn wir es nicht schafften, gab es eine Katastrophe.

Nachdem wir alle Vorschläge durchgeackert hatten, schlug Robyn einige Ergänzungen zum Plan vor. »Wenn wir einen Wagen an einer Stelle warten lassen, an die zu folgen oder ihre Waffen zu verwenden für sie schwierig wäre, wechseln wir in dieses Auto über ... Und fahren entweder zu Ellie hinaus oder verkriechen uns noch eine Nacht lang in der Stadt.«

Ich dachte über einen ungewöhnlichen Ort nach, an dem wir die Fahrzeuge wechseln konnten. An einen besonderen Ort ... einen außergewöhnlichen Ort ... meine Augen fielen mir zu und ich fuhr mit einem Ruck hoch und rüttelte mich selber wach.

»Der Friedhof?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Vielleicht sind sie abergläubisch?«

Ich glaube nicht, dass die beiden wussten, wovon ich sprach.

Homer sah auf die Uhr. »Wir müssen uns rasch entscheiden.«

»Okay«, sagte Robyn, »wie wär's damit? Ellie erwähnte den Friedhof. Ihr kennt die Three Pigs Lane? Hinter dem Friedhof? Der lange, schmale Weg zur Meldon Marsh Road? So stelle ich es mir vor.«

Zehn Minuten später war sie fertig. Für mich klang es okay. Nicht großartig, aber okay.