Sechstes Kapitel

Die Hunde waren tot. Das war mein erster Gedanke. Als wir hineinfuhren, sprangen sie nicht bellend herum und jaulten auch nicht vor Freude, wie sie es immer getan hatten, wenn ich zu ihnen lief. Sie lagen neben ihren kleinen Hütten, überall von Fliegen bedeckt, und fühlten die letzte Wärme der Sonne nicht mehr. Ihre Augen waren rot und verzweifelt und ihre Schnauzen mit getrocknetem Schaum bedeckt. Ich war daran gewöhnt, dass sie ihre Ketten bis zum Außersten spannten – das taten sie bei ihren verrückten Tänzen, wenn sie mich kommen sahen –, aber jetzt waren ihre Ketten straff und bewegten sich nicht und ihre Hälse waren blutig, weil die Halsbänder gehalten hatten. Vier der fünf Hunde waren jung. Sie hatten sich einen Eimer mit Wasser geteilt, ihn aber irgendwie umgeworfen, so dass er trocken und leer neben ihnen lag. Ich untersuchte entsetzt einen nach dem anderen: Alle waren tot. Ich lief zu Millie, ihrer alten Mutter, die wir von den jungen Hunden getrennt hatten, weil sie sie ärgerten. Ihr Eimer stand noch und enthielt ein wenig Wasser; als ich nahe bei ihr war, wedelte sie plötzlich schwach und versuchte aufzustehen. Ich war entsetzt, weil sie noch lebte, nachdem ich zu dem Schluss gelangt war, dass auch sie tot sein musste.

Es wäre vernünftig gewesen, sie liegen zu lassen und ins Haus zu stürzen, denn ich wusste, dass den Hunden nur deshalb etwas so Schreckliches zugestoßen sein konnte, weil meinen Eltern etwas noch Schrecklicheres zugestoßen war. Aber ich hatte bereits aufgehört vernünftig zu denken. Ich nahm Millie die Kette ab; die alte Hündin erhob sich schwankend und brach dann zusammen. Ich entschied brutal, dass ich ihr nicht mehr Zeit opfern konnte. Ich hatte ihr genug geholfen. Ich rief Corrie zu: »Tu etwas für den Hund«, und lief zum Haus. Corrie war bereits dorthin unterwegs; ihr Gehirn arbeitete schneller als das der anderen, die noch immer entsetzt herumstanden und erst zu begreifen begannen, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie zogen jedoch nicht die gleichen Schlussfolgerungen wie ich. Ich zog sie zu schnell und das vergrößerte mein Entsetzen. Corrie zögerte, wandte sich den Hunden zu und rief Kevin zu: »Kümmere dich um die Hunde, Kev.« Dann folgte sie mir.

Im Haus war alles in Ordnung, und das war nicht in Ordnung. Es gab überhaupt kein Anzeichen von Leben. Alles war sauber und ordentlich. Zu dieser Tageszeit hätte Essen auf dem Küchentisch stehen müssen, in der Spüle hätte Geschirr sein müssen, der Fernseher hätte im Hintergrund quasseln müssen, aber alles war still. Corrie öffnete die Tür hinter mir und kam leise herein. »Mein Gott, was ist bloß geschehen«, sagte sie, nicht als Frage. Der Ton ihrer Stimme entsetzte mich noch mehr. Ich stand einfach da.

»Was ist mit den Hunden?«, fragte sie.

»Sie sind alle tot, bis auf Millie, und die ist fast tot.«

Ich sah mich nach einer Nachricht um, nach einer Nachricht für mich, aber nichts lag da.

»Rufen wir jemanden an«, sagte sie. »Rufen wir meine Eltern an.«

»Nein. Ruf Homers Eltern an, sie sind am nächsten. Sie werden Bescheid wissen.«

Sie griff nach dem Telefon und gab es mir. Ich schaltete auf Sprechen und begann die Nummer zu wählen, dann wurde mir klar, dass ich den Wählton nicht gehört hatte. Ich hielt den Hörer noch enger an mein Ohr. Ich hörte nichts. Jetzt empfand ich eine neue Art von Angst, von der ich bis jetzt nicht gewusst hatte, dass es sie gab.

»Es rührt sich nichts«, sagte ich zu Corrie.

»O Gott«, wiederholte sie. Ihre Augen wurden sehr groß und sie wurde ziemlich blass.

Robyn und Fi kamen in die Küche und die anderen folgten ihnen auf den Fersen.

»Was ist passiert?«, fragten sie. »Was ist los?«

Kevin kam mit Millie in den Armen herein.

»Gib ihr etwas aus dem Kühlraum zu fressen«, sagte ich.

»Ich gehe«, sagte Homer.

Ich versuchte alles zu erklären, aber ich geriet durcheinander, weil ich versuchte es so schnell wie möglich zu tun, und brauchte schließlich zu lange. Deshalb hörte ich auf und sagte einfach heftig: »Wir müssen etwas tun.«

In diesem Augenblick kam Homer mit einer Schüssel stinkendem Hackfleisch herein. »Im Kühlraum ist der Strom abgeschaltet«, sagte er. »Es stinkt entsetzlich.«

»Entsetzlich«, wiederholte ich abwesend und verängstigt.

Er sah mich nur an.

Robyn ging zum Fernsehapparat, während Homer und Kevin versuchten Millie zum Fressen zu überreden. Wir sahen Robyn zu, als sie den Apparat einschaltete, aber auch er war tot. »Das ist unheimlich«, sagte sie schließlich.

»Hatten sie erwähnt, dass sie fortgehen würden?«, fragte Fi.

Ich machte mir nicht die Mühe, ihr zu antworten.

»Falls deine Großmutter krank geworden ist ...«, sagte Corrie.

»Und dazu mussten sie den Strom abschalten?«, fragte ich sarkastisch.

»Ein großes elektrisches Problem?«, schlug Kevin vor. »Vielleicht mussten sie von hier fort, wenn der Strom für etliche Tage abgeschaltet wurde.«

»Sie hätten eine Nachricht hinterlassen«, fuhr ich ihn an. »Sie hätten die Hunde nicht sterben lassen.«

Einen Augenblick lang schwiegen alle. Niemand wusste, was er sagen sollte.

»Es gibt einfach keine Erklärung, die auf alles passt«, sagte Robyn.

»Es ist wie bei dem Zeug mit den Ufos«, sagte Kevin. »Als hätten Aliens sie mitgenommen.« Als er meinen Gesichtsausdruck sah, fügte er rasch hinzu: »Ich versuche nicht einen Witz daraus zu machen, Ellie. Ich weiß, dass etwas Schlimmes geschehen ist. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, was es sein könnte.«

Lee flüsterte Robyn etwas zu. Ich hatte keine Lust, sie zu fragen, was es war. Als ich die nackte Angst auf Robyns Gesicht sah, wollte ich nicht mehr fragen.

Ich gab mir einen großen Ruck, um meine Selbstbeherrschung wiederzufinden.

»Gehen wir zum Landrover zurück«, sagte ich. »Holt den Hund. Wir fahren zu Homers Haus hinunter.«

»Wartet eine Sekunde«, sagte Lee. »Habt ihr ein Transistorradio? Eins mit Batterie?«

»Ja, aber ich weiß nicht wo.« Ich sah ihn verwundert an. Ich wusste noch immer nicht, was er vorhatte, aber mir gefiel sein Gesichtsausdruck nicht, genauso wenig wie mir Robyns Gesichtsausdruck gefallen hatte. »Warum?«

Aber ich wollte nicht, dass er antwortete.

»Ich habe meinen Walkman im Landrover«, sagte Robyn.

Ich drehte mich zu ihr um. »Hast du irgendwelche Nachrichtensendungen gehört, seit wir fort waren?«

»Nein. Ich habe einige Male versucht einen Sender hereinzubekommen, aber keinen erreicht. Wahrscheinlich haben die Felswände der Hölle die Verbindung gestört.«

»Kannst du dein Radio finden?«, fragte mich Lee.

»Wahrscheinlich.« Ich lief in mein Zimmer. Ich wollte keine Zeit vergeuden; ich wollte verzweifelt zu Homers Haus und der freundlichen Mrs Yannos laufen, mich von ihr in die Arme nehmen lassen, mich an sie drücken und mir alles erklären lassen, so dass es schließlich zu einem simplen, kleinen Irrtum wurde. Aber Lee dachte an etwas Schreckliches und ich konnte es nicht ignorieren.

Ich kam mit dem Radio zurück, schaltete es ein, während ich durch den Korridor lief, suchte einen Sender. Als ich die Küche erreichte, hatte ich bereits die ganze Skala abgesucht und nur Statik bekommen. Ich muss zu schnell gedreht haben, dachte ich, wie ich es immer tue. Ich werde es nie lernen. Ich begann zum zweiten Mal zu suchen, während mir die Übrigen ängstlich und verständnislos zusahen. Diesmal tat ich es langsam und sorgfältig, aber das Ergebnis war das gleiche: nichts.

Jetzt hatten wir alle wirklich Angst. Wir sahen Lee an, als wäre er ein Zauberer, der uns alle Antworten geben konnte. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Fahren wir zu Homer.«

Ich gab so viel Gas und schaltete so heftig, dass Kevin sich den Kopf anschlug. Er ließ beinahe Millie fallen, die er noch immer fütterte. Das Landrover-Känguruh hüpfte ein paar Meter und blieb stehen. Ich hörte Großmutters Stimme, die sagte: »Je eiliger, desto langsamer.« Ich holte tief Luft und versuchte es noch einmal ruhiger. Diesmal ging es besser. Wir fuhren zum Tor hinaus und die Straße hinunter und ich sagte zu Homer: »Ich habe vergessen bei den Hühnern nachzusehen.«

»Okay, Ellie, das geht in Ordnung«, sagte er. »Wir schaffen das.«

Aber er sah mich nicht an, saß vorn auf der Sitzkante und schaute besorgt durch die Windschutzscheibe.

Homers Haus ist etwa eineinhalb Kilometer von unserem entfernt.

Das Einzige, was wir sehen wollten, als wir näher kamen, war Bewegung.

Es gab keine. Als wir über das Viehgitter rumpelten, ließ ich die Hupe dröhnen, bis Lee vom Rücksitz aus heftig rief: »Tu das nicht, Ellie.« Ich hatte wieder Angst zu fragen, warum, aber ich hörte auf. Wir kamen schleudernd in der Nähe der Vordertür zum Stehen, Homer sprang hinaus und rannte los. Er stieß die Tür auf, lief hinein und rief: »Mum, Dad!«

Noch bevor ich den Fahrersitz verlassen hatte, merkte ich an seiner verzweifelten Stimme, dass er keine Antwort bekommen hatte.

Ich ging zur Tür. Dabei hörte ich, dass hinter mir der Landrover gestartet wurde. Ich drehte mich um und schaute hin. Lee saß am Steuer. Ich beobachtete ihn. Er war ein entsetzlicher Fahrer, aber mit viel Reversieren brachte er das Fahrzeug in den Schatten unter dem alten Pfefferkorn-Baum hinter der Tankstelle. Plötzlich erinnerte ich mich an ein unbeschwertes Gespräch in der Hölle. Und plötzlich wusste ich es und ich hasste und fürchtete die Erinnerung. Lee kletterte aus dem Wagen und ging zur Vordertür. Ich schrie ihn an: »Lee! Du irrst dich! Hör auf, diese Dinge zu tun! Hör auf, diese Dinge zu denken! Du irrst dich!«

Robyn kam zu mir und packte mich am Arm.

»Wahrscheinlich irrt er sich«, sagte sie. »Aber das Radio ...« Sie machte eine Pause. »Reiß dich zusammen, Ellie. Bis wir es wissen.«

Wir gingen gemeinsam ins Haus. Während wir durch die Tür in die trostlose, tote Stille traten, fügte sie hinzu: »Bete aus tiefstem Herzen, Ellie. Wirklich aus tiefstem Herzen. Ich tue es.«

Ich hörte hinter dem Haus ein Tier brüllen und ging geradewegs in den Hof hinaus. Homer bemühte sich verbissen die Kuh zu melken. Aus ihren Zitzen tropfte Milch, sie bewegte sich unruhig und brüllte jedes Mal, wenn er versuchte sie zu berühren.

»Kannst du melken, Ellie?«, fragte er leise.

»Nein, tut mir leid, Homer. Ich habe es nie gelernt. Ich werde die anderen fragen.«

Als ich wieder hineinging, rief er mir nach: »Der Wellensittich im Wintergarten, Ellie.«

»Okay«, rief ich und rannte los. Corrie hatte inzwischen den Wellensittich gefunden, der am Leben war, aber nur noch ein wenig modriges Wasser im Käfig hatte. Wir brachten ihm frisches Wasser, das er genauso trank wie Dad sein erstes Bier nach dem Scheren.

»Ihr habt doch zu Hause eine Milchpumpe, nicht wahr?«, fragte ich Corrie. »Kannst du Homer im Hof hinten ablösen?«

»Klar«, antwortete sie und ging hinaus. Wir alle begannen unnatürlich ruhig zu handeln. Ich wusste, welche Angst Corrie und die Übrigen jetzt um ihre Familien hatten, aber im Augenblick konnten wir nichts für sie tun. Ich brachte den Wellensittich in die Küche, wo Lee gerade den Telefonhörer auflegte. Ich zog die Augenbrauen hoch und er schüttelte den Kopf. Einen Augenblick später kam Homer herein.

»Im Büro steht ein LF-Sender«, sagte er, ohne jemanden anzusehen.

»Was ist ein LF-Sender?«, fragte Fi. Ich hatte sie nicht bemerkt; sie stand in der Türöffnung zur Speisekammer.

»Landfeuerwehr«, antwortete Homer kurz.

»Wäre es ungefährlich?«, fragte Robyn.

»Ich weiß es nicht«, sagte Homer. »Wer weiß überhaupt etwas?«

Ich sprach leidenschaftlich verzweifelt und drängend, um sie zu überzeugen. »Das ist lächerlich. Ich weiß, was ihr denkt, und es ist absolut vollkommen unmöglich. Absolut nicht möglich. Solche Dinge passieren einfach nicht, nicht hier, nicht in diesem Land.« Dann schöpfte ich wieder Hoffnung, weil ich mich an etwas erinnerte. »Die Brände! Sie werden draußen sein und die Brände bekämpfen. Einige müssen schlimm gewesen sein, so schlimm, dass sie nicht nach Hause gehen konnten.«

»Ellie, es war nicht diese Art von Bränden«, sagte Homer. »Das weißt du. Du weißt, wie ein schlimmes Feuer aussieht.«

»Ich weiß nicht viel über diese Dinge«, sagte Lee, »aber sollte euer LF-Sender nicht vor Stimmen übersprudeln, solange die Feuer brennen?«

»Ja!« Homer drehte sich um.

»Aber wir haben keinen Strom«, sagte Fi.

»Sie haben Reservebatterien«, sagte ich. Wir folgten Homer und drängten uns in das kleine Büro. Homer drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag, aber das war nicht nötig. Endlose, eintönige statische Störungen füllten den Raum. »Hast du die Frequenz überprüft?«, fragte ich ruhig. Homer nickte unglücklich. Ich wollte ihn umarmen, sah mich nach Fi um, falls sie es auch tun wollte, aber sie hatte den Raum wieder verlassen, also machte ich weiter.

Nach einer Minute sagte Homer: »Glaubt ihr, dass wir über den Sender einen Notruf aussenden sollen?«

»Was glaubst du, Ellie?«, fragte mich Lee.

Ich wusste, dass ich alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen musste. Ich erinnerte mich daran, wie angespannt die Situation vorher gewesen war, wie all diese Politiker schrien und immer weitermachten. Ich versuchte ruhig zu denken, als ich sprach. »Der einzige Grund, uns bemerkbar zu machen, wäre, dass wir unseren Familien helfen könnten. Falls sie in Schwierigkeiten oder in Gefahr sind. Aber wenn sie es sind, sitzen alle im gleichen Boot. Und die Behörden müssten davon wissen. Wir würden unseren Familien also nicht helfen, wenn wir einen Notruf aussenden.

Der einzige andere Grund für einen Notruf wäre, dass wir herausfinden, was los ist. Aber ich gebe zu, dass wir uns dadurch in Gefahr begeben könnten ...« Ich bemühte mich, ruhig zu sprechen. »... wenn etwas Schlimmes geschehen ist ... wenn da draußen Leute sind ...«

»Also?«, fragte Lee.

»Ich glaube, dass wir keinen Notruf aussenden sollten«, sagte ich traurig.

»Ich bin der gleichen Meinung«, sagte Homer.

»Ich ebenfalls«, sagte Lee.

»Dann ist Corrie an der Reihe«, sagte Homer. »Und Kevin. Ich habe keine Ahnung, wo Robyn wohnt.«

»Am Stadtrand«, sagte ich.

»Ich nehme also an, dass geografisch gesehen Corrie und Kevin zuerst drankommen.« Homer sah Lee an, der wortlos nickte. Er hatte sich bereits ausgerechnet, wer der Letzte war.

Wir sieben kamen beinahe gleichzeitig in der Küche an. Corrie trug einen Eimer stinkender Milch, die wie blasse Rühreier aussah. Kevin war bei ihr. Ihre Hände umklammerten einander. Ich schüttete ein wenig Milch in eine Salatschüssel und gab sie Millie, die endlich etwas begeisterter wirkte. Sie schnupperte an der Milch und begann dann sie gierig aufzuschlecken.

Kevin sagte zu Homer: »Macht es dir etwas aus, wenn wir zu unseren Häusern gehen? Wir gehen auch allein, wenn wir ein Fahrzeug oder ...«, er sah mich an, »... den Landrover haben können.«

»Dad sagte, dass ich die Einzige ...«, begann ich, dann verstummte ich, weil mir klar wurde, wie schwach das klang. Aber ich hatte im Büro der Yannos bereits lange genug logisch gedacht.

Robyn sprang ein. »Wir müssen nachdenken, Leute. Ich weiß, dass jeder davonstürzen will, aber diesmal können wir es uns nicht leisten, unseren Gefühlen nachzugeben. Hier könnte sehr viel auf dem Spiel stehen. Sogar Leben. Wir müssen annehmen, dass etwas wirklich Schlimmes, etwas ganz Böses geschehen ist. Wenn wir uns irren, können wir später darüber lachen, aber wir müssen annehmen, dass sie weder im Pub sitzen noch auf Urlaub gefahren sind.«

»Natürlich ist es schlimm«, schrie ich sie an. »Glaubst du, mein Vater würde zulassen, dass seine Hunde so sterben? Glaubst du, dass ich morgen herzlich darüber lachen werde?« Ich schrie und weinte gleichzeitig. Eine Pause folgte und dann verloren alle die Beherrschung. Robyn begann zu weinen und rief: »Ich habe es nicht so gemeint, Ellie, das weißt du.« Corrie brüllte: »Haltet den Mund! Haltet alle den Mund!« Kevin fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und stöhnte: »O Gott, o Gott, was ist hier los?« Fi hatte ihre Hand in den Mund gesteckt und sah aus, als wolle sie sie essen. Sie war so weiß, dass ich glaubte, sie würde in Ohnmacht fallen. Plötzlich sagte Homer wild: »Fi, ich habe davon gehört, dass man an den Fingernägeln knabbert, aber das da ist lächerlich.«

Wir alle sahen Fi an und einen Augenblick später lachten wir alle. Hysterisch, aber wir lachten. Über Lees Gesicht flossen Tränen, aber er wischte sie weg und sagte rasch: »Hören wir auf Robyn. Seid alle ruhig.«

»Es tut mir leid, Robyn«, sagte ich. »Ich weiß, dass du es nicht ...«

»Mir tut es auch leid«, sagte sie. »Ich habe mir vorher nicht überlegt, was ich sage.« Sie holte tief Luft und ballte die Fäuste. Man konnte zusehen, wie sie sich beruhigte, so wie sie es manchmal beim Basketball tat.

Endlich fuhr sie fort. »Hört mir zu, ich möchte nicht viel sagen. Nur, dass wir vorsichtig sein müssen. Ich halte es nicht für besonders klug, wenn wir in der Gegend herumfahren und sieben verschiedene Häuser aufsuchen. Das ist alles. Wir sollten einige Entscheidungen treffen – ob wir zusammenbleiben oder uns in kleine Gruppen aufsplittern sollen, wie Kevin und Corrie es tun wollen. Ob wir die Fahrzeuge benützen sollen. Ob wir bei Tag herumgehen sollen. Jetzt ist es beinahe finster. Zunächst schlage ich vor, dass niemand dieses Haus verlässt, bevor es dunkel ist. Und wenn einer fortgeht, darf er kein Licht benützen.«

»Was glaubst du, was geschehen ist?«, fragte ich. »Glaubst du das Gleiche wie Lee?«

»Ja also«, sagte Robyn. »Es gibt keinen Hinweis darauf, dass jemand in aller Eile geflüchtet ist, wie bei einem Notfall. Sie haben die Häuser vor einigen Tagen verlassen. Und sie haben erwartet, dass sie bald wieder zurückkommen würden. Und wohin sind alle vor ein paar Tagen gegangen, in der Erwartung, bald zurückzukommen? Die Antwort auf diese Frage kennen wir alle.«

»Gedenktag«, sagte Corrie. »Die Messe.«

»Genau.«

»Homer«, sagte ich, »kannst du irgendwie herausbekommen, ob deine Eltern von der Messe zurückgekommen sind? Ich meine, wenn ich schon früher daran gedacht hätte, hätte ich mich nach einem Paar Stieren umgesehen, von denen ich weiß, dass Dad sie vorgeführt hat und dass er sie um keinen Preis verkaufen wollte. Und er wäre nie ohne diese Stiere von der Messe zurückgekommen. Wenn Mum es zugelassen hätte, hätte er diese Tiere im Schlafzimmer gehalten.«

Homer überlegte.

»O ja«, sagte er. »Mums Petit-Point-Stickereien. Sie reicht jedes Jahr ein neues Stück ein, und ob sie nun gewinnt oder nicht – sie bringt es jedes Jahr von der Messe zurück und hängt es an ihre Ehrenwand. Es ist für sie etwas ganz Besonderes. Wartet einen Augenblick.»

Er lief hinaus und wir warteten schweigend. Er war sofort wieder da. »Nichts. Es ist nichts da.«

»Okay«, sagte Robyn. »Nehmen wir an, dass eine Menge Leute zur Messe gegangen und nicht zurückgekommen ist. Und nehmen wir an, dass seit dem Gedenktag der gesamte Strom und alle Telefone abgeschaltet sind, dass kein Radiosender mehr senden kann und dass es etliche Brände gegeben hat. Und die Leute, die zur Messe gegangen sind, wollten zurückkommen, konnten es aber nicht. Was folgern wir daraus?«

»Es gibt noch etwas«, sagte Lee.

Robyn sah ihn an. »Ja«, sagte sie.

Lee fuhr fort. »Hunderte Flugzeuge, vielleicht noch mehr, kamen in der Nacht nach der Messe über die Küste herein; sie flogen niedrig und mit Höchstgeschwindigkeit.«

»Und ohne Licht«, fügte ich hinzu; mir wurde dieser entscheidende Punkt zum ersten Mal bewusst.

»Ohne Licht?«, fragte Kevin. »Das hast du uns nicht erzählt.«

»Es ist mir nicht aufgefallen«, sagte ich. »Du weißt ja, dass man sich oft etwas unbewusst merkt. So war es auch hier.«

»Nehmen wir etwas anderes an«, sagte Fi. Sie klang zornig und sah auch so aus. »Nehmen wir an, dass alles, was ihr sagt, absolut lächerlich ist.« Sie sprach so, wie ich vor einigen Minuten in diesem Raum gesprochen hatte. Hatte ich nicht absolut lächerlich gesagt? Doch jetzt begann ich mich Lees und Robyns Überlegungen anzuschließen. Die Bemerkung über die Lichter hatte für mich den Ausschlag gegeben. Kein rechtmäßiges Flugzeuggeschwader, kein Geschwader, das einen rechtmäßigen Auftrag ausführte, wäre ohne Licht geflogen. Ich hätte es damals bemerken müssen und ärgerte mich darüber, dass ich es nicht getan hatte.

Aber Fi fuhr fort. »Es gibt Dutzende wahrscheinlicherer Theorien. Dutzende! Ich verstehe nicht, warum ihr sie nicht in Betracht ziehen wollt.«

»Okay, schieß los«, sagte Kevin. »Aber schieß schnell.« In seinem Gesicht spiegelte sich die Anspannung wider.

»Also gut«, sagte Fi. »Erstens: Sie sind krank. Sie sind zur Messe gegangen und haben eine Lebensmittelvergiftung bekommen. Sie sind im Krankenhaus.«

»Dann wären die Nachbarn hier gewesen und hätten nach dem Rechten gesehen«, widersprach Homer.

»Die sind auch krank geworden«, sagte Fi.

»Das erklärt nicht, warum keine Rundfunkstation mehr sendet«, sagte Corrie.

»Dann sind eben alle krank«, sagte Fi. »Eine bestimmte Krankheit ist zu einem nationalen Problem geworden.«

»Das erklärt nicht die Flugzeuge«, wandte Robyn ein.

»Sie kamen gerade vom Gedenktag zurück.«

»Ohne Licht? Und so viele auf einmal? Ich weiß nicht, Fi, ob wir überhaupt über so viele Flugzeuge verfügen. Ich weiß nicht, ob unsere Luftwaffe so groß ist.«

»Okay«, sagte Fi. »Es herrscht ein nationaler Notstand und alle müssen gemeinsam Hilfe leisten.«

»Und die Flugzeuge?«

»Das war unsere Luftwaffe, die zu Hilfe kam. Vielleicht helfen uns auch die Luftwaffen anderer Länder.«

»Warum hätten sie dann die Lichter nicht eingeschaltet?« Robyn schrie jetzt, wie immer, wenn sie wütend ist.

»Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit.« Jetzt schrie auch Fi. Fi schrie? Es gibt immer ein erstes Mal, dachte ich. Fi fuhr fort: »Vielleicht hat sich Ellie geirrt. Es war mitten in der Nacht. Sie muss schlaftrunken gewesen sein. Es fiel ihr erst jetzt wieder ein. Sie konnte sich nicht so sicher gewesen sein.«

»Ich habe sie gesehen, Fi«, sagte ich. »Ich bin mir sicher. Damals fiel es mir nicht auf. Meine Augen funktionierten. Aber mein Gehirn machte eine Pause. Außerdem haben Robyn und Lee sie auch gesehen. Frag sie.«

»Wir haben sie nicht gesehen«, sagte Robyn scharf. »Wir haben sie nur gehört.«

»Beruhigt euch jetzt«, unterbrach sie Homer. »Bleibt ruhig oder wir kommen nicht weiter. Mach weiter, Fi, was noch?«

»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich glaube einfach, dass sie irgendwohin gestürzt sind, um zu helfen. Vielleicht sind ein paar Wale gestrandet.«

»Also stürzt ein Haufen Eltern fort, ohne auch nur eine Nachricht zu hinterlassen?«, fragte Kevin.

»Aber wenn ihr die Flugzeuge weglasst«, sagte Fi, »habt ihr viel weniger in der Hand. Nur ein kleiner, örtlicher Notstand.«

»Vergiss die Rundfunksender nicht«, sagte Robyn.

Jetzt mischte sich Lee ein. »Das alles sind triftige Theorien, Fi. Und ich sage nicht, dass du Unrecht hast. Du hast vermutlich Recht und die Flugzeuge sind nur ein Zufall und das mit dem Radio kann auch erklärt werden und so weiter. Aber was mir schreckliche Angst macht, ist die Tatsache, dass es eine Theorie gibt, die zu allen Fakten passt und verdammt vollkommen ist. Erinnerst du dich an unser Gespräch an jenem Morgen in der Hölle? Dass der Gedenktag der ideale Zeitpunkt wäre, um es zu tun?«

Fi nickte stumm; Tränen rannen ihr übers Gesicht. Jetzt weinten wieder alle, sogar Lee, der unter Tränen weitersprach.

»Vielleicht sind die Geschichten meiner Mutter schuld daran, dass ich früher als ihr daran gedacht habe. Und wie Robyn vorher sagte« – er bemühte sich, die Worte über die Lippen zu bringen und sein Gesicht war verzerrt, als hätte er einen Schlaganfall – »wenn wir uns irren, könnt ihr so laut und so lange darüber lachen, wie ihr wollt. Aber vorläufig, nur vorläufig, wollen wir sagen, dass es wahr ist. Lasst uns sagen, dass eine Invasion stattgefunden hat. Ich glaube, es wird Krieg geben.«