Und jetzt …?

 

Zuhause wurde mir klar, dass der Zeitpunkt zu malen gekommen war. Am nächsten Tag wollte ich den Ausblick aus meinem Zimmerfenster, zusammen mit den ganzen Gefühlen, die in mir tobten, malerisch zu Papier bringen. Vielleicht würde es mir helfen, mit der Erkenntnis fertig zu werden, dass ich mit Adriana und damit auch mit Sergio nicht befreundet bleiben konnte, solange ich für Sergio mehr empfand als es eine Freundschaft erlaubte.

In was hatte ich mich da bloß verfangen? Wie war es dazu gekommen? Wann? In welchem Moment? Ich dachte angestrengt nach. Warum hatte ich nicht auf Adriana gehört und mich von ihrem Bruder fern gehalten - gefühlsmäßig? Sie hatte mich gewarnt. Ganz klar war ich nicht wirklich sein Typ. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Und wieso fühlte es sich dennoch so richtig an, in seiner Nähe sein zu wollen?

Es soll vorbei sein, schrieb ich in mein Tagebuch.

Es soll ewig andauern … hoffte mein Herz innigst.

 

Am nächsten Tag versuchte ich, möglichst wenig mit Adriana zusammenzuhängen, gab vor, ich müsse ins Sekretariat oder mit dem oder jenem Lehrer noch etwas klären. Sie schien meine Niedergeschlagenheit ohnehin nicht zu bemerken, war in den großen Pausen zu sehr mit dem heimlichen Beobachten und Anschmachten von Joshua Meyer beschäftigt, hinzu kam, dass ihr die serbischstämmigen Mädchen aus der Neunten auf Schritt und Tritt folgten, weil sie scheinbar so etwas wie ein Vorbild für sie geworden war.

Natürlich mied ich auch die Mensa, aß lieber nichts, nur um nicht mit Sergio in Kontakt zu kommen. Der verdutzten Adriana erzählte ich etwas von einer schlimmen Magenverstimmung.

Nach der Schule eilte ich ohne Umwege nach Hause, musste erst einmal einigen unaufhaltsamen, heißen Tränen ihren Lauf lassen, weil ich keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte. Schließlich kramte ich meine vielen Aquarellfarben hervor, baute meine Staffelei vor meinem Zimmerfenster auf und begann zu malen: viel Grün, Hoffnung, die große, würdevolle Eiche, Kraft, den wolkenlosen Himmel, Freiheit … und dann das Sonnenlicht, das in den Hinterhof fächerte …

Ich malte stundenlang … bis meine Mutter heimkam, mich und mein fast fertiges Werk entdeckte und genau wusste, dass ich gerade etwas Aufwühlendes durchmachte. Sie fragte mehrfach nach, versuchte, wenigstens das Thema zu erraten - lag mit ihren Vermutungen komischerweise vollkommen daneben - und ich schwieg beharrlich und verriet nichts. Mein Kummer sollte mein Geheimnis bleiben, schließlich hatte bisher noch niemand etwas von meinen Gefühlen für Sergio erfahren, und das sollte sich nicht ändern, bis ich sie überwunden hatte … Denn das musste ich wohl.

„Geht es etwa um einen Jungen?“, kam es dann kurz vor dem Schlafengehen mit einer gewissen Ungläubigkeit von meiner Mutter, die sich neben mich auf mein Bett gesetzt hatte. Sie hatte Spangen im Haar und sah mal nicht so abgespannt aus wie sonst. Ihre Wangen waren rosig und ihre Stimme weich.

Ich schluckte, hatte mit solch einer Frage nicht mehr gerechnet. „Mama … ich möcht nicht darüber reden“, sagte ich bedrückt und hatte ihr doch schon die Antwort gegeben.

Sie streichelte mir über den Kopf. „In Ordnung“, sagte sie zärtlich, „… sag mir einfach Bescheid, wenn du etwas von mir brauchst.“ Dann gab sie mir einen Gutenachtkuss und überließ mich meinen unsinnigen Träumereien.

Den Rest der Woche verhielt ich mich nicht anders, ging den Lovic’ so gut es ging aus dem Weg, bis Adriana mich am Freitag nach Unterrichtsende am Kragen packte

„Lexi, hab ich Mundgeruch, oder was?“

Ich sah sie verständnislos an und musste unerwartet losprusten. „Nein, natürlich nicht!“

„Und warum weichst du mir dauernd aus?“

„Ich dachte, du weichst mir aus“, log ich holprig.

„Also, ich bin nicht diejenige, die in den Pausen nirgends zu finden ist und in die Mensa keinen Fuß mehr setzt. Sogar Sergio hat’s schon bemerkt …“

Ich bekam große Ohren. „Wieso, was hat er denn gesagt?“, fragte ich neugierig in einem bemüht unaufgeregten Tonfall.

„Na ja, nichts weiter … Ihm ist halt aufgefallen, dass du nicht da bist, und er fragte mich, was los sei. Ich habe ihm die Sache mit der Magenverstimmung erzählt. Bloß, drei Tage durchgehend Magenverstimmung kommt irgendwie unglaubwürdig. Und ich muss sagen, dass du auch sonst die letzten Tage sehr schweigsam bist, oder stimmt etwas mit meiner Wahrnehmung nicht?“

Mein Kopf nickte, während ich mich innerlich krümmte. „Ja, vielleicht … stimmt was mit deiner Wahrnehmung nicht.“

Ich wollte unsere unangenehme Unterhaltung möglichst schnell zu Ende bringen und dann nach Hause fahren, bevor Adriana mich nach einer Verabredung fürs Wochenende fragen konnte. Ich war so selbstbezogen, dass ich vergaß, sie zur Übernachtung bei mir einzuladen.

„Morgen kommen meine Möbel“, sagte sie schließlich. „Möchtest du rumkommen? Ich mach uns Früchtecocktails und wir legen uns in die Hängematte und hören Reggae?“

„Ich kann nicht, Janna. Ich unternehm da was mit meiner Mutter, aber ich komme dich nächste Woche besuchen, ganz sicher!“, wimmelte ich sie ab.

Sie sah mich traurig und etwas irritiert an. „Hm, Schade, echt …“

„Sei nicht sauer, ja?“ Ich drückte sie zum Abschied fest an mich und ließ sie unruhig wieder los.

„Bin ich nicht“, entgegnete sie mit einem skeptischen Blick, als würde sie über mein seltsames Verhalten grübeln.

Ich machte, dass ich heim kam.

 

Zuhause erwartete mich meine Mutter in einer vollkommen überdrehten Verfassung. Zuerst verstand ich nicht, was los war und dachte, es hätte etwas mit diesem Derek Bender zu tun, dass sie grinsend in ihrer Unterwäsche durch die Wohnung hüpfte. Sie hatte gerade Kaffee gekocht und sang „Mr Sandman“, einen Oldie, den sie mir in meiner Kindheit, vor gefühlt hundert Jahren, oft vorgesungen hatte. Die Kaffeetasse in der einen Hand stand sie mitten in der Küche und fummelte mit der anderen durch ihre zerzausten Haare. „Oh, Lexi, Süße, wie schön, du bist schon da …?“

Sie so ausgelassen zu erleben, drängte meinen eigenen Kram schnell in den Hintergrund und zweifelnde Neugier packte mich.

„Mama, was ist denn in dich gefahren?“

„Möchtest du auch ein Tässchen Kaffee? Ich hab Schokokekse dazu …“

„Danke, nein. Allerdings würde ich nur zu gerne wissen, warum du halbnackt in der Wohnung rumrennst und singst?“

Sie lachte auf. „Ach so. Ich hab nur paar Kleider von früher anprobiert … ob sie mir noch passen …und ja, also, dann hab ich noch ein wenig telefoniert und … ähm, etwas erfahren …“ Sie sah mich mit tellergroßen Augen an.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast etwas erfahren, dass dich offensichtlich ziemlich froh gestimmt hat … da du ja hoffentlich keine Drogen nimmst?“

„Haha, natürlich nicht …“

„Was ist dann mit dir?“

„Lexi! Dein Vater hat angerufen … und …“ Sie starrte mich sprachlos an.

„Wegen meinem Geburtstag?“, nahm ich an.

„Nein … doch, auch, aber vor allem, weil er uns etwas mitteilen wollte …“

Blitzschnell schossen mir unmögliche Gedanken durch den Kopf. Wollte mein Vater uns etwa besuchen kommen? Oder noch unwahrscheinlicher … wollte er sich mit meiner Mutter versöhnen?

„Was wollte er denn?“

„Ich zieh mir mal schnell was an, dann können wir uns weiter unterhalten.“ Sie rannte fluchtartig aus der Küche.

Ich setzte mich seufzend auf einen Stuhl und wartete. Meine Stirn war feucht von meinem Schweiß, und ich hatte Durst.

Als sie wieder kam, versuchte sie, gefasst und ruhig zu reden, aber ihre Augen funkelten irre, und sie war nicht sie selbst.

Dann kam es wie eine Bombe aus heiterem Himmel.

„Dein Vater lässt sich scheiden …“

Es war weniger die unglaubliche Nachricht, als vielmehr ihre Wirkung auf meine Mutter, was mich bestürzte.

„Schon wieder? Bist du ganz sicher?“ Meine Stimme klang überraschend ungehalten.

„Er hat’s jedenfalls so gesagt. Die Papiere seien schon beim Anwalt und … er … kommt vielleicht zu deinem Geburtstag nach Berlin und bleibt einen Tag … er weiß es aber noch nicht … Tja, was sagt man dazu? Das Leben ist unergründlich und unvorhersehbar, nicht wahr?“

Sie schmunzelte gedankenverloren.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, antwortete ich, konfus im Kopf und im Herzen.

Das Leben war wohl nicht nur unergründlich, sondern offensichtlich auch noch sehr verwirrend, wie ich immer öfter feststellen musste.

Später und eigentlich das ganze Wochenende über sprachen wir immer wieder und endlich viel ausführlicher, vielleicht sogar das erste Mal wirklich ehrlich und ohne Zurückhaltung, darüber, was die Trennung meiner Eltern für mich und meine Mutter bedeutet hatte: nämlich eine plötzliche Katastrophe wie ein tropischer Wolkenbruch, dem keine von uns beiden entkommen konnte und deren Folgen uns bis zum heutigen Tag zusetzten.

Meine Mutter schluchzte, gab zu, was ich längst wusste: dass sie nie aufgehört habe, meinen Vater zu lieben, ihre erste große Liebe, und dass alle anderen Männer an der Messlatte scheiterten, die er so hoch aufgehängt habe. Und natürlich waren da ihre tief eingegrabenen Schuldgefühle, ihn mit ihrer Klettenhaftigkeit und den Verlustängsten aus dem Haus getrieben zu haben, ihn verloren zu haben, an eine andere, die ihn nicht zu schätzen wisse, wie sie glaubte.

„Ihr wart sehr jung“, sagte ich und wiederholte damit nur, was ich von ihr selbst schon so oft gehört hatte. „Und Papa war noch keine zwanzig.“

Sie nickte, schnaubte sich abermals die Nase und versuchte zu lächeln. „Ich hab mich verändert, Lexi“, sagte sie schließlich mit hoffnungsvoll glänzenden Augen. „Vielleicht hat er sich ja auch verändert?“

Ganz deutlich spürte ich die furchtbare Angst in mir hochkriechen, meine Mutter wieder jahrelang an eine Illusion zu verlieren, die von der Realität so weit entfernt war, wie sie nur sein konnte. Als ob mir meine eigenen Probleme nicht reichen würden, stürzte dieses jetzt oben drauf.

Mein Vater war sicher kein schlechter Mensch, aber meine Mutter und ich spielten in seinem Leben keine besondere Rolle, das war ja wohl ganz eindeutig.

„Ich muss für die Schule lernen“, sagte ich irgendwann, müde vom Reden und Zuhören, und zog mich für den Rest des Wochenendes in mein Zimmer zurück. Ich versuchte mich mit Büchern und Musik abzulenken, aber es half nicht wirklich.

 

Am Dienstag, eine Woche nach dem Mathetest, gab Herr Thompson die Ergebnisse bekannt.

„Kein so schlechter Klassendurchschnitt …“, sagte er monoton. „… könnte aber besser sein!“ Er ließ den Blick über seine Brille durch die gespannte Klasse wandern und schien den Augenblick auf eine merkwürdige Art zu genießen.

„Nur zwei Einsen, meine Herrschaften: … eine Eins Plus und eine Eins Minus …“

Ein leises, ungeduldiges Murmeln ging durch die Reihen. Adriana und ich tauschten fragende Seitenblicke aus und seufzten schulterzuckend.

Herr Thompson fuhr fort: „… sieben Zweien, neun Dreien, sieben Vieren, drei Fünfen und zwei Sechsen …“

Sieben Zweien! Bei sieben Zweien war ich - mit ein bisschen Glück - vielleicht darunter? Schlimmer als eine Drei würde es aber sicher nicht werden, oder? Mein Herz begann aufgeregt zu klopfen.

Wer hätte dem pubstrockenen Herrn Thompson einen derart effektiven Spannungsaufbau bei der Bekanntgabe der Testergebnisse zugetraut? Er fing mit den schlechten Noten an und arbeitete sich Stück für Stück vor.

Und dann geschah das Unerwartete: unter den Dreien war ich nicht dabei, Adriana auch nicht. Freudig klatschten wir uns ab und warteten auf unsere Zweien.

Nun schritt Herr Thompson zu unserem Tisch und legte Adrianas Mathetest vor ihr ab, natürlich weiterhin ohne eine Gefühlsregung in seinem langen Gesicht zu offenbaren. Adriana blickte mit aufgerissenen Augen auf ihre rot markierte Zwei und jubelte los.

Herr Thompson drehte sich um und ging zu einem anderen Tisch. Verwundert sah ich ihm hinterher, denn nun waren auch alle Zweien verteilt. Oder hatte ich mich verzählt? Wo blieb mein Test?

„Eins Minus … Leon“, sagte Herr Thompson, und Leon Richter heulte laut auf: „Yess!“ Seine Faust flog in die Luft und sein Sitznachbar klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

Das war doch nicht möglich? Ich war die Einzige, die ihren Test noch nicht zurück bekommen hatte. Was war da los? Ich sah hilfesuchend zu Adriana. Die aber lächelte aufgeregt und biss sich auf die Lippen.

„Ich gebe zu, ich bin überrascht“, ließ Herr Thompson die Klasse wissen. Dann machte er einige Schritte auf unseren Tisch zu und hielt mir meinen Test entgegen. „Eins Plus, Alexa! Besser geht’s nicht“, sagte er, und – es war wie ein Wunder – ein Hauch eines Lächelns umspielte seine schmalen Lippen. „Gut gemacht!“

Ich war so perplex, dass mir die Worte fehlten und ich nur ungläubig auf die Note auf dem Papier vor mir starrte. Da stand tatsächlich ‚Eins Plus’ … mit einem Ausrufezeichen.

Adriana jubelte an meiner Stelle und gab mir einen schmatzenden Kuss auf die Wange.

„Hey, gratuliere, Lexi, das ist ja zu geil …“, rief sie schrill, und Herr Thompson mahnte die Klasse, die nun unruhig durcheinander quatschte, wieder zur Ruhe, um mit dem Unterricht fortfahren zu können.

Eine Eins Plus in einem schwierigen Mathetest zu schreiben, hätte der Höhepunkt meines Tages sein können … war er aber nicht!

Der Höhepunkt wartete in der Mittagspause vor der Mensa und grinste schief.

Sergio!

Ich wusste nicht wie und wann, aber Adriana hatte ihm längst unsere Testergebnisse mitgeteilt.

Verhalten lächelnd und mit bis zum Hals klopfendem Herzen stapfte ich auf ihn zu und suchte in Gedanken nach Worten, die ich als Dank für seine Unterstützung sagen wollte. Ich war aber so aufgeregt, ihn dort stehen zu sehen, dass ich plötzlich einen Kloß im Hals hatte. Sergio ließ mir ohnehin nicht viel Nachdenkzeit, denn bevor ich ihn erreichte, machte er zwei Sätze auf mich zu, packte mich, als wöge ich nichts, und warf mich über seine Schulter. Ich kreischte und quietschte, weil ich unerwartet durch die Luft gewirbelt wurde und nun kopfüber hing, und Adriana, die mir hinterher gekommen war, lachte unaufhörlich.

Sergio drehte sich ein paar Mal im Kreis, hielt meine Beine dabei fest an seinen Oberkörper gepresst und ignorierte vergnügt mein Flehen, er möge mich auf der Stelle herunter lassen.

„Eins Plus … sie hat eine verdammte Eins Plus … Lexi, erinnerst du dich? Du schuldest mir einen Gefallen“, raunte er „… sag ‚ja’ und ich lass dich runter.“

Ich erinnerte mich sehr wohl, versuchte aber mich herauszureden. „Du hast gesagt, wenn … wenn ich eine Eins habe … aber ich hab eine Eins Plus …“, keuchte ich. „Das ist nicht … nicht das gleiche, oder?“

Er hielt kurz still. „Was? Aha, wenn das so ist! Also gut …“ Nun wirbelte er mich wieder heftig im Kreis herum, bis ich schrie und machte sich dann auf den Weg in die Mensa, während ich weiterhin wehrlos über seiner Schulter hing.

Ich sah jede Menge Beine und Füße und hörte Gelächter und belustigte Stimmen, die unsere kleine Show kommentierten. Zwischendurch meldete sich auch Adrianas Stimme, die Sergio aufforderte, mich endlich herunter zu lassen, wenn sie nicht gerade wieder laut lachen musste.

Ich kapitulierte. „Sergio, okay, du hast recht, ja, ja … ja!“, stöhnte ich, hängend wie ein erbeutetes Lamm. „Ich schulde dir einen … Gefallen … jetzt … jetzt lass mich bitte runter … bitte!“

Endlich blieb er stehen und ließ mich vorsichtig von seiner Schulter gleiten. Um uns herum wurde hemmungslos gekichert und gelacht, und ich wusste vor lauter Peinlichkeit nicht, wohin ich zuerst schauen sollte.

Adriana hatte schon einen Tisch für uns klargemacht und winkte uns zu sich rüber.

Sergio hielt mich plötzlich am Arm fest. „Ich ruf dich an“, flüsterte er mir zu, gerade noch hörbar und mit einem ernsten Gesichtsausdruck, drehte sich um und verließ die Mensa. Enttäuscht sah ich ihm hinterher, bis ich bemerkte, wie mich einige Mädchen finster anstarrten.

Ich zuckte verwundert mit den Schultern, als ich mich zu Adriana setzte.

Was hat er gesagt?“, wollte sie von mir wissen, erstaunt darüber, dass Sergio nicht geblieben war.

„Na ja, dass er mich anrufen wird“, antwortete ich verlegen. Ich nahm an, dass es ihm dabei um den ominösen Gefallen ging. „Weißt du, was er damit meint?“

„Keine Ahnung, Lexi“, antwortete sie. „Ich hatte dir doch gesagt, geh bloß nicht auf den Deal ein, nur … du willst ja nicht auf mich hören.“

Ich sah sie ratlos an „Wird schon nichts Gemeines sein, oder?“

Adriana hob die Brauen. „Da wär ich mir nicht so sicher“, unkte sie mit einem leicht schadenfreudigen Grinsen. „Und jetzt lass uns endlich was zu essen holen. Mein Magen ist ein riesengroßes Loch …“

 

Als wir über unseren Nudeln mit Champignonsoße hingen und uns die hungrigen Bäuche füllten, holte Adriana ihr Handy hervor und präsentierte mir die Fotos von ihrem „neuen“ Zimmer, das nun komplett eingerichtet war.

„Eigentlich wollte ich ja, dass du das fertige Zimmer mit eigenen Augen siehst, aber ich halt’s nicht länger aus, ich muss dir zeigen, wie toll es geworden ist. Da schau mal …“

Neugierig betrachtete ich die Fotos und war schwer begeistert. „Toll, Janna, ist so geworden, wie du es dir vorgestellt hattest, oder?“

„Ja, absolut“, schmatzte sie. „Du weißt, du bist jederzeit zu einer Übernachtung eingeladen, All inklusive versteht sich!“

„Ich weiß, danke!“

„Und was war nun mit dir die letzte Woche?“, fragte sie schließlich, während sie, den Blick gesenkt, in ihren Nudeln stocherte.

„Ach, nichts. Nichts Wichtiges …“, nuschelte ich unbehaglich.

„Hm“, kam es von Adriana und bedeutete, dass sie mir ganz sicher kein Wort glaubte, aber sie beließ es zum Glück dabei.

„Das kommende Wochenende machen wir aber was zusammen, versprochen?“

Ich lächelte über ihre Hartnäckigkeit und nickte. „Versprochen!“

Joshua Meyer und zwei seiner Kumpels liefen mit ihren Tabletts an unserem Tisch vorbei ohne zu grüßen.

Adriana sah ihm mit zusammengekniffenen Augen hinterher und seufzte schwermütig.

Sie beugte sich näher zu mir vor und sprach so leise sie konnte: „Diesen Typen kann ich mir abschminken, Lexi. Der sieht mich nicht mal, wenn er einen Meter an mir vorbei läuft … und das … obwohl wir schon miteinander gequatscht haben … wahrscheinlich kennt er mich schon wieder nicht mehr … was’n Bockmist … der ist so ignorant, dass man ein eigenes Wort dafür erfinden muss.“

Ich wusste keinen Trost, hatte auf einmal das Gefühl, als ob sich alle Welt nach Liebesobjekten sehnte, die nicht zu kriegen waren. Meine Mutter, Adriana … und jetzt auch ich. Es hatte etwas Komisches an sich … na ja, etwas Tragikomisches eher …

Als dieser Gedanke sich durch den Mensalärm aus klapperndem Besteck und Stimmengewirr hindurch in meinen Kopf schlich und mich mit einem kribbeligen Gefühl sehnsüchtig an den Moment erinnerte, wie ich über Sergios Schulter gehangen hatte, ahnte ich noch nicht, dass sich das Blatt für einen von uns bald wenden würde …