2. Kapitel

Sie hatten jeder ein Zimmer für sich und so. Beide waren um Siebzig oder sogar älter. Aber sie genossen ihr Leben - wenn auch natürlich auf eine etwas verrückte Art. Das klingt gemein, ich weiß, aber ich meine es nicht gemein. Ich will nur sagen, daß ich oft über den alten Spencer nachdachte, und wenn man länger über ihn nachdachte, fragte man sich, für was zum Kuckuck er eigentlich lebe.
Er ging ganz vorn über gebeugt, und wenn er im Schulzimmer ein Stück Kreide an der Wandtafel fallen ließ, mußte immer einer aus der ersten Reihe aufspringen und es für ihn aufheben.
Das finde ich schrecklich. Aber wenn man gerade nur genug und nicht zuviel über ihn nachdachte, wurde einem klar, daß er gar nicht so übel dran war. An einem Sonntag zum Beispiel, als ich mit ein paar andern bei ihm eingeladen war (es gab heiße Schokolade), zeigte er uns eine alte fadenscheinige Navajo-Decke, die er und Mrs. Spencer im Yellowstone Park von irgendeinem Indianer gekauft hatten. Offenbar hatte ihm dieser Kauf eine riesige Freude gemacht. Das meine ich eben. Da kann einer so alt wie Methusalem sein und am Kauf einer Decke das größte Vergnügen haben.
Die Tür zu seinem Zimmer stand offen, aber ich klopfte doch, um höflich zu sein und so. Ich konnte ihn sogar sehen. Er saß in einem großen Ledersessel und war in die Decke gewickelt, von der ich gerade gesprochen habe. Als ich klopfte, schaute er her.
»Wer ist da?« schrie er. »Caulfield? Nur herein.« Er schrie immer so laut, nur im Klassenzimmer nicht. Manchmal ging einem das auf die Nerven.
Kaum war ich drinnen, bereute ich schon meinen Besuch. Er las in einer Zeitschrift, der New York Times, und überall standen Pillenschachteln und Medizinflaschen herum, und es roch nach Vicks' Nasentropfen. Es war ziemlich deprimierend.
Ich habe ohnedies nicht viel für kranke Leute übrig.
Noch deprimierender war, daß er einen trostlosen alten Morgenrock anhatte, in dem er vermutlich auf die Welt gekommen war oder so. Ich sehe alte Knaben überhaupt nicht gern in Pyjamas oder Morgenröcken. Immer sieht man ihre knochige Brust oder die Beine. Am Strand oder sonstwo sehen die Beine von alten Männern immer so weiß und unbehaart aus.
»Hallo, Sir«, sagte ich. »Ich habe Ihren Brief bekommen. Vielen Dank.« Er hatte mir diesen Brief geschrieben und mich gebeten, vor Ende des Schuljahres noch einmal bei ihm hereinzuschauen, weil ich ja nach den Ferien nicht zurückkommen würde. »Aber es wäre gar nicht nötig gewesen. Ich hätte Ihnen ohnedies einen Abschiedsbesuch gemacht.«
»Setz dich dorthin, Junge«, sagte Spencer. Er meinte das Bett.
Ich setzte mich darauf.«Was macht Ihre Grippe, Sir?«
»Wenn es mir um einen Grad besser ginge, müßte ich den Arzt holen lassen«, sagte er. Das überwältigte ihn selber. Er fing an wie wahnsinnig zu kichern. Endlich faßte er sich wieder und sagte: »Warum bist du nicht beim Fußballmatch? Heute ist doch das große Wettspiel?«
»Ja, das stimmt. Ich war auch dort. Nur bin ich gerade erst mit der Fechtmannschaft von New York zurückgekommen«, sagte ich. Sein Bett war hart wie Fels.
Er wurde höllisch ernst. Das hatte ich erwartet. »Du verläßt uns also?« fragte er.
»Ja, Sir, es sieht ganz so aus.«
Er fing mit seinem mechanischen Kopfnicken an. Kein Mensch auf der Welt nickt wohl soviel wie der alte Spencer.
Man wußte nie, ob er soviel nickte, weil er über etwas nachdachte, oder einfach nur, weil er ein harmloser alter Knabe war, der seinen Hintern nicht mehr von seinem Ellbogen unterscheiden konnte.
»Was hat Dr. Thurmer gesagt, Junge? Wie ich höre, habt ihr eine kleine Unterredung gehabt.«
»Ja, das kann man wohl sagen. Ich war ungefähr zwei Stunden in seinem Zimmer, glaube ich.«
»Was hat er zu dir gesagt?«
»Ach... daß das Leben ein Spiel sei und so. Und daß man sich an die Spielregeln halten müsse. Er war sehr nett. Ich meine, er hat kein Donnerwetter losgelassen oder so. Er hat nur darüber geredet, daß das Leben ein Spiel sei und so.«
»Das ist tatsächlich so, Junge. Das Leben ist ein Spiel, das bestimmte Regeln hat.«
»Ja, Sir. Ich weiß. Ich weiß das.«
Ein Spiel, verdammt! Feines Spiel. Wenn man auf der Seite spielt, wo die großen Kanonen sind, dann ist es ein Spiel - das will ich zugeben. Aber wenn man auf die andere Seite gerät, wo keine Kanonen sind, was soll daran noch Spiel sein? Nichts.
Kein Spiel mehr.
»Hat Dr.Thurmer deinen Eltern schon geschrieben?« fragte der alte Spencer.
»Er sagte, er werde ihnen am Montag schreiben.«
»Hast du dich schon mit ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Nein, Sir, ich habe mich nicht mit ihnen in Verbindung gesetzt, weil ich sie ja wahrscheinlich am Mittwochabend sehe, wenn ich heimkomme.«
»Und wie werden deine Eltern die Nachricht wohl aufnehmen?«
»Ja, sie werden sich wohl ziemlich ärgern«, sagte ich. »Das ist sicher. Pencey ist ungefähr die vierte Schule, auf der ich war.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich schüttele den Kopf ziemlich oft.
»Junge, Junge«, sagte ich; ich sage ziemlich oft Junge, Junge, teils weil ich einen schlechten Wortschatz habe, teils weil ich mich für mein Alter ziemlich kindisch benehme. Damals war ich sechzehn (jetzt bin ich siebzehn), und manchmal führe ich mich auf, als ob ich dreizehn wäre. Das ist um so lächerlicher, als ich 1,89 groß bin und graue Haare habe. Tatsächlich. Auf meiner rechten Kopfhälfte sind Millionen von grauen Haaren. Das war von jeher so. Und trotzdem benehme ich mich oft, als ob ich erst zwölfjährig wäre. Alle behaupten das, besonders mein Vater.
Zum Teil ist es wahr, aber nicht ganz. Die Leute meinen immer, irgend etwas sei ganz wahr. Ich mache mir nichts daraus, nur langweilt es mich manchmal, wenn man mir sagt, ich solle mich meinem Alter entsprechend benehmen. Manchmal benehme ich mich viel erwachsener als ich bin - wirklich -, aber das merken die Leute nie. Sie merken überhaupt nie etwas.
Der alte Spencer fing wieder an zu nicken. Außerdem fing er an in der Nase zu bohren. Er tat so, als ob er sie nur kratzte, aber in Wirklichkeit hatte er seinen ganzen Daumen drin.
Wahrscheinlich hielt er das für erlaubt, weil nur ich im Zimmer war. Mir war es gleichgültig, nur ist es ziemlich ekelhaft, wenn man jemand beim Nasebohren zusehen muß.
Dann sagte er: »Ich hatte die Ehre, deine Eltern kennenzulernen, als sie zu einer kleinen Unterredung mit Dr. Thurmer hier waren - vor ein paar Wochen. Es sind famose Menschen.«
»Ja, das stimmt. Sie sind sehr nett.«
Famos. Dieses Wort ist mir wirklich verhaßt. Dieser Schwindel. Wenn ich das höre, muß ich jedesmal kotzen.
Dann machte Spencer plötzlich ein Gesicht, als hätte er mir etwas ganz Besonderes und Tiefsinniges mitzuteilen. Er richtete sich in seinem Sessel auf und bewegte sich hin und her. Aber es war blinder Alarm. Er nahm nur die Atlantic Monthly von seinen Knien und versuchte, das Heft aufs Bett zu werfen, in meine Nähe. Er traf daneben. Er verfehlte es nur um fünf Zentimeter, aber immerhin. Ich stand auf und nahm es und legte es aufs Bett. Plötzlich hatte ich nur noch den Wunsch, aus diesem verdammten Zimmer herauszukommen. Ich fühlte, daß eine kolossale Predigt bevorstand. Gegen die Sache selbst hätte ich nicht viel gehabt, aber ich war nicht in der Stimmung, mich anpredigen zu lassen und dabei Vicks' Nasentropfen zu riechen und den alten Spencer in Pyjama und Morgenrock zu betrachten.
Ich hatte wahrhaftig keine Lust dazu.
Da ging es schon los. »Was ist nur mit dir los, Junge?« sagte er. Er sagte es sogar in einem für seine Verhältnisse ziemlich strengen Ton. »Wie viele Fächer hast du in diesem Quartal belegt?«
»Fünf, Sir.«
»Fünf. Und in wie vielen bist du ungenügend?«
»In vier.« Ich verschob meinen Hintern ein bißchen. Es war das härteste Bett, auf dem ich je gesessen habe. »Im Englischen ging es gut«, sagte ich, »weil ich das ganze Beowulf- und Lord Randal, mein Sohn-Zeug schon in der Whooton-Schule gehabt hatte. Ich meine, im Englischen brauchte ich fast nichts zu arbeiten, nur manchmal Aufsätze zu schreiben.«
Er hörte mir nicht einmal zu. Er hörte fast nie zu, wenn man etwas sagte.
»Ich habe dich in Geschichte durchfallen lassen, weil du absolut nichts wußtest.«
»Das weiß ich, Sir. Junge, das weiß ich. Sie mußten mich durchfallen lassen.«
»Absolut nichts wußtest du«, wiederholte er. Das ist auch so etwas, was mich rasend macht: wenn die Leute irgend etwas zweimal sagen, nachdem man schon beim erstenmal verstanden hat.
Dann sagte er es sogar zum drittenmal. »Wirklich absolut nichts. Ich bezweifle sehr, ob du dein Geschichtsbuch im ganzen Quartal nur ein einziges Mal aufgeschlagen hast. Wie steht es damit? Sag die Wahrheit, Junge!«
»Doch, ich habe ein paarmal hinein gesehen«, antwortete ich.
Ich wollte ihn nicht kränken. Er war auf Geschichte ganz verrückt.
»Ein paarmal hinein gesehen, so?« sagte er höchst sarkastisch. »Deine - eh - deine Examensarbeit liegt dort auf der Kommode. Zuoberst auf den andern. Bring sie mir doch bitte mal her.«
Das war niederträchtig, aber ich ging hin und gab sie ihm - es blieb mir ja keine andere Wahl. Dann setzte ich mich wieder auf sein Betonbett. Junge, tat es mir leid, daß ich zu diesem Abschiedsbesuch angetreten war.
Er nahm mein Blatt in die Finger, als ob es Dreck oder ich weiß nicht was wäre. »Wir haben die Ägypter vom 4. November bis zum 2. Dezember durchgenommen«, sagte er. »Du selbst hast dir dieses Thema als Examensarbeit gewählt. Möchtest du hören, was du darüber zu sagen hattest?«
»Nein, Sir, nicht unbedingt«, sagte ich.
Er las es trotzdem vor. Man kann einen Lehrer nicht davon abbringen, wenn er irgend etwas vorhat.
Er tut es einfach doch.
»Die Ägypter waren ein alter kaukasischer Volksstamm, der eines der nördlichsten Gebiete Afrikas bewohnte. Dieses Land ist bekanntlich der größte Kontinent in der östlichen Hemisphäre.«
Ich mußte dabeisitzen und mir diesen Mist anhören. Das war wirklich niederträchtig.
»Die Ägypter sind heute aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse für uns. Die moderne Wissenschaft forscht immer noch danach, woraus die geheimen Mittel bestanden, welche die Ägypter verwendeten, wenn sie die Toten so herrichteten, daß ihre Gesichter während unzähliger Jahrhunderte nicht verwesten. Dieses interessante Rätsel bedeutet noch immer ein Problem für die moderne Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert.«
Er unterbrach sich und legte mein Blatt auf seine Knie. Ich fing an, ihn beinah zu hassen. »Dein Aufsatz, wenn man ihn so nennen will, ist hier zu Ende«, sagte er wieder in sehr sarkastischem Ton.
Man hätte gar nicht vermutet, daß ein so alter Knabe so sarkastisch sein könnte. »Immerhin hast du unten an der Seite eine kleine Mitteilung für mich angefügt«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte ich. Ich sagte das sehr hastig, weil ich ihn daran hindern wollte, auch das noch vorzulesen. Aber er war nicht aufzuhalten. Er war jetzt in Fahrt wie eine Rakete.
»Lieber Mr. Spencer«, las er. »Das ist alles, was ich über die Ägypter weiß. Ich kann offenbar kein richtiges Interesse für sie aufbringen, obwohl Ihr Unterricht sehr interessant ist. Ich finde es ganz in Ordnung, wenn Sie mich durchfallen lassen, ich falle ja ohnedies in allen Fächern außer im Englischen durch. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Holden Caulfield.« Er legte mein verdammtes Blatt weg und schaute mich triumphierend an, als ob er mich gerade im Pingpong oder so besiegt hätte. Ich glaube, ich kann ihm nie verzeihen, daß er mir diesen Mist vorlas. Ich jedenfalls hätte ihm das nicht vorgelesen, wenn er es verfaßt hätte - soviel ist sicher. Vor allem hatte ich diesen verdammten Schluß ja nur geschrieben, damit es ihm nicht so schwer fiele, mich durchfallen zu lassen.
»Machst du mir einen Vorwurf daraus, daß ich dich durchfallen ließ, Junge?« fragte er.
»Nein, Sir, ganz gewiß nicht«, sagte ich. Und ich hätte verflucht viel darum gegeben, wenn er aufgehört hätte, mich die ganze Zeit Junge zu nennen.
Er versuchte meine Examensarbeit auf das Bett zu werfen, als er damit fertig war. Natürlich traf er wieder daneben. Ich mußte wieder aufstehen und sie vom Boden aufheben und sie auf die Zeitschrift legen. Es ist langweilig, das alle zwei Minuten zu tun.
»Was hättest du an meiner Stelle getan?« fragte er. »Sag die Wahrheit, Junge.«
Offenbar kam es ihm ziemlich schäbig vor, daß er mich hatte durchfallen lassen. Ich sagte also meinen Spruch auf. Ich sagte, ich sei eben ein Dummkopf und so. Ich sagte, an seiner Stelle hätte ich genau dasselbe getan, und die meisten Leute wären sich nicht richtig klar darüber, wie schwer es ein Lehrer habe.
Und lauter solches Zeug. Die üblichen Sprüche.
Komischerweise dachte ich aber an etwas anderes, während ich meinen Spruch aufsagte. Ich wohne in New York, und ich dachte an den See im Central Park, in der Nähe von Central Park South. Ich dachte, ob er wohl zugefroren wäre, wenn ich heimkäme, und wo dann wohl die Enten hingingen. Ich fragte mich, was aus den Enten würde, wenn der ganze See zugefroren wäre. Ob wohl einer mit einem Auto käme und sie in einen Zoo oder sonst irgendwohin brächte. Oder ob sie einfach fortflögen.
Ich habe es eigentlich gut. Ich meine, ich konnte dem alten Spencer meinen Spruch aufsagen und gleichzeitig an die Enten denken. Komisch. Man braucht nie besonders nachzudenken, wenn man mit einem Lehrer spricht. Aber plötzlich unterbrach er mich. Er unterbricht einen immer.
»Was für ein Gefühl hast du bei der ganzen Sache, Junge? Das würde mich interessieren, wirklich sehr interessieren.«
»Sie meinen, daß ich von Pencey weg muß?« sagte ich. Ich hätte nur gewollt, daß er seine knochige Brust bedeckt hätte. Es war nicht gerade ein überwältigend schöner Anblick.
»Wenn ich nicht irre, hattest du auch in Whooton und in Elkton Hills Schwierigkeiten.« Das sagte er nicht nur sarkastisch, sondern ziemlich gemein.
»In Elkton Hills hatte ich keine besonderen Schwierigkeiten«, antwortete ich. »Ich bin nicht geschaßt worden oder so. Ich bin einfach weggegangen.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Warum? Ach, das ist eine lange Geschichte, Sir. Ziemlich kompliziert.« Ich hatte keine Lust, ihm das alles zu erzählen. Er hätte es ohnedies nicht verstanden. Es war nicht in seiner Linie.
Ein Hauptgrund, warum ich von Elkton Hills fortging, war, daß lauter blasierte Heuchler dort waren. Das ist alles. Sie kamen aus allen Ritzen. Zum Beispiel der Rektor, Mr. Haas, war der verlogenste Hund, dem ich je begegnet bin. Hundertmal schlimmer als Thurmer. An Sonntagen zum Beispiel ging er herum und begrüßte alle Eltern, die auf Besuch kamen. Dann war er unbeschreiblich charmant.
Ausgenommen, wenn einer komische Eltern hatte. Es war sehenswert, wie er die Eltern von meinem Zimmergenossen behandelte. Ich meine, wenn eine dick oder schlecht angezogen war oder so und wenn ein Vater einen Anzug mit wuchtigen Schultern anhatte und geschmacklose schwarzweiße Schuhe, dann gab ihnen Haas nur schnell die Hand und lächelte blasiert und redete eine gute halbe Stunde lang mit anderen Eltern. So etwas kann ich nicht ausstehen. Es macht mich rasend. Es deprimiert mich so, daß ich verrückt werde. Die ganze verdammte Schule war mir verhaßt.
Spencer fragte mich irgend etwas, aber ich hörte nicht zu. Ich dachte an diesen Haas. »Wie, Sir?« sagte ich.
»Bedrückt es dich, daß du von Pencey fortgehst?«
»Ach, etwas schon, sicher. Aber nicht besonders. Jetzt jedenfalls noch nicht. Wahrscheinlich ist es mir noch gar nicht richtig klar. Es dauert immer eine Weile, bis mir etwas klar wird. Vorläufig denke ich nur daran, daß ich am Mittwoch heimfahre. Ich bin eine Niete.«
»Machst du dir gar keine Sorgen über deine Zukunft, Junge?«
»Doch, Sorgen mache ich mir schon. Das sicher. Doch, natürlich.« Ich dachte einen Augenblick darüber nach. »Aber nicht übermäßig, glaube ich.«
»Das wird noch kommen, Junge«, sagte Spencer. »Das wird noch kommen. Wenn es zu spät ist.«
Ich hörte das nicht gern. Es klang, als ob ich tot wäre oder ich weiß nicht was. Es war deprimierend.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte ich.
»Ich würde dir gern etwas Vernunft beibringen, Junge. Ich versuche nur, dir zu helfen. Ich versuche, dir wirklich zu helfen.«
Das stimmte tatsächlich. Man sah es ihm an. Aber wir standen eben auf verschiedenen Seiten. »Ich weiß, daß Sie das wollen, Sir«, sagte ich. »Vielen Dank. Im Ernst. Ich weiß es auch zu schätzen, ganz im Ernst.« Dann stand ich vom Bett auf. Ich hätte um mein Leben keine zehn Minuten länger dort sitzen können.
»Leider muß ich jetzt gehen. Ich muß noch einen Haufen Zeug aus der Turnhalle holen, bevor ich heimfahre. Wirklich.« Er schaute zu mir hinauf und fing wieder an zu nicken, mit todernstem Gesicht. Plötzlich tat er mir fürchterlich leid. Aber ich konnte einfach nicht mehr länger dortbleiben; wir standen auf so entgegengesetzten Seiten, und er verfehlte jedesmal das Bett, wenn er etwas werfen wollte, und unter seinem elenden alten Morgenrock sah man seine Brust, und das ganze Zimmer roch nach Grippe und Vicks' Nasentropfen. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Sir«, sagte ich. »Wirklich nicht. Ich komme schon weiter. Ich mache jetzt einfach so eine Phase durch. Jedermann macht doch Phasen durch, nicht?«
»Ich weiß nicht, Junge. Ich weiß nicht.«
Ich kann es nicht leiden, wenn jemand auf diese Art antwortet. »Doch, sicher. Ganz sicher geht das allen so«, sagte ich. »Ich meine es ganz im Ernst, Sir. Bitte machen Sie sich keine Sorgen um mich.« Ich legte ihm sozusagen die Hand auf die Schulter. »O. K.?« sagte ich.
»Möchtest du nicht eine Tasse Schokolade, bevor du gehst? Mrs. Spencer würde gern -«
»Ich würde gern bleiben, wirklich, aber ich muß jetzt gehen. Ich muß sofort in die Turnhalle. Aber vielen Dank. Vielen Dank, Sir.«
Dann gaben wir uns die Hand und so weiter, der übliche Mist.
Aber es machte mich verdammt traurig.
»Ich werde Ihnen schreiben, Sir. Pflegen Sie jetzt Ihre Grippe.«
»Auf Wiedersehen, Junge.«
Als ich die Tür hinter mir zugemacht hatte und zum Wohnzimmer zurückging, rief er mir etwas nach, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich bin ziemlich sicher, daß er mir »Viel Glück!« nachschrie.
Hoffentlich nicht. Hoffentlich täusche ich mich. Ich würde nie jemandem »Viel Glück!« nachschreien. Es klingt fürchterlich, wenn man richtig darüber nachdenkt.