55

Ende Oktober wandte sich König Philipp an alle Bischöfe seines Reiches: Er bedankte sich für die Bittgebete und Prozessionen, forderte die Würdenträger jedoch zugleich auf, davon abzulassen. Er hielt es für ausgeschlossen, dass – zehn Wochen nachdem die Armada in den Atlantischen Ozean abgetrieben war – noch ein einziges Schiff zurückkäme. Einige Tage später schrieb der Monarch in einem Brief an die Gemahlin des Herzogs von Monterreal, seines Cousins, dass die Engländer Don Alfonso de Córdoba und seinen Erstgeborenen, die vor der irischen Küste gestrandet waren, zu seinem großen Bedauern getötet hatten.

Zwei spanische Seeleute, die zunächst mithilfe irischer Rebellen der Hinrichtung entgehen und dann über Schottland nach Flandern fliehen konnten, hatten so präzise von der Tötung des Herzogs und seines Sohnes berichtet, dass kein Zweifel möglich schien. Offensichtlich hatte eine Patrouille der Engländer den Herzog und seine Männer festgenommen, als sie nach ihrem Schiffbruch durch irisches Gebiet irrten. Ohne auf Don Alfonsos Einwände einzugehen, der beim Sheriff seinen Stand als Grande geltend machen wollte, zwangen die Engländer alle Spanier, sich auszuziehen, und erhängten sie wie gewöhnliche Verbrecher.

Als der Sekretär Don Silvestre eines Morgens – nach einer Audienz bei Doña Lucía – auch allen Hidalgos das Schreiben verlas, hielt sich Hernando nicht im Palast auf. Seit zwei Tagen sprach er immer wieder beim Inquisitionsgericht im Alcázar vor, um vom Gerichtsschreiber, dem Notar oder dem Inquisitor persönlich empfangen zu werden. Er hatte erst nach zehn Tagen von der Verhaftung seiner Mutter erfahren. Der Webermeister Juan Marco hatte ihn durch einen Lehrling davon in Kenntnis gesetzt und ihm das Geld zurückgegeben, da Aischa nicht mehr bei der Arbeit erschienen war. Der Lehrling, selbst noch ein Kind, berichtete erzürnt von dem Vorfall.

»Deine Mutter hat bei der Prozession den Gott der Ketzer angerufen, genau als die Büßer vorüberzogen.« Hernando glitten die Münzen aus der Hand und klimperten über den Fußboden. Sie hatte ihn erkannt! »Sie ist eine gottverdammte Ketzerin. Dafür verdient sie den Scheiterhaufen!«

Doch alles, was Hernando bei der Inquisition erreichen konnte, war, dass sie sein Geld für Aischas Mahlzeiten annahmen. Dabei konnte er nicht ahnen, dass seine Mutter entschieden hatte, die spärlichen und ekelerregenden Speisen, die ihr die Gefängniswärter in die Zelle warfen, nicht eines Blickes zu würdigen.

Don Esteban fiel als Erster auf die Knie, als Don Silvestre die Verlesung des königlichen Schreibens beendet hatte. Die übrigen Hidalgos folgten seinem Beispiel, und jeder begann für sich mit einem Gebet. Schließlich beendete der Kaplan das Durcheinander.

»Wie sollte Christus unser Flehen denn auch erhören, wenn zugleich die Mutter des Mannes, dem Don Alfonso seine Güte und Freundschaft schenkte, den falschen Gott der Sekte Mohammeds anrief?«

Doña Lucía, die still in einem Sessel kauerte, hob bei diesen Worten plötzlich den Blick. Ihr Kinn bebte.

»Eine Bittprozession führt doch zu nichts, wenn dabei Gott gelästert wird!«

Die Herzogin sah zu dem Hidalgo, der soeben diesen Vorwurf geäußert hatte, und drückte durch ein Nicken ihre Zustimmung aus, da ging ein weiterer Hidalgo zum Angriff auf Hernando über.

»Mutter und Sohn haben sich zweifellos abgesprochen. Ich habe selbst gesehen, wie der Moriske seiner Mutter ein Zeichen …«

Das war für die Anwesenden das Signal.

»Ketzer!«

»Er hat Gott gelästert!«

»Er ist der Grund, warum der Allmächtige uns seine Gnade verweigert.«

Doña Lucía kniff die Augen zusammen. Sie würde nicht zulassen, dass der Sohn einer Ketzerin, die noch dazu die Bittprozession beleidigt hatte, weiterhin im Palast lebte und die Gunst ihres Mannes genoss – der sie ihm nicht mehr gewähren konnte!

Als Hernando am Abend, noch nichts von Don Alfonsos Tod ahnend, bedrückt vom Inquisitionsgericht heimkehrte, fing ihn der Sekretär schon am Palasttor ab.

»Du musst morgen früh den Palast verlassen«, verkündete ihm Don Silvestre. »Das ist eine Anweisung der Herzogin. Du bist es nicht wert, mit ihr unter einem Dach zu wohnen. Seine Hoheit, der Herzog von Monterreal, und sein Sohn sind bei der Verteidigung der Sache der Katholiken ums Leben gekommen.«

Hernando schloss die Augen. Plötzlich war er wieder am Bach in den Alpujarras. Er sah den Funkenschlag und hörte das metallische Klirren, als der verletzte Don Alfonso mit einem Hieb seines Schwertes die Fußfesseln sprengte. Mit seinem Tod befreite ihn der Herzog nun noch einmal: diesmal von den Fesseln der Untergebenheit, die er selbst nicht zu sprengen gewagt hatte.

»Bitte übermittelt der Herzogin mein tief empfundenes Beileid«, sagte er nur.

»Ich denke nicht, dass das angebracht ist«, hielt ihm der Sekretär säuerlich entgegen.

»Ihr irrt Euch«, erwiderte Hernando. »Womöglich ist es die einzige aufrichtige Anteilnahme, die sie in diesem Haus erfährt.«

»Was willst du damit sagen?«

Hernando atmete tief durch.

»Was darf ich mitnehmen und was nicht?«, fragte er dann.

»Du kannst deine Kleider behalten. Die Herzogin will sie nicht mehr im Palast sehen. Das Pferd …«

»Das Pferd, der Sattel und das Zaumzeug gehören mir. Niemand hat darüber zu bestimmen«, beschied ihm Hernando. »Und was meine Schreibsachen angeht …«

»Was für Schreibsachen?«, fragte der Sekretär hämisch.

Hernando seufzte verärgert. Wollten sie ihn etwa bis zum bitteren Ende demütigen?

»Sie sind Euch wohlbekannt«, erwiderte er. »Ich spreche von den Schriften, die ich für den Erzbischof von Granada anfertige.«

»Einverstanden. Die gehören dir.«

Hernando war über den Tod von Don Alfonso zutiefst erschüttert. Er hatte tatsächlich auf die baldige Rückkehr seines Freundes gehofft, der so viel für ihn getan hatte. Gerade jetzt hätte er seine Hilfe bitter nötig. Er hatte den Namen des Adligen im Alcázar zwar unzählige Male erwähnt, um endlich vorgelassen zu werden, aber bei der Inquisition schien sich niemand dafür zu interessieren.

Bestimmt kontrollierte Silvestre ihn bei seinem Auszug aus dem Palast. Also musste er sich für die wichtigsten Dinge entscheiden. Hernando eilte sogleich zum Versteck im ehemaligen Minarett. Er nahm die Fatimahand und betrachtete den goldenen Anhänger eine Weile lang. Er erinnerte sich daran, wie das Schmuckstück zwischen den Brüsten seiner Frau geschimmert hatte und jeder ihrer Bewegungen gefolgt war: Seit Fatimas Tod kam ihm der Anhänger kälter vor, genau wie sein Leben. Dann wandte er sich den Büchern zu: Er würde nur das alte arabische Barnabas-Evangelium mitnehmen, alles andere, selbst seine eigene Abschrift des Evangeliums und Ibn Muqlas Abhandlung über die Schreibstile wollte er vernichten. Er konnte keinesfalls riskieren, dass man das Traktat bei ihm fand, außerdem kannte er es ohnehin auswendig. Die kunstvollen Buchstaben und die Zeichnungen mit den vollkommenen Proportionen erschienen vor seinen Augen, wann immer er das Schreibrohr dem Papier näherte. Zuletzt ging er in sein Gemach. Dort öffnete er die Truhe, um seine Ersparnisse an sich zu nehmen. Hernando suchte zwischen seinen wenigen persönlichen Gegenständen. Der Beutel fehlte.

»Diese gierigen Christenhunde!«, flüsterte er.

Wie damals in den Alpujarras hatten sie zuallererst die Beute an sich gerissen. Nun blieben ihm nur die wenigen Münzen, die er bei sich führte. Er verfluchte sich, seine Ersparnisse nicht in Sicherheit gebracht zu haben, und schnürte seine Kleider zu einem Bündel. Die Seiten des Evangeliums legte er unauffällig zwischen seine Niederschriften über die Märtyrer. Die Fatimahand würde er am Körper verborgen tragen. Dann wusch er sich für das Gebet. Er stand mitten im Zimmer und überlegte. Wie sollte es nun weitergehen?

»Ich brauche Geld.«

Pablo Coca zuckte bei Hernandos Worten nicht einmal mit der Wimper. Die Spieler hatten die Spelunke inzwischen verlassen, nur die schwarze Sklavin aus Guinea säuberte noch den Raum und brachte die Tische für den nächsten Tag in Ordnung.

»Wir alle brauchen Geld, mein Freund«, war schließlich seine Antwort. »Aber was ist passiert?«

Hernando sah in Pablo noch immer den jungen Burschen von damals, der sein Gesicht zu aberwitzigen Grimassen verzog, um mit dem Ohrläppchen wackeln zu können wie Mariscal, sein großes Vorbild. Er entschied, ihm zu vertrauen, und schilderte ihm seine neue Lage. Wie er am Morgen bei seinem Auszug aus dem Palast die Kontrolle des Sekretärs umgangen hatte, behielt er allerdings für sich.

»Und was ist das?«, hatte ihn Don Silvestre argwöhnisch gefragt und auf die Blätter gezeigt, die Hernando in der rechten Hand hielt. Mitten im Patio und vor den Augen aller Diener wühlte der herzogliche Sekretär im Bündel mit den Kleidern, als wäre der Moriske ein gemeiner Dieb.

»Das ist mein Bericht für das Domkapitel von Granada.« Der Sekretär gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er ihm die Papiere aushändigen solle. »Don Silvestre, der Bericht ist geheim«, mahnte Hernando. »Darin stehen vertrauliche Dinge, die nur die Kirche in Granada etwas angehen. Wenn der Erzbischof erfährt, dass Ihr …«

»Einverstanden!«, lenkte Silvestre sofort ein.

»Und, willst du mich jetzt auch noch ausziehen?«, spottete Hernando. Die Fatimahand hatte er in seinen Beinkleidern versteckt. »Würde dir das gefallen?«, provozierte er den Sekretär und öffnete verführerisch die Arme. Silvester wurde rot. »Keine Sorge, ich bin als armer Mann in den Palast gekommen, und genauso werde ich ihn wieder verlassen.« Hernando grinste hämisch. War der Sekretär der Dieb?

Der Stallbursche weigerte sich, Volador für Hernando aufzuzäumen. Aus seinem Gesicht sprach der gesamte Groll der letzten Jahre, in denen er diesem Morisken hatte dienen müssen. Also tat Hernando es selbst, nur um sein Pferd kurz darauf im Hof der Posada del Potro wieder abzuzäumen, wo er Unterkunft suchte. Von den zahlreichen Gasthöfen rings um den Platz entschied er sich für diese Posada, weil ihn der Wirt dort nicht kannte. Volador, der doppelt so groß war wie jeder Esel oder jedes Maultier im Patio der Herberge und noch dazu das Brandzeichen des königlichen Marstalls trug, sowie Hernandos erlesene Kleidung sorgten dafür, dass man ihm das beste Zimmer zuwies, das er mit niemandem teilen musste. Wie ein reicher Mann zahlte er im Voraus, auch wenn er dabei feststellen musste, dass ihm nur noch ein paar wenige Zwei-Reales-Münzen blieben. Er setzte sich in seinem Zimmer an den Tisch und schrieb – auf leeren Blättern, die er aus dem Palast mitgenommen hatte – einen langen Brief an Don Pedro de Granada Venegas, in dem er ihm seine Situation schilderte und von der Verhaftung seiner Mutter berichtete. Abschließend bat er ihn inständig um Hilfe, denn in dieser miserablen Lage, so seine Worte, könne er kaum etwas für seine Glaubensbrüder ausrichten. Er gab den Brief einem Maultiertreiber, der im selben Gasthof Quartier machte und ohnehin nach Granada unterwegs war. Dafür hatte sich sein Geldbeutel allerdings weiter geleert.

»Aber das meiste Geld«, erklärte er Pablo Coca, »habe ich dem Kerkermeister der Inquisition gegeben, um das Essen für meine Mutter zu bezahlen. Und jetzt …«

»Heute Abend kannst du ein wenig gewinnen«, versuchte Pablo ihn aufzumuntern. Hernando verzog das Gesicht. »Damit kommst du zumindest über die Runden«, bekräftigte Pablo. »Wenigstens hast du damit genug für deine Unterkunft.«

»Palomero«, sprach Hernando ihn mit seinem Spitznamen aus der Jugendzeit an, »ich brauche viel Geld, verstehst du? Ich muss in nächster Zeit einige Gefälligkeiten im Alcázar bezahlen.«

»Bei der Inquisition wirst du mit Geld wenig ausrichten. Weißt du, einmal haben sie Don Alonso de Aguilar festgenommen, einen Verwandten des Marquis von Priego! Glaub mir, die Angelegenheit ließ sich mit keinem Geld der Welt klären – Don Alonso kam erst nach dem Verfahren frei. Das Adelshaus hat sich sogar mit den Erzbischöfen …«

»Aber meine Mutter ist doch nur eine unbedeutende alte Frau, Pablo.«

Pablo Coca überlegte. Er ließ seinen Finger auf dem Becherrand kreisen. Die beiden saßen vor einem Krug Wein, den ihnen die schwarze Sklavin gebracht hatte.

»Manchmal ruft man mich, damit ich eine größere Spielerrunde veranstalte«, gestand er schließlich zögerlich. »Mir gefällt das Ganze eigentlich gar nicht. Manchmal gebe ich nach und mache mit, aber … An diesen Abenden kommt alles, was Rang und Namen hat: Adlige, Amtsschreiber, Büttel, Jurados, Söhne aus den angesehensten Familien und sogar Pfaffen! Es geht dabei um viel Geld. Sie machen wahnwitzige Wetteinsätze, betrügen und ziehen sofort den Degen, wenn man ihnen ihre plumpen Finten und harmlosen Tricks vorwirft. Sie tun so, als könnten sie mit der Ehre, auf die sie so viel geben, selbst ein gezinktes Blatt noch rechtfertigen.«

»Aber warum bitten sie dich dann um Hilfe?«

»Sie brauchen immer einen von uns. Erstens ist es unter ihrer Würde, selbst Glücksspiele auszurichten, und zweitens erlaubt das Gesetz nur Spiele, bei denen man um eine Mahlzeit wettet oder der Einsatz unter zwei Reales liegt. Wusstest du, dass bis vor ein paar Jahren jeder, der sein Geld bei einem illegalen Spiel verloren hat, innerhalb von acht Tagen alles zurückfordern konnte? Aber diese Zeiten sind jetzt zum Glück vorbei. Verlust ist Verlust, und wenn heute jemand so ein Spiel zur Anzeige bringt, landen alle im Gefängnis. Und die Sieger müssen eine hohe Strafe zahlen: das Doppelte ihres Gewinns. Den Betrag teilen sich dann der König, der Richter und der Mann, der die Anzeige erstattet hat. Allerdings ist allen klar, dass ihr Leben, wenn sie so etwas verpfeifen, nichts mehr wert ist. Jeder, der eine Spielhölle betreibt – egal, ob in Córdoba, Sevilla, Toledo oder wohin auch immer derjenige flüchtet –, ist dazu aufgerufen, den Verräter zu töten, auch wenn er den betreffenden Abend gar nicht selbst ausgerichtet hat. Das ist unser Gesetz, und wir haben unsere Mittel, es auch durchzusetzen. Niemand zweifelt daran, und wer ein echter Spieler ist … wird eines Tages wieder an einem unserer Tische landen.«

»Aber würdest du diese Herrschaften, von denen du eben gesprochen hast, nicht gern selbst ausnehmen?«, fragte Hernando, nachdem er über Pablos Worte nachgedacht hatte.

Coca lächelte.

»Natürlich! Aber dabei würde ich meinen Laden aufs Spiel setzen. Sie können uns erwischen. Und selbst wenn niemand das verbotene Spiel zur Anzeige bringt, so kann mir doch jeder Büttel, der dabei verloren hat, andauernd Steine in den Weg legen. Ein beleidigter Veinticuatro wäre mein Ruin. Wenn ich mit meiner Spelunke auffliege, werde ich zur Strafe für zwei Jahre verbannt. Und wenn man hier jemanden beim Würfelspielen erwischt, ist die Strafe noch höher: Dann wird der gesamte Besitz beschlagnahmt, und es gibt einhundertfünfzig Peitschenhiebe und fünf Jahre Galeere obendrauf. Und bei mir wird gewürfelt, und ich verdiene ganz gut daran.«

»Sie müssen nicht erfahren, dass wir zusammenspielen. Wenn ich gewinne, dann verlierst du, und den Gewinn teilen wir später. Palomero, du hast dir so viel Mühe gegeben, Mariscals Trick zu lernen. Es wäre ein Jammer, wenn du ihn jetzt nicht anwendest. Denk doch, wie viele Hoffnungen wir uns damals gemacht haben!«

»Manchmal fließt Blut«, wandte Pablo zögerlich ein.

»Aber wir wollen ihr Geld.«

»Willst du jetzt vielleicht vom Kartenspielen leben? Irgendwann werden sie uns so oder so in Verbindung bringen. Du kannst an meinen Spieltischen nicht immer als Gewinner aufstehen.«

»Ich will doch gar kein Falschspieler werden. Sobald ich das Problem mit meiner Mutter gelöst habe, verschwinde ich aus der Stadt. Dann gehen wir … nach Granada.«

Pablo Coca nahm einen kräftigen Schluck Wein.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte er schließlich.

Pablo Coca hielt sein Versprechen, und Hernando machte an diesem ersten Abend einen beruhigenden Gewinn. Er kehrte zur Posada del Potro zurück. Ehe er hoch auf sein Zimmer ging, sah er vorsichtshalber bei Volador vorbei. Das Pferd war an einer Krippe festgebunden und schlief. Im Stall nächtigten auch die Maultiertreiber sowie die Reisenden, die sich kein Zimmer leisten konnten. Volador spürte seine Anwesenheit und schnaubte leise. Hernando ging zu ihm.

»Aber was machst du denn hier?«, rief er überrascht, als er einen Jungen bemerkte, der dicht neben Voladors Hufen wie ein Knäuel im Stroh schlief.

Der Junge, der kaum älter als zwölf Jahre war, riss die braunen Augen weit auf, blieb aber liegen.

»Ich passe auf Euer Pferd auf, Señor«, antwortete er mit einer für sein Alter überraschenden Ernsthaftigkeit.

»Aber es könnte dich treten, während du schläfst.« Hernando reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen.

Der Junge nahm die angebotene Hand nicht.

»Nein, Señor, das wird er nicht. Volador … Ich habe gehört, dass Ihr das Pferd bei Eurer Ankunft so genannt habt«, erklärte er, »Volador ist ein gutes Tier, und wir sind Freunde. Er wird mich nicht treten. Ich passe für Euch auf ihn auf.«

Als hätte er die Worte des Kindes verstanden, senkte Volador den Kopf und fuhr mit den Nüstern über das wirre, schmutzige Haar des Jungen. Die Szene war so ergreifend und stand in einem derartigen Gegensatz zu den Rufen, Drohungen, Finten, Wetteinsätzen und der Habgier in der Spielhölle, dass Hernando zögerte.

»Los, komm. Volador könnte dir wehtun«, sagte Hernando. »Auch Pferde schlafen, und womöglich tritt er dich aus Versehen.«

Doch er sprach nicht weiter. Der Junge machte ein trauriges Gesicht und versuchte sich aufzurichten. Er griff an eines der Pferdebeine, als wollte er daran hochklettern. Hernando sah, dass die Beine des Jungen verkrüppelt waren. Er beugte sich vor, um ihn aufzuheben.

»Mein Gott! Was ist denn mit dir passiert?«

Der Junge stand endlich aufrecht vor ihm, hielt sich aber immer noch an Hernandos Arm fest.

»Das Stehen fällt mir schwer.« Beim Lächeln ließ der Junge seine abgebrochenen Zähne und einige Zahnlücken erkennen. »Wenn Ihr mir die Stöcke dort reicht, dann könnte ich …«

»Aber was ist mit deinen Beinen?«, fragte Hernando.

Der Junge machte einen ungeschickten Schritt auf Hernando zu.

»Mein Vater hat sie dem Teufel verkauft«, flüsterte er.

»Was soll das heißen?«

»Bei meinem großen Bruder waren die Arme und die Hände verkrüppelt. Bei mir die Beine. José hat mir erzählt, dass mein Vater mir kurz nach der Geburt meine Beine gebrochen hat und ich viel weinen musste. Danach wusste keiner, ob ich überlebe. Wir Geschwister sind alle Krüppel. Ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Eltern meiner kleinen Schwester mit einer glühenden Eisenstange in die Augen gefahren sind, damit sie blind wird. Zwei Monate nach ihrer Geburt. Sie musste auch viel weinen«, erinnerte sich der Junge. »Bei einem Krüppel sind die Leute großzügiger.« Hernando bekam eine Gänsehaut. »Aber der König hat verboten, dass die Erwachsenen mit Kindern betteln, die älter als fünf Jahre alt sind. Die Jurados und die Pfarrer nehmen einem sonst die Bettelerlaubnis weg. Meine Eltern haben mich noch ein bisschen länger mitgenommen, weil ich so klein war, aber als ich sieben war, haben sie mich allein gelassen.«

Hernando brachte keinen Laut hervor. Seine Kehle war trocken. Er hatte durchaus von diesem brutalen Vorgehen der Bettler gehört, aber noch nie hatte er eines dieser Unglückskinder kennengelernt. Der Junge klang so traurig … Hernando hätte ihn am liebsten umarmt. Seit wann hatte er kein Kind mehr umarmt? Hernando räusperte sich.

»Bist du dir sicher, dass Volador dich nicht treten wird?«, fragte er nur.

Beim Lächeln kamen wieder die abgebrochenen Zähne zum Vorschein.

»Bestimmt. Fragt ihn doch selbst.«

Hernando kniete neben dem Pferd nieder und strich Volador über den Kopf. Dann half er dem Kind, eine bequeme Schlafstellung zu finden.

»Wie heißt du?«, fragte er, als der Junge sich wieder auf dem Stroh zusammenrollte und die Augen schloss.

»Miguel.«

»Pass gut auf ihn auf, Miguel.«

In der Nacht fand Hernando keinen Schlaf. Nach dem Brief an Don Pedro in Granada besaß er nur noch ein leeres Blatt, ein Schreibrohr und ein wenig Tinte. Er setzte sich an den wackeligen Holztisch, und im flackernden Licht der Kerze schrieb er sich seinen Zorn von der Seele. Seine Mutter, Miguel, die Spielhölle, dieses düstere, dreckige Zimmer, die Geräusche und der Lärm der anderen Gäste … Das Schreibrohr flog über das Blatt und hinterließ die vollkommensten Buchstaben, die er je zu Papier gebracht hatte. Ohne nachzudenken, schrieb er das Glaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes. Dann hatte er Hamid vor Augen. Er hatte ihn damals in der Kirche in Juviles ihr Gebet sprechen lassen, zum Beweis dafür, dass er kein Christ war. Was wäre gewesen, wenn er schon damals gestorben wäre? Er weiß, dass jeder Mensch wissen muss, dass es keinen Gott gibt außer Gott … Dann wäre ihm ein hartes Schicksal erspart geblieben, dachte er und tauchte sein Schreibgerät wieder in die Tinte.

Am nächsten Morgen waren weder Volador noch Miguel im Stall der Posada zu sehen. Auf Hernandos Schreie hin eilte der Wirt herbei.

»Sie sind schon hinaus«, beruhigte dieser seinen Gast. »Der Junge hat gesagt, dass Ihr ihm die Erlaubnis gegeben habt. Und einer der Maultierhändler, der auch im Stall schlief, hat bestätigt, dass Ihr dem Jungen Euer Pferd anvertraut habt.«

Hernando rannte in Panik zur Plaza del Potro. Sollte ihn der kleine Krüppel betrogen haben? Was, wenn man ihm nun auch noch Volador wegnahm? Doch als er auf der Straße vor der Posada angekommen war, blieb er stehen: Da war Miguel, der Junge mit den krummen Beinen, er stützte sich auf eine seiner Krücken und beobachtete, wie das Pferd aus dem Wasserbecken am Platz trank. Den Brunnen zierte seit einigen Jahren die Skulptur eines bockenden Fohlens. Voladors Fell schimmerte in der noch schwachen Sonne. Der Junge musste das Pferd gestriegelt haben.

»Er hatte Durst«, erklärte der Junge, als Hernando zum Brunnen gelangte.

Das Pferd drehte den Kopf zur Seite und geiferte das Wasser über Miguels Kopf. Der Junge hielt ihn mit dem Ende seiner Krücke ein wenig auf Abstand. Hernando beobachtete die Szene: Die beiden verstanden sich. Miguel schien zu ahnen, was er gerade dachte.

»Die Menschen gehen mir aus dem Weg, aber die Tiere lieben mich«, sagte er.

Hernando atmete tief durch.

»Ich habe noch zu tun«, sagte er und gab Miguel eine Münze, die der Junge mit aufgerissenen Augen entgegennahm. »Pass mir gut auf Volador auf.«

Hernando schlug den Weg zum Inquisitionsgefängnis über die Calle del Potro ein. Er blickte nur kurz zurück und beobachtete, wie der Junge und das Pferd sich vergnügten, indem Miguel das Tier mit Wasser bespritzte. Die beiden schienen alles um sich herum vergessen zu haben. Hernando wollte sich gerade wieder umdrehen, als er sah, wie Miguel in Richtung Stall aufbrach. Der Junge nahm den Führstrick des Tieres nicht in die Hände, sondern legte ihn sich einfach nur auf die Schultern, und das Pferd trottete ergeben hinterher, wie ein Hündchen. Dabei war Volador ein spanisches Rassepferd, ein feuriges, stolzes Tier! Hernando schüttelte ungläubig den Kopf und ging weiter.

Als er den Alcázar erreichte, war er in Gedanken noch ganz bei Miguels ungelenken Bewegungen und Voladors Gefügigkeit. Insofern war er mehr als überrascht, als der Wärter – der es ihm bislang verwehrt hatte, seine Mutter zu besuchen – die Goldmünze diesmal wortlos entgegennahm, die Hernando wie immer aus seinem Beutel zog. Er hatte sie beim Einundzwanzigspiel mit einem Ass und einem König gewonnen, was seine Mitspieler, die gegen sein Blatt gesetzt hatten, zu mehr als einem Fluch veranlasst hatte.

Hernando folgte dem Wärter erstaunt in einen großen Patio mit einem Brunnen und Orangenbäumen, der ohne die Wehklagen aus den Karzern ringsum sicherlich eine friedliche Atmosphäre verbreitet hätte. Hernando lauschte. War darunter auch die Stimme seiner Mutter? Der Wärter deutete auf eine Zelle am anderen Ende des Innenhofs, und Hernando schritt durch die Tür in der massiven, dicken Mauer. Nein. Aus dieser ekelerregenden, schmutzigen Zelle drang kein einziger Laut.

»Mutter!«

Hernando kniete neben dem reglosen Menschenbündel auf dem Erdboden. Mit zitternden Händen suchte er zwischen den Lumpen nach Aischas Gesicht. Die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte, war kaum wiederzuerkennen. Sie sah verhärmt aus, die Haut hing ihr von Hals und Wangen, die Augenhöhlen wirkten noch tiefer und dunkler, und die Lippen waren trocken und rissig. Ihre Haare waren ein einziges dreckiges, verfilztes Gewirr.

»Was habt ihr mit ihr angestellt?«, murmelte er. Der Gefängniswärter gab keine Antwort, sondern blieb im Türrahmen stehen. »Sie ist doch nur eine alte Frau.« Der Mann trat nervös von einem Bein aufs andere. »Mutter«, sagte Hernando noch einmal und hielt Aischas Gesicht zwischen seinen Handflächen. Er führte seine Lippen an ihre, um sie zu küssen, doch Aischa rührte sich nicht. Ihr Blick war starr. Einen Moment lang glaubte Hernando, sie sei tot. Er schüttelte sie ein wenig, und so kam immerhin ein wenig Leben in sie.

»Sie ist verrückt«, meinte der Wärter. »Sie will nichts essen, und sie trinkt auch kaum. Sie sagt nichts, und sie klagt nicht. So verbringt sie den ganzen Tag.«

»Was habt ihr mit ihr angestellt?«, fragte Hernando noch einmal und versuchte ein wenig eingetrocknete Erde von Aischas Stirn zu wischen.

»Nichts.« Hernando blickte den Wärter prüfend an. »Wirklich!«, versicherte der Mann. »Sie hat nicht geredet, und das Gericht hält die Aussage des Büttels für ausreichend, um sie zu verurteilen. Sie wurde noch nicht einmal gefoltert – denn das hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Es würde keinen von uns wundern, wenn sie noch diese Nacht …«

Hernando verharrte mit dem reglosen Körper im Arm und kehrte dem Mann den Rücken. Was wollte er damit sagen?

»Vermutlich stirbt sie noch diese Nacht«, sagte der Wärter schließlich. »Das hat der Arzt dem Gericht gesagt. Niemand würde sich darum kümmern. Niemand würde das überprüfen. Ich selbst würde es bestätigen und sie dann begraben.«

Ach, darum ging es. Deshalb durfte er Aischa diesmal besuchen.

»Wie viel?«, sagte Hernando ruhig.

»Fünfzig Dukaten.«

Fünfzig Dukaten! Er biss sich auf die Zunge.

»So viel habe ich nicht«, sagte er.

»Wenn das so ist …« Der Wärter drehte sich weg.

»Aber ich habe ein Pferd«, flüsterte Hernando und suchte in Aischas matten Augen nach einer Regung.

»Was hast du gesagt?«

»Ich habe ein gutes Pferd«, sagte Hernando, nun etwas lauter. »Es trägt das Brandzeichen der königlichen Rasse. Es ist viel mehr wert als fünfzig Dukaten.«

Sie verabredeten sich noch für denselben Abend. Hernando würde Volador gegen Aischa eintauschen. Er war nur ein Tier. Seine Mutter sollte nicht hier, sondern in seinen Armen sterben, und er wollte sie selbst bestatten. Vielleicht ließ Gott sie in ihrer letzten Stunde noch einmal die Augen öffnen, und dann wäre er bei ihr. Er musste ihr beistehen! Aischa durfte nicht sterben, ohne dass sie sich ausgesöhnt hatten.

Miguel saß neben Volador auf dem Boden.

»Es tut mir leid«, begann Hernando. Er kniete nieder und fuhr dem Jungen durch das zerzauste Haar. »Ich werde das Pferd heute Nacht verkaufen.« Warum entschuldigte er sich eigentlich? Das war doch nur ein bettelarmer Krüppel, der …

»Nein«, entgegnete Miguel.

»Was heißt hier Nein?« Hernando wusste nicht, ob er belustigt oder verärgert sein sollte.

In dem Moment blickte Miguel zu Hernando auf, der sich inzwischen wieder erhoben hatte und nun neben Volador stand.

»Señor, bislang habe ich Pferde, Katzen, Vögel und sogar einen Affen versorgt. Ich weiß immer, ob sie wieder zurückkommen, und ich habe es im Gefühl, ob ich sie zum letzten Mal sehe. Volador wird morgen wieder bei mir sein«, stellte er mit kindlichem Ernst fest. »Ich weiß es.«

Hernando blickte auf die verkrüppelten Beine, die auf dem Stroh ruhten.

»Ich werde nicht mit dir darüber streiten. Vielleicht hast du recht. Aber ich fürchte trotzdem, dass du ihn nicht wiedersehen wirst.«

Beim Abendläuten holte Hernando Volador aus dem Stall und machte sich mit ihm in Richtung Mezquita auf. Sie hatten sich auf dem Campo Real verabredet, neben dem Alcázar. Hernando wollte nicht reiten. Er ging, ohne sich umzusehen, und führte sein Pferd am Strick. Etwas abgeschlagen hüpfte Miguel hinter ihnen her. Am Campo angekommen, begab sich Hernando zu einer der Straßenecken, die wie der ganze Platz voller Müllhaufen war. Dort – ohne Altäre, deren Kerzen die finstere Nacht erhellten – sollte die Übergabe stattfinden. Miguel blieb einige Schritte entfernt stehen. Hernando versuchte, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden, er hoffte, den Gefängniswärter mitsamt seiner Mutter erspähen zu können. Er achtete nicht weiter auf die merkwürdige Haltung des Jungen, der ungelenk dastand und sich auf nur eine der beiden Krücken stützte. Die andere hielt er mit der rechten Hand über seinem Kopf. Volador war nervös: Er schnaubte und schien sogar ausschlagen zu wollen.

»Ganz ruhig«, versuchte Hernando das Tier zu besänftigen, »sei still, beruhige dich, mein Guter.«

Das Pferd spürte anscheinend, dass der Abschied bevorstand. Genau in dem Augenblick quiekte eine riesige Ratte laut auf und huschte zwischen den Beinen von Hernando und Volador davon. Ihr folgte erst eine und dann noch eine Ratte. Hernando sprang auf. Das Pferd erschrak, buckelte, riss sich vom Strick los und galoppierte auf und davon. Miguel konnte das Gleichgewicht kaum halten und versuchte mit den Krücken die Ratten zu verscheuchen.

Voladors entsetztes Wiehern war bis in den königlichen Marstall neben dem Alcázar zu hören. Nun schraken die Pferde darin auf und wurden unruhig. Sofort eilte der Pförtner des Marstalls mit zwei Reitknechten auf die Straße vor dem Campo Real, wo sie in der Dunkelheit einen prächtigen Grauschimmel entdeckten, der herrenlos über den Platz galoppierte.

»Ein Pferd ist ausgerissen!«, rief einer der Reitknechte.

Der Pförtner wollte schon widersprechen, da sah er im Licht der Fackeln an der Fassade des Inquisitionsgerichts das königliche Brandzeichen im Fell. Doch, das war zweifellos ein Pferd aus dem Marstall.

»Ihm nach!«, schrie er.

Auch Hernando rannte hinter Volador her. Wie sollte er bei dem ganzen Aufstand nur seine Mutter befreien? Bei dem Aufruhr würde der Gefängniswärter ihre Verabredung bestimmt nicht einhalten. Miguel stand inzwischen etwas abseits vom Rattennest. Ruhig und fasziniert bewunderte er die Kraft und die Eleganz der Bewegungen des Pferdes. Er verfluchte seine eigenen, so nutzlosen Beine, die ihn gerade noch aufrecht hielten.

»Er wird wiederkommen«, flüsterte er. Aus dem Marstall stürmten immer mehr Männer, ebenso wie aus dem Alcázar. Sie kamen aus dem Tor, unter dem die Gefängniswärter tagsüber die gewaschenen Stoffe verkauften. Hernando blieb verwirrt stehen, als ein halbes Dutzend Männer Volador schließlich gegen die Fassade des Alcázar drängte und dort umzingelte.

So eingekesselt, ließ sich das schnaubende Pferd am Strick führen.

»Das Pferd gehört mir!«

Hernando lief zu den Männern hinüber und verfluchte innerlich die Rattenplage. Wieso hatte er nicht daran gedacht, als ihm der Gefängniswärter genau diesen Ort für die Übergabe seiner Mutter vorschlug?

Die Männer aus dem Marstall stellten sehr bald fest, dass dies Pferd entgegen den äußeren Anzeichen nicht aus dem Besitz des Königs stammte.

»Du musst besser auf dein Pferd aufpassen«, schalt ihn ein Bereiter. »Es könnte in der Dunkelheit noch zu Schaden kommen.«

Hernando schwieg lieber, er streckte nur die Hand aus, um den Strick entgegenzunehmen. Was wussten diese Männer schon?

»Du kommst doch jeden Tag wegen der Irren, oder?«, fragte ihn dann einer der Wärter vom Inquisitionsgefängnis.

Hernando zog die Augenbrauen hoch, gab aber keine Antwort. Wie oft hatte er diesen Mann um Erlaubnis gebeten, seine Mutter zu besuchen, während dieser, anstatt seine Pflicht zu tun, mit dem Stoffverkauf am Campo Real beschäftigt war und sich seine Bitten missmutig angehört hatte, um sie ihm dann abzuschlagen.

»Es war längst überfällig, dass du zu ihr kommst«, meinte dann ein anderer Wärter. »Ein paar Tage länger, und du hättest sie nur noch als Tote angetroffen.«

Voladors Strick glitt Hernando aus der Hand, aber bevor er zu Boden fiel, wurde er von einer Holzstange aufgefangen. Hernando drehte sich zu Miguel um, der ihn mit seinen abgebrochenen Zähnen anlächelte und den Strick über die Krücke in seine Hand schob. Hatte der Wärter soeben gesagt, es sei längst überfällig, dass er seine Mutter besuchte? Was hatte das alles zu bedeuten?

»Was? Warum …?«, stammelte er. »Was ist mit dem Urteil? Und mit dem Autodafé?«

»Das Gericht hat schon vor ein paar Tagen im Audienzsaal ein kurzes Einzelverfahren gegen sie abgehalten und sie zum Büßerhemd verurteilt. Außerdem muss sie ein Jahr lang jeden Tag zum Gottesdienst gehen. In ihrem Zustand kann sie die Strafe aber wohl kaum antreten. Außerdem will niemand, dass so eine Verrückte ein Gotteshaus auch nur betritt«, schimpfte einer der Wärter. »Deshalb gab es das Einzelverfahren. Der Arzt hat bestätigt, dass deine Mutter nicht bis zum nächsten großen Autodafé durchhalten würde. Aber das Gericht wollte sie unbedingt verurteilen, bevor sie stirbt. Sie ist wahnsinnig! Jetzt nimm sie endlich mit!«

»Gebt sie mir!«, brachte Hernando nur heraus, als er endlich begriff, dass der andere Wärter ihn nur hatte betrügen wollen.

Kurz darauf ging er den Weg zur Posada del Potro zurück, diesmal mit seiner Mutter in den Armen.

»Mein Gott, sie ist so federleicht!«, rief Hernando in den sternenklaren Himmel, als sie an der Außenfassade der Mezquita vorbeikamen, hinter der der Mihrab lag.

Hinter ihnen hüpfte Miguel, Voladors Führstrick lag wieder nur locker über seiner Schulter. Das Pferd folgte ihm friedlich, als wollte es den Jungen nicht überholen.

Die Pfeiler des Glaubens
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