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Cesare Arbasia lebte allein in einem Haus in der Nähe der Mezquita. Er hatte Hernando zum Abendessen eingeladen und ausschließlich Speisen zubereiten lassen, die weder Speck noch Steckrüben und Karotten enthielten, die Muslime als Schweinefutter verachteten.
»Den Hammel konnte ich leider nicht nach euren Gesetzen schlachten lassen«, entschuldigte sich der Maler, während sie auf der Galerie über dem gepflegten Patio bei einem Becher Limonade beisammensaßen.
»Wir müssen schon seit Längerem auf unsere Speisevorschriften verzichten. Aber wir halten uns an die Taqiyya. Gott wird dafür Verständnis haben. Nur noch unsere Glaubensbrüder, die in abgelegenen Bauernhöfen leben, können manchmal unseren Schlachtritus ausüben.«
Die beiden Männer sahen sich an und schwiegen. Es war ein lauer Frühlingsabend, und der Duft der Blumen stieg zu ihnen empor. Hernando nahm einen Schluck Limonade und ließ sich von dem Gerüchen bezaubern, die ihn so sehr an einen anderen Patio erinnerten … und an das Lachen seiner Kinder.
An diesem Morgen war ihm auf dem Fresko mit dem heiligen Abendmahl, das Arbasia in der Capilla del Sagrario zuletzt gemalt hatte, ein Gesicht aufgefallen. Hernando hatte seinen Blick nicht von jener Figur abwenden können, die links vom Herrn saß und von diesem umarmt wurde. Diese Gestalt sah aus wie … eine Frau!
»Ich muss mit dir reden«, hatte er nur gesagt und die weibliche Gestalt weiterhin verwundert betrachtet.
»Einverstanden. Aber nicht hier«, hatte der Maler nur geantwortet und ihn erstmalig zu sich nach Hause eingeladen.
Das Wasser plätscherte im Brunnen, und sie plauderten eine Weile über belanglose Dinge, bis der Meister schließlich die Initiative ergriff.
»Worüber wolltest du mit mir sprechen? Geht es um das Fresko?«
»Ja. Ich dachte immer, beim letzten Abendmahl seien nur die zwölf Jünger dabei gewesen. Wer ist diese Frau, die Jesus umarmt?«
»Das ist der heilige Johannes.«
»Aber …«
»Glaub mir, es ist der heilige Johannes.«
»Also gut, wenn du das sagst«, gab Hernando nach. »Ich wollte ohnehin etwas anderes mit dir besprechen: Vor etwa einem Monat habe ich im ehemaligen Minarett des Palastes einige alte Abschriften gefunden – zusammen mit einem Schreiben des Kopisten. Sie stammen aus der Zeit von al-Mansur, der damals für den noch minderjährigen Hisham II. die Geschicke des Kalifats lenkte und der als der größte Heerführer gilt, den Córdoba je gesehen hat. Er griff Barcelona an und kam bis nach Santiago de Compostela, wo er die Glocken der Kathedrale raubte und von versklavten Christen nach Córdoba bringen ließ. Die Leuchter in der Moschee sind aus dem eingeschmolzenen Metall dieser Glocken. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel über diese Zeit gelesen.«
Arbasia hörte seinem Gast aufmerksam zu und nahm nur hin und wieder einen Schluck Limonade.
»Al-Mansur war ein religiöser Fanatiker, der immer wieder brutal gegen die Vertreter der Künste und Wissenschaften vorging. Dabei war al-Hakam II. – Hishams Vater – einer der gebildetsten Kalifen Córdobas gewesen: Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Wissen der Menschheit in Córdoba zu versammeln. Er schickte seine Gesandten in die entlegensten Winkel der Welt, damit sie dort alle nur erdenklichen Bücher und wissenschaftlichen Abhandlungen erstanden. In seiner Bibliothek gab es mehr als vierhunderttausend Schriften. Kannst du dir das vorstellen? Vierhunderttausend! Das sind mehr Bücher, als die Bibliothek von Alexandria je besaß.«
Hernando machte eine Pause, um einen Schluck zu trinken und um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte bei dem italienischen Meister hinterlassen hatten. Arbasia nickte bedächtig, als versuchte er, sich diese überwältigende Ansammlung von Wissen vorzustellen.
»Al-Mansur befahl«, sprach Hernando weiter, »dass mit Ausnahme der Bücher über Medizin und Mathematik alle Schriften verbrannt werden sollten, die nichts mit der Offenbarung zu tun haben: Bücher über Astrologie, Musik, Logik, Philosophie, Poesie … Tausende Bücher, die ein einzigartiges Wissen bargen, wurden in Córdoba verbrannt!«
»Was für ein Frevel!«, flüsterte der italienische Meister entsetzt.
»In dem Schreiben berichtet der Kopist von dieser Verbrennung und von seinem Bemühen, der Nachwelt das Wissen aus einigen dieser Bücher zu erhalten, die er – anders als al-Mansur – für bewahrenswert hielt. Allerdings konnte er in der Eile nur fehlerhafte Abschriften davon anfertigen.«
»Vierhunderttausend!«, seufzte Arbasia.
Die beiden sagten eine Weile nichts, bis Arbasia seinen Gast aufforderte weiterzusprechen.
»Seither habe ich jede Nacht in diesen Abschriften gelesen und sie in den großen christlichen Folianten der Bibliothek versteckt. Darunter sind auch wunderbare Gedichtsammlungen und Traktate«, Hernando beugte sich vor und senkte die Stimme. »Es gibt auch eine alte Abschrift des Evangeliums, das dem Jünger Barnabas zugeschrieben wird.«
Bei der Nennung dieses Namens richtete sich der Maler auf.
»Die Gelehrten, die al-Mansur mit der Auswahl der zu verbrennenden Schriften betraut hatte, waren fest davon überzeugt, dass es sich um ein rein christliches Evangelium handle. Aber dieser Barnabas-Text – so der Kopist –, der lange vor dem Koran und noch dazu von einem Jünger Christi verfasst wurde, bestätigt den Islam. Der Kopist hielt dieses Barnabas-Evangelium für so bedeutend, dass er nicht nur eine Abschrift anfertigte, sondern sogar das Original vor dem Feuer rettete. Er schreibt zwar, dass er es in Córdoba verstecken wollte, aber nicht, ob ihm sein Vorhaben auch gelungen ist.«
»Was steht in dem Evangelium?«
»Im Großen und Ganzen sagt es, dass Jesus kein Gottessohn war, sondern ein Mensch – ein Prophet.« Hernando meinte, bei seinem Gegenüber ein Zeichen der Zustimmung zu erkennen. »Und dass nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt wurde. Dort steht auch, dass Jesus nicht der Messias ist und dass sowohl die Ankunft des wahren Propheten als auch die Offenbarung noch bevorstehe. Außerdem wird die Notwendigkeit der Waschungen und der Beschneidung dargelegt. Diesen Text hat jemand verfasst, der Jesus kannte und seine Taten miterlebte. Aber im Gegensatz zu den anderen Evangelien bestätigt er die Glaubensvorstellungen meines Volkes.«
Die beiden Männer schwiegen. Eine Dienerin wollte gerade einen frischen Krug Limonade bringen, aber Arbasia bedeutete ihr, sich wieder zurückzuziehen.
»Es ist bekannt, dass die Päpste die Evangelien manipuliert haben«, sagte Hernando noch.
Er erwartete, dass Arbasia auf seine letzten Worte reagierte, aber sein Gastgeber blieb ruhig – vielleicht etwas zu ruhig.
»Warum erzählst du mir das alles?«, fragte er nach einer Weile barsch. »Wieso denkst du …?«
»Heute«, unterbrach ihn Hernando, »habe ich in dem Jesus, den du gemalt hast, einen gewöhnlichen Sterblichen gesehen – ein menschliches Wesen, das eine … das jemanden zärtlich umarmt. Dieser Mensch wirkt liebenswürdig, er scheint sogar zu lächeln. Das ist nicht der ewige und allmächtige Sohn Gottes, der leidende, schmerzvolle und blutende Jesus Christus, den man überall in der Kathedrale findet.«
Arbasia gab keine Antwort. Er führte eine Hand zum Kinn und dachte nach. Hernando respektierte sein Schweigen.
»Du bist Muslim«, sagte er schließlich, »und ich bin Christ.«
»Aber …«
Der Meister bedeutete ihm, nicht weiterzusprechen.
»Es ist schwer zu sagen, wer im Besitz der Wahrheit ist. Ihr? Wir? Die Juden? Oder vielleicht die Lutheraner? Sie haben sich von der kirchlichen Doktrin abgewandt. Haben sie deshalb recht? Es gibt viele Christen, die die offizielle Lehre der Kirche nicht akzeptieren.« Arbasia hielt einen Moment inne. »Fest steht nur, dass wir alle an einen einzigen Gott glauben: den Gott Abrahams. Die Muslime sind in diese Gebiete hier eingefallen, weil andere Christen – die Arianer, die mittlerweile selbst zu Ketzern erklärt wurden – sie gerufen haben. Es gab auch in Nordafrika Anhänger des Arius, aber die kastilischen Arianer haben erst viel später begriffen, dass die Araber, die ihnen zu Hilfe kamen, in Wirklichkeit Muslime waren. Verstehst du? Der Arianismus, der nur eine Variante des Christentums ist, und der Islam waren sich sehr ähnlich. Für die kastilischen Arianer war der Islam eine Religion, die Gemeinsamkeiten mit ihrer Religion aufwies: Beide leugnen die Göttlichkeit von Jesus Christus. Aus diesem Grund konnten die Reiche der Hispania auch innerhalb von nur drei Jahren erobert werden. Es gibt nur einen einzigen Gott, Hernando, und zwar Abrahams Gott. Doch jeder sieht in ihm etwas anderes. Und … es ist besser, wenn wir das nicht weiter vertiefen. Die Inquisition …«
»Aber wenn jene Christen, die Jesus Christus wirklich kannten, behaupten, dass er nicht Gottes Sohn war …«, versuchte Hernando nachzufassen.
»Wir sind nur Menschen. Wir stellen Unterschiede fest, wir interpretieren, wir wählen aus. Gott ist immer der Gleiche. Ich denke, das leugnet niemand. Und jetzt lass uns essen«, sagte er noch und stand hastig auf. »Der Hammel ist bestimmt schon fertig.«
Während des Abendessens wich Arbasia jedem Gespräch über seine Malerei in der Capilla del Sagrario und über das Barnabas-Evangelium aus. Hernando bedrängte seinen Gastgeber nicht weiter.
»Mögen dich Glück und Weisheit stets begleiten«, verabschiedete sich der Maler von seinem Gast an der Haustür.
Als Hernando im Palast ankam, fragte er sich immer noch, was er mit diesem Evangelium nur anstellen solle. Er hätte Abbas gern um Rat gefragt, doch von Aischa wusste er, dass sich der Schmied inzwischen mit gewaltbereiten Männern umgab, die er gegen die Christen aufhetzte. Der neue Rat der Gemeinde hatte den geheimen Plan, das offenbarte Wort unter die Muslime zu bringen, längst aufgegeben und setzte stattdessen auf den Kampf. In ganz Córdoba machten Gerüchte über Revolten und Aufstände die Runde, was die Feindseligkeiten zwischen Altchristen und Neuchristen nur verschärfte. Der letzte Versuch lag etwa ein Jahr zurück, und die Inquisition hatte sofort einen genauen Bericht angefordert. Dabei war es um eine Verschwörung zwischen den Türken und dem König von Navarra gegangen. Der Hugenotte – und Erzfeind Philipps II. – wollte mithilfe der Morisken in Spanien einfallen.
Hernando wusste, dass Abbas und seine Anhänger ihn nicht mit offenen Armen empfangen würden. Und was sollten solche Männer auch mit dem Evangelium anfangen? Sie konnten weder lesen noch schreiben, und vermutlich würden sie ähnlich reagieren wie al-Mansur: Das Evangelium mochte die Lehren des Korans noch so sehr untermauern, für sie war es bestimmt schon allein deshalb Ketzerei, weil es von einem Christen stammte. Außerdem war es nur eine Abschrift. Und ihm trauten sie auch nicht mehr. Vielleicht hatte der Schreiber des Kalifen das Original damals ja tatsächlich vor den Flammen retten können …
Hernando atmete tief durch: Seine einzige Gewissheit war, dass sich die Situation seines Volkes durch Gewalt nicht verbessern würde. In der Vergangenheit hatten ihre Aufstände nur dazu geführt, dass die Christen ihrem tiefen Hass freien Lauf gelassen hatten. Es musste eine andere Möglichkeit geben, die beiden Völker zu einem friedfertigen Zusammenleben zu bewegen.
Acht Tage nach dem Abend bei Arbasia wurde Hernando zum Herzog gerufen, der auf dem Weg von Madrid nach Sevilla in Córdoba Station machte. Hernando erhielt die Mitteilung im herzoglichen Marstall, als er gerade auf Volador – der Dahinfliegende – ausreiten wollte. Der prächtige Grauschimmel war ein Geschenk des Herzogs und trug das königliche Brandzeichen der neuen spanischen Rasse. Don Alfonso hatte Hernando – da er vom Vorfall mit Azirat erfahren hatte – wieder und wieder versichert, dass dieses Pferd für immer sein Eigentum bleiben würde, was auch geschehen mochte. Als Nachweis hatte Hernando ein Dokument erhalten, das der Palastsekretär aufgesetzt und der Herzog von Monterreal persönlich unterzeichnet hatte.
Hernando überließ Volador dem Stallburschen und stiefelte dem Pagen hinterher, der ihm die Nachricht des Granden übermittelt hatte. Als sie im Vorzimmer des Herzogs ankamen, warteten dort bereits zahlreiche Menschen darauf, vom Aristokraten empfangen zu werden. Hernando wurde auf dem Weg ins Audienzzimmer von den wütenden Blicken der Wartenden – darunter Geistliche, ein Veinticuatro, zwei Jurados und drei Hidalgos – durchbohrt: Dem Morisken wurde offensichtlich eine Vorzugsbehandlung zuteil.
»Hernando!« Der Herzog erhob sich hinter seinem Schreibtisch und hielt Hernando erfreut die Hand entgegen.
Der Sekretär und der Schreiber zogen die Augenbrauen hoch.
»Don Alfonso«, sagte Hernando zur Begrüßung und drückte die angebotene Hand herzlich.
Sie nahmen am anderen Ende des Raumes in bequemen Ledersesseln Platz. Der Herzog erkundigte sich nach Hernandos Befinden, und der Moriske beantwortete erfreut seine Fragen. Die Zeit verstrich, doch die vor dem Audienzzimmer wartenden Bittsteller schienen den Aristokraten nicht weiter zu interessieren. Besonders leidenschaftlich erörterte Don Alfonso die Bestände seiner Bibliothek, bis er abrupt das Gesprächsthema wechselte.
»Ich hätte auch gern so viel Zeit für die Lektüre«, meinte der Adlige auf einmal wehmütig. »Genieß deine Stunden in der Bibliothek, denn bald wirst du dafür keine Zeit mehr haben.« Dem Herzog entging Hernandos überraschter Gesichtsausdruck nicht. »Keine Sorge, du kannst so viele Bücher mitnehmen, wie du willst. Silvestre!«, rief er den Sekretär herbei. »Bring mir den Geleitbrief für Hernando.« Als er das Dokument in Händen hielt, wandte er sich wieder an Hernando. »Obwohl ich – wie du weißt – die Ehre habe, dem Staatsrat Seiner Majestät anzugehören, möchte ich mit dir über ein Problem des Finanzrats sprechen. Den Beamten dieser Rätekammer gelingt es einfach nicht, die vom König benötigten Mittel zu beschaffen, weshalb der König jedes Mal an ihnen herummäkelt, wenn sie ihm die erwünschten Gelder verweigern. Die Alpujarras!«, wechselte Don Alfonso erneut das Thema und überreichte Hernando das Dokument. »Du hast mich doch um eine Aufgabe gebeten, oder?«, fragte er und lächelte. »Die Alpujarras gehören fast vollständig der Krone, und Seine Majestät ist außer sich, weil sie nicht den erhofften Ertrag einbringen. Dabei hat der König die neuen Siedler sogar von den Verkaufssteuern befreit. Trotzdem lassen die Abgaben an die Krone, die der Finanzrat eintreibt, mehr als zu wünschen übrig. Seine Majestät ist darüber äußerst erzürnt. Da kam mir die Idee, dass du – als Ortskundiger – vielleicht einige Nachforschungen anstellen könntest, die Seine Majestät dann mit dem Bericht des Finanzrates sowie mit dem Bericht der Institution in Granada, die die Neuansiedlung betreibt, vergleichen kann. Dem König gefiel der Vorschlag sofort. Er würde den Beamten des Finanzrats nur zu gern eine Lektion erteilen.«
»Die Alpujarras!«, flüsterte Hernando. Er saß unbehaglich aufrecht im Sessel und strich nervös über das Dokument, das ihm Silvestre soeben überreicht hatte. Don Alfonso schlug ihm tatsächlich gerade eine Reise in seine Heimat vor!
»Nach der Vertreibung der Neuchristen aus den Alpujarras schickte der König zahlreiche Beamte nach Galicien, Asturien, Burgos und León, um Männer und Frauen zu finden, mit denen das Gebiet wieder besiedelt werden konnte. Die neuen Bewohner erhielten Häuser, Felder und Vieh. Zwar ist diese Neuansiedlung noch nicht in allen Dörfern und Städten der Alpujarras erfolgreich durchgeführt, aber … diese Leute erwirtschaften einfach nicht das, was man erwartet hatte. Es ist erschütternd. Wenn du demnächst in das Gebiet reist, wirst du das übrigens als mein persönlicher Gesandter tun. Der König darf niemals erwähnt werden, verstehst du? Seine Majestät möchte um keinen Preis, dass die Vertreter der Krone in den Alpujarras das Gefühl bekommen, er könnte ihnen misstrauen.«
»Und dann?«, fragte Hernando.
»Die Neusiedler genießen unter anderem das Privileg, dass sie ihre Stuten ohne königliche Zustimmung decken lassen dürfen. Wir gehen davon aus, dass in all den Jahren der Pferdebestand dort erheblich angewachsen ist. Deine offizielle Aufgabe besteht nun darin – das besagt zumindest dieser Geleitbrief –, dass du geeignete Zuchtstuten für meine Stallungen suchst. Schließlich wissen alle, dass du dich mit Pferden auskennst. Selbstverständlich wird dich kein einziges Tier überzeugen. Aber falls du wider Erwarten doch eine brauchbare Stute sehen solltest«, sagte der Herzog und lächelte, »solltest du sie sofort kaufen.«
Hernando überlegte einige Augenblicke: Eine Reise in die Alpujarras! Ihm trat plötzlich kalter Schweiß auf die Stirn.
»Es gibt dort bestimmt noch Christen, die den Krieg miterlebt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einen Neuchristen …?«
»Keine Sorge! Niemand wird es wagen, einen Gesandten des Herzogs von Monterreal auch nur anzufassen!«, erwiderte Don Alfonso. Hernandos zweifelnder Blick veranlasste ihn jedoch, seine Behauptung noch einmal zu überdenken. »Hernando, du bist Christ. Du weißt, wie man betet. Du hast mit mir gebetet, erinnerst du dich? Wir haben zusammen zur Heiligen Jungfrau gebetet. Ich gehe davon aus, dass auch einige deiner alten Freunde deine Gottesfürchtigkeit bestätigen können, falls sie jemand in Zweifel zieht.«
Hernando bemerkte, wie Silvestre in Erwartung seiner Antwort hinter Don Alfonso einen Schritt vortrat.
Mit welchen Christen war er in Juviles schon befreundet gewesen? Mit dem Sakristan? Wohl kaum. Und sonst? Ihm fiel niemand ein.
»Du hast dort doch Freunde, oder?«, fragte Silvestre.
Don Alfonso sah seinem Sekretär die Einmischung nach.
»Ich habe dem König bereits versprochen, dass diese Nachforschungen in den Alpujarras durchgeführt werden«, stellte der Adlige fest.
»Ja … natürlich«, stammelte Hernando. »Natürlich habe ich dort Freunde.«
»Und wie heißen sie, wenn man fragen darf?«, wollte der Sekretär wissen.
Hernando sah Silvestre überrascht an. Er schien die Wahrheit zu ahnen, und wahrscheinlich hatte er sich diesen Moment schon lange herbeigesehnt: den Augenblick, in dem der wahre Glaube jenes Mannes aufgedeckt würde, dem der Herzog so viele Gunstbeweise erbrachte. Gerade erst hatte er diesem Morisken auch noch den prächtigen Grauschimmel geschenkt!
»Na, wie heißen sie?«, fragte Silvestre angesichts Hernandos Zögerns.
»Der Marquis von Los Vélez«, behauptete Hernando mit fester Stimme.
Don Alfonso richtete sich in seinem Sessel auf, Silvestre trat einen Schritt zurück.
»Don Luis Fajardo?«, fragte der Herzog erstaunt. »Was hattest du denn mit Don Luis zu tun?«
»Ich habe damals einer jungen Christin das Leben gerettet«, erklärte Hernando. »Sie hieß Isabel. Ich übergab sie dem Marquis und seinem Sohn Don Diego vor den Stadttoren von Berja. Und Isabel war nicht die Einzige, der ich das Leben gerettet habe«, log er und blickte herausfordernd zu Silvestre, dem die Mundwinkel nach unten fielen. Der Herzog hörte ihm aufmerksam zu. »Aber ich musste dabei immer als Moriske auftreten. Einige haben von meinen Taten erfahren, die meisten nicht. Isabel hat mich kennengelernt. Und Ihr könnt den Marquis von Los Vélez und seinen Sohn nach der Begebenheit befragen.«
»Du sprichst anscheinend vom zweiten Marquis von Los Vélez, von des Teufels Eisenhaupt, der in den Alpujarras kämpfte. Er ist kurz darauf gestorben«, berichtete ihm der Herzog. »Der jetzige Marquis heißt auch Luis.« Hernando seufzte. »Keine Sorge«, beruhigte ihn Don Alfonso, als hätte er den Grund für Hernandos Seufzer verstanden. »Wir werden deine Geschichte bestätigen können. Don Diego – der Sohn des alten Marquis, der ihn in Berja begleitete – ist Ritter des Santiago-Ordens. Er ist ein entfernter Verwandter von mir. Seine Mutter war eine geborene Fernandez de Córdoba.« Der Herzog schwieg einen Moment. »Ich bewundere dich für das, was du in diesem fürchterlichen Krieg geleistet hast«, sagte er dann. »Und ich bin mir sicher, dass alle, die in diesem Haus wohnen, diese Bewunderung teilen – nicht wahr, Silvestre?«
Don Alfonso sah seinen Sekretär nicht einmal an, aber Silvestre begriff sofort, dass der Herzog kein weiteres Geflüster über den befreundeten Morisken dulden würde.
»Selbstverständlich, Hoheit«, antwortete der Sekretär.
»Dann setz dich mit Don Diego Fajardo de Córdoba in Verbindung, und erkundige dich nach dieser Christin. Ich glaube dir, Hernando«, bekräftigte er an seinen Retter gewandt. »Ich brauche keine Bestätigung für diese Geschichte, aber ich will, dass du bei deiner Reise durch die Alpujarras als der empfangen wirst, der du bist: als ein Christ, der für andere Christen sein Leben riskiert hat. Die Interessen des Königs dürfen keinesfalls durch den Argwohn der dort ansässigen Altchristen gefährdet werden.«
Der Herzog erklärte diese Audienz damit für beendet.
»Machen wir mit den Bittstellern weiter«, ordnete Don Alfonso an. Sofort hastete ein Page vom Schreibtisch herbei, um den Kammerherrn zu benachrichtigen.
»Das ist nicht nötig«, sagte der Herzog.
Der Page blieb stehen und sah verwundert zum Sekretär. Silvestre bedeutete ihm, wieder zu der kleinen Sitzbank zurückzugehen, die in einer dunklen Ecke stand und auf der ein weiterer Page saß. Der Herzog hielt sich nicht an das Zeremoniell, sondern begleitete Hernando persönlich bis zur Tür. Er öffnete sie, umarmte Hernando vor den Augen aller Anwesenden und verabschiedete sich mit zwei Wangenküssen von ihm. Viele der Besucher, die bei der Ankunft des Morisken ihre Verachtung nicht verhehlt hatten, senkten nun den Blick, als Hernando durch das Vorzimmer zurück zu den Stallungen ging.
Obwohl der Sohn des Marquis von Los Vélez die Nachricht noch nicht bestätigt hatte, war Hernandos Rettung von Isabel und anderer Christen während des Aufstandes in aller Munde. Die Anzahl der Geretteten wuchs in demselben Maße, wie sich das Gerücht in ganz Córdoba verbreitete – sowohl bei den Christen als auch bei seinen Glaubensbrüdern. Die Moriskensklaven des Herzogs erzählten Abbas und den übrigen Mitgliedern des Ältestenrates davon, die darin nur die Bestätigung all ihrer Anschuldigungen sahen, die sie dem Verräter ohnehin bereits vorwarfen.
»Wie konntest du nur?«, schrie Aischa ihn bei seinem nächsten Besuch an. Sie spazierten am Guadalquivir entlang zur Martos-Mühle, ganz in der Nähe der Gerbereien und der Stelle, von wo aus er vor Jahren die Überfahrten mit der Müden Jungfrau unternommen hatte. Der Rat der Stadt hatte aus diesem Uferstreifen inzwischen einen Ort der Erholung für die Bewohner von Córdoba gemacht.
»Du hast uns alle betrogen! Du hast dein Volk betrogen! Du hast sogar Hamid betrogen!«
»Mutter, Isabel war ein unschuldiges Mädchen. Sie wollten sie als Sklavin verkaufen! Du darfst diesem Geschwätz nicht glauben …«
»Deine Schwestern waren auch unschuldige Mädchen! Kannst du dich überhaupt noch an sie erinnern? Deine Schwestern wurden mit mehr als tausend anderen Frauen auf dem Dorfplatz von Juviles ermordet. Hernando, mehr als eintausend Frauen fanden dort den Tod! Und die Überlebenden wurden in Granada auf der Plaza de Bib-Rambla versteigert. Tausende unserer armen Glaubensbrüder wurden hingerichtet oder versklavt! Hamid war ein Sklave! Hast du das etwa vergessen?«
»Wie sollte ich das vergessen!«
»Und Aquil und Musa«, sprach seine Mutter wütend weiter. »Was ist aus ihnen geworden? Kaum waren wir hier in dieser verdammten Stadt angekommen, da haben sie uns deine Brüder weggenommen und als Sklaven verkauft. Hernando, sie waren auch nur Kinder! Niemand hat sie gerettet! Sie waren genauso unschuldig wie diese … wie diese Isabel.« Sie gingen schweigend weiter. »Ich verstehe das alles einfach nicht«, sagte Aischa schließlich mit müder Stimme. Mittlerweile waren sie auf der Höhe des Mühlrades angekommen. »Das mit diesem Adligen ist mir schon schwer genug gefallen, aber jetzt auch noch diese Geschichte … Sohn, du hast dein Volk verraten!« Aischa blickte Hernando mit eiskalten Augen an. Sie zeigte eine Entschiedenheit, die er noch nie zuvor an seiner Mutter gesehen hatte. »Du magst das Familienoberhaupt sein … das Oberhaupt einer Familie, die es gar nicht mehr gibt. Und du magst der Einzige sein, der mir in dieser Welt noch geblieben ist, aber ich will dich trotzdem nicht mehr sehen. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.«
»Mutter!«, erschrak Hernando.
Aischa drehte sich um und kehrte allein ins Santiago-Viertel zurück.