31

Nur wenige Tage vor den Stierkämpfen war Fatima zusammen mit Jalil – Benito für die Christen – auf dem Weg zum Gefängnis. Er war einer der beiden alten Männer, die zusammen mit Hamid der Moriskengemeinde in Córdoba vorstanden. Wie so oft brachten die beiden Essen für die Gefangenen und sprachen dabei über Hernando und seine Taten für die Gemeinde.

»Er ist ein guter Mann«, stellte Jalil fest. »Er ist jung, gesund und kräftig. Er sollte bald heiraten und eine Familie gründen.«

Fatima senkte den Blick und verlangsamte ihre Schritte.

»Es gibt eine Zukunft für euch beide«, flüsterte Jalil, der Fatimas Situation sehr wohl kannte.

»Was willst du damit sagen?« Fatima blieb stehen.

»Hat Aischa ihr Kind schon bekommen?«, fragte Jalil statt einer Antwort und forderte sie mit einer Geste auf weiterzugehen.

»Ja«, sagte Fatima. »Sie hat einen kräftigen Jungen zur Welt gebracht.« Ihre Stimme klang traurig. Córdoba hatte ihr Humam genommen und Aischa einen Sohn geschenkt. Jalil nickte.

»Du bist noch jung und stark. Das beweist du uns Tag für Tag. Du musst in Gott vertrauen.« Jalil schwieg eine Weile, ehe er weitersprach. »Als du Ibrahim geheiratet hast, war er da schon ein armer Mann?«

»Nein. Damals war er der Stellvertreter von Ibn Abbuh, dem König von al-Andalus. Er hatte alles, was er wollte. Bei meiner Hochzeit in Laujar ritt ich auf dem kostbarsten weißen Maultier der ganzen Alpujarras«, flüsterte sie, als eine Gruppe Passanten in Richtung Kathedrale verschwunden war.

Jalil nickte zufrieden. Dann blieb er vor dem Gefängnis stehen, wo bereits einige Angehörige der Gefangenen warteten.

»Wer sorgt für deinen Unterhalt?«, fragte Jalil.

»Das kann ich nicht genau sagen«, antwortete Fatima. »Ibrahim und Hernando geben Aischa ihren Lohn, damit sie das Geld für die Familie verwaltet.«

»Hernando gibt Aischa sein Geld?«, fragte Jalil nach.

»Ja, natürlich. Es ist zwar nur wenig, aber ohne ihn kämen wir nicht über die Runden. Ibrahim beschwert sich schon die ganze Zeit darüber.«

»Und jetzt, mit dem neuen Kind, denke ich, wird es noch schwieriger, nicht wahr?«

»Ja, und für Ibrahim gibt es nichts Wichtigeres als seinen neugeborenen Sohn. Seit langer Zeit hat er zum ersten Mal wieder gelächelt!« Fatima überlegte, ob Ibrahim überhaupt schon einmal aufrichtig gelächelt hatte. Eigentlich kannte sie nur sein spöttisches Grinsen. »Wenn er nicht über seinen kleinen Jungen spricht«, berichtete sie, »dann jammert er eigentlich nur über seinen Hungerlohn und die Feldarbeit.«

Jalil nickte wieder und lächelte.

»Ein Ehemann«, setzte er dann zu einer Erklärung an, »muss für den Unterhalt seiner Ehefrau aufkommen, für Essen und Trinken, für Kleidung, für Schuhe …« Der alte Mann blickte auf Fatimas Füße, die in eingerissenen, löchrigen Lederpantoffeln steckten, deren Korksohle nahezu abgelaufen war. »Außerdem muss er für eine angemessene Unterkunft sorgen. Wenn er das nicht kann, steht es der Ehefrau frei, die Scheidung zu verlangen.« Die junge Frau atmete tief ein, schloss die Augen und umklammerte das Brot für die Gefangenen. »Das ist nach unseren Gesetzen nur dann nicht möglich, wenn sie vor ihrer Heirat von seiner Armut wusste.«

»Wie bekomme ich meine Scheidung?«, platzte Fatima hoffnungsvoll heraus.

»Du musst zu einem Kadi gehen. Erkennt der Richter deine Gründe an, wird er Ibrahim eine Frist setzen, damit er seine Versäumnisse wiedergutmachen kann. Wenn ihm dies innerhalb von zwei Monaten gelingt, kann er zu dir zurückkommen. Wenn die Zeit aber ungenutzt verstreicht, verliert Ibrahim alle Rechte an dir, und du kannst eine Ehe mit einem anderen Mann eingehen.«

»Wer ist unser Richter?«

Der alte Mann überlegte.

»Hm. Eigentlich haben wir hier keinen echten Kadi. Ich würde allerdings sagen, dass Hamid oder Karim oder ich darüber bestimmen können.«

»Aber wenn wir keinen echten Kadi haben, wird Ibrahim sich weigern …«

»Nein. Ibrahim kann sich nicht nur dann auf unsere Gesetze berufen, wenn es ihm passt, und sie einfach ablehnen, wenn sie für ihn unangenehm sind. Er hat zwei Frauen, und das ist sein gutes Recht. Aber er muss sie auch versorgen können. Glaub mir, die Gemeinde ist auf deiner Seite, und mit ihr all unsere Sitten und Gesetze. Ibrahim kann nichts dagegen machen, weder bei uns noch bei den Christen. Schließlich bist du für sie mit Hernando verheiratet, oder?«

Fatima überlegte. Ja, aber was würde aus Aischa, wenn sie sich scheiden ließ? Und was, wenn … Jalil schwieg, überließ Fatima ganz ihren Gedanken und Gefühlen und bedeutete ihr schließlich weiterzugehen. Hernando hatte ganze Arbeit geleistet: Einer der Gefängniswärter stand schon bereit, um ihre mitgebrachten Speisen für die inhaftierten Morisken entgegenzunehmen. Fatima gab ihm gedankenverloren das Brot, ein paar Zwiebeln und ein Stück Käse. Dann trat sie wieder auf die Straße. Andererseits zeigte Ibrahim sich derzeit recht zufrieden mit seinem neuen Sohn. Aber wie lange würde dieser Zustand anhalten? Vielleicht bekam er ja noch mehr Kinder! Und wenn er die Kinder mit ihr wollte? Wenn er sie wieder … ? Als Ehemann war es sein gutes Recht.

»Jalil, ich will mich scheiden lassen«, sagte Fatima ernst.

Der alte Mann nickte und blieb stehen. Sie waren an der imposanten Puerta del Perdón angelangt – dem Eingang der Mezquita.

»In dieser Moschee musst du dem Kadi dein Anliegen vortragen.« Er zeigte auf das Gebäude und räusperte sich. »Fatima aus Terque, ich frage dich: Warum willst du dich von deinem Ehemann scheiden lassen?«

»Weil mein Ehemann, Ibrahim aus Juviles, nicht in der Lage ist, mich angemessen zu versorgen.«

Nachdem die Lakaien von Don Diego López de Haro mit Hernando gesprochen hatten und er erleichtert feststellte, dass ihn die Diener des Grafen von Espiel nicht mehr verfolgten, suchte der junge Mann das Gespräch mit Hamid. Sonntags war die Bordellgasse geschlossen, und der Alfaquí konnte sich auf der Calle del Potro frei bewegen. Alle Christen in Córdoba, der Bordellaufseher eingeschlossen, sowie die Mehrheit der Morisken waren auf der Plaza de la Corredera beim Stierkampf.

»Sie wollen, dass ich im königlichen Marstall von Córdoba arbeite«, berichtete der junge Mann nach ihrer Begrüßung. »Ich soll mich um die Pferde des Königs kümmern. Sie haben dort Hunderte Tiere. Sie züchten sie, und sie reiten sie zu, und sie brauchen Leute, die gut mit Pferden umgehen können.« Dann schilderte er Hamid den Vorfall mit dem Zuchthengst des Grafen. »Anscheinend ist Don Diego dabei auf mich aufmerksam geworden.«

»Ja, ich habe vom Marstall des Königs gehört«, bestätigte der Alfaquí. »Seit einigen Jahren lässt König Philipp dort eine neue Pferderasse züchten. Die Christen haben für die schweren, trägen Kriegspferde in Zeiten des Friedens keine Verwendung mehr. Nun ja, Spanien führt zwar noch einige Kriege in fernen Ländern, aber hier herrscht momentan Frieden. Du musst wissen, dass der Vater des Königs, Kaiser Karl, das Hofzeremoniell der Herzöge von Burgund übernommen hat und dass die Adligen kostbare Pferde brauchen, mit denen sie bei Ausritten, Festen, Turnieren oder Stierkämpfen protzen können. Deshalb will der spanische König hier in Córdoba das perfekte Pferd züchten. Der Neubau neben dem königlichen Alcázar beherbergt riesige Stallungen. Herzlichen Glückwunsch übrigens zu dem Angebot«, schloss der Gelehrte.

»Ich weiß nicht.« Hernando verzog das Gesicht. »Mir geht es doch gut. Ich kann machen, was ich will, und ich kann mich frei in der ganzen Stadt bewegen. Nur der Lohn …« Don Diegos Lakaien hatten ihm zwanzig Reales im Monat und eine Unterkunft angeboten! »Wenn ich das Angebot annehme, kann ich mich nicht mehr um unsere Glaubensbrüder kümmern.«

»Tu es, mein Sohn«, sagte Hamid ruhig. »Es ist für uns sehr wichtig, dass wir gut bezahlte Arbeit bekommen, die mit Verantwortung verbunden ist. Jemand anderer wird deine bisherigen Aufgaben übernehmen. Und glaub bloß nicht, du könntest nichts mehr für uns tun! Je mehr unserer Brüder als Handwerker oder Händler arbeiten und nicht mehr als Handlanger auf dem Feld, desto mehr Geld können sie für unsere Sache verdienen. Jeder von uns ist so viel wertvoller als einer von diesen christlichen Ausbeutern. Lass diese Gelegenheit nicht verstreichen. Arbeite hart! Und führe das fort, was wir in den Alpujarras gemeinsam begonnen haben. Du musst wieder mehr lesen und schreiben – und mehr lernen! In ganz Spanien gibt es Männer, die sich darauf vorbereiten, dass wir … wir Alten eines Tages nicht mehr da sein werden. Aber jemand muss dann unsere Aufgabe übernehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Glaube in Vergessenheit gerät!« Hamid legte Hernando mitten auf der menschenleeren Calle del Potro die Hände auf die Schultern. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns noch einmal besiegen und dass unsere Kinder die Religion ihrer Vorfahren nicht mehr kennen!« Hamid sprach mit belegter Stimme. Hernando sah ihm tief in die Augen, die sich nun mit Tränen füllten. »Es gibt keinen Gott, außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes. Er weiß, dass jeder Mensch wissen muss, dass es keinen Gott außer Gott gibt«, begann Hamid feierlich, als wäre ihr Glaubensbekenntnis ein Siegeslied.

Eine Träne rann über die Wange des alten Gelehrten.

»Er weiß«, setzte Hernando ein, »dass jeder Mensch wissen muss, dass es keinen Gott außer Gott gibt. Er schuf alle Dinge, die es auf der Welt gibt, das Große und das Kleine, den Thron und den Schemel, den Himmel und die Erde …«

Als Hernando endete, umarmten sich die beiden Männer.

»Mein Sohn«, flüsterte Hamid, dessen Gesicht nun an Hernandos Schulter ruhte.

»Aber es gibt noch ein Problem«, wandte Hernando nach einiger Zeit ein. »Man hat mir eine Unterkunft angeboten. Fatima … Für die Christen ist sie meine Ehefrau, deshalb muss sie mit mir zusammenleben. Aber das ist unmöglich.«

»Nicht unbedingt.« Hamid löste sich aus der Umarmung. »Fatima hat vor ein paar Tagen die Scheidung von Ibrahim verlangt.«

»Davon hat sie mir nichts erzählt!«

»Wir haben im Ältestenrat darüber gesprochen, und wir haben sie darum gebeten, so lange nichts zu sagen, bis wir alles in die Wege geleitet haben – damit Ibrahim nichts davon erfährt.«

»Kann sie sich denn scheiden lassen?«, fragte Hernando erstaunt.

»Wenn das, was sie behauptet, wahr ist, kann sie es. Heute, als ganz Córdoba beim Stierkampf war, haben wir beschlossen, alles vorzubereiten. Wenn das Urteil zu Fatimas Gunsten ausfällt und Ibrahim nicht innerhalb von zwei Monaten genügend Geld auftreibt, um sie angemessen zu versorgen, ist sie frei.«

Fatima hatte von Jalil erfahren, dass der Ältestenrat am Sonntag des großen Stierkampfes zusammentreten würde, um über ihre Scheidung zu befinden. Hamid hatte Hernando gebeten, sich an diesem Abend nicht in der Wohnung der Familie aufzuhalten und die Nacht woanders zu verbringen.

Als Ibrahim am Nachmittag mit den Nachbarn aus dem Haus ging, um dem Spektakel beizuwohnen, blieben Fatima und Aischa mit dem Säugling zu Hause.

Der Junge hieß Gaspar, nach einem der beiden Altchristen, die der Pfarrer von San Nicolás vorschriftsgemäß als Taufpaten ausgewählt hatte. Weder Aischa noch Ibrahim hatten sich Gedanken über einen christlichen Vornamen gemacht und stimmten dem Vorschlag des Pfarrers zu. Sie hatten längst entschieden, ihren Sohn Shamir zu nennen.

Die Taufe kostete drei Maravedíes für den Pfarrer, einen Kuchen für den Sakristan und einige Eier als Geschenk für die beiden Paten, zudem das weiße Taufgewand aus Leinen, das in den Besitz der Kirche überging. Ibrahim hatte sich für diese Ausgaben Geld leihen müssen. Bevor die Taufzeremonie begann, vergewisserte sich der Pfarrer, dass Shamir nicht beschnitten war, und nach der Taufe säuberte Aischa dem Kleinen zu Hause den Kopf gründlich mit warmem Wasser, um ihn von der Salbung der Taufe zu reinigen.

Einige Nächte vor der christlichen Taufe hatte bereits eine andere Zeremonie stattgefunden: Sie hatten den Jungen gewaschen, in frische Kleider gehüllt und ihm Gebete ins Ohr geflüstert. Anschließend hatten sie ihn in Richtung der Qibla gehalten.

An diesem Sonntagnachmittag im März saßen die beiden Frauen im Patio zusammen. Fatima wiegte Shamir seit geraumer Zeit sanft hin und her. Sie sang ihm vor, lächelte ihn an und streichelte ihn. Aischa ließ sie gewähren.

»Was ist los mit dir?«, fragte Aischa schließlich, um das Schweigen zu brechen.

Fatima gab keine Antwort. Sie presste die Lippen zusammen, aber Aischa entging ihr plötzlich einsetzendes Zittern nicht.

»Mir kannst du es sagen, Fatima«, versuchte sie es noch einmal.

»Ich will mich von Ibrahim scheiden lassen«, gestand sie endlich.

Aischa atmete tief durch.

Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Plötzlich begann Aischa hemmungslos zu weinen, und auch Fatima wurde von ihren Gefühlen überwältigt.

»Endlich …« Aischa versuchte gegen die Tränen anzukämpfen. »Endlich werdet ihr flüchten. Ihr hättet das schon längst tun sollen, damals als Ibn Umayya starb.«

»Aber was geschieht jetzt?«

»Du wirst endlich glücklich sein!«

»Ich will damit sagen …«

»Ich weiß, was du sagen willst, meine Liebe. Mach dir um mich keine Sorgen.«

»Aber …«

Aischa streckte die Hand aus und legte ihre Finger sanft an die Lippen der jungen Frau.

»Fatima, ich freue mich für euch. Gott hat mich auf die Probe gestellt, und nach all dem Unglück hat er mich jetzt mit Shamir belohnt. Auch du hast genug gelitten und hast es verdient, wieder glücklich zu sein. Wir dürfen Gottes Willen nicht infrage stellen. Also genieße das, was Allah dir zugestanden hat.«

Aber was wird Ibrahim sagen? Fatima dachte mit Schrecken an den jähzornigen Maultiertreiber.

Am Sonntagabend besuchten die drei alten Männer Ibrahim in der Calle de Mucho Trigo.

Ibrahim stieß tausend Flüche aus, als ihm der Ältestenrat die Scheidungsabsichten seiner zweiten Frau mitteilte. Aischa und Fatima waren in eine Ecke des Zimmers geflüchtet.

»Was gibt euch das Recht, über meine Frau zu entscheiden?«

»Wir drei leiten diese Gemeinde«, erwiderte Jalil ruhig.

»Wer sagt das?«

»Im Moment diese drei hier«, stellte Karim – Mateo für die Christen – fest, und er zeigte zur Tür hinter sich.

Wie verabredet kamen auf einmal drei kräftige junge Morisken ins Zimmer und stellten sich hinter die alten Männer.

»Ibrahim, so weit muss es nicht kommen«, gab sich Hamid versöhnlich. »Du weißt genau, dass wir drei derzeit die Gemeinde leiten. Niemand hat uns gewählt, aber du sollst die Weisen ehren und die Alten achten. Das sind unsere Gesetze.«

»Was habt ihr vor?«

»Deine zweite Frau«, begann Jalil, »hat sich bei uns darüber beschwert, dass du sie nicht angemessen versorgst …«

»Wer kann das in dieser Stadt schon?«, schrie Ibrahim dazwischen. »Wenn ich noch meine Maultiere hätte … Die Christen beuten uns aus! Sie zahlen Hungerlöhne …«

»Ibrahim«, sprach Hamid ihn ruhig an, »sag nichts, solange du nicht weißt, wozu deine Aussagen führen können. Nach Fatimas Gesuch müssen wir ein Verfahren einleiten, und das haben wir getan. Wir sind hier, damit du Gelegenheit hast, deine Gründe vorzubringen, und damit wir die Zeugen anhören, die du benennst. Erst dann werden wir ein Urteil fällen.«

»Ha! Ich weiß genau, wie das aussehen wird. Du hast schon einmal ein Urteil gefällt! Erinnerst du dich? Damals in der Kirche von Juviles! Du wirst immer auf der Seite des Nazareners stehen!«

»Ich werde nicht selbst urteilen. Kein Richter kann ein Urteil fällen, wenn er um Dinge weiß, die sich vor dem Verfahren ereignet haben. Sei unbesorgt.«

»Ibrahim aus Juviles«, vermittelte Jalil, »deine zweite Frau Fatima hat sich darüber beklagt, dass du sie nicht richtig versorgst. Was kannst du mir dazu sagen?«

»Was ich dir dazu sagen kann? Dir?«, polterte Ibrahim los. »Einem Feigling aus dem Albaicín? Ihr habt eure Glaubensbrüder in den Alpujarras damals im Stich gelassen und verraten …«

»Ich habe dich nach deiner Frau gefragt«, entgegnete Jalil ruhig.

»Sag mal, hast du eine Frau? Kannst du sie ausreichend versorgen? Kann irgendjemand in dieser Stadt seine Frau angemessen über die Runden bringen?«

»Willst du damit sagen, dass du dazu nicht in der Lage bist?«, fragte Karim.

»Ich will damit sagen«, begann Ibrahim und suchte nach den geeigneten Worten, »dass niemand in Córdoba dazu fähig ist. Niemand!«

»Ist das alles, was du vorzubringen hast?«, fragte Jalil.

»Ja, ihr alle kennt unsere Lage. Was soll dieses Theater?«

Jalil und Karim berieten sich in Ruhe in einer Zimmerecke. Aischa suchte Fatimas Hand.

»Ibrahim aus Juviles«, begann Jalil schließlich die Urteilsverkündung, »wir alle kennen das Elend, das unser Volk leidet. Wir leiden darunter genauso wie du, und wir wissen, dass es allen schwerfällt, nicht nur für ihre Frauen zu sorgen, sondern noch dazu die Kinder zu kleiden und zu ernähren. Es stimmt, auch ich kann meiner Frau nicht den gleichen Wohlstand bieten wie in Granada. Dennoch gibt es in ganz Córdoba keinen einzigen Glaubensbruder, der wie du zwei Frauen hat. Du sagst selbst, dass niemand in dieser Stadt für seine Ehefrau sorgen kann. Aber wie soll sich jemand dann gleich um zwei Frauen kümmern können? Wir geben dir eine Frist von zwei Monaten, um dem Ältestenrat zu beweisen, dass du deine beiden Frauen ausreichend versorgen kannst. Wenn dir das nach Ablauf der Frist nicht gelingt und Fatima darauf besteht, wird sie von dir geschieden.«

Ibrahim erstarrte, als er das Urteil vernahm: Nur seine zusammengekniffenen Augen verrieten etwas von dem gewaltigen Zorn, der ihn innerlich zerriss. Da Hamid wusste, dass Ibrahim imstande war, Fatima eher umzubringen, als sie zurückzugeben, hatte er die beiden alten Männer vorab darum gebeten, ihr Urteil um einen Zusatz zu erweitern.

»In Anbetracht der besonderen Umstände – die Geburt deines Sohnes und dein geringer Lohn – erwarten wir nicht, dass du während der Wartezeit deine zweite Frau weiterhin versorgst. Davon sprechen wir dich frei. Fatima wird bis zum Ablauf der Frist in unserer Obhut leben.«

»Verdammter Hund!«, zischte Ibrahim in Richtung des Alfaquí.

»Fatima, komm mit uns«, forderte Jalil die junge Frau auf.

In dem Moment löste Aischa ihre Finger aus Fatimas nervöser Umklammerung. Die Handflächen der beiden Frauen waren kalt und verschwitzt. Fatima strich Aischa zum Abschied zärtlich über die Wange, als suche sie ein letztes Mal die Berührung ihrer Gefährtin, dann ging sie zu den alten Männern.

Die Pfeiler des Glaubens
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