VIERUNDVIERZIG
Das zweite Mal wurde ich auf einem Zementboden wach. Meine Hände und Füße waren mit Handschellen an einen Eisenring an der Wand gefesselt worden. Ich befand mich in einem schmalen, trübe erleuchteten Raum. An der Wand gegenüber war unter der Decke ein langes rechteckiges Fenster eingelassen. Dahinter war es dunkel, ich hörte Wind und Wellenrauschen. Und noch einen Laut. Er kam aus der Nähe. Ein Röcheln, das in flaches Atmen überging.
»Jake?«
»Anwesend.«
Er musste in einer der dunklen Ecken liegen.
»Ich kann dich nicht sehen«, sagte ich.
»Da entgeht dir nicht viel.« Er versuchte zu lachen. Es klang zittrig. Gleich darauf fiel mir eine dunkle Lache auf, die sich in Fäden zu einem tiefer liegenden Ausguss inmitten des Raumes zog. Blut. Jakes Blut.
»Haben sie auf dich geschossen?«
»Muss wohl so sein. Als Coursey dich mit der Knarre niedergeschlagen hat, bin ich auf ihn zugestürzt. Die alte Hexe hatte eine Waffe.«
»Das war Z.«
»Was?«
»Z hatte den Hut und die Sonnenbrille auf. Ich habe sie noch erkannt, ehe ich das Bewusstsein verloren habe. Wie schlimm ist es?«
»Sie hat mich unten am Rücken erwischt. Ich blute, und mir ist ein bisschen schwindlig. Die Alte war Z?«
»Sie ist der Kopf der Organisation. Sie hat uns hierhergeschickt. Es war eine Falle.«
»Aber warum?«
»Weil sie einfach nicht verstanden haben, wann es gut sein muss.« Z trat ins Licht. Sie trug einen schwarzen Regenmantel und grüne Stiefel. Die Schminke, die sie in eine alte Frau verwandelt hatte, musste sie von ihrem Gesicht geschrubbt haben, denn es war gerötet und glänzte wie Gummi. Das Haar hatte sie straff im Nacken zusammengebunden. Als der Regenmantel aufklaffte, sah ich an ihrem Gürtel ein Messer aufblitzen.
»Hat es ihn schlimm erwischt?« Sie zeigte in Jakes Richtung. Hinter ihr tauchte Coursey auf und ging zu Jake.
»Verliert ziemlich viel Blut.«
Z betrachtete die Lache auf dem Boden. »Leg ihm einen Verband an. Und wisch das Blut auf, ehe es in den Ausguss läuft.«
»Machen Sie sich Sorgen?«, fragte ich.
»Sie hätten sich heraushalten sollen«, antwortete sie. »Das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt.« Sie kam zu mir und überprüfte meine Handschellen. Coursey bückte sich und zog Jake aus der Ecke hervor. Jake stöhnte.
»Ich will nicht, dass er hier krepiert«, sagte Z. Coursey nickte und zog Jake noch weiter vor.
»Wann haben Sie die Leitung der Show übernommen?«, fragte ich.
»Sie meinen, wann ich beschlossen habe, dass ich kein Opfer mehr sein will? Nachdem man mich zehn Jahre lang erpresst hatte? Aber sei’s drum, ich habe die Zeit genutzt und so viele Informationen wie möglich über die Operation gesammelt. Und mich langsam hochgearbeitet. So was braucht seine Zeit, wie in jedem guten Unternehmen. Jetzt sitze ich an den Schalthebeln. Die einen bezahlen uns dafür, dass wir Dreck aufwirbeln. Dann kommen die anderen und bezahlen uns dafür, dass wir den Dreck wieder unter den Teppich kehren. Es ist ein Geschäft mit permanenter Hochkonjunktur.«
»Wir haben alles gesehen«, sagte ich. »Auch das schwarze Notizbuch.«
»In einer Stunde liegen Sie auf dem Grund des Sees. Ich denke, da ist ihr Wissen gut aufgehoben.«
»Warum haben Sie gewartet, bis wir hier draußen waren?«
Z legte den Kopf zur Seite. »Ich finde, Sie sollten ein bisschen mehr Angst haben.«
»Falls es Sie beruhigt, ich bin panisch.«
»Freut mich. Natürlich hätte ich Sie schon in meinem Haus erledigen können. Hätte Ihnen etwas in die Limonade kippen können. Dummerweise wussten wir nicht, wo Rodriguez war. Deshalb habe ich Sie hierhergeschickt und überall herumschnüffeln lassen, bis wir sicher waren, dass Ihnen niemand gefolgt ist. Dann haben wir zugeschlagen. Ich verdanke Ihnen zwar einiges an Kopfschmerzen, aber letzten Endes wird es ganz einfach sein. Ein tragisches Bootsunglück. Ihre Freunde werden vermutlich Stunk machen, aber was soll’s, beweisen können sie nichts.«
Z zog eine Spritze aus der Manteltasche und schälte die Hülle ab. Wie gelähmt starrte ich auf die Nadel.
»Haben Sie vor, Mätzchen zu machen?«, fragte sie.
Am liebsten hätte ich geheult, gebettelt und gefleht, aber es würde mir ja doch nichts nützen. Ich wusste Bescheid. Aber vielleicht wusste ich auch nur, dass ich gar nichts wusste.
»Was sollte der Besuch auf dem Friedhof?«, fragte ich. »Warum die schwarze Kleidung?«
»Ich habe um Rosina Rolland getrauert. Das tue ich noch. Bei Ihnen wird es mir genauso ergehen. Ändert trotzdem nichts.«
»Verfickte Schlampe.«
»Wie reizend.« Sie rammte die Spritze in meinen Arm und beobachtete meine Augen.
»Wo ist die alte Dame?«, fragte ich.
»Finn?« Z lachte. Wieder klang es wie ein Wiehern und schrillte in meinen Ohren. Auf der anderen Seite des Raumes hatte Coursey Jake bandagiert und mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt. Jakes Gesicht sah aus wie Wachs. Vielleicht hatten die beiden ihn auch unter Drogen gesetzt.
»Warum interessieren Sie sich für Finn?«, sagte Z.
Ich wusste selbst nicht, warum. Aber nach ihr zu fragen, war besser als einzuschlafen.
»Sie ist oben im Haus«, fuhr Z fort. »Vollkommen senil und ans Bett gefesselt. Sonst noch Fragen?«
Meine Augen wurden schwer und schwerer. Ich versuchte, einen Gedanken zu fassen, aber er entglitt mir. Dann tauchte ein anderer aus dem Nebel auf. Diesen fing ich ein und formte ihn zu Wörtern.
»Warum haben Sie Rodriguez geholfen, als ich in der Zelle saß? Warum haben Sie ihm von dem Mädchen erzählt?«
»Vertrauensbildung.« Z drehte meine Hand um und tastete nach dem Puls. Ich sah sie an, hatte aber Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. »Wenn man einem Typ wie Rodriguez so einen Knochen hinwirft, wird sein Vertrauen grenzenlos. Und schon hat man ihn in der Hand. Wir nennen es den Unschuldigen mimen. Was glauben Sie, weshalb ich dieses Seminar gebe? Die Medill ist mein Alibi.« Sie ließ meine Hand fallen. »Zeit zum Schlafen. Wenn Sie aufwachen, liegen Sie tief unten im Lake Michigan.«