NEUNZEHN

Sarah wartete vor Fisk Hall. Sie umarmte jeden von uns, aber mir schien, dass sie mich fester als Havens drückte und mir zuzwinkerte. Ich war ziemlich gut darin, meine Gefühle zu verbergen, und Sarah Gold würde kein Problem für mich werden. Sagte ich mir jedenfalls.

»Stehst du schon lange hier?«, fragte Havens.

»Seit fünf Minuten.« Sarah hatte einen Pappbecher Kaffee dabei und nahm einen Schluck. »Wisst ihr, was Z von uns will?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Könnte was mit dem Wald zu tun haben.«

»Scheiße.«

»Keine Panik«, sagte Havens. »Ich habe einen Plan.«

Wir besprachen uns. Zehn Minuten später gingen wir rüber zum Seminarraum und betraten ihn einer nach dem anderen. Z hob den Kopf.

»Schließen Sie die Tür, Mr Joyce.«

Ich gehorchte. Z nahm ihre Brille ab und fixierte mich. Ich suchte mir einen Platz.

»Ich habe Sie hergebeten, weil es etwas Wichtiges zu besprechen gibt.« Z ließ mich nicht aus dem Visier.

Havens räusperte sich. »Um was geht’s denn?«

Z holte einen Klarsichtbeutel hervor und hielt ihn hoch. Innen befand sich eine Visitenkarte mit Knickfalten. »Sagt Ihnen diese Karte etwas?«

»Wir können sie nicht richtig sehen«, entgegnete Havens.

Z legte den Beutel flach auf den Tisch. Wir standen auf und gingen nach vorn, Sarah und Havens dicht an meinen Seiten. Die Karte hatte Eselsohren und Dreckflecken, aber ich konnte alles einwandfrei erkennen. Das Wappen der Medill. Meinen Namen. Meine Handy-Nummer.

»Na, Mr Joyce?« Z strich über die Verschluss-Naht des Beutels. An dem Beutel selbst haftete ein orangefarbener Aufkleber. Z bedeckte ihn mit der Hand.

»Das ist meine Karte«, sagte ich.

»Können Sie sich vorstellen, wo man sie gefunden hat?«

»Könnte mir überall aus der Tasche gefallen sein.«

»Setzen Sie sich. Alle drei.«

Sie wartete, bis wir saßen. Dann marschierte sie zur Tür hinten und öffnete sie. Ein Cop kam herein. Er stellte sich nicht als Cop vor. Musste er auch nicht, man sah es ihm an. Hochgewachsen und schlank. Dunkelhaarig. Ungezwungen cool. So versuchten Schauspieler in Polizeifilmen auszusehen, ohne es jemals richtig hinzukriegen. Mit Ausnahme von DeNiro natürlich.

Er wählte sich seinen Platz so, dass er uns alle im Auge behalten konnte. Z trat hinter ihren Tisch und blieb dort stehen.

»Das ist Detective Vince Rodriguez. Er arbeitet in der Mordkommission.« Sie wartete, bis das letzte Wort durch den Raum geflattert war. »Er hat mir die Visitenkarte von Mr Joyce zukommen lassen. Ian und ich werden uns darüber unterhalten müssen. Die anderen – Sarah und Jake – habe ich eingeladen, weil ich fand, sie sollten dabei sein. Aber wenn Sie möchten, können Sie auch wieder gehen. Es bleibt Ihnen überlassen.«

Sarah rutschte auf ihrem Stuhl herum. Havens verschränkte die Hände im Nacken und durchbohrte Z mit dem Blick. Rodriguez verfolgte das Ganze, ohne die Augen zu bewegen.

»Ich denke mal, wir bleiben«, antwortete Havens schließlich. »Wenn Ian damit einverstanden ist. Und der Herr Detective.«

Rodriguez erhob sich geschmeidig. Ich erkannte die Waffe an seiner Hüfte, daneben an einem Clip seine Dienstmarke mit dem Stern des Detective.

»Ms Zombrowski hat Sie hergebeten, weil sie glaubt, dass Sie als Gruppe involviert sind, und wir auf die Weise Zeit sparen können, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Aber das werden wir ja noch sehen. Ian.« Rodriguez wandte sich an mich. Seine Miene war reglos, nur in seinen dunklen Augen glomm ein Funke, der von gnadenloser Geduld sprach. So ein Gesicht anzureden, würde nicht einfach sein, erst recht nicht, wenn man vorhatte zu lügen.

»Ja, Sir?«

»Haben Sie gewusst, dass Sie diese Karte verloren haben?«

»Nein, Sir. Ich habe einen ganzen Stapel von ihnen, den man uns zu Beginn des Trimesters gegeben hat. Eine mehr oder weniger fällt da nicht auf.«

Diesen Weisheitsbrocken musste Rodriguez natürlich erst einmal verdauen. »Und Sie haben auch keine Ahnung, wo man sie gefunden haben könnte?«

Ich zuckte die Achseln und hob meine Hände. Rodriguez schaute Sarah und Havens an. Sie hatten ihm auch nichts zu bieten. Er seufzte.

»Ihre Karte wurde im Wald entdeckt. Caldwell-Woods, genau genommen.« Als er Caldwell-Woods erwähnte, war sein Blick wieder bei mir. »Wissen Sie, wo der ist?«

Havens räusperte sich erneut. »Ja, wir wissen, wo Caldwell-Woods ist.«

»Und Sie sind?«

»Havens. Jake Havens.«

»Sie kennen diesen Wald also.«

»Wir drei waren dort. Vor ein paar Tagen.«

Z hüstelte und setzte sich. Rodriguez schaute uns fragend an. Havens sprach weiter.

»Vor Jahren wurde dort ein Junge namens Skylar Wingate ermordet. Ich weiß nicht, ob Z – also Ms Zombrowski – Ihnen das berichtet hat.« Havens machte eine Pause, vermutlich, um Zs Verrat an uns den gebührenden Platz einzuräumen. »Aber wir bearbeiten den Fall in ihrem Seminar. Deshalb waren wir drei in dem Naturschutzgebiet. Genau genommen vor zwei Tagen, gegen Abend. Wir haben etwas gefunden, das wir für das Grab des Jungen hielten. Dann haben wir uns noch ein bisschen umgeschaut und sind wieder gegangen. Ich denke, wir waren um kurz vor sieben da und sind ungefähr anderthalb Stunden lang geblieben.«

Rodriguez hatte sich wieder gesetzt und ein Notizbuch hervorgeholt. Er notierte etwas. Plötzlich fiel mir auch das kleine Aufnahmegerät mit dem roten Lämpchen auf, das er auf den Tisch an seiner Seite gestellt hatte. Wir warteten, bis er fertig war. Dann sah er Havens an.

»Ist das alles?«

»Irgendwann haben wir den Schein von Taschenlampen gesehen. Das dürfte so gegen acht gewesen sein, vielleicht auch später. Da haben wir uns verzogen, wir wussten ja nicht, wer das war.«

Rodriguez schaute von mir zu Sarah. »Was ist mit Ihnen beiden? Fällt Ihnen noch etwas ein?«

»Machen Sie den Fall Wingate wieder auf?«, fragte ich.

»Sie stellen hier nicht die Fragen, Mr Joyce. Wo waren Sie, als Sie die Karte fallen gelassen haben?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was vermuten Sie denn?«

»Im Waldboden haben wir eine leichte Senke entdeckt. Nicht weit vom Fluss entfernt. Wir dachten, dass Skylar dort vielleicht vergraben wurde. Ich erinnere mich noch, dass ich mich hingekniet und den Boden abgesucht habe.« Verwundert schüttelte ich den Kopf. »Weiß der Henker, nach was ich gesucht habe, aber dabei könnte mir die Karte herausgefallen sein.«

»Um dahin zu gelangen, mussten wir uns durchs Dickicht schlagen«, meinte Sarah. »Er könnte sie überall verloren haben.«

»Vielleicht auch bei einer Höhle?«, schlug Rodriguez vor.

Havens warf mir einen Blick zu, den er sich besser gespart hätte. Der Detective bekam ihn auch mit.

»Bei einer Höhle waren wir nicht«, erklärte ich.

»Sind Sie sicher?«

»Ja, Sir.«

Rodriguez trug die Lüge in sein Notizbuch ein und klappte es zu. »Okay, ich denke, das war’s für heute.«

»Für heute?«, fragte ich.

Rodriguez stand auf. Z ebenfalls.

»Wir haben einen anonymen Hinweis erhalten«, sagte Rodriguez. »Über eine Leiche. In einer Höhle, nicht weit von der Stelle entfernt, wo Ihre Karte gefunden wurde, Mr Joyce. Sie können von Glück sagen, dass die Karte nicht in der Höhle lag, denn sonst würde ich Sie jetzt mit aufs Revier nehmen. Sollte ich jedoch herausfinden, dass einer von Ihnen in dieser Höhle war, komme ich mit Handschellen wieder. Und dann ist der Spaß vorbei. Haben wir uns verstanden?«

Er musterte uns der Reihe nach. Wir schwiegen.

»Na schön.« Rodriguez’ Blick zuckte zu Z hinüber. Die beiden steuerten den Ausgang an.

»Detective.«

Rodriguez drehte sich um. »Mr Havens?«

»Die Leiche, die man in der Höhle gefunden hat – war es die eines Kindes?«

»Warum fragen Sie danach?«

»Ich dachte, es könnte vielleicht eine Verbindung zu dem Fall Wingate geben.«

Rodriguez presste die Lippen zusammen und sah Z an.

»Na, kommen Sie«, sagte sie. »Die drei brauchen die Information.«

Der Detective kehrte noch einmal zurück und hockte sich mit einer Gesäßhälfte auf die Kante von Zs Tisch. Ein Fuß blieb fest auf dem Boden, der andere baumelte in der Luft. Die Hände verschränkte er elegant vor seinem Schritt.

»Ich kenne den Fall Skylar Wingate«, begann er. »Der Junge wurde vor knapp fünfzehn Jahren entführt. Bei einer Mordermittlung ist dieser Zeitraum so etwas wie ein ganzes Leben. Ich nehme an, Sie wissen, was ich damit sagen will.« Eine Antwort schien er nicht zu erwarten, oder sie interessierte ihn nicht. »Unsere Arbeit lebt von Beweisen. Wenn Sie möchten, dass ich – oder sonst jemand – Sie ernst nimmt, müssen Sie mit Fakten kommen. Nicht mit einer Theorie. Oder einem Gefühl. Oder einem Zufallstreffer. Wir brauchen harte, prüfbare Fakten. Im Idealfall sollten sie irgendwohin führen. Ist das so weit klar?«

Wir nickten. Rodriguez wirkte nicht sehr überzeugt. Mit einem unwilligen Laut ließ er sich vom Tisch gleiten und durchquerte den Seminarraum zur Tür. Z begleitete ihn hinaus und ließ die Tür mit einem Knall hinter ihnen zufallen. Kurz darauf war sie wieder da und setzte sich an ihren Tisch.

»Tut mir leid, dass es dazu gekommen ist«, sagte sie.

»In den Wald zu gehen ist ja wohl kein Verbrechen«, sagte Havens.

»Und woher hätten wir überhaupt wissen sollen, dass da eine Leiche liegt?«, fragte Sarah.

Ich war mir nicht sicher, ob die beiden wirklich sauer waren oder sich nur abreagierten. Z schien weder das eine noch das andere zu kümmern.

»Warum sind Sie abgehauen, als die Polizei auftauchte?«, fragte sie.

Wie ein Mann zuckten wir mit den Schultern.

»Warum sind Sie überhaupt dorthin gefahren?«

»Sagen Sie bloß, Sie hätten noch nie so was gemacht«, sagte Havens.

»Zumindest bin ich noch nie vor Polizisten geflüchtet«, entgegnete Z. »Jedenfalls nicht, wenn das Recht auf meiner Seite war.« Sie senkte die Stimme. »Noch eins. Diese Höhle haben Sie nie betreten, oder?«

»Von der haben wir gerade zum ersten Mal gehört«, antwortete ich.

Z studierte unsere Mienen der Reihe nach, schien aber in keiner etwas zu erkennen.

»Wer ist er?«, fragte Sarah. Z wusste sofort, wen sie meinte. Rodriguez schien einen gewissen Eindruck auf Frauen zu machen. Ganz gleich, unter welchen Umständen.

»Rodriguez? Er ist in Ordnung. Ein guter Polizist. Ehrlicher Mann.«

»Sind andere etwa nicht ehrlich?«, fragte ich.

»Das ist nicht witzig«, erwiderte Z. »Vielleicht hätte ich Sie gleich zu Anfang darauf hinweisen sollen. Tut mir leid, dass ich es versäumt habe. Aber ich rate Ihnen Folgendes: Wenn Sie an einen Cop aus Chicago geraten, machen Sie keine Faxen. Diese Leute sind hartgesotten, mitunter äußerst gewalttätig und mehr oder weniger skrupellos. Wenn sie sich von Ihnen bedroht fühlen, werden sie Wege finden, sich zu schützen. Sie tragen eine Dienstmarke. Und eine Waffe. Und etliche unter ihnen bedienen sich ihrer, ohne mit der Wimper zu zucken.«

»Ich glaube, einen kleinen Vorgeschmack davon haben wir schon bekommen«, sagte Havens. Dann berichtete er Z von unserem Besuch im Asservatenlager, und dass ich anschließend von zwei Detectives angehalten worden war.

»Und Sie fanden es nicht angebracht, damit in Rodriguez’ Beisein rauszurücken?«, fragte Z.

»Soweit ich mich erinnere, hat er nicht danach gefragt.« Havens grinste. Genau genommen grinsten alle, bis auf Z.

»Was haben die beiden aus Ihrem Wagen mitgenommen, Ian?«, fragte sie.

»Unterlagen aus der Akte Wingate. Polizeiberichte, Fallnotizen und so weiter.«

»Hatten Sie keine Kopien gemacht?«

»Das waren die Kopien«, kam Havens mir zuvor. Anscheinend wollte er nicht, dass ich Z von dem Teil erzählte, den ich aus dem Gedächtnis rekonstruiert hatte. Auch gut.

»Also haben Sie nichts mehr in der Hand«, sagte Z.

»Doch.« Das kam von Sarah. Es war kaum zu glauben, aber die vergangene Nacht hatte ich in den letzten Stunden fast vergessen. Den Wodka, den Strand, dass wir zusammen im See geschwommen waren.

»Was denn jetzt? Sie sind dran, Miss Gold.«

»Ich denke an das Gesamtbild. Jake kriegt einen Brief, in dem es um Wingate geht. Wir besuchen den Tatort, und dann kommt die Polizei und findet nicht weit davon entfernt die nächste Leiche.«

»Sie haben gehört, was der Detective gesagt hat. Er sieht keinen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen.«

»Trotzdem war es so«, beharrte Sarah. »Sind das keine Fakten? Und als Jake und Ian im Asservatenlager waren, hat der größte Teil des Beweismaterials gefehlt. Sicher, ein paar Unterlagen waren noch da, aber alles andere war weg.«

»Beweismaterial kann schon mal abhanden kommen«, entgegnete Z. »Erst recht, wenn es sich um ältere Fälle handelt.«

»Klar«, sagte Sarah. »Aber wir glauben, dass da irgendetwas faul ist.« Sie hielt inne. Havens und ich nickten zustimmend. »Irgendjemand will nicht, dass wir uns mit dem Fall Wingate beschäftigen. Und wir wüssten gern, warum.«

Z runzelte die Stirn und versank in ihren Gedanken. Gerade als ich dachte, sie hätte unsere Anwesenheit vergessen, fragte sie plötzlich: »Was haben Sie empfunden, als klar wurde, dass ich Rodriguez eingeschaltet habe?«

»Ich fand es beschissen.«

»Sehr nett, Mr Havens. Nehmen Sie bloß kein Blatt vor den Mund.«

»Wie hätten Sie sich denn an unserer Stelle gefühlt?«

»Wahrscheinlich wäre es mir wie ein Schlag ins Gesicht vorgekommen.«

»Na also.«

Z wandte sich an mich. »Wie war’s bei Ihnen, Ian?«

»Ich denke mal, die Entscheidung ist Ihnen nicht leichtgefallen, aber dann haben Sie sich gesagt, dass er von der Mordkommission ist und wir besser hier als auf dem Revier mit ihm reden.« Ich machte eine Pause. »Trotzdem bin ich mit Jake einer Meinung. Für uns war’s beschissen.«

»Akzeptiert. Nächste Frage. Vertrauen Sie mir?«

»Vertrauen Sie uns?«, wollte Sarah wissen.

Z legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. »Sie hatten ein paar Schnapsideen. Trotzdem, ich bin beeindruckt. Die Sache ist nicht ohne Reiz.«

»Das ist keine Antwort«, sagte Sarah.

»Nein, aber über Ihre Frage muss ich noch nachdenken.«

»So geht’s uns mit Ihrer Frage auch«, erwiderte Sarah.

Z ruckte vor. Ich dachte, vielleicht steht sie jetzt auf und geht. Löst das Seminar auf. Nimmt die drei nächsten Studenten von der Warteliste und fängt noch mal von vorn an. Ich hätte es ihr nicht mal verdenken können.

»Jetzt mal ehrlich«, sagte Havens. »Glauben Sie nicht, dass da was faul ist?«

»Die Fälle, bei denen ich gewusst habe, dass da was faul ist, kann ich gar nicht mehr zählen, Mr Havens. Ich wusste es, konnte es aber nicht beweisen. Weil mir die Fakten fehlten. Oder weil sie in eine andere Richtung gedeutet haben. Also habe ich den Mund gehalten und mitansehen müssen, wie die Täter davonkamen. Das ist der schwierigste Teil unserer Aufgabe und die Lektion, die Sie alle lernen müssen. Sie haben Rodriguez gehört. Es geht nicht um das, was jemand getan hat, sondern darum, dass Sie es beweisen können.«

»Wir brauchen noch mehr Zeit für Wingate«, sagte ich.

»Sie hatten drei Tage und wären zwei Mal beinah festgenommen worden.«

»Spielt keine Rolle«, sagte ich.

»Für Sie vielleicht nicht. Aber für die Universität spielt es eine große Rolle.«

»Sie haben uns immer noch nicht gesagt, was Sie von dem Fall halten«, bemerkte Havens.

»Ich habe gesagt, dass ich einen gewissen Reiz darin erkenne. Was nichts heißt. Mit Blick auf das, was Sie vorzuweisen haben, würde ich sagen, Sie sind in eine Sackgasse geraten.«

»Wir haben noch ein, zwei Hinweise, die wir verfolgen möchten«, sagte ich.

»Aber Sie möchten mir nicht sagen, welche.«

»Wir möchten, dass Sie uns vertrauen«, sagte Sarah.

Z trommelte auf ihren Schreibtisch. Es klang, als wären ihre Finger Hämmer. »Na schön. Aber Vertrauen ist keine Einbahnstraße.«

»Verstanden«, sagte Sarah.

»Sehe ich auch so«, kam es von Havens.

Ich nickte nur.

»Also meinetwegen. Ich gebe Ihnen noch eine Woche.« Z setzte ihre Brille auf und schaute in die Unterlagen auf ihrem Tisch. »Aber zuerst schreibt jeder von Ihnen einen Bericht über den Ausflug ins Naturschutzgebiet. Und Mr Joyce und Mr Havens listen alles aus dem Asservatenlager auf, an das sie sich erinnern. Außerdem brauche ich eine Zusammenfassung über den Stand Ihrer Nachforschungen und ein Konzept Ihrer nächsten Schritte. Bitte geben Sie mir so viele Details, wie Sie sich abringen können.«

»Ich habe eine Frage«, sagte ich.

»Was würden wir nur ohne Sie machen, Mr Joyce.«

»Könnte das, was wir schreiben, in den Händen Ihres Freundes Rodriguez landen?«

»Sie meinen, ob ich es an ihn weitergebe?«

»Ich meine das generell.«

»Falls die Universität in dem Punkt eine einstweilige Verfügung erhält, hoffe ich, dass wir alles unter Berufung auf die Pressefreiheit zu geschütztem Material erklären können.«

»Sie hoffen?«, fragte Sarah.

»Dass die Universität sich wehrt, kann ich Ihnen nicht garantieren. Und wenn, weiß ich nicht, ob sie damit durchkommt.«

»Was ist mit Ihnen?«, erkundigte sich Havens. »Würden Sie unsere Berichte an die Cops weitergeben?«

»Werden Sie etwas Weltbewegendes schreiben?«

»Das war nicht die Antwort, die wir hören wollten«, sagte Havens.

Z seufzte. »Wenn Sie nicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen haben, behandele ich Ihre Arbeitsergebnisse natürlich vertraulich. Falls ich etwas entdecke, das mich beunruhigt, reden wir darüber, bevor irgendetwas weiterwandert. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte ich. Sarah und Havens nickten.

»Okay«, sagte Z. »Regel Nummer eins. Falls Sie eine Spur entdecken oder schlagkräftige Beweise finden, die für jemanden wie Rodriguez interessant sein könnten, kommen Sie damit zu mir. Umgehend. Ist das klar?«

Wir nickten. Und schon hatten wir gegen Regel Nummer eins verstoßen.

»Gut. Machen Sie sich an Ihre Berichte.« Mit einem Wink gab Z uns zu verstehen, dass wir entlassen waren. Dann holte sie aus ihrer Tischschublade eine Packung Aspirin heraus und nahm zwei Tabletten mit einem Schluck aus ihrer Dose Cola light.

Ich hatte meinen Laptop dabei, klappte ihn auf und legte ein neues Dokument an: »Ermittlung Wingate«. Mein Blick zuckte zu Sarah hinüber. Sie lächelte mich an. Havens nickte mir nur kurz zu. Wir hatten Z nichts von den beiden Fällen erzählt, die wir mit dem Fall Wingate verbunden hatten, und zwar aus einem einfachen Grund: Vor sechzehn Jahren hatte Z über den Fall Billy Scranton als Chefreporterin berichtet und die Ermittlungen hautnah verfolgt. Ehe wir den Seminarraum betraten, hatte Havens uns ihre alten Artikel in der Tribune gezeigt. Für ihre Berichterstattung hatte Z ihren ersten Pulitzerpreis bekommen, und der Fall war für sie abgeschlossen. Für uns war er der Ansatzpunkt für eine neue Recherche.

So was nennt man einen Interessenkonflikt.