3. Zwei weniger, acht mehr

 

Und wie steht es mit der Zahl der Mitglieder im Euro-Raum bis 2025? Wenn es im Euro noch so viele Hausaufgaben zu machen gibt, dann wäre es das Sinnvollste, sich keine neuen Probleme aufzuhalsen. Man sollte die Zahl der Mitglieder möglichst reduzieren auf die, die sich an die neuen Regeln halten wollen. In keinem Fall sollten neue Mitglieder aufgenommen werden.

Der erste Wunsch wird vermutlich erfüllt werden, der zweite nicht. Es ist zwar, wie gezeigt, völlig irrational, wenn ein Land aus dem Euro ausscheidet. Es handelt sich damit nur Nachteile ein. Auch für die Gemeinschaft insgesamt ist es nicht gut, da es den Zusammenhalt im Innern schwächt und die Glaubwürdigkeit nach außen beeinträchtigt.

Das Leben verläuft aber nicht so rational. Es würde mich wundern, wenn bis 2025 nicht doch ein Austritt versucht würde. Jeder denkt dabei heute an Griechenland. Man kann sich aber auch andere Kandidaten vorstellen – aus wirtschaftlichen Gründen vielleicht Slowenien oder die Slowakei, aus politischen Gründen eventuell Finnland, vielleicht auch Irland. Vielleicht wäre es auch ganz klug, wenn ein Land den Austritt probt. Dann sehen alle anderen, was passiert. Es wäre sicher heilsam.

Und warum sollte nicht ein zweites Land sagen: Die schlechten Erfahrungen des ersten Landes beruhen nur darauf, dass es beim Austritt Fehler gemacht hat. Wir können das besser. Erst wenn auch das zweite Land das Fiasko des Austritts erlebt, werden alle überzeugt sein, dass sich ein Austritt nicht lohnt.

Bis 2025 werden aber sicher weitere Mitglieder dem Euro beitreten. Sie wollen von dem großen Markt und der Stabilität der Wechselkurse profitieren. Zu denken ist hier an die zwei übrigen baltischen Staaten Litauen und Lettland. Estland ist ja schon seit 2011 Mitglied des Euro-Raums. Dazu wird Polen kommen, das bisher eine sehr kluge, ausgewogene und nicht überhastete Wirtschaftspolitik betrieben hat. Es wird seine Wirtschaft durch den Euro stärker in den Binnenmarkt integrieren wollen.

Weitere Kandidaten sind die Tschechische Republik (wo es aber noch politische Vorbehalte gibt), vielleicht auch Ungarn. Bulgarien hatte schon einmal den Antrag auf Beitritt gestellt, wurde damals aber wegen Nichterfüllung der Maastricht-Kriterien abgelehnt. Es hat seine Währung bereits jetzt fest an den Euro gekoppelt (Currency Board). Wenn all diese Staaten dem Euro angehören sollten, dann kann am Ende Rumänien kaum im Abseits stehen bleiben.

Von den Ländern im Westen der Europäischen Union ist zu vermuten, dass zumindest Dänemark bis 2025 dem Euro beitreten wird. Es bindet seine Krone schon jetzt de facto an den Euro. Schweden wird sich vermutlich an Großbritannien orientieren.

Dass Großbritannien in absehbarer Zeit in den Euro kommen wird, halte ich dagegen für unwahrscheinlich. Das ist zwar schade, denn ein Beitritt des Pfundes würde beiden Seiten gut tun. Großbritannien könnte sich durch einen Beitritt aus der Zwickmühle befreien, dass es einerseits die Staatsverschuldung reduzieren muss, andererseits aber wegen der Deindustrialisierung der letzten Jahrzehnte nicht genug gesamtwirtschaftliches Wachstum hat. Die Situation ähnelt ein wenig der Lage in den 1960er Jahren, als Großbritannien über den Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verhandelte. Der Beitritt (1973) tat den Briten am Ende wirtschaftlich gut. Für den Euro wäre Großbritannien ebenfalls eine Bereicherung. Es würde seine Erfahrung mit einer großen Währung einbringen können. Es würde den Euro-Kapitalmarkt wesentlich wettbewerbsfähiger machen.

Aber objektiv ist es vernünftig, wenn die Briten außen vor bleiben. Großbritannien tut sich mit seinem ausgeprägten Hang zur Unabhängigkeit noch schwerer als andere, etwas von seiner Souveränität preiszugeben.

Der starke Zustrom an neuen Mitgliedern ist einerseits ein Vertrauensvotum für den Euro. Es sollte den Skeptikern zu denken geben, dass der Euro so attraktiv ist, dass viele in ihn aufgenommen werden wollen. Andererseits wird das Leben in der Währungsunion schwerer.

Zwei Probleme stellen sich: Zum einen steigt die Inflationsrate, wenn Länder mit niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen in die Union kommen. Das ist der berühmte Balassa-Samuelson-Effekt. Er besagt, dass die Geldentwertung in sich entwickelnden Märkten stets höher ist als in den bereits entwickelten Industrieländern. Der Grund: In den Schwellenländern steigt die Produktivität im verarbeitenden Gewerbe erfahrungsgemäß schneller als in den reifen Industriestaaten. Sie können ganz einfach noch mehr Reserven und economies of scale (Größenvorteile) mobilisieren. Wenn aber die Produktivität stärker zunimmt, dann erhöhen sich auch die Löhne schneller, und das führt in den Dienstleistungsbereichen (wo die Produktivität nicht so stark wachsen kann) zu stärkeren Preissteigerungen. Das Ergebnis ist, dass die Geldentwertung in emerging markets größer ist.

Diese Zusammenhänge sind ein Grund, weshalb es eigentlich sinnvoll wäre, dass sich die Staaten Osteuropas (bei denen es sich in der Mehrzahl noch um emerging markets handelt) mehr Zeit lassen sollten mit dem Beitritt zur Währungsunion. Leider hat man aber die Tür für die neuen Mitglieder weit aufgemacht. Alle können und müssen nach dem Lissabon-Vertrag dem Euro beitreten, wenn sie die Maastricht-Kriterien erfüllen.

Zum anderen wird das Arbeiten in den gemeinsamen Gremien bei zunehmender Zahl der Mitglieder schwieriger. Derzeit sitzen 23 Männer und Frauen im Governing Council der Europäischen Zentralbank am Tisch, sechs davon kommen aus dem EZB-Direktorium, 17 aus den nationalen Zentralbanken. Wenn jeder von ihnen nur zehn Minuten insgesamt (zu allen Tagesordnungspunkten) redet, dann sind schon fast vier Stunden vergangen. Geordnetes Beraten ist da kaum möglich. Im Open Market Committee der amerikanischen Federal Reserve gibt es demgegenüber nur zwölf stimmberechtigte Mitglieder. Natürlich haben die Staats- und Regierungschefs und die EZB für den Fall steigender Mitgliederzahlen vorgesorgt. Nicht jedes Land soll in Zukunft zu jeder Zeit stimmberechtigt sein. Aber auch nach diesen Vorschlägen soll der Governing Council noch 21 Mitglieder umfassen.

Das Leben im Euro wird also auch unabhängig von der Notwendigkeit einer stärkeren politischen Zusammenarbeit schwieriger.

Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen
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