5. Die gesellschaftliche Akzeptanz

 

Und noch ein Punkt zur politischen Union. Entscheidend ist es, die Akzeptanz der Menschen zu gewinnen. Wenn die Menschen den Schritt von Deutschland oder Frankreich oder Italien oder Holland nach Europa nicht gehen wollen, dann wird es auch nichts mit der Union. Diese Überlegung ist in den gängigen Modellen der Ökonomen und Währungspolitiker zwar nicht enthalten, für das Funktionieren der neuen Währung aber essentiell.

Ich bin immer wieder beeindruckt von einem Zitat des französischen Dichters und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry. »Wenn du ein Schiff bauen will, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.« Wenn die Menschen positiv zu Europa stehen, wenn sie in ihrem Land als Teil Europas leben möchten, dann werden sie auch den Euro haben wollen. Und dann werden sich alle technischen Probleme lösen lassen.

Es war schon ein Fehler bei der Vorbereitung und Einführung des Euro, dass die deutsche Regierung eine Volksbefragung ablehnte. Das war zwar rechtlich korrekt, führte aber dazu, dass sich die Politiker nicht um die Akzeptanz bemühen mussten. Die Wähler vermuteten nicht zu Unrecht, es werde etwas an ihnen vorbei beschlossen. Nach wie vor wird diese Politik fortgeführt und nicht um die Zustimmung zum Projekt Euro geworben. Es werden in Brüssel in nächtlichen Ratssitzungen Beschlüsse gefasst, die später von den Staats- und Regierungschefs als »alternativlos« dargestellt werden. Auf diese Weise erhält man keine nachhaltige Zustimmung. Dabei haben die Entscheidungen erhebliche Auswirkungen auf die Portemonnaies der Menschen.

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden alle großen politischen Entscheidungen von einer großen politischen Debatte getragen. Sei es die Westeinbindung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg, die Ostpolitik der Regierung Brandt, der Nato-Doppelbeschluss unter Helmut Schmidt (der am Ende zur Wiedervereinigung führte) oder auch – auf ganz anderer Ebene – die Reform der Sozialleistungen durch die Hartz-IV-Gesetze. Es gab in diesen Punkten keine Volksbefragung, weil dieser in der deutschen Verfassung enge Grenzen gesetzt sind. Zu jener Zeit akzeptierten die Bürger noch öffentliche Debatten als Ersatz für ein Referendum.

Bei den großen Schritten Europas, von der Einheitlichen Akte über den Binnenmarkt über die europäische Verfassung hin zur Europäischen Währungsunion, gab es keinerlei breite öffentliche Diskussion. Die Bürger in Deutschland – anders als in anderen Ländern – wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Gleiches geschah bei der Euro-Einführung. Glücklicherweise meldeten sich damals die erwähnten kritischen Professoren, die gegen die Einführung der neuen Währung waren, zu Wort. Ich habe ihren Argumenten und Zielen zwar nicht zugestimmt, aber die dadurch ausgelöste Diskussion war notwendig.

Durch Stuttgart 21 ist das Problem noch einmal dringlicher geworden. Großprojekte lassen sich immer schwerer gegen das Volk verwirklichen. Auch wenn man jetzt keine Volksabstimmung mehr zum Euro machen kann, muss man die Menschen in die anstehenden Probleme und Entscheidungen einbeziehen und um ihre Zustimmung werben.

Europa war nicht immer unbeliebt bei den Deutschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es der Weg aus der Vergangenheit des Dritten Reiches sowie die Voraussetzung für den Wiederaufbau und die Erreichung von Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen. Die Regierungen haben die Einbindung der Menschen in das europäische Projekt gefördert. Es gab umfangreiche Hilfen zur Verankerung der deutsch-französischen Freundschaft. Ich selbst bin während der Schulzeit mehrere Male in den Schulferien im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Frankreich gefahren.

Die D-Mark war den Menschen in Deutschland zwar auch nicht in einem demokratischen Verfahren vorgelegt worden. Dahinter stand die Entscheidung der Siegermächte, der Bundesrepublik wieder eine Währung zu geben. An sich hätte das zu einer Ablehnung führen können. Der Makel wurde jedoch schnell geheilt durch den großen wirtschaftlichen Erfolg, vor allem die vollen Regale in den Geschäften unmittelbar nach der Einführung der neuen Währung. Dass das nicht nur der neuen Währung, sondern auch der Aufhebung der Preisbindung und der Einführung der Marktwirtschaft zu danken war, darüber dachten die wenigsten nach.

Beim Euro gab es einen solchen Aufschwung nicht. Die Krise des Euro ist aufgebrochen, als es in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu Schwierigkeiten kam und diese dann der gemeinsamen Währung aufgebürdet wurden.

Wie für ein Waschmittel werben

 

Kurz vor der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 veranstaltete die gerade gegründete Europäische Zentralbank eine Konferenz über die bevorstehenden Probleme mit der neuen Währung. Ich war als einer der Redner eingeladen. Ich plädierte für umfangreiche Kommunikationsmaßnahmen zur Förderung der Akzeptanz des Euro in der Bevölkerung. Jedes neue Waschmittel, das auf den Markt kommt, wird mit Millionen beworben, damit die Menschen es mögen und kaufen. Warum also nicht auch für eine neue Währung werben? Im Auditorium saß eine Reihe wichtiger Entscheidungsträger der neuen Zentralbank. Sie hörten sich höflich an, was ich sagte. In ihren Mienen sah ich jedoch breites Unverständnis. Eine Diskussion zu dem Vorschlag gab es nicht. Werbung für eine neue Währung gehört nicht zum Gedankengut eines Zentralbankers. Freilich ist die Einführung einer neuen Währung nichts, was Zentralbanker jeden Tag machen.

Natürlich ist Werbung nicht unproblematisch, weil es ihr oft an Glaubwürdigkeit fehlt. Vielleicht brauchte es auch nicht unbedingt Werbung im klassischen Sinn, aber etwas mehr Kommunikation für und über die neue Währung wäre in keinem Fall falsch gewesen. Was es gab, war eine kleine Kunstaktion, bei der lebensgroße Euro-Münzen gestaltet werden konnten. Die besten Arbeiten wurden prämiiert und dann in Frankfurt ausgestellt. Das war das Einzige. Im Übrigen wurde die Einführung der neuen Währung vom Parlament beschlossen und im Gesetzblatt verkündet. Für die Bürger hieß es »Friss oder stirb«. Das ist ein Stil, der zu einer modernen demokratischen Zivilgesellschaft nicht passt.

Der polnische Ministerpräsident Tusk – dessen Land (noch) nicht dem Euro-Raum angehört – sagte in einem Interview: »Wenn ich so manchen Ton in der europäischen Debatte höre, habe ich den Eindruck, dass man die Idee der Europäischen Union immer wieder erklären muss. Die Union wurde nicht für die guten Zeiten geschaffen. Wir glauben, dass sie gemacht ist, um die schweren Zeiten durchzustehen. Es ist vor allem das Prinzip der Solidarität, was sie so interessant macht. Das wissen besonders die neuen Mitgliedsländer besser als die alten.« (Spiegel-Online, 9.4.2011)

Und der Philosoph Jürgen Habermas hat das »expertokratische« Verfahren der Regierungen in der Europapolitik einer harschen Kritik unterzogen: »Dass die jahrzehntelange breite Zustimmung zur europäischen Einigung sogar in der Bundesrepublik abgenommen hat, ist nicht selbstverständlich. Der europäische Einigungsprozess, der immer schon über die Köpfe der Bevölkerung hinweg betrieben worden ist, steckt heute in der Sackgasse, weil er nicht weitergehen kann, ohne vom bisher üblichen administrativen Modus auf eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung umgestellt zu werden. Stattdessen stecken die politischen Eliten den Kopf in den Sand. Sie setzen ungerührt ihr Eliteprojekt und die Entmündigung der europäischen Bürger fort.« Er verglich sehr polemisch die soziale Bewegung in Baden-Württemberg, die »nach vierzig Jahren zivilgesellschaftlichen Protestes eine beinharte Mentalität« kippte, mit der Europapolitik, wo »nach einem Jahr Spekulation gegen den Euro hinter verschlossenen Türen ein Maßnahmenpaket ›für wirtschaftspolitische Steuerung‹ verabschiedet wurde.« (Süddeutsche Zeitung, 7.4.2011)

In einer Diskussion mit Habermas führte der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer die Renationalisierung der Politik in Europa darauf zurück, dass »kein Politiker – egal ob in der Regierung oder in der Opposition – eine Vision entwickelt oder vertritt und sein politisches Schicksal daran knüpft«.

Brüssel ist zum Mülleimer der nationalen Politik geworden ist. Alles, was in der Politik schiefläuft oder unpopulär wird, wird den Entscheidern in Brüssel zugeschrieben: ärgerliche Vorschriften des Verbraucherschutzes, Regulierungen der Industrie, unsinnige Anordnungen der Bürokratie (die berühmt-berüchtigte Krümmung der Gurke). Alles, was der Bürger mag und ihm einen sofort einsehbaren Nutzen bringt, stammt dagegen »natürlich« von den nationalen Behörden. Dabei muss man sagen, dass die Mehrzahl der Beschlüsse der Brüsseler Behörden nicht auf Initiative der Europapolitiker entstanden ist. Sie wurde und wird von den nationalen Beamten oder Politikern angestoßen, oft bis in alle Einzelheiten formuliert und dann nach Brüssel »geschickt«. Solange aber diese Mülleimer-Funktion besteht, kann Brüssel beim Bürger kaum populär werden.

Freilich muss man konzedieren, dass ein solches Verfahren in Bundesstaaten nicht unüblich ist. Auch in den USA wird der Hauptstadt Washington alles Schlechte dieser Welt angedichtet. Sie ist im Land außerordentlich unpopulär. Der Unterschied zu Europa liegt freilich darin, dass die USA die schwierigen Aufgaben der Integration und Etablierung einer gemeinsamen Währung schon hinter sich haben. Auf dem alten Kontinent muss das alles erst noch bewältigt werden. Da kann man sich eine solche Aversion gegen die Zentrale noch nicht leisten.

Beispiele, wie eine Volksbewegung für den Euro aussehen könnte, sind die Energiewende und der Klimaschutz. Hier gibt es eine jahrzehntelange Bürgerbewegung, die »von unten« für die Ziele geworben hat. Es waren zuerst die »grünen Spinner«, die sich harsche Kritik anhören mussten, bis es jetzt respektable Politiker geworden sind, von denen einer in Baden-Württemberg sogar zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Ohne die Vorbereitung durch diese grüne Bewegung wäre der radikale Schwenk der Regierung in Sachen Energiepolitik nach den Ereignissen in Japan nie möglich gewesen.

Wenn es nicht gelingt, eine breite Unterstützung der Bevölkerung für Europa und den Euro zu gewinnen, wird es nichts mit dem Powerhouse und auch nichts mit dem Euro als Motor der Integration. Europa wurde viel zu lange als Projekt der Amtsstuben gesehen. Es muss eine Volksbewegung werden.

Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen
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