6. Internationale Finanzmärkte
Ganz anders sieht es außerhalb der Gemeinschaft aus. Der Euro ist ein Segen für die Welt, außer vielleicht für die USA.
Derzeit wird viel über eine Reform des internationalen Währungssystems diskutiert. Das bestehende System hat sich zwar in der Krise ganz gut gehalten. Optimal ist es nach Ansicht der meisten Experten und Politiker nicht. Dabei stören sie sich weniger an den flexiblen Wechselkursen – dazu gibt es so, wie sich die Welt heute darstellt, keine Alternative. Die Hauptkritik betrifft die zentrale Rolle, die der US-Dollar noch immer als Weltreservewährung spielt. Vor allem den Chinesen ist das ein Dorn im Auge: Sie halten es für ein Relikt der Vergangenheit.
Und jetzt stellen Sie sich vor, was für ein Geschrei entstehen würde, wenn es den Euro nicht mehr gäbe. Die Chinesen besaßen Ende 2010 insgesamt 3000 Milliarden Dollar an Währungsreserven. Wir wissen nicht, wie viel genau davon sie in Euro angelegt haben. Schätzungen belaufen sich auf rund 1000 Milliarden Dollar, also etwa ein Drittel. Das entspricht dem Gesamtbetrag der Schulden Spaniens und Portugals zusammengenommen. Wo sollten sie also hin mit ihren Währungsreserven, wenn der Euro verschwinden würde? Einzelne nationale Währungen in Europa, auch eine neue D-Mark, wären zu klein, um so große Mengen an Währungsreserven aufzunehmen. Die gesamten Reserven in den Dollar umschichten würden die Chinesen aber ebenfalls nicht, denn dann hätten sie ein zu großes Amerika-Risiko in ihren Büchern. In den japanischen Yen investieren würden sie auch nicht wollen, dazu gibt es mit Tokio zu viele politische Händel.
Im Sommer 2010, also mitten in der Euro-Krise, sprach sich der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel positiv zum Euro aus und versprach, auch in Zukunft Mittel in dieser Währung anzulegen. Das ist nicht nur leeres Gerede. Die Chinesen sind essentiell an der Existenz des Euro interessiert.
Der Euro hat auf den internationalen Finanzmärkten in seinen ersten zehn Jahren einen festen Platz eingenommen als Alternative zum Dollar. Es gibt keine Währung in der Welt, die ihm diesen Platz streitig machen könnte oder wollte. Bei Einführung des Euro waren rund 15 Prozent der weltweiten Währungsreserven in Euro angelegt; das entsprach damals grosso modo dem Anteil, den die D-Mark hatte. Seitdem ist dieser Anteil kontinuierlich gewachsen und liegt heute bei knapp 30 Prozent. Der entsprechende Anteil des Dollar beträgt gut 60 Prozent. Der Rest entfällt auf Währungen wie das britische Pfund oder den japanischen Yen. Schaut man sich die einzelnen Teilmärkte des internationalen Kapitalmarkts an, so liegt der Anteil des Euro ebenfalls in etwa zwischen 30 und 40 Prozent, teilweise aber auch deutlich darüber (zum Beispiel bei Bonds-Emissionen).
Die gut etablierte Nummer zwei
Der Euro ist damit eine gut etablierte Nummer zwei auf den Finanzmärkten. Würde die plötzlich fehlen, hätte die Welt ein Problem. Der Dollar könnte die Anteile nicht übernehmen, weil weder die Zentralbanken noch die Investoren in eine allein dollarzentrierte Welt zurückkehren möchten. Dazu ist die amerikanische Währung heute nicht mehr stark genug. Eine neue Alternative, etwa in Großbritannien oder Japan (oder eine neue D-Mark), steht ebenfalls nicht zur Verfügung.
Die Chinesen würden sicher gerne den Renminbi als zweite Weltwährung sehen. Aber so weit sind sie noch nicht. Dazu müsste der chinesische Kapitalmarkt erst einmal voll liberalisiert werden, was sich mit der derzeit herrschenden Planwirtschaft schwer vereinbaren lässt. Auch die chinesischen Banken operieren bislang nicht ausreichend global, um internationale Reservefunktionen übernehmen zu können. Der chinesische Kapitalmarkt ist noch viel zu klein, um den internationalen Zentralbanken genügend Anlagemöglichkeiten zu geben. Das kann (und wird auch) einmal gelingen. Heute ist es zu früh.
Das Einzige, was den Euro heute ersetzen könnte, wäre eine Kunstwährung wie die Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds. Das fordern derzeit ganz offen die Chinesen. Beim Zusammenbruch des Bretton-Woods-System Anfang der 1970er Jahre hatte man das schon einmal im Kopf gehabt, es ließ sich aber nicht umsetzen. Das große Manko der Sonderziehungsrechte ist, dass sie nicht auf den Märkten gehandelt werden. Währungsreserven werden aber dazu gebraucht, dass man damit auf den Märkten intervenieren und die eigene Währung stützen kann.
Haben Sie gewusst, wie man mit Sonderziehungsrechten auf den Devisenmärkten eingreifen kann, um die eigene Währung zu stützen? Das ist gar nicht so leicht. Sie können die SZR nämlich nicht einfach am Markt verkaufen oder kaufen. Vielmehr müssen Sie sich zuerst an den Internationalen Währungsfonds in Washington wenden und dort einen Antrag stellen. Der IWF weist Ihnen dann ein Land zu, bei dem Sie Ihre Sonderziehungsrechte in Dollar oder andere Währung umtauschen können.
Dann gehen Sie zu diesem Land, liefern dort Ihre Sonderziehungsrechte ab und erhalten die gewünschte Währung (zum Beispiel US-Dollar). Mit diesen Dollar können Sie an den Devisenmarkt gehen und intervenieren. Wie umständlich. Selbst wenn alle Beteiligten schnell und unbürokratisch vorgehen – das Verfahren ist viel zu langsam für Devisenmärkte, auf denen Sekunden über Erfolg und Misserfolg entscheiden können. Sonderziehungsrechte kommen daher nur bedingt als Währungsreserve in Frage.
Kein Ersatz also für den Euro in Sicht? Auch für die Afrikaner oder die Währungsexperten im Mittleren Osten ist die europäische Gemeinschaftswährung ein Modell, das sie selbst gerne für ihre Länder übernehmen würden. Wie oft sind Vertreter des Golfkooperationsrats (GCC) im Nahen Osten nach Brüssel oder Frankfurt gefahren, um sich dort Rat für ihre eigenen Währungspläne zu holen! Dem GCC gehören die Länder Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Katar, Kuwait und Bahrain an. Sie hatten fest vor, eine Gemeinschaftswährung nach dem Vorbild des Euro zu gründen, die ursprünglich 2010 in Kraft treten sollte. Das ist nicht gelungen, weil man sich über den Sitz der neuen gemeinsamen Zentralbank nicht einigen konnte. Saudi-Arabien beanspruchte den Sitz für sich. Die Vereinigten Arabischen Emirate wollten die Zentralbank lieber auf ihrem Territorium haben, weil sie die Übermacht der Saudis in der Währungsunion fürchteten. Wenn es den Euro nicht mehr gäbe, wäre sicher auch dieses Projekt »gestorben«.
Das Gleiche gilt für etwaige Planungen in Südostasien (bei den ASEAN-Ländern), in Lateinamerika oder in Afrika. Selbst den Chinesen und den Japanern (vielleicht auch zusammen mit den Indern) wird nachgesagt, dass sie trotz der bilateralen politischen Probleme gerne eine gemeinsame Währung hätten als Alternative zu Dollar und Euro. Jedenfalls haben diese Länder die Euro-Krise auch im Hinblick auf ihre eigenen Pläne sehr genau verfolgt.
Fragen Sie die EU-Mitglieder in Zentral- und Osteuropa, was sie vom Euro halten und von der Vorstellung, dass es ihn nicht mehr gibt. Sie bemühen sich mit allen Mitteln, der Währungsunion beizutreten. Slowenien und die Slowakei haben es geschafft, Estland hat mitten in der Krise den Antrag auf Beitritt gestellt und den Euro zum 1. Januar 2011 eingeführt. Bulgarien hat das Ziel knapp verfehlt (wegen eines halben Prozentpunkts bei der erforderlichen Preissteigerungsrate). Andere arbeiten auf ihren Beitritt hin. Ihre Motive sind unterschiedlich: Zum Teil geht es darum, den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt zu verbessern. Zum Teil wollen sie sich gegen die Aufwertung ihrer Währungen schützen. Zum Teil brauchen sie einen stabilen Anker für ihre Währungsverhältnisse, zum Teil ist es vielleicht auch eine Frage des Prestiges, einer großen Währung anzugehören.
Anders ist die Stimmung in den USA. Ein Scheitern des Euro würde dort viele in ihrer Grundskepsis gegenüber der Gemeinschaftswährung bestätigen, und der eine oder andere wäre auch nicht ganz unglücklich darüber, wenn es den Konkurrenten auf den Weltfinanzmärkten nicht mehr gäbe. Der frühere US-Zentralbankpräsident Alan Greenspan war von Anfang an der Meinung, dass der Euro eine Totgeburt ist. Andere Amerikaner würden es kaum bedauern, wenn der Konkurrent auf den Weltfinanzmärkten nicht mehr da wäre.
Offiziell haben die Amerikaner das Projekt einer Europäischen Währungsunion jedoch immer gestützt. Zum einen brauchen sie die Europäer in der Weltpolitik als Verbündeten, zum anderen erleichtert eine Gemeinschaftswährung das Geschäft mit den Europäern. Zudem sehen sie, dass Wettbewerb gut tut und auch bei manchen Reformen auf dem Heimatmarkt hilft. Der derzeitige Chef der Federal Reserve, Ben Bernanke, macht keinen Hehl daraus, dass er für seine Institution gerne ein Preisstabilitätsziel wie das der Europäischen Zentralbank hätte. Er kann es nur nicht gegen den Kongress durchsetzen. Im Jahr 2011 übernahm er von der EZB die Usance, nach Sitzungen des geldpolitischen Entscheidungsgremiums eine Pressekonferenz abzuhalten.
Die neue Nummer eins?
Manch einer hat schon gemutmaßt, dass der Euro eines Tages den Dollar als Weltwährung ablösen könnte. Das wäre eine Parallele zur Entwicklung des Verhältnisses Pfund/Dollar im vorigen Jahrhundert: Damals stieg der Anteil des US-Dollar an den Weltwährungsreserven an und der Anteil des Pfund Sterlings ging entsprechend zurück. Am Ende war der Dollar an die Stelle des Pfundes als Schlüsselwährung in der Welt getreten.
So wird es diesmal nicht kommen. Erstens ist der Euro nicht so stark und der Dollar nicht so schwach, dass ein Wachwechsel zwischen beiden in absehbarer Zeit fällig werden könnte. Zweitens spiegeln Währungen auch immer das politische Gewicht der dahinterstehenden Staaten wider. In dieser Hinsicht aber ist der Euro mit dem US-Dollar überhaupt nicht zu vergleichen. Drittens ist der Kapitalmarkt, an dem Gelder in einer Währung angelegt werden können, in den USA ungleich größer und attraktiver als in Europa. Viertens muss hinter einer Weltwährung auch der entsprechende Machtanspruch stehen. Ich vermute, dass das ehrgeizige China unter diesen Umständen eine größere Chance hat, dass sein Renminbi zu einer Reservewährung aufsteigt.
Wahrscheinlicher jedoch ist, dass es absehbar überhaupt keine einzelne Reservewährung mehr geben wird. Die Zukunft liegt eher in einem multipolaren Weltwährungssystem, in dem mehrere Währungen Reservefunktion übernehmen. Der Euro wird dann dazugehören, aber ebenso der chinesische Renminbi und der US-Dollar.
International also wird der Euro gebraucht. Ohne diese neue Währung würde sich die Weltgemeinschaft auf dem Weg zu weniger schwankenden Wechselkursen schwertun. Freilich kann dies kein Argument sein, am Euro festzuhalten – so altruistisch müssen wir nicht sein.