1. Wie geht eine Währung kaputt?

 

Wie kann eine Währung eigentlich kaputtgehen? Währungen sind keine Autos, die plötzlich stehen bleiben. Es raucht aus dem Motorraum. Die Reifen sind platt. Oder die Elektronik rührt sich nicht mehr. Man kann Währungen nicht einfach an den Straßenrand fahren, den ADAC rufen oder sich selbst die Handschuhe anziehen, um den Schaden zu beheben.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie eine Währung zugrunde gehen kann. Die eine ist der Crash, der Big Bang. Zu dem kommt es, wenn die Inflation immer schneller wird. Zunächst beträgt sie 2 Prozent, damit kann man leben. Das akzeptieren sogar die Zentralbanken noch als Stabilität. Dann sind es 5 oder 6 Prozent, da wird es schon kritischer. Es fällt den Menschen immer schwerer, sich den steigenden Preisen anzupassen. Sie befürchten, dass die Entwicklung eine Eigendynamik bekommt, die dann nicht mehr aufzuhalten ist.

Aber auch bei solchen Raten kann man die Währung noch retten, es braucht nur eine stärkere Restriktionspolitik. Wenn die Inflation auf 15 oder 20 Prozent steigt, wird es immer schwerer, sie aufzuhalten. Selbst dann kann man jedoch noch die Notbremse ziehen. Die Amerikaner taten das, als sie unter dem legendären Notenbankchef Paul Volcker die Zinsen bis auf 15 oder 20 Prozent hievten. Aussichtslos ist es, wenn die Entwicklung in eine Hyperinflation übergeht mit Preissteigerungen um 100 oder 1000 oder noch mehr Prozent – und zwar nicht nur im Jahr, sondern im Monat und am Ende auch in einer Woche oder an einem Tag. Dann ist die Währung kaputt und muss ersetzt werden. Es kommt zur Währungsreform.

Das hat es in Deutschland nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Der Weg ging von der Goldmark zur Rentenmark, zur Reichsmark und dann zur D-Mark. Auch in anderen Ländern ist es zu Währungsreformen gekommen. In Brasilien gab es in den 1980er und 1990er Jahren binnen acht Jahren die Cruzeiros, die Cruzados, die Novos Cruzados, die Cruzeiros Reais und schließlich den Real, der dann gehalten hat. In Argentinien gab es seit den 1970er Jahren den Peso Ley, dann den Peso Argentino, dann den Austral und dann den Peso.

Die Währungsreform ist der GAU für jede Gesellschaft. Vermögen geht verloren, Altersvorsorge ist nichts mehr wert. Wer sein Leben lang gut gewirtschaftet und vorgesorgt hat, jetzt aber nicht mehr arbeiten kann, steht vor dem Nichts. Armut und Elend sowie Ungerechtigkeiten nehmen zu. Die Stabilität der staatlichen Gemeinschaft und das Vertrauen der Bürger in den Staat verschwinden.

Manch einer fürchtet, dass das auch beim Euro passieren könnte. Die Staatsverschuldung ist so stark angestiegen, die Europäische Zentralbank hat so viel Geld in den Kreislauf gepumpt, dass einem schon angst und bange werden kann. Vor allem der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB in der Euro-Krise hat solche Befürchtungen genährt.

Ausschließen kann so etwas niemand. Ein vorsichtiger Anleger, der gut schlafen möchte, sollte sich auf alle Eventualitäten einstellen. Die Anlage seiner Ersparnisse in Gold ist ein Schutz, auch der Kauf von Immobilien oder die Anlage des Geldes in anderen Währungen. Beim nüchternen Abwägen der Wahrscheinlichkeiten aber relativiert sich die Gefahr wieder: Die Konjunktur (in Deutschland) ist nicht so überschäumend, dass die Unternehmen jede Preissteigerung am Markt durchsetzen können. Der Wettbewerb auf den Märkten ist – von Ausnahmen wie dem Benzinmarkt abgesehen – hoch.

Die Sicherungen gegen zu starke Preissteigerungen sind in der Europäischen Währungsunion gut ausgeprägt. Die Notenbank ist unabhängig. Sie hat ein breites und modernes Instrumentarium zur Bekämpfung von Inflation. In ihren Gremien sitzen Frauen und Männer, die stabilitätsbewusst sind. Die öffentlichen Defizite werden – auch in den Ländern, die nicht so stark unter Druck stehen – früher abgebaut, als das etwa in den USA der Fall ist. Es gibt eine starke Verankerung des Stabilitätsziels in der Gesellschaft. Die Inflationserwartungen an den Märkten sind gering. Nur eine Minderheit rechnet in den kommenden Jahren mit einer stärkeren Geldentwertung. Die Renditen für 30-jährige Bundesanleihen liegen unter 4 Prozent. Wer mit einer größeren Preissteigerung rechnen würde, würde sich kaum solche Papiere ins Depot legen. Einige Pensionsfonds kaufen sogar 50-jährige Bonds mit einem Zins von etwas über 4 Prozent.

Natürlich darf man niemals nie sagen. Man sollte sich auch den Fall einer stärkeren Inflation vorbereiten. Aber als akutes Problem ist sie nicht zu erkennen.

Wenn das Vertrauen schwindet

 

Weniger spektakulär, aber wahrscheinlicher ist der Fall, dass Geld seinen Wert verliert, weil die Menschen nicht mehr daran glauben. Geld beruht auf Vertrauen. Nur wenn die Menschen sich auf das Geld verlassen können, kann es seine Funktionen auch erfüllen. Hier lauert derzeit echte Gefahr.

Geld hat in einer modernen Volkswirtschaft drei Funktionen. Zum einen dient es den Menschen als Zahlungsmittel, das die Arbeitsteilung in der Gesellschaft erleichtert. Man muss nicht lange suchen, was der Bäcker als Tausch gegen sein Brot akzeptieren könnte, man gibt ihm Geld, und er ist zufrieden.

Diese Funktion des Geldes ist heute noch am wenigsten gefährdet. Sie emanzipiert sich immer mehr von dem vom Staat zur Verfügung gestellten Zahlungsmittel. Wir verwenden mehr und mehr Karten und Buchgeld, um die Zahlungen zu bewerkstelligen. Wenn es den physischen Euro nicht mehr gäbe, hätte die Finanzwirtschaft schnell einen Ersatz zur Verfügung.

Die zweite Funktion ist Geld als Recheneinheit. Geld erleichtert es, die Güter und Dienstleistungen auf dem Markt zu bewerten und sie mit dem eigenen Einkommen zu vergleichen. Mittels der Recheneinheit weiß ich, dass Butter teurer und damit wertvoller ist als Margarine. Diese Funktion ist wichtig, muss aber nicht zwingend in einer bestimmten Währung erfüllt werden. Man kann sich leicht andere Recheneinheiten besorgen. Manche Länder, zum Beispiel in den Staaten Zentral- und Osteuropas, benutzen statt der eigenen Währung den Euro oder – vor allem früher – den US-Dollar als Recheneinheit.

Das wirkliche Problem bei einem Verlust des Vertrauens in das Geld stellt sich bei der dritten Funktion des Geldes, der Wertaufbewahrungsfunktion. Geld hilft, dass ich die Einnahmen, die ich durch meine Arbeit erziele, nicht gleich ausgeben muss. Ich kann das Geld aufheben und warten, bis es wieder ein Sonderangebot gibt. Ich kann es aber auch unter das Kopfkissen legen oder für das Alter sparen. Gerade Letzteres wird durch die immer längere Lebenserwartung der Menschen und die Schwierigkeiten der staatlichen Altersvorsorge bei uns immer wichtiger.

Wenn hier das Vertrauen schwindet, dann hat das erhebliche Auswirkungen. Gold ist zwar eine sichere Alternative zur Recheneinheit Geld, bringt aber keine Zinsen. Zudem gibt es in der Welt gar nicht so viel Gold, dass jeder seine Ersparnisse darin anlegen kann. Das gesamte Geldvermögen in der Welt (angelegt in Aktien und Renten) ist 100-mal größer als die gesamten bekannten Goldreserven der Welt.

Als Wertaufbewahrungsmittel wird stabiles Geld gebraucht. Das können die Finanzmärkte nicht so einfach ersetzen. Hier darf es keine Vertrauensprobleme geben. Denn hier geht es um die Zukunftsängste der Menschen.

Leider kann man die Gefahren für den Euro auf diesem Gebiet nicht so leicht vom Tisch wischen. Es gibt sie. Wie oft erkundigen sich die Menschen in ihren Banken oder bei ihren Vermögensberatern, ob sie sich auf den Euro verlassen können? Solche Fragen hat es früher bei der D-Mark nicht gegeben.

Wie steht es mit der Gefahr, dass der Euro auseinanderfällt, wirklich? Wie groß ist sie, und wie funktioniert das in der Praxis? Was passiert, wenn so eine Währungsunion auseinanderbricht?

Hier müssen wir die Fantasie etwas strapazieren. Offiziell gibt es das ja nicht. Kein Zentralbanker und kein Politiker würde hier gerne spekulieren, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Niemand will schlafende Hunde wecken. Aber Nachdenken muss erlaubt sein. Es ist auch nötig, um sich auf Eventualfälle einzustellen.

Zwei Szenarien sind denkbar

 

Das eine ist ein langsames »Dahinsiechen«. Die einzelnen Länder sind zunehmend unzufrieden mit der gemeinsamen Währung. Sie verstärken die nationalen Symbole. Vielleicht drucken sie eigene Scheine, zum Beispiel als »deutscher Euro« oder »französischer Euro«, und bringen auch entsprechende Münzen in Umlauf. Das ist zwar in der Währungsunion verboten, wenn aber der politische Zusammenhalt geringer wird, werden die Europäische Zentralbank oder die Euro-Gruppe des Ministerrats oder auch der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage sein, dem Einhalt zu gebieten. Zudem kann man darauf verweisen, dass Bargeld in unserer heutigen Zeit ohnehin keine so große Rolle mehr spielt, so dass solche Alleingänge für das Währungssystem der Union nicht bedeutsam wären.

So erodiert die gemeinsame Währung. Das Nationale wird wichtiger, das Gemeinsame weniger wichtig. Der Bürger stellt sich darauf ein. Der letzte Schritt wäre dann die Verlagerung der geldpolitischen Kompetenz von der Europäischen Zentralbank zu den nationalen Notenbanken. Das würde von vielen aber eher als eine »technische Maßnahme« angesehen, die für das tägliche Leben keine große Bedeutung hätte. Die verantwortlichen Personen ändern sich, die Zinspolitik wird anders, die Instrumente verändern sich. Aber wen interessiert das schon? Ein solches Dahinsiechen wäre systemtechnisch von den Unternehmen durchaus zu bewältigen. Natürlich müssten die EDV-Systeme umgestellt werden. Der Zahlungsverkehr auf dem Binnenmarkt müsste neu geordnet werden. Es gäbe plötzlich wieder Wechselkursrisiken.

Anders, wenn die Währungsunion mit einem Paukenschlag auseinanderbricht. Natürlich kündigt sich so etwas vorher an. Es gibt mehr Streit in den Gremien. Politisch kann vieles nicht mehr vorangetrieben werden. Aber wenn der Big Bang plötzlich kommt, dann wird es richtig schwierig. Dann muss neues nationales Geld gedruckt werden. Das ist angesichts der heutigen Sicherheitsanforderungen an Bargeld außerordentlich zeitaufwendig und kostspielig. Experten sagen, dass man zum Druck von neuem Geld mindestens zwei Jahre braucht. In einem solchen Fall müssten auch die EDV-Systeme voll umgestellt werden. Bei Einführung des Euro benötigte man in großen Unternehmen vier bis fünf Jahre, um das zu bewältigen. Dazu kommt, dass auch die Cash-Management-Systeme und Automaten nicht mehr passen. Es erfordert erhebliche Investitionen, um hier wieder arbeitsfähig zu sein.

Das hat auch sein Gutes. Wenn es politisch wirklich »knallt« und die Währungsunion auseinanderbricht, wird die Wirtschaft und werden die Privaten sagen: Halt, so haben wir nicht gewettet. Wir können mit dem gemeinsamen Geld nicht von einem Tag auf den nächsten aufhören. Wenn ihr, die Politiker, die Zusammenarbeit wirklich beenden wollt, dann wartet bitte noch zwei, drei Jahre, bis wir das in der Praxis umgesetzt haben.

Es gäbe eine Denkpause. Das könnte für den politischen Prozess ganz hilfreich sein. Vielleicht überlegt man sich das Ganze noch einmal und findet doch Mittel und Wege zur Einigung.

Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen
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