2. Der Blick der Unternehmer

 

Ich traf den Mann in seinem Büro in einer süddeutschen Kleinstadt. Er war Inhaber und Chef einer hochspezialisierten Maschinenfabrik. Wir unterhielten uns über den Euro. Auf meine Frage, wie es wäre, wenn die gemeinsame europäische Währung nicht mehr existierte, lehnte er sich in seinem Bürosessel zurück und überlegte. »Ich kann mir ein Leben ohne den Euro nicht mehr vorstellen.«

Nach einer kurzen Pause: »Die Einführung des Euro war für unsere Firma ein Segen. Sie hat unser Geschäft auf eine solidere Basis gestellt. Wir haben weniger Schwankungen bei den Exporterlösen. Wir müssen nicht täglich auf die Devisenkurse schauen. Der Überweisungsverkehr mit unseren Kunden und Lieferanten ist einfacher und billiger. Das sichert am Ende die Beschäftigung und beschert uns mehr Gewinn. In unserer Finanzabteilung konnten wir nach der Einführung des Euro zwei Stellen einsparen, die wir dringend bei der Entwicklung brauchten.«

Seine Firma ist – außer in Deutschland – vor allem in Italien und in den USA tätig. Als ich nachhakte, wurde er sehr bestimmt: »Wenn es den Euro nicht gäbe – das wäre eine Katastrophe. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr mein Vater in der Nachkriegszeit unter den Währungskrisen litt. Da wertete sich nicht nur der Dollar permanent ab und gefährdete unser Geschäft in Amerika. Was noch schlimmer war: Gleichzeitig ging meist die Lira noch stärker in den Keller und entwertete unsere Erlöse in Norditalien. Wir kamen also von zwei Seiten unter Druck. Wir waren gewissermaßen in einer Sandwich-Situation.

Ich glaube, es war im Spätsommer und Herbst 1992. Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und bereitete mich darauf vor, in die Firma meines Vaters einzusteigen. Das war die Zeit der Pfund-Krise. Da bekamen wir bei unseren US-Verkäufen binnen weniger Wochen für einen Dollar nicht mehr 1,80 D-Mark, sondern weniger als 1,60, das waren gute 10 Prozent weniger. Für 1000 Lire gab es statt 1,32 weniger als 1,10 D-Mark. Ich habe die Zahlen noch so genau im Gedächtnis, weil sie mich so beeindruckt haben. Das waren fast 20 Prozent weniger Erlöse aus Italien. Stellen Sie sich vor, wie schwierig es ist, in solchen Zeiten zu planen und zu arbeiten.

Die Löhne mussten ja weiterbezahlt werden. Und auch bei den Vorprodukten hatten wir keine Ersparnis. Allenfalls wurde das Öl etwas billiger als bei unseren ausländischen Konkurrenten. Das machte den Kohl aber nicht fett.

Da herrschte bei uns zu Hause morgens am Frühstückstisch oft ›dicke Luft‹. Mein Vater hatte wegen der Devisenrisiken seiner Firma schlecht geschlafen. Und richtig sauer war er natürlich auf seinen Finanzchef, der die Krise nicht richtig vorausgesehen und die Exporterlöse nicht rechtzeitig abgesichert hatte. Dabei konnte der arme Kerl ja auch nicht hellsehen. Er ist heute immer noch bei uns.

Wir versuchten uns gegen die Risiken der Wechselkursschwankungen abzusichern, indem wir unsere Produkte nur noch gegen D-Mark verkauften. Aber das war eine Milchmädchenrechnung. Denn wenn sich Lira oder Dollar gegenüber der D-Mark abschwächten, dann verlangten die Kunden Rabatte oder Preisnachlässe. Wir mussten dem nachgeben, denn unsere Konkurrenz saß damals zum Teil in Italien und hatte die Aufwertungsprobleme nicht. Am Ende standen wir dann auch nicht viel besser da.

Die einzige Lösung wäre gewesen, wenn wir in den USA und in Italien eigene Produktionsstätten errichtet hätten. Daran hat mein Vater auch gedacht. Dann wären wir von Wechselkursschwankungen nicht mehr so abhängig gewesen. Aber stellen Sie sich einmal vor, was das gekostet hätte. Und dann hätte das Ganze hier von uns in Deutschland gesteuert und überwacht werden müssen. So etwas kann sich nur eine große Firma leisten, nicht ein mittelständischer Betrieb wie wir. Den Mittelständler beißen mal wieder die Hunde.

Und jetzt kommen Sie mit der Frage, ob es nicht auch ohne den Euro ginge! Nein, und nochmals nein: Dass es den Euro nicht mehr gibt, das geht einfach nicht. Da müssen wir alle Hebel in Bewegung setzen, um das zu verhindern. Es wäre der Tod des deutschen Mittelstands und der deutschen Exportindustrie.«

Das klingt verständlich und plausibel. Ich habe es hundertmal von den verschiedensten Unternehmern und Verbänden, von den Gewerkschaften, aber natürlich auch von Wissenschaftlern und der Regierung gehört und gelesen. Ich habe es selbst auch immer wieder bei Vorträgen und Kundengesprächen gesagt. Aber ist es auch richtig?

Aus Sicht des Unternehmers natürlich. Wenn es den Euro nicht mehr gäbe, dann würden in den einzelnen Staaten wieder nationale Währungen eingeführt. Das ganze Währungsmanagement muss neu geordnet werden. Die Unternehmen müssten sich gegen Wechselkursschwankungen absichern. Das ist vor allem in unruhigen Zeiten nicht billig. Große Unternehmen, die in mehreren Ländern des bisherigen Euro-Raums tätig sind, müssten wieder nationale Abrechnungszentren aufbauen, die sie bei der Einführung des Euro geschlossen hatten.

Es müssten vermutlich auch neue Korrespondenzbankverbindungen aufgebaut werden. Bei 17 Einzelwährungen reicht nicht mehr eine Bank für alle Länder. In jedem größeren Währungsgebiet braucht man eine eigene Bank. In Unternehmen und Banken müssten die Computersysteme auf die neuen Währungen programmiert werden. Das war bei der Einführung des Euro ein wichtiger Kostenfaktor. Heute wäre es vermutlich etwas billiger, weil die Unternehmen Erfahrung haben, würde aber dennoch viel Geld kosten. Die Banken würden den Devisenhandel mit europäischen Währungen wieder ins Leben rufen.

All das ginge entweder zu Lasten des Gewinns oder würde auf die Preise für die Abnehmer aufgeschlagen. Weil der grenzüberschreitende Handel teurer würde, würden sich die innergemeinschaftlichen Ex- und Importe verringern. In der ökonomischen Theorie spricht man hier von der Verringerung der Effizienz des Wirtschaftens. Der Wohlstand der Bürger würde sinken. Vielleicht ginge auch Beschäftigung verloren. Wer sich besserstellen würde, sind vermutlich die Banken. Sie hätten mit dem Devisenhandel wieder zusätzliche Ertragsquellen.

Die D-Mark (sollte die deutsche Währung denn wieder so heißen) würde gegenüber den Partnerländern (nicht unbedingt gegenüber dem Dollar) aller Voraussicht nach aufwerten. Die Exporterlöse der Unternehmen würden sich entsprechend verringern. Gleichzeitig gingen freilich auch die Kosten für importierte Güter zurück. Dadurch würde sich der negative Effekt der Aufwertung etwas verringern und die Lage erträglicher.

Am stärksten betroffen wäre natürlich der Mittelstand, weil er nicht so global operiert wie große Unternehmen, die weit über Europa hinausdenken.

Trotzdem haben sich 50 europäische Topmanager im Sommer im Jahr 2011 in einer ganzseitigen Anzeige (in vielen Tageszeitungen) für den Euro und seine Rettung stark gemacht. »Die Rückkehr zu stabilen Verhältnissen wird viele Milliarden kosten«, heißt es darin, »aber die Europäische Union und unsere gemeinsame Währung sind diesen Einsatz allemal wert.«

Überraschend war, dass zur gleichen Zeit ausgerechnet 100 Mittelständler in einer »Berliner Erklärung« sich kritisch zur Euro-Politik der Regierung äußerten. Sie waren nicht gegen den Euro, forderten aber Klartext: »Die Währungsunion muss auf eine neue Grundlage gestellt werden. Austritt und Ausschluss müssen möglich werden.«

Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen
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