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“Ich kann diese ganze Aufregung über den Computer nicht verstehen. Es ist doch nur ein Gerät! Was soll das ganze Gerede nur!” – Das ist in etwa so wahr, wie dass der Feuerstein nur ein Stein, und die Eisenbahn nur ein metallener Wagen auf Rädern ist. So redet ein gutherziger Humanismus, der gerne mit der zentralen Stellung des Menschen anfängt, und beim bloßen Gemenschele der Pfaffen und Sonntagsredner endet. Der Mensch wäre ohne seine Geräte nicht der Mensch, sondern bloß ein Primat. Natürlich ist es wichtig, dem Gerät den fetischistischen Glanz zu nehmen, dem ihm die Werbung umlegt, gleichzeitig ist es aber recht überflüssig, denn das tut der Computer ganz von selbst. Man muss begreifen, dass der Computer ein ganz besonderes Gerät ist, selbst wenn gar nicht genau definiert ist, worin genau diese außerordentliche Qualität denn nun besteht. Sicher, es gibt ein paar Merkmale, die dieses Gerät vor allen anderen auszeichnen, so z.B. seine außerordentliche Komplexität, seine Scheinautonomie, die Fähigkeit zur Nachbildung gewisser geistiger Prozesse wie Gedächtnis, Kombination, Entscheidung. Aber was das Besondere genau an diesem Gerät war, werden wir erst wissen, wenn an ihm nichts Besonderes mehr ist. Es muss sich uns erst zeigen. Wir haben heute eine Ahnung davon, was die Eisenbahn mit uns gemacht hat, wir wissen nichts darüber, wer wir sein werden, wenn das Zeitalter der Computer wirklich vorbei ist. In der unwirschen Degradierung des Computers zu bloß einem Gerät hallt die Angst um unsere eigene Identität, weil wir nicht wissen, was unser Gerät aus uns macht. So blöde es ist, sich besinnungslos in die kommende Transformation hineinzustürzen, so blöde ist es, sie zu leugnen. Aber ich kann diese Blödheit gut verstehen. Es war vor etwa fünf Jahren eine ganz eigene Erfahrung, in einem Bus durch Tübingen zu fahren, und in jedem, aber auch in wirklich jedem Sitz um mich herum ein Gespräch über Computer oder das Internet mitzuhören. Es war wie in einer Hölle, in der alle dasselbe denken, von derselben Sache reden, dieselben Wünsche haben. Ich stieg aus, und dachte wie im Fieber: “Ich will es nicht mehr hören.” Oder wie seltsam kindlich sich der Wunsch angefühlt hat, endlich einen 486er kaufen zu können, wie damals, als ich genauso arg eine bestimmte kleine Puppe aus Gummi wollte, mit Draht in den Gliedmaßen, und man konnte die Arme und Beine biegen, wie man wollte. Dieses Verbiegen hatte es mir so angetan, und mir fehlten nur fünfzig Pfennig. Ich bettelte so lange auf meinen jüngeren Bruder ein, bis er erschöpft nachgab, und mir die fünf Groschen überließ, die er gerade noch übrig gehabt hatte, nachdem er sich genauso eine Puppe gekauft hatte, wie ich sie jetzt auch wollte. Lächerlich, nicht wahr? Als ich mir den 486er wünschte, war ich einige Jahre älter und ich fühlte mich ganz genau gleich. Nicht ein Jota Unterschied: “Haben will”. – So etwas darf nicht sein. Weg damit. Wir wollen nichts wissen, was uns so treibt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Als der Jahr-2000-Fehler (wie seltsam antiquiert das schon klingt) überhaupt nicht auf der Bühne auftrat, die die Medien ihm schon bereitet hatten, war das Gelächter groß, aber dieses Gelächter war auch eines der Ahnungslosigkeit. Die falsche Hauptlektion des ausgebliebenen Jahr-2000-Fehlers war, dass die Geräte nur Geräte sind, und dass es uns mit ihnen so gut geht wie mit einem Auto, das noch lange nicht zur Inspektion muss; als alles in Ordnung war, glaubten wir gleich, es sei alles in Ordnung. Dass das Befremdliche, das Unerhörte nicht im Störfall liegt, sondern im reibungslosen Ablauf, die schwindelerregende Veränderung in der Maske des Stillstands und der allerbanalsten Normalität daherkommt, ist uns immer noch nicht sichtbar. “Es ist doch nur ein Gerät!” - Computer sind nur Geräte, aber die seltsamsten je. Und wir werden uns das selbst noch beweisen.
Ein zweiter Hilfeschrei, den man oft im Zusammenhang mit der Computerwirtschaft hört, heißt: “So kann es doch nicht weitergehen!” Gemeint sind damit die Innovationsraten, die Tatsache, dass jeder vierte PC von der Fabrik auf die Müllhalde wandert, weil er im engen Zeitfenster seiner Modernität nicht verkauft werden kann, Massaker-Computerspiele für Fünfjährige, zwei Handys und drei PDAs in jeder Aktentasche, usw. usf. Die Antwort darauf ist einfach: Doch. Kann es. Wird es. Wenn’s schon nicht der Weltgeist will, dann die Neugier, die Computerindustrie, die Phantasmen der Superiorität, der Nashornfaktor nach Ionesco. Die wollen es ganz bestimmt. Manchmal, wenn wir unsere Nasen mit Hornpolitur einreiben, damit wir möglichst bald mit all den anderen Nashörnern mittrampeln können, wird uns ein bisschen unwohl. Eigentlich wollten wir ja nicht jeden Mist mitmachen, und überraschen uns wieder und wieder dabei, wie wir es doch tun. Es kann so weitergehen. Es wird. Die Hoffnung, dass wir gemeinsam steuern könnten, was uns als Individuen nur überrollt, besteht.