No name II (Pentium 75)
Noch während meiner Zeit bei der mittelständischen schwäbischen Computerfirma beschloss ich, dass ein neuer Computer hermusste. Die alte Kiste hatte mir zwei Jahre treu gedient und mich dabei furchtbar genervt, weil ich mit ihr nicht die Sachen machen konnte, die ich wollte. Windows 95 würde nicht auf ihr laufen, und obwohl sich Microsoft mit der Herstellung des größten Virus der Welt Zeit ließ, wusste ich, dass ich früher oder später Windows 95 würde einsetzen müssen, weil alle das taten. Der 386er war hässlich, er war alt, weg damit! Ich verkaufte ihn, und leider auch den hervorragenden Bildschirm, und der Erlös ging in den neuen Computer. Am 23.3.1995 war es soweit. Ich weiß das so genau, weil ich die Rechnung vor mir liegen habe. Eine Pentium-Maschine mit 75 Mhz, 16 MB RAM, 535 MB Platz auf der Festplatte, einer Grafikkarte mit 2 MB Arbeitsspeicher, alles schon mit dem neuen, ultraschnieken PCI-Bus ausgerüstet. Als Software fand sich auf der Platte Windows 3.11, Word für Windows 6.0, Works 2.0 und witzigerweise Corel Draw 4.0, was ich mir im Vorjahr für teures Geld gekauft hatte, um auf dem 386er Bilderbücher zu machen. Ich erinnere mich genau, dass ich ein bisschen Kokolores bei dem Computerhändler machte, denn es war das Jahr, in dem herauskam, dass Intel-Chips manchmal die Grundrechenarten nicht beherrschten, und ich ließ mir schriftlich versichern, dass das bei meiner CPU nicht der Fall sei. Der Bildschirm war von Hyundai, und das tat mir leid, denn es war durch die Presse gegangen, dass bei Hyundai sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen herrschten. Ich maulte mein schlechtes Gewissen an: “Was glaubst du wohl? Einen neuen Philips kann ich mir nicht leisten”, und mein schlechtes Gewissen kuschte. Ich expedierte das Zeug per Taxi nachhause, und hatte also jetzt einen ganz neuen Rechner. Cutting Edge! Pentium! Besser als Volker seiner! Ansonsten war alles genauso wie beim ersten Mal. Ich war genauso zittrig und ungeduldig beim Auspacken, und ich begann diese Nervosität für normal im Angesicht eines neuen Computers zu halten. Es war irgendwie alles gleich. Erst war alles neu, dann war alles ziemlich schnell alt. Es gab erst 32 MB Arbeitsspeicher, dann 64, und zum Schluss wollte ich die Mühle noch auf 96 MB hochjagen, stellte dann aber fest, dass das TAG-Ram nicht ausreichte, und ließ mir den Rat geben, das Teil zu verschrotten. Bevor Windows 95 draufkam, versuchte ich es mit OS/2 Warp, aber bei der Installation wurde mir gemeldet, meine Festplatte sei defekt, und der Computerhändler sagte: “Nehmen Sie doch gleich ne größere, kost nur 80 Mark Aufpreis.” 850 MB war die Ersatzplatte groß, und das reichte eigentlich bis zum Schluss. Ein neuer Drucker kam, und er druckte schärfer und schöner als der alte, machte aber genauso viel Schwierigkeiten. Ich murkste rum, tunte, bastelte, machte zwei Bilderbücher[13], erzeugte sehr viel Text, nutzte das Internet und hatte allgemein bildschirmintensive Tage. Es war alles wie vorher. Es gab nur ein paar geringfügige Unterschiede. Zum Beispiel war diese Pentium-Maschine die erste und bisher einzige, von der ich erfahren habe, dass sie rostete. Weil ich praktischerweise mein Mousepad auch auf dem Rechner liegen hatte, fraß sich der Schweiß von meinem Handballen durch die Lackierung des Computergehäuses und erzeugte nach kurzer Zeit die schönste Roststelle, die man sich denken kann. Wegen des größeren Arbeitsspeichers musste ich nicht mehr über Nacht drucken, die fettesten Bilderbuchblätter brauchten nur noch zwei Stunden. Das Teil stürzte ein wenig öfter ab, wegen Windows 95. Aber ansonsten war alles gleich.
Vier Jahre ging der Rechner mit mir durch dick und dünn, meistens durch dick, denn da wollte ich lang. Die Entwicklung überholte ihn wie alle anderen Rechner bis dato. Meine Melancholie angesichts der Folgemodelle, die zwei Monate nach Kauf meines neuen Computers in den Schaufenstern auftauchten, begann ich als ebenso normal zu begreifen, wie meine Nervosität beim Auspacken eines neuen Rechners. Ich strengte mich wirklich an, den Pentium 75 nicht allzu schnell allzu alt aussehen zu lassen, daher die ständigen Aufrüstungen und Basteleien, aber nach vier Jahren war einfach die Luft raus. Auf dem Hyundai-Bildschirm wurde es langsam Nacht, denn er bestand nicht nur aus spätkapitalistischer Sklaverei, sondern auch noch aus schlechten Komponenten. Immer dunkler wurde der grüne Windows-Hintergrund, zum Schluss half es auch nichts mehr, den Helligkeitsregler bis zum Anschlag aufzudrehen. Adobe Photoshop 3.0 war noch einigermaßen auf dem Rechner gelaufen, die Version 4.0 machte erhebliche Probleme. Alle Kartenslots waren belegt, unter anderem deswegen, weil ich meinen externen ZIP-Drive an eine eigene parallele Schnittstelle hatte hängen müssen – er weigerte sich nämlich, mit meinem Canon-Drucker zusammenzuarbeiten. Kurz und gut, das ganze Gerät machte 1999 den Eindruck eines Ochsenkarrens, den man zu einem Dreißigtonner umgebaut hat, und der auf der Autobahn mitfahren soll. Der Bildschirm kam zum Elektromüll, und durfte dann mit seinen minderwertigen und in Sklavenarbeit zusammengesetzten Komponenten den Berg hochgiftigen Elektronikschrotts ein bisschen erhöhen, der das Ergebnis unserer unglaublichen Innovationszyklen ist. Der Rechner kam in den Keller. Als ich ihn zur Jahreswende 1999 / 2000 für 150 DM wiederum an einen Nachbarn verkaufen wollte, überraschte er mich zum letzten Mal. Ich säuberte am 31.12.1999 die Festplatte aufwendig mit dem PGP Wiping-Tool von all meinen Dateien, befreite das Computerinnere von Staub, und putzte das Gehäuse ein wenig, damit es nicht gar so abgegriffen und alt aussah. Am 1.1.2000, nachdem nun die Welt nicht untergegangen war, schaltete ich den Rechner ein, und freute mich auf die 150 Mark. Ich stellte mit Erheiterung fest, dass er das Systemdatum “1.1.2094” angab. Ich korrigierte das Systemdatum, und startete neu. Der Rechner befand sich wieder 94 Jahre in der Zukunft. Ich begriff, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte, und machte mich im Internet kundig. Ein neues BIOS für das Motherboard würde das Problem schon lösen. Es würde jetzt zu lange dauern, meine Streifzüge zu erläutern, die mich auf der Suche nach einer Lösung durch die Weiten des Webs führten, es wäre auch ungeheuer ermüdend, wie es eine fehlschlagende, protrahierte Websession nun einmal immer ist. Daher mache ich es kurz. Es stellte sich heraus, dass mein Motherboard zu einer verschwindend kleinen Gruppe von Motherboards dieses Herstellers gehörte, die weder so noch so mit dem 1.1.2000 zurechtkamen. Es gab eine Spezialfirma, die Chips zur Aufrüstung dieser speziellen Motherboardgruppe herstellte. Einer davon kostete 80 $, und ich hätte ihn selbst einlöten müssen, worin ich kein Meister bin, von dem fehlenden Lötkolben einmal ganz abgesehen. Auf diese Weise wurde der Pentium 75-Rechner aus dem Jahre 1995 zu meinem ganz persönlichen Milleniums-Bug. Zwar war mir die Welt nicht untergegangen, aber 150 DM lösten sich in Luft auf, denn der Kunde in spe wollte nicht jeden Brief aus der Zukunft abschicken. Und so steht denn das Schmuckstück im Keller, nimmt Platz weg, und rostet vor sich hin. Bis zum Jahr 2094 wird es seiner Zeit voraus sein.[14]