Booten (1989)

1989 war kein gutes Computerjahr. Ich war an drei größeren Hausbesetzungen beteiligt, und dafür, dass wir uns durch diese Aktionen eine freiere Gesellschaft im Miniaturformat erkämpfen wollten, machten sie eine Menge Arbeit. Wir waren schon nicht mehr ganz so doof, dass wir Öffentlichkeitsarbeit für völlig vernachlässigbar gehalten hätten, aber grundsätzlich hielten wir uns doch immer noch an die alten, bewährten Propagandamittel: Das maschinengeschriebene Flugblatt, das manuell zusammengkleisterte Plakat, das Megafon, und grottenschlecht vorbreitete Interviews, die in der Zeitung dann seltsamerweise immer anders klangen, als wir sie gemeint hatten, und von höhnischen Kommentaren aus der Feder genau der Leute umzingelt waren, die uns interviewt hatten. Ich erinnere mich an ein Interview mit dem Redakteur eines Lokalradios. Er wollte ein bisschen O-Ton und Lokalkolorit von den Politspinnern in ihrem besetzten Haus, ich wollte ihm aber nur eine zugegebenermaßen reichlich trockene Erklärung vorlesen, die den Standpunkt des Kollektivs vertrat, und nicht nur meinen. Während wir darüber diskutierten, ob ich nicht vielleicht doch ein bisschen von mir erzählen könne, bemerkte ich, dass sein Bandgerät schon lief, und machte ihn darauf aufmerksam. Er entschuldigte sich, und bewies mir errötend, dass er nicht das Gespräch ohne meine Zustimmung hatte mitschneiden wollen, indem er das Cassettenfach aufspringen ließ: war ja gar nichts drin. Er klappte das Fach zu, und entschuldigte sich noch einmal. Vielleicht war auch ein wenig Angst dabei. Immerhin war er hier bei Linksextremen zu Gast. Meine vom Blatt verlesene Erklärung wurde später tatsächlich gesendet, und ich wurde von den Genossen für mein ruhiges und klares Vorlesen gelobt. Worauf ich stolz war.

Computer spielten bei uns noch gar keine Rolle. Den Begriff “Internet” hatte von uns noch niemand gehört. Das fortgeschrittenste technologische Gerät, das in den besetzten Häusern auftauchte, war ein Funktelefon. Dieses Funktelefon war aufgrund der Initiative des mediengeschultesten Sympathisanten von der “Szene” gelauft worden, und spielte fortan bei uns die Rolle des verborgenen Schatzes, den der Feind niemals finden durfte. Es war etwa so groß wie ein sehr großer Aktenkoffer, wog an die zwanzig Kilogramm, und sah mit seinem grünen, gerippten Metallgehäuse aus, als sei es der Bundeswehr abhanden gekommen. Obendrauf steckte eine Antenne. Es hatte, wenn ich mich recht erinnere, 6000 DM gekostet, über die verwendete Technik kann ich überhaupt nichts sagen, denn das Teil war mir fast so fremd wie seinerzeit der TRS-80. Ich weiss nicht, was wir eigentlich damit wollten. Die Leute, die nachts Wache hatten, wurden neben das Funktelefon und ein frisiertes Radio gesetzt, mit dem man Polizeifunk hören konnte, und man sagte ihnen, sie sollten im Fall des Falles eine bestimmte Nummer anrufen, und dann die anderen wecken. Wahrscheinlich war das die Nummer eines Anwalts. Wenn ich Wachdienst hatte, stand ich immer draußen, auch in der nächtlichen Saukälte eines wirklich kalten Februar. Mit dem Funktelefon und dem Polizeifunk wollte ich nichts zu tun haben, das schüchterte mich ein. Die andere Technik, die bei diesen Besetzungen zum Zuge kam, war eher grobschlächtig und mechanisch, farbgefüllte Eier, Krähenfüsse, ein Schweißgerät, mit dem wir aus Schrottautos eine Barrikade zusammenbastelten, Tapetenkleister, Schreckschusspistolen, Musikanlagen für die Punkkonzerte etc., etc. Insgesamt waren wir technologisch recht veraltet.[5] Ich arbeitete während einer der Hausbesetzungen an einer Magisterarbeit über Adorno (noch mit meiner Schreibmaschine), und mir fiel selbstverständlich Adornos Diktum auf, dass Barrikaden gegen Leute, die über die Atombombe gebieten, lächerlich sind. Ich fand das richtig, hielt aber Achternbusch dagegen: “Du hast keine Chance, also nutze sie“. Außerdem wollten wir ja auch keinen Atomkrieg gewinnen, sondern ein Haus haben, in dem wir billig wohnen und ansonsten machen konnten, was wir wollten. Nicht, dass ich keine Wohnung gehabt hätte. Ich war nur in meinem Wehgeschrei mit Georg sehr allein, und wünschte mir so etwas wie eine funktionierende Gemeinschaft.

Wenn wir auch noch keine besonderen Medienfüchse waren, so hatten wir doch immerhin eine Art Ausschuss, der unsere Aktivitäten in dieser Hinsicht koordinieren sollte. Der Ausschuss war auch eigentlich für die Erklärung verantwortlich, die ich dem Radiomenschen aufs Band gelesen hatte. Er bestand aus mir, Enno und Volker. Enno war sehr alt, Mitte dreißig, er kam eigentlich aus der MSB / DKP[6] –Ecke, war aber vom langweiligen Parteikommunismus abgenervt, und suchte nach Leuten, die tatsächlich etwas unternahmen (oder wenigstens so taten). Wenn in unseren Flugblättern vernünftige Sätze auftauchten, so verdankten sie das meistens Enno, denn er hatte einmal Deutschlehrer werden wollen.

Volker war ein Student, der genauso nicht Geschichte studierte, wie ich nicht Philosophie studierte. Seinem Auftreten und seiner Kleidung nach hätte man ihn damals vielleicht am besten als Autonomen beschrieben, obwohl er zu den “richtigen” Autonomen in der “Szene” genau wie ich immer einen gewissen ironischen Abstand hielt: Die Leute waren uns zu ernst. Volker interessierte sich sehr für Fragen der Drucktechnik, er wusste lustige Sachen, die man mit gefälschten Dokumenten machen konnte, er kümmerte sich um Layout und Grafik. Er war prädestiniert dafür, ein linker Computerfan zu sein, aber 1989 hatte er noch keine Ahnung von der Materie. Das sollte sich später rasant ändern.

Als die Polizei uns aus dem hoffnungsvollsten Projekt vertrieb, liefen wir in Ketten, um nicht so leicht auseinander gerissen zu werden, und ich lief am Arm von Volker. Die anderen hatten sich schon die Kehle heiser geschrieen mit “Häuserkampf ist Klassenkampf”, da schrie Volker hinterher: “Häuserkampf ist klasse!” Ich liebte ihn darum.

Wenn man das unbedingt bewerten will, was wir da machten, dann könnte eine Bewertung lauten: “Wir waren ein paar Bürgerkinder, die ein bisschen Farbe in ihren Lebenslauf bringen wollten.”[7] Mit farbgefüllten Eiern gelang uns das schließlich ziemlich leicht. Und manchmal hat es richtig Spaß gemacht.