Die vergoldete Schreibmaschine

Thaddäus Troll schrieb einmal, dem Schriftsteller sei die allgemeine Teilnahme an den zyklischen Innovationshysterien der Industrie verwehrt. So sehr man ihn auch zu einer Art Kleinunternehmer machen wolle, er habe ja nichts als die Wörter und eine Schreibmaschine. Die könne er sich vielleicht noch vergolden lassen, aber dann sei es auch schon Essig mit dem Investieren.

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Der Künstler, der angeblich nur in die Modernität seiner Texte investieren soll, hat sich in den modernisierungsdepperten Kleinunternehmer schlechthin verwandelt. Es fing damit an, dass die Verlage die Texte möglichst auch auf Diskette haben wollten, unentgeltlich selbstverständlich und in einem kompatiblen Format bitteschön. Aber auch das ist schon lange wieder Schnee von gestern. Heute sehen Verlage und andere Verwerter mit ihren Forderungen nach Disketten schon schwer alt aus, weil sie als große Institutionen und Firmen mit der technischen Agilität ihrer Contentprovider nicht mehr mithalten können. Die haben sie in vorauseilendem Gehorsam einfach überholt.

Denn heute ist an vielen Autoren nichts modern als ihre Ausrüstung. Modem oder doch lieber DSL? Welches Mailprogramm? Welcher Browser? Datenbanken kostenpflichtig abonnieren, oder darauf hoffen, dass irgendwer die Information schon ins Netz gestellt hat? Was mag wohl die beste Suchmaschine sein? Wenn ein Roman von 300 Seiten nirgendwo gedruckt wird, soll ich daraus ein book on demand machen? Oder ihn gleich als PDF-Datei auf meiner eigenen Homepage zum freien oder kostenpflichtigen Download anbieten?

Diese Fragen sollten für einen modernen Schriftsteller geklärt sein, bevor er die erste Taste anschlägt. Während ich vor zehn Jahren noch misstrauisch beäugt wurde, als ich Gedichte auf einem Computer schrieb und gar vom Bildschirm ablas, könnte ich damit heute höchstens noch im Tübinger Hölderlinturm Befremden auslösen. Anderswo würde sich das Publikum fragen, warum ich nicht auch noch dazu singe und wo eigentlich die Multimedia-Performance bleibt.

Nur in den seltensten Fällen ist der technische Overkill das Ergebnis reiner Angeberei. Die jämmerliche Ausstattung vieler Bibliotheken, der Wegfall von Korrektur und Lektorat bei den Verlagen, der Zwang, die Aufmerksamkeitsökonomie zu bedienen, und für die Neuerscheinung überall dort zu werben, wo es eben nur geht, haben den Schriftsteller in eine Ein-Mann-Medien-Agentur verwandelt, die ihre eigenen Produkte herstellt und vermarktet, in Konkurrenz mit Tausenden anderen ihrer Art. Die wendigsten von ihnen sehen aus wie Olympiasportler, die für den digitalen Zehnkampf voll gerüstet sind. Man kann sie über E-Mail, SMS, Handy, ISDN-Telefon, Fax und sogar auch noch über die Deutsche Post AG erreichen.

Natürlich dürfen sie nicht nur passive Rezipienten des Trends sein. Sie haben eine Homepage, sie versenden einen eigenen Newsletter, sie abonnieren zwanzig verschiedene Literaturnewsletter von anderen, klappern immer das Internet nach neuen Ausschreibungen für Literaturpreise ab, und sind 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr mit ihrem Bauchladen am Markt präsent.

Und das ist nicht nur für den Buchautor wichtig, sondern vor allem für den Buchautor als Journalisten. Denn wer würde es selbst als reiner Feuilletonist noch wagen, einen Artikel über die entlegensten literarischen Themen zu schreiben, ohne wenigstens im Groben über die aktuelle wirtschaftliche Lage informiert zu sein? Nachrichten sind Halbfertigprodukte, und wer aus diesen Halbfertigprodukten keine Geschichten, ja nicht einmal Metaphern machen kann, braucht gar nicht erst anzutreten.

Eine einfache Computerisierung reicht längst nicht mehr aus. Wer öfter zu Lesungen oder anderen obskuren Veranstaltungen des Kulturbetriebs unterwegs ist, wird sich früher oder später danach fragen, wie er die Reisezeit besser ausfüllen kann als durch Lesen. Lesen ist gut, denn es sorgt für die Akquise von Halbfertigprodukten, aber man muss auch etwas damit machen. Zwar ist das Problem der Texteingabe für wirklich tragbare Computer noch immer nicht völlig gelöst, aber auf die geniale Idee, die es lösen wird, können die Praktiker von heute nicht warten. Man nimmt, was man kriegt und was das Gepäck nicht allzu sehr beschwert, und manche der neueren multifunktionalen Handhelds sind, was die mannigfaltigen Kommunikationsmöglichkeiten angeht, wie geschaffen für den modernen TXT-Geek. Dass das ganze Geraffel alle zwei Jahre ausgetauscht werden muss und deswegen eigentlich besser im Abonnement bezogen würde, versteht sich von selbst.

Weil Schriftsteller also schon Ich-AGs waren, bevor es den Begriff überhaupt gab, gehörten sie zu den ersten, die die spezifischen Nachteile der neuen Wendigkeit am eigenen Leibe erfuhren. Sicher, alles geht schneller. Also auch die Niederlage. Eine der merkwürdigsten Konsequenzen der Computerisierung des Schreibens für den Schriftsteller ist die, dass er sich jetzt täglich und viel schneller den Frust holen kann, der früher nur einmal im Vierteljahr ins Haus stand. Mit der behäbigen Papierpost kamen die Absagen langsamer und seltener, per E-mail wird einem die Kränkung viel schneller hingehauen. Die Form-Absagebriefe von früher waren tödlicher, endgültiger, amtlicher, sie kamen mit einem echten Briefkopf und quasibehördlichem Ernst daher. Die heutigen Absagen gehen im Nu, es kostet ja auch nichts, möglicherweise schickt man sie auch nur an den Agenten, der sie weiterreicht. Was früher mit langer Klinge in die Seele stach, piekst heute nur noch wie eine Nadel, dafür ungleich öfter, weil das Manuskript ungleich öfter verteilt worden ist, und die Antworten ungleich schneller kommen. Früher wurde kaum ein Schutz aufgebaut, denn man brauchte ihn so selten. Der Brief kam, und man hasste die Welt eine Zeit lang, bevor man sein Selbstmitleid überwand und weiterschrieb. Heute, im Sandstrahlgebläse des Marktes, erinnert die seelische Hornhaut des Schriftstellers an die eines Zeitschriften-Drückers.

Auch dass sich der Autor-Leser-Kontakt durch die Modernisierung des Autorendaseins verändert hat, kann nicht geleugnet werden. E-Mail-Kommentare zu einem neuen Buch zu bekommen, kaum, dass es in den Buchhandlungen steht, ist etwas anderes als sich bei der Signierstunde mit der Schüchternheit von jungen Lesern herumzuschlagen, die Kontakt aufnehmen wollen, aber nicht recht wissen, wie. Gleichzeitig bietet das Medium E-Mail Besserwissern eine hervorragende Möglichkeit, ihr Talent voll auszuleben, was sie im persönlichen Kontakt, per Brief oder Telefonanruf nie wagen würden.

Und selbstverständlich sind nicht alle Verwerter so verschnarcht wie die, die noch auf ihrer Diskette beharren. Es gibt durchaus welche, die die privaten Investitionen ihrer Autoren für ihre eigenen Zwecke auszunutzen verstehen. Am Freitagabend die Fahnen eines kompletten Romanmanuskripts durchmailen, und die Korrektur zum nächsten Montagmittag erwarten? Für manche Leute kein Problem.

Man kann es drehen und wenden wie man will, die Bleistiftzeit ist vorbei. Das heißt auch, dass der vollverdrahtete Schriftsteller den Elfenbeinturm noch simulieren, aber nicht mehr wirklich bewohnen kann. Sicher, manche behaupten noch, ihre Manuskripte würden mit dem Bleistift verfertigt, aber manche erzählen auch sonst viel, wenn der Tag lang ist. Und selbst wenn es stimmen würde, wäre es nicht per se ein Qualitätsmerkmal oder ein Grund zum Stolz. Weder Leugnung, noch Jubel, noch Klagen sind die angemessene Reaktion auf die aktuellen Produktionsbedingungen für Autoren. Man kann gemeinsam versuchen, sie zu verändern, oder man kann sie akzeptieren und das Beste daraus machen. An der Frage, wie ein guter Text aussehen soll, führt, Computerisierung hin, Computerisierung her, sowieso kein Weg vorbei.