When you’re goin´ to San Francisco (Macintosh SE FDHD)
Ein anderer Grund dafür, dass mir die Äpfel nicht in den Schoß oder auf den Kopf fielen, findet sich in der Sonne Kaliforniens. Ich machte Urlaub in San Francisco bei meinem Freund Peter. Peter wohnte in der Villa Green, 230 Haight Ashbury, im Herzen der Hipness, in der schönsten Stadt der Welt, wie ich damals meinte, und nachdem ich ein Jahr zuvor das Erdbeben von 1989 in diesem Haus miterlebt hatte, wollte ich mir einen zweiten sonnigen und interessanten Herbst dortselbst gönnen. 1990 wohnten in dem Haus außer Peter auch noch seine Freundin Kathy, eine lesbische Feuerwehrfrau, die ein rosa Motorrad fuhr, und ein zugeknöpfter Hausdrachen namen Emily mit ihrem schielenden Mann, der immer ein FC St. Pauli-T-Shirt trug, obwohl er Amerikaner war. Wie auch immer. Es war alles sehr lustig. Tagsüber fuhr ich mit Peters Rad durch San Francisco (unter anderem musste ich mir einmal beweisen, dass ich die Riesentreppen von der Market Street hoch zur Haight Street mit diesem Fahrrad bezwingen konnte), ich schleuderte im Park meine Bumerangs umher, ich war viel bunter gekleidet als die meisten Hippies in San Francisco, und fühlte mich königlich. Abends wollte ich meine Erlebnisse in der großen Stadt aufschreiben. Ich hatte zwar meinen Portfolio mitgenommen, aber da Peter einen Apple Macintosh SE (FDHD) hatte, durfte ich mich daran ausprobieren. Das war ein Teil! Ich kam zum ersten Mal mit einer grafischen Benutzeroberfläche in Kontakt. Es muss wohl das kalifornische Klima gewesen sein, ich lernte recht fix, mit dem Gerät umzugehen. Meine Erinnerung schwindelt mir sogar einen farbigen Bildschirm vor, aber das Internet weiß es besser: Der Macintosh SE hatte in allen Konfigurationen einen monochromen Bildschirm. Trotzdem war er gegenüber allem, was ich bis dahin kennen gelernt hatte, ein Quantensprung. Er besaß sogar eine Festplatte, ein Konzept, das mir damals ebenfalls neu war. Man musste ihn nicht mit Disketten booten, sondern schaltete ihn ein, und wartete auf die grafische Oberfläche. Das Keyboard war leicht konkav, und sah im Vergleich zu dem Keyboard von Georgs Zenith aus, als käme es einige Jahrzehnte aus der Zukunft. Die ganze Maschine sah aus wie aus der Zukunft, und wären heute nicht 21-Zoll-Monitoren ein Muss, könnte man sie, so wie sie ist, in jeden Computerladen stellen – es würde nicht groß auffallen. Nur der Drucker (ImageWriter II) beeindruckte mich nicht: Er war langsam und laut, und lieferte ein Schriftbild von bestürzender Hässlichkeit ab.
Warum wurde es dann trotzdem nichts mit mir und dem Apple? Es gibt verschiedene Gründe. Erstens war ich völlig pleite, als ich nach Deutschland zurückkam, und es war gar nicht daran zu denken, dass ich mir einen neuen Computer kaufte. Zweitens entdeckte ich mit Entsetzen, dass ich unter der Sonne Kaliforniens auf dem wunderbaren Computer lauter Mist geschrieben hatte, wie auch meine ganze Hippie-Attitüde im Deutschland des November 1990 crashte. Und schlussendlich mag ich insgeheim von dem Mac SE und dem Kontext, in dem ich ihn kennen lernte, überfordert gewesen sein, ohne es zu merken. Zum Beispiel hatte Peter die Maschine an ein Keyboard gehängt, um sie als “Sequenzer” zu benutzen. Ich wusste damals nicht, was das genau ist, hatte nur die Vorstellung, es habe vage mit Musik zu tun, und nickte trotzdem wie der Durchblicker vom Dienst. Ich fuhr auch einmal während dieses Kalifornien-Urlaubs mit Peter nach Stanford, um mir einen Vortrag über künstliche, computergesteuerte Spracherzeugung anzuhören. Ich verstand von dem Gefasel nur ein Viertel. Dann drückte meine Blase; als ich in dem Institut eine Toilette suchte, wandelte ich an Soundlabors mit Synthesizern und ähnlichem Kram vorbei, der mir ein paar Stockwerke zu hoch war. Ich fand aber keine Toilette, und musste das Gebäude verlassen, um pinkeln zu können. Beim Pinkeln fiel mir die Haltung der Amerikaner zum Thema “Urin in der Öffentlichkeit” ein, und vor allem die der amerikanischen Polizei, auch war mir bewusst, dass amerikanische Universitäten gern einen campuseigenen Sicherheitsdienst oder gar eine regelrechte Universitätspolizei unterhielten, ich pinkelte mich aus Angst beinahe selber voll. Als ich zurückkam, unterhielt sich Peter gerade mit dem künstlichen Spracherzeuger, sie wirkten wie zwei Experten beim Fachsimpeln, und ich fühlte mich fehl am Platz. Es ist ein wenig ungerecht, aber dieser Tag mag einen Schatten geworfen haben auf die Maschine, mit der Peter arbeitete, und an der er mich arbeiten ließ. Darüber hinaus spielte der Mac eine Rolle bei einem Vorfall in der Villa Green, der mir noch heute unangenehm ist. Ich wollte meine Haare in San Francisco violett färben, und der Friseur sagte: “The closest you can get to violet is with this one.” Er drückte mir zwei verdächtige Fläschchen in die Hand, und ich konnte es kaum erwarten, mir den Inhalt in die Haare zu schmieren. Das Zeug stank furchtbar, und es färbte zwar meine Haare nicht violett, sondern rot, aber die Kacheln im Bad der Villa Green sahen nachher aus, als habe jemand einen großen Becher Heidelbeeren darauf zermatscht und nachher nur das Fruchtfleisch abgewischt. Peter, über meine Haarfarbe sehr amüsiert, wies mich sanft darauf hin, dass das Bad zu reinigen sei. Vergrätzt über meine Misserfolg nahm ich die Aufgabe widerwillig in Angriff und entdeckte, wie hartnäckig Haarfärbemittel die Siliconfugen zwischen Badkacheln verfärben können. Es dauerte seine Zeit, bis man nicht auf den ersten Blick merkte, dass hier gefärbt worden war. Als ich fertig war, und meiner Meinung nach ein passables Resultat erzielt hatte, war ich noch schlechter gelaunt als vorher, ich glaubte nämlich, die Hersteller der Farbe hätten den Boden putzen sollen. Ich muss herumgelaufen sein, als habe ich gerade unschuldigerweise zwanzig Jahre in einem Steinbruch verbracht, sei aber aus dieser Tortur wenn auch bitter, so doch ungebeugt hervorgegangen. Peter und seine Freundin Kathy machten sich aus dieser Laune einen Spaß, indem sie sich vor mir niederknieten, sich mehrfach zu Boden warfen, und mir dann einen Wisch in die Hand drückten, auf dem sie ihre tiefe Dankbarkeit für die unendliche Güte bezeugten, mit der ich mich zur Reinigung ihres Bads herabgelassen hatte. Das Ganze war ausgedruckt auf dem ImageWriter II, sah gewohnt hässlich aus, und ich hätte darüber lachen können, aber ich fühlte mich ebenfalls hässlich, nachdem ich es gelesen hatte. Ich verarbeitete den Scherz als Tadel.
Würde mich Steve Jobs fragen, warum ich noch heute keinen Apple Computer benutze, so nennte ich dies als Gründe.