Service
Ich werfe bei einem saarländischen Elektrogroßhändler ein Auge auf einen neuen Scanner. Damit ist eigentlich das Unglück schon beschrieben, die Tragödie vorgezeichnet, der Alptraum gebucht. Aber echter Kummer will voll durchlitten sein, und selbst die kleine, feine Stimme, die in meinem Kopf immer wieder sagt: Tu's nicht! Tu's nicht! , kann mich von dem Kauf nicht abhalten. Ich beschwichtige mich selbst. Der Scanner ist keine Billigware. Er ist ein Markengerät. Der Service der Herstellerfirma gilt weltweit.
Zwar habe ich schon selbst bei dieser Firma gearbeitet, und weiß, dass sie genauso viel Ausschuss herstellt wie andere, aber ihr Service gilt immer noch als vorbildlich. Ich nehme den Scanner mit nachhause. Ich schließe ihn an die USB- Schnittstelle an. Er scannt, aber leider sind die Resultate nicht sehr überzeugend. Die Bilder haben alle einen Grünstich, sind dazu recht blass, und wie ich die Glasplatte des Scanners auch wienere, es sind Kratzer im Bild zu sehen.
Das kommt, wie ich schließlich erschreckt feststellen muss, daher, dass Kratzer in der Glasplatte sind, ganz zu schweigen von dem Staub im unzugänglichen Inneren des Scanners, der auch erst sichtbar wird, wenn seine Lampe eingeschaltet ist. Ich rufe den bekannt guten Kundenservice der Herstellerfirma an. Die Dame lacht und sagt, da helfe nichts, bis einen Monat nach dem Kauf sei der Händler vor Ort zuständig. Ich erkläre ihr, dass der Händler nicht vor Ort wohnt, sondern 250 Kilometer entfernt. Da könne sie auch nichts machen, frohlockt das Fräulein, es gebe doch sicher eine Filiale des betreffenden Elektromarktes in meiner Nähe, hm?
Warten Sie mal , sagt sie plötzlich. Können Sie mir noch einmal die Seriennummer des Geräts durchgeben?
Ich tue, wie mir geheißen.
Sie wissen das wahrscheinlich nicht, aber Sie haben ein N-Gerät gekauft.
Ein N-Gerät?
Ja. Diese Geräte haben eine verkürzte Voll-Garantiedauer von nur drei Monaten, danach berechnen wir pauschal 54 DM pro Reparatur. Wir geben diese Geräte ein wenig billiger an die Händler ab, wissen Sie.
Ich habe den derzeitigen Marktpreis bezahlt. Soll das heißen, dass der Händler auf Kosten meiner Garantieansprüche eine Extramarge herausgeschlagen hat?
Ja! Ruft sie fröhlich. Mir wird ein wenig schlecht.
Und wer ist also jetzt für die Reparatur des Geräts verantwortlich?
Der Händler. Bis einen Monat nach Kaufdatum. Danach haben Sie in ihrem Fall zwei ganze Monate Anspruch auf die volle Garantie durch uns.
Wunderbar , sage ich. Ich danke ihnen.
Die Situation will überdacht sein. Der Händler, der mich mit einem kaputten Gerät zu überzogenem Preis betrogen hat, ist 250 Kilometer entfernt. Ich könnte ja ins Saarland fahren, um ihm den Scanner quer in den Hals zu stecken. Oder ich könnte einen vollen Monat warten, bis de Hersteller selbst in die Gewährleistung eintritt. Nur habe ich dafür keine 550 DM gezahlt. Ich sehe noch einmal im Telefonbuch nach. Es gibt eine Filiale des Elektromarkts in Stuttgart. Keine 30 Kilometer entfernt. Ich entschließe mich zu einer Reise nach Stuttgart. Aber weil ich ein gewiefter Reklamierer bin, rufe ich vorher noch in Stuttgart an, und vergewissere mich, dass meine Ansprüche anerkannt werden. Der Mann am Telefon ist sehr locker. Selbstverständlich sei dem so. Da gerade kein Gerät der gleichen Bauart vorhanden sei, bekäme ich natürlich mein Geld zurück, sofort und auf der Stelle.
Gutgelaunt sitze ich im Zug. Es ist ein schöner Herbsttag, und goldene Sonnenstrahlen fallen schräg durch die Fenster ein. Ich werde meinen Scanner reklamieren, das Geld zurückerhalten, und mir in aller Ruhe vor Ort ein Alternativmodell aussuchen. So geht das. Ich bin mit dem Leben versöhnt.
Der Mann mit dem ich am Telefon gesprochen habe, ist leider nicht da. Das macht aber nichts. Denn natürlich wird man mein Gerät austauschen oder mir den Kaufpreis zurückerstatten, vorausgesetzt, ich unterhalte mich mit dem Geschäftführer. Der Geschäftsführer hat gerade eine Etage höher zu tun, und ich klettere mit meinem Paket die Treppen hinauf. Der Geschäftsführer ist sehr beschäftigt, aber schon nach einer knappen halben Stunde kann er sich mir widmen. Er lächelt ein trübes und rotnasiges Alkoholikerlächeln, und als ich ihm meinen Casus geschildert habe, schüttelt er bedauernd den Kopf. Er könne mir leider gar nicht helfen.
Nein, nein , sage ich beschwörend, man hat mir am Telefon gesagt, dass ich hier den Scanner umtauschen oder das Geld wieder mit nachhause nehmen kann.
Das war ein Irrtum. Das muss Ihnen jemand gesagt haben, der sich nicht auskennt. Sehen Sie, die Märkte im Saarland haben zwar denselben Namen wie unserer hier, aber sie gehören nicht zum selben Unternehmen. Sie saarländischen Märkte gehören zu ALDI, während wir zur REWE-Handelsgruppe gehören.
Vielleicht war es auch Grosso und Tengelmann, so genau schneide ich das nicht mit. Alles dreht sich. Ich denke, der Mann redet irre. Die Firmen heißen gleich, verkaufen dasselbe und benutzen dasselbe Logo in gelb und schwarz, aber sie haben nichts miteinander zu tun? Ein Blick in die Augen des alkoholischen Geschäftsführers, und mir wird klar: Er meint es ernst. Ich brauche nicht zu widersprechen. Gott diskutiert ja auch nicht über die Schwerkraft. Niemals.
“Ich kann das Gerät zur Reparatur annehmen. Kulanzhalber. Dann bekommen Sie in zwei Wochen Ersatz.”
Ich kenne diese zwei Wochen. Es sind die klassischen zwei Reparaturwochen, die eigentlich nicht “14 Tage à 24 Stunden” meinen, sondern ein sehr elastisches, wie Gummi dehnbares Zeitmaß aus dem relativistischen Service-Universum, das sich ein verrückter, bis dato unbekannter Bruder von Albert Einstein ausgedacht hat. Es vergehen zwei Wochen, dann vier, dann sechs. Dann ist das Austauschgerät da. Ich fahre nach Stuttgart und hole es ab. Auch gut, denke ich, jetzt wird gescannt. Ich komme nach Hause, und schließe das Gerät an. Zuerst will ich es nicht wahrhaben, aber dieser Scanner erzeugt keine grünlichen und verkratzten Bilder, sondern gar keine. Reaktion: Null. Wird nicht erkannt. Scannt nicht, tut nichts, sitzt einfach da und wartet auf den Vorschlaghammer, der ihn in tausend Fetzen haut. Ich rufe den bekannt guten Service der Herstellerfirma an. Nach knapp vierzig Minuten und vier kostspieligen Kurzurlauben in der Warteschleife werde ich zu einem Techniker durchgestellt. Er hat einen starken niederländischen Akzent und ist sehr freundlich. Er hört sich mein Problem geduldig an, und forscht dann in einer Techniker-Datenbank nach seiner Ursache. Wie er sehr bald herausfindet, ist der niegelnagelneue, brandheiße USB-Scanner mit den Steuersätzen der USB-Schnittstelle in meinem Computer nicht völlig kompatibel, so dass es zu “random behaviour” kommen kann: mal tut er, mal tut er nich. Meiner tut nich. Die einzige Abhilfe besteht in Kauf und Installation einer speziellen USB-Schnittstellenkarte, die garantiert mit dem Scanner funzt, er nennt mir Hersteller, Bezugsort, Preis. Ich komme mir mittlerweile vor wie bei Rudi Carell, und erkläre mit fester Stimme, das sei unakzeptabel. Er bedauere, eine andere Lösung kenne er nicht. Ich könne mich aber an das ECSC wenden, das “European Customer Satisfaction Center”, um mich zu beschweren und eine Wiedergutmachung zu erlangen. Die Adresse hat er da, ja. Als ich auflege klingeln meine Ohren vor Wut. Ich bestelle die Karte zum Preis von 98,00 DM. Schon nach knapp zwei Wochen ist sie da. Sie wird sofort erkannt. Ich werfe den anderen USB Root Hub und den USB Host Controller aus der Systemkonfiguration, starte den Rechner neu, und die Karte steht im Geräte-Manager da wie eine Eins. Ein Gedicht. Dann schließe ich den Scanner an, und er wird nicht erkannt. Es geht ein Zug nach nirgendwo, und der Universal Serial Bus hat das gleiche Ziel. Es ist 17.30 Uhr an einem Montagabend. Ich halte ein Kabel in der einen, eine Betriebsanleitung in der anderen, stehe vor meinem Schreibtisch, und lege den Kopf in den Nacken, vor Erschöpfung, Enttäuschung und Wut bebend. Bei Hiob mag es um mehr gegangen sein, aber er hat das Gleiche gefühlt, dessen bin ich mir sicher. Ich werfe das Kabel und die Bedienungsanleitung hin und rufe den bekannt guten Service der Herstellerfirma an. Als mir das Fräulein vom Call Center bedeutet, alle Techniker seien gerade belegt, antworte ich ihr:
“Hören Sie. Ich habe sechs Wochen auf ein Austauschgerät für meinen ursprünglichen Scanner gewartet und zwei Wochen auf die Schnittstellenkarte, mit der er garantiert funktioniert. Diese Schnittstellenkarte ist mir von einem Ihrer Techniker empfohlen worden. Der Scanner funktioniert nicht. Und ich brauche für dieses Problem eine Lösung. Jetzt.”
Meine Stimme zittert so seltsam, und sie hat auch einen komischen Klang. Ich wäre beeindruckt von jemand, der so redet, und das Fräulein vom Call Center ist es auch. Sie stellt mich sofort zu einem Techniker durch, und als er rangeht, weiß er Bescheid: “Kunde dreht gleich total durch, bitte nett sein.” Ich schildere zum zweihundertfünfzigsten Mal mein Problem, und der Mann hört mir geduldig und aufmerksam zu. Er dirigiert mich durch ein paar Lösungsansätze, die alle nichts bringen. Ich schwitze wie ein Tier, weil ich ihm am Telefon beweisen will, dass ich nicht einer der üblichen Doofmänner bin, die sich Computer kaufen, und dann nicht wissen, was sie damit machen sollen. Es fruchtet alles nichts. Um 18.10 Uhr sagt der Techniker:
“Entschuldigen Sie, aber ich sollte seit 10 Minuten im Feierabend sein. Ich mache für Sie eine extradicke Ausnahme: Morgen, gleich nach Arbeitsbeginn, rufe ich Sie von mir aus an. Ich darf das nicht, aber ich tue es trotzdem, verstehen Sie. Ich will dass dieses Problem gelöst wird, und es ist lösbar. Vertrauen Sie mir.”
“Ja”, sage ich krächzend.
“Also. Sie tun jetzt bitte das, was ich Ihnen zuletzt vorgeschlagen habe, und dann rufe ich Sie morgen an. 8.15 Uhr?”
“Bis dann”, sage ich.
Ich schaue auf einen Bildschirm. Selbst der Bildschirm scheint zu schwitzen. Ich werde einen letzten Versuch heute Abend machen. Nicht das, was der Techniker mir vorgeschlagen hat. Ich werde Windows 98 neu installieren. Windows 98 liebt es, neu installiert zu werden. Wenn das nicht von Zeit zu Zeit passiert, wird es bockig und tritt in Streik. Knapp eine Stunde später ist das geschehen, und ich zittere, als ich auf das Icon für die Scannersoftware klicke. Ich kann es kaum glauben, als das Gerät sich mit einem elektrischen Summen aus dem Tiefschlaf zurückmeldet, und sich das Bild Stück für Stück in dem Fenster der Scansoftware aufzubauen beginnt. Ich stoße ein animalisches Freudengeheul aus. Ich tanze auf der Bedienungsanleitung des Scanners. Ich scanne Schwarzweiß, ich scanne Text, ich scanne direkt vom Scanner auf den Drucker, ich scanne mit geschlossenen Augen meine eigene Nase. Alles klappt. Ich kann scannen. Ich bin reich, schön, berühmt, glücklich, und das Leben hat einen Sinn. Ich bin kein Doofmann. Ich weiß, wie man solche Probleme löst. Sieht man ja. Ich kann scannen. Der Techniker hält sein Wort und ruft um 8.15 Uhr genau am nächsten Morgen an. Es wird ein kurzer Anruf. Ich erkläre ihm, dass ich das Problem gelöst habe. Er ist völlig verdutzt und fast ein bisschen enttäuscht, scheinbar hat er sich noch nach Feierabend über die Sache Gedanken gemacht. Der Scanner funktioniert hervorragend. Ich arbeite so flüssig damit, dass es mir nicht mehr auffällt, wie wichtig er für meinen Alltag ist. Ich verlasse mich auf ihn. Etwa ein Jahr nach der großen Schlacht kommt der Tag der Wahrheit. Ohne jede Vorwarnung stellt der Scanner den Betrieb ein. Ich halte das zunächst nur für einen der dummen Scherze von Windows 98, aber ich kann machen, was ich will, es läuft nichts mehr. Ich rufe nicht beim Kundenservice an. Die Garantie ist lange erloschen, und die schrecklichen Erlebnisse vom Jahr vorher stecken mir noch so tief in den Knochen, dass ich an Semtex denke, wenn ich mir die Pausenmelodie der Service-Warteschleife nur vorstelle. Ich gehe einen anderen Weg. Ich gehe den Weg des Besiegten. Da der Scanner auch eine parallele Schnittstelle hat, an der parallelen Schnittstelle meines Rechners aber schon ein Umschalter mit zwei Druckern hängt, muss eine zweite parallele Schnittstelle her. Zufälligerweise besitze ich noch eine, und baue sie ein. Wird erkannt, wird bedient, funzt wie neu. Ich schließe den Scanner an und habe das Fenster schon geöffnet, um ihn hinauszuwerfen, falls er nicht funktioniert. Er entgeht seiner Hinrichtung, indem er langsam, mit seltsamen Geräuschen, und ein bisschen ruckelnd das Testbild abscannt, das ich ihm zur Aufgabe gemacht habe. Der Scanvorgang und der Bildaufbau dauern etwa dreimal so lang wie an der USB-Schnittstelle (so lange sie funktionierte), aber das ficht mich nicht an, der Scanner scannt. Das ist alles, was ich will. Und ich werde nie mehr einen Scanner kaufen, bevor ich mich nicht genau über ihn kundig gemacht, von Freunden Testberichte und aus dem Internet alles über das Gerät herbeigezogen habe, was es dort zu erfahren gibt. Bis zum nächsten Mal.
Dieses Martyrium mit dem Scanner war kein Ausnahmefall. Ich hatte ähnliche Erlebnisse mit CD-Brennern, ZIP-Laufwerken, Joysticks, Druckern, Soundkarten, und vielen anderen Gerätschaften mehr, von der Software ganz zu schweigen. Erfahrungen wie diese beschränkten sich nicht auf eine bestimmte Marke, ein bestimmtes Herkunftslandland, oder eine bestimmte Handelskette, von der ich sie bezog. Wie kommt es eigentlich, dass Millionen Menschen auf diese Weise ihre Zeit vergeuden? Wer ist dafür verantwortlich? Ich weiß es nicht genau, aber ein paar Erklärungsversuche kann ich schon anbieten.
Der Kapitalismus mag keine praktischen Dinge, die wirklich zuverlässig und dauerhaft funktionieren. Ein funktionierender, in allen Teilen gut mit sich selbst und seiner Umgebung abgestimmter Computer wäre für die Computerindustrie dasselbe wie die technisch durchaus machbare ewige Glühbirne für die Elektroindustrie. Jetzt ist ein Computer etwas anderes als eine Glühbirne, Komplexität bringt nun einmal Fehlerpotentiale, und Computer sind nun einmal die komplexesten Maschinen ever. Aber ein Monstrum wie die USB-Technologie, die nur in Ausnahmefällen klaglos funktioniert, müsste nicht sein.
Warum aber existiert sie dennoch, zusammen mit einem Service, der in der Regel jeder Beschreibung spottet? Warum kommen Firmen damit durch, autistisches und minderwertiges Computerequipment für teures Geld zu verkaufen, und das Bild obendrein mit einem magersüchtigen Service abzurunden, der die Telefongebühren nicht wert ist, die man auf ihn verwendet? Weil die IT-Ökonomie eine Suchtökonomie ist. Haben Sie schon einmal ein Tütchen Heroin mit einem Beipackzettel gesehen? Die Computerindustrie vertraut darauf, dass ihr jeder Scheiß zu beinahe jedem Preis abgekauft wird, und die traumhaften Verdienste, die sie dadurch erwirtschaftet, möchte sie nur ungern durch übertriebene Serviceleistungen an die Kundschaft und gesteigerte Qualitätskontrolle wieder gefährden.
Rauschgift ist die ideale Ware: Es ist schnell herzustellen, leicht zu transportieren, und kann zu buchstäblich jedem Preis an eine Kundschaft verteilt werden, deren Nachfrage nie versiegt. Computer sind, so wie sie sind, eine fast ideale Ware. Sie herzustellen, zu lagern und zu transportieren erfordert ungleich höhere Investitionen als bei Rauschgiften, aber die kopflose gesellschaftliche Modernisierungshysterie, der wahnhafte Konkurrenzdruck bis in die Kinderzimmer, der Wunsch jederzeit dabei und am liebsten immer besser zu sein, erzeugen ein Klima, in dem alles verkäuflich ist, wenn es nur neu ist. Dabei ist nicht interessant, dass der eine oder andere Händler oder Hersteller einmal alle Viere von sich streckt, denn das sind genauso normale Prozesse der Kapitalkonzentration und Konkurrenz wie die Vernichtung der einen Drogenhändlerbande durch eine andere. Wichtig ist das Prinzip: Wenn du etwas schickes herstellst, und versprichst, es befähige deine Kunden auf magische Weise ihren Konkurrenten voraus zu sein, dann ist es fast egal, ob es diese Versprechungen auch erfüllt. Wichtig ist das universale Rattenrennen aller gegen alle, in dem die Wettbewerber nach einem Zauber gieren, der sie gewinnen lässt. “Schaffe eine Phantasmagorie der Superiorität, und beute sie aus”: Das ist die ultimative Maxime eines Computerherstellers, und in dem Versprechen, Superiorität zu ermöglichen, liegt die deutlichste Gemeinsamkeit zwischen den funkelnden, immer neuen Produkten der Computerindustrie, und dem Kokain. Die cutting edge ist die cutting edge der Rasierklinge in dem weißen Pulver. Beides funktioniert nicht, aber wenn die Ware verschoben ist, spielt das keine Rolle mehr.
Der große Unterschied ist natürlich der, dass man mit Computern viele tatsächlich sinnvolle Dinge tun kann, und mit Kokain nur sehr wenige (zum Beispiel Augenoperationen). Aber da die Computer in so erschreckend vielen Fällen nicht das tun, was sie sollen, bedürfte es einer großen Veränderung. Voraussetzung für eine echte Veränderung wäre eine sinnvolle Normierung von Technologien, die nicht der Industrie vorbehalten bleibt. Meiner Ansicht nach muss nicht jeder einfach damit leben, dass sein Computer so häufig abstürzt, denn das ist kein Schicksal, sondern hat Methode. Meiner Meinung nach sollte es nicht vorkommen, dass ein Rasselbande von Herstellern eine beliebige Anzahl von nicht oder schlecht funktionierenden Geräten herstellt und vertreibt. Für die Leute, die mit Computern wirklich arbeiten und nicht nur daran herumbasteln wollen, sollte es etwas wie einen sicheren Sektor geben. Es ist mir zunächst gleichgültig, ob das der Staat übernimmt, oder eine weltweit verteilte Benutzer-Gemeinschaft nach Art der Linux-Community, die sich dafür verantwortlich fühlt, es sollte einfach nur geschehen.
Und wenn es die Enteignung der Computergrößen und ihre Unterstellung unter öffentliche Kontrolle bedeutet: sei’s drum. All diese Firmen haben sich mit der Produktion von Müll einen goldenen Hintern verdient, sie sollten endlich tun, was sie andauernd versprechen: Sinnvoll funktionierende Maschinen herstellen. Stattdessen wird den Benutzern pausenlos eingeredet, sie seien zu dumm, und sie müssten sich nur noch eine weitere Stufe zur subhumanen Blödheit ihrer Maschinen hinabbegeben, und dann würde das schon klappen. Gar nichts klappt, und es hat viel zu oft mit “menschlichem Versagen” nichts zu tun. Wer einmal in einer Firma, die auf Computer angewiesen ist, die Sysadmins von Notfall zu Notfall hat laufen sehen, wer einmal wirklich kurz vor einer wichtigen Deadline sein Projekt durch einen Maschinenfehler zerspant sieht (und das Backup auch), der weiß, was er von den schicken Anzeigen der Hersteller eigentlich zu halten hat, selbst wenn er nicht anders kann, als auf die nächste Gerätegeneration umsteigen, weil die Welt es verlangt.
Das groteske Missverhältnis zwischen der Hardware- und Software-Entwicklung sollte genauso öffentlicher Prüfung und Kontrolle unterworfen werden. Die Hardware ist der Software um mehrere Generationen voraus (wie jeder Windows-Benutzer bei einem Blick in das Systemverzeichnis von Windows feststellen kann), und in mancher Hinsicht gleichen moderne Maschinen Riesen, die mit Kindersandschaufeln Berge abtragen sollen. Es ist natürlich eine Lösung, die Riesen in den Kraftraum zu schicken, ihnen Wachstumshormone zu verpassen und sie immer schneller arbeiten zu lassen, eine rechte Schaufel tät’s aber auch. Wirklich intelligente Software würde eine Menge Hirnschmalz verbrauchen, viel Zeit und Geld kosten, aber die Ersparnisse an giftigen Schwermetallen und Epoxydharzen könnten gewaltig sein, weil die vorhandenen Rechnerkapazitäten zu Abwechslung einmal wirklich ausgenutzt würden.
Aber der Kapitalismus möchte nicht sparen, das stört den Absatz, und der Absatz, der muss gesichert sein, auch wenn wir dabei überschnappen. Microsoft hat uns darüber belehrt, wie eine Firma mit mittelmäßigen bis hundsmiserablen Produkten aus dem so genannten freien Wettbewerb als nahezu allmächtiges Monopol hervorgeht. Die Lehre aus dem Microsoft-Alptraum wäre natürlich nicht, Microsoft bloß zu zerschlagen, sondern so etwas wie Microsoft von vorneherein unmöglich zu machen. Bis dahin werden wir davon träumen müssen, ein Gerät zu erwerben, und es einfach zu benutzen, bis es seine Nützlichkeit aufgebraucht hat.