Das Gerät
Mitte der 60er Jahre, als er noch mehr Bücher schrieb und weniger törichte Reden hielt, erfand Martin Walser das Gerät, eine multifunktionelle, dabei völlig sinnlose Apparatur, die als das ideale Geschenk zu jedwedem denkbaren Anlass fungieren sollte. Das Gerät sollte die Geschenkfrage in der bürgerlichen Gesellschaft ein für alle mal durch endlose Ausbaufähigkeit beantworten. Keine peinlichen Überlegungen mehr, was Onkel Fritz und Tante Agathe eigentlich dieses Jahr zum Geburtstag geschenkt werden sollte, denn es würde wie immer ein neues Zusatzteil für das Gerät geben. Man würde alles damit machen können, wirklich alles, es wäre sehr praktisch und völlig nutzlos, nicht zuletzt durch die ständigen An- und Umbauten wäre es schließlich dazu verdammt, nur noch zu wachsen, etwa wie ein künstlicher Baum, dem jedes Jahr ein Ring mehr umgelegt wird, und es müsste in garagenartigen Anbauten zu allem nütze und von niemandem benutzt dahingammeln.
Die ganz Eifrigen könnten es gut in Schuss halten, ab und zu diese oder jene kleine Aufgabe damit bewältigen, nur damit die Gelenke nicht einrosten, bei den Familiensinnigen könnte es zum Mittelpunkt eines gewissen Rituals werden, indem es regelmäßig in all seiner Pracht und Herrlichkeit, geputzt und voll ausstaffiert, den Kindern zur Andacht vorgeführt würde, eine Monstranz des Konsumzeitalters mit ständig wachsendem Strahlenkranz.
Ich las die Geschichte vom Gerät Anfang der Achtziger, und lachte von Herzen darüber, denn ich begriff sie als eine Parodie auf die seltsamen Muttertagsgeschenke, die sich in den Schränken unserer Küche angesammelt hatten, jene beklemmenden Überreste der Pflicht, Mutti auch mal was Gutes zu tun. Da gab es Joghurtmaschinen, Eismaschinen, elektrische Saftpressen, elektrische Eierkocher für sechs Eier gleichzeitig, und viele andere Staubfänger mehr, die Vati uns vorgeschlagen hatte für Mutti zu kaufen, damit sie eine Freude habe, und wir waren hingegangen, hatten unser erspartes Taschengeld und die väterlichen Zuschüsse zum lokalen Elektrohandel getragen, der am Muttertag Umsätze machte wie sonst nie, waren mit dem fabrikneuen Müll von Stiebel Eltron, Rowenta und Braun zurückgekehrt, und hatten ihn am 14. Mai der säuerlich lächelnden Mutter überreicht, die sich überhaupt nicht freute, das Geraffel einmal rein alibimäßig benutzte, und dann für immer verschwinden ließ.
Der gesammelte Muttertagsabraum erschien mir wie die reale Umsetzung von Walsers zwanzig Jahre altem Konzept. Ich dachte: “Entweder hat sich seit zwanzig Jahren nichts geändert, oder Walser war seiner Zeit zwanzig Jahre voraus.” Welch ein Irrtum. Walser war seiner Zeit an diesem Punkt nicht zwanzig Jahre voraus, sondern zwei volle Epochen, und als das wahre Gerät sich schon ankündigte, steckten ich und meine Familie noch voll in der Ära der Küchengeräte. Kurzzeitig von technischen Schwierigkeiten ausgebremst, mutierte das Gerät nach seiner Protophase als Muttertags-Elektromüll zu einer Veranstaltung namens Partykeller, die Mitte bis Ende der Siebziger Millionen von Familienvätern dazu brachte, ungenutzte Kellerräume in ihren Häusern mit Holzverkleidungen und Wagenrädern an den Wänden, rustikalen Sitzbänken und schmiedeeisernen Salz- und Pfefferbestecken zu verhäßlichen, und die zu gar nichts anderem diente, als überflüssiges Geld und überschüssige Arbeitskraft aufzusaugen, Ressourcen, die sonst womöglich zu noch destruktiveren Schweinereien verwandt worden wären.
Wenn es ganz dick kam, wurden diese klaustrophoben Kapellen des Kleinbürgertums Anfang der Achtziger noch zu Atombunkern umgebaut, das war dann die äußerste Grenze zum wirklichen Wahnsinn. In diesen Partykellern gab es nie Parties, denn sie stanken, wie Keller eben stinken, und für eine Geburtstagsfeier in einem Bunker waren selbst ihre Erbauer nicht verrückt genug. Wir hatten keinen Partykeller, daher blieben wir zwangsweise in der primär symbiotischen Phase stecken, und füllten unsere Küchenschränke mit Elektroschrott ab Werk, ein Jahr Garantie pro Teil inbegriffen.
Dann kam das einzig wahre Gerät, das vollkommene, unüberbietbare, totale Gerät: der PC. Der PC hatte alle Spezifikationen, die Walser für sein Gerät Anfang der Sechziger gefordert hatte: Er war ausbaufähig ohne Ende, verschlang enorme Quantitäten an Geld und Aufmerksamkeit, war total sozialkompatibel und blieb von Generation zu Generation, von Ausbaustufe zu Ausbaustufe per definitionem modern. Und er war vor allem für die meisten, die sich einen zulegten, vollkommen nutzlos. Er war die Küchenmaschine in der dritten Potenz, der zum Elektroschrott mit zwei Jahren Garantie reimplodierte Partykeller, das Gerät schlechthin. Und als das Publikum dies begriffen hatte, konnte der PC seinen immer noch anhaltenden Siegeszug durch die Haushalte antreten, bis er überall war. Papi machte vielleicht seine Steuererklärung daran, wirklich genutzt wurde er von den Kindern zum Spielen, was er mit dem Partykeller gemein hatte, in dem jetzt die Tischtennisplatte wohnte, und wenn er ansonsten den Status einer besseren Schreibmaschine überhaupt erreichte, dann war es etwas Besonderes.
Man konnte soviel damit machen. Niemand machte etwas damit. Das Glück wurde mit der Ankunft des Internets Mitte der Neunziger perfekt, als der virtuelle Partykeller mit atomkriegssicherer Datenpaketvermittlung aufmachte, wo die intelligenten Küchengeräte sich endlich in Echtzeit miteinander unterhalten konnten, um sich gegenseitig ihre holzverkleideten Kellerwände und schmiedeeisernen Pfeffer- und Salzbestecke vorzuführen, und zwar weltweit. Die letzte Ausbaustufe ist noch nicht realisiert, wird uns aber schon fröhlich angedroht: Die Verschmelzung von Benutzer und Gerät. Es ist die Vision vom menschlichen Gehirn als einem Partykeller, in dem ein Zoo von weltweit breitbandig vernetzten bioelektronischen Geräten Einladungen für den nächsten Grillabend austauschen. Es gibt Hirn.