Dreizehn

Aber dazu kam Toppe erst einmal nicht.

Van Appeldorn hatte auf stur geschaltet, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst mit Knut Eberhard zu sprechen. Vorher allerdings musste Eberhard aus dem Polizeigewahrsam ins Gefängnis an der Krohnestraße gebracht werden, damit der zuständige Richter ihn ausantworten konnte. Glücklicherweise hatte Knickrehm heute Dienst, und die Vernehmung war unkompliziert und kurz gewesen.

«Wollen Sie sich kurz frisch machen?»

Eberhard roch säuerlich, und in seinen Mundwinkeln hatten sich braune Bröckchen gesammelt.

«Ihre Frau hat Ihnen Waschzeug gebracht.»

«Ich hab’s gehört.» Was nicht weiter verwunderlich war, denn Frau Eberhard hatte die ganze Etage zusammengekeift. Jetzt war sie unterwegs, um einen Anwalt aufzutreiben.

«Ich brauche nichts. Ich will bloß raus hier.» Eberhard rubbelte sich mit dem Finger über die Zähne, roch daran und leckte ihn ab. «Ich hab keine Sekunde geschlafen.»

«Viel besser geht es mir auch nicht.» Toppe überwand sich und hielt Eberhard seine Hand hin. «Wir haben zwar schon eine Reise hinter uns, aber ich glaube, ich habe mich noch gar nicht richtig mit Ihnen bekannt gemacht. Toppe! Ich leite die Abteilung hier.»

Eberhard reichte ihm seine Rechte. «Gott sei’s gedankt! Dann haben Sie bestimmt mehr Ahnung. Ich schwöre beim Allmächtigen, ich habe niemanden umgebracht. In meinem ganzen Leben hab ich noch nie einem Menschen ein Haar gekrümmt. Und jetzt sitze ich hier in Untersuchungshaft, wenn ich alles richtig verstanden habe. Das kann doch nicht wahr sein! Ich hab doch nichts getan. Warum halten Sie mich fest?»

«Lassen Sie uns über etwas anderes sprechen. Wann haben Sie Ihre Grundstücke an Geldek verkauft?»

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. «Im Juli waren es zwei Jahre.»

«Haben Sie mit Geldek selbst verhandelt?»

«Mit dem König von Kleve? Das meinen Sie doch nicht ernst! Den hab ich ein paar Mal von weitem gesehen, mehr nicht. Den Vertrag habe ich mit Joosten gemacht, mit diesem Judas!»

«Joosten hat Sie verraten?»

«Wie würden Sie das denn nennen? Es kann nur Joosten gewesen sein, der Geldek von meinen Grundstücken erzählt hat. Die zwei wussten genau, was das Land wert war, aber mich haben die eiskalt über den Tisch gezogen.»

«Und warum haben Sie uns das nicht erzählt?»

Eberhard porkelte an seinem Mundwinkel herum. «Weil ich Schiss hatte, ihr buchtet mich ein. Habt ihr ja auch!» Er klang weinerlich.

«Rauchen Sie?» Toppe hielt ihm seine Zigarettenschachtel hin.

Aber Eberhard schüttelte den Kopf. «Ich rauch bloß Zigarren, manchmal.»

Toppe steckte die Schachtel wieder ein. «Rechtlich gesehen hat Geldek Sie nicht betrogen. Er hat Ihnen einfach nur nicht alles erzählt.»

Eberhard schnaubte. «Ich nenne so was Betrug! Und von der Stadt wollen wir gar nicht erst reden! Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich beim Bauamt auf der Matte gestanden habe, damit die mir das Waldstück zum Bauland machen. Aber bei unsereinem läuft da nichts. Da muss ein Bonze wie Geldek kommen, dann ist alles kein Problem mehr. Hat ja auch genug auf Sack, dass er jeden schmieren kann.»

«Ja», nickte Toppe, «das ist bitter. Sie müssen Geldek die Pest an den Hals gewünscht haben. Immerhin hat er letztendlich 3,7 Millionen Mark mit Ihren Grundstücken gemacht.»

«Wie viel?» Eberhard riss die Augen auf, an seiner Schläfe trat pulsierend eine Ader hervor. «Mann, Mann, Mann, das gibt’s ja gar nicht! Dieses Schwein!»

Toppe betrachtete ihn schweigend.

Eberhard sammelte sich wieder. «Aber getan hab ich dem nichts! Ehrlich nicht, Herr Toppe. Ich kannte den doch gar nicht. Ich weiß doch gar nichts von dem.»

«Gut. Und was wollte Joosten vorgestern von Ihnen?»

Der Mann lief dunkelrot an. «Ich weiß es nicht, verflucht nochmal! Das hab ich schon hundertmal gesagt. Als ich den gefunden habe, war er tot.»

Eberhard war verwirrt, aber Toppe spürte noch etwas anderes – Furcht.

Astrid steckte den Kopf zur Tür herein. «Helmut, kommst du mal kurz?»

Toppe schaltete das Tonbandgerät ab. «Bleiben Sie sitzen. Wir sind noch nicht fertig.» Dann schickte er den Beamten, der auf dem Gang wartete, zu Eberhard ins Zimmer.

«Was gibt es denn?»

«Schlechte Nachrichten.» Astrid sprach leise. «Arend hat sich gemeldet. Die Bissmarken an Geldeks Hand stammen nicht von Eberhard.»

Toppes Augen funkelten. «Nun, das ist schade, aber das haut ihn nicht raus. Geldek kann kurz vorher von jemand anderem gebissen worden sein. Wer weiß, vielleicht hatte er Zoff mit seiner Frau.» Er schlug sich gegen die Stirn. «Verdammt, ich wollte doch veranlassen, dass Günther sie vorlädt.»

«Das hat Norbert erledigt. Aber da ist noch was: Die Zeugen sagen übereinstimmend, dass Eberhards Auto die falsche Farbe hat, viel zu dunkel.»

Toppe fluchte leise. «Lass Eberhard wieder runterbringen und komm dann ins Büro. Wir müssen nachdenken.»

 

«Selbst wenn er für Geldek aus dem Schneider ist, für den Mord an Joosten bleibt er im Spiel», fasste van Appeldorn eine halbe Stunde später ihre gemeinsamen Überlegungen zusammen. «Nehmen wir ihn uns also noch einmal zur Brust. Diesmal zu zweit?»

Toppe nickte und rief im PG an, aber Eberhard sprach gerade mit seinem Anwalt.

Danach verweigerte er jede weitere Aussage.

«Das bedeutet dann ja wohl, dass wir doch die Tatwaffe suchen müssen», meinte Astrid wenig begeistert. «Ihr hättet mich gestern mal sehen sollen. Ich war schwarz von Kopf bis Fuß. Bei denen liegt überall eine Unmenge von Plunder herum, und alles starrt nur so vor Dreck. Und die ganze Zeit saß mir diese Hexe im Nacken und hat mich angeschnauzt.»

«Welche Räume hast du denn durchsucht?», wollte Cox wissen.

«Ich habe mir erst einmal einen Überblick verschafft und dann zwei Kellerräume gründlich durchforstet. Da sind aber noch drei weitere, voll gestopft bis unter die Decke, außerdem der Dachboden und natürlich die ganzen Nebengebäude.»

Cox nahm einen Stapel Listenformulare aus seinem Schreibtisch. «Das gehen wir ganz systematisch an», murmelte er. «Gar kein Problem für uns.»

«Ach», winkte Astrid ab, «ich halte das Ganze für völlig aussichtslos. Eberhard kann die Waffe doch einfach verbuddelt haben, oder er hat sie in die Jauchegrube geworfen, dann finden wir sie nie.»

«In dem Fall bleibt uns immer noch Joostens Kleidung», meinte Toppe ruhig. «Wenn Eberhard der Täter ist, müssen sich daran ziemlich sicher Spuren befinden, mit denen seine DNA bestimmt werden kann. Bonhoeffer hat die Blutprobe gleich eingeschickt, und er wollte es dringend machen.»

«Aber bis das Ergebnis da ist, können wir ja wohl schlecht hier rumsitzen und Däumchen drehen. Dann wollen wir mal!» Cox rieb sich die Hände. «Fährt einer von euch bei mir mit?»

Van Appeldorn erbarmte sich.

Astrid stieg zu Toppe ins Auto. Sie klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete ihre neue Frisur im Spiegel, zupfte ein paar Strähnen zurecht. Langsam gewöhnte sie sich an den Anblick und kam sich nicht mehr so fremd vor. An der Gruftstraße staute sich der Verkehr, und sie kamen nur im Schritttempo voran. Ein paar Männer von der Stadtgärtnerei waren dabei, das Klever Wappen am Hang mit Tagetes zu bepflanzen.

Astrid lehnte sich wieder zurück. «Darf ich dich mal was fragen?»

«Was bist du denn so vorsichtig?» Toppe runzelte die Stirn. «Frag doch einfach!»

«Gut, wenn du meinst. Warum fährst du zu Escher? Was willst du von dem? Ich weiß, dass du dich damals furchtbar geärgert hast, weil der nicht so wollte wie du, aber was hat Escher mit unseren Morden zu tun? Und wieso fährst du ausgerechnet jetzt? Wir haben doch einen Verdächtigen.»

«Nicht für den Mord an Geldek!»

«Aber das wusstest du noch nicht, als du dich mit Escher verabredet hast, Helmut.»

Toppe warf ihr einen schnellen Blick zu. «Eigentlich hat Norbert mich auf die Idee gebracht, als er meinte, dass Escher dem Geldek so viel Milde hat zuteil werden lassen, weil er womöglich bei dem auf der Lohnliste gestanden hat. Was, wenn es tatsächlich so war? Ich habe mit Stein gesprochen, und wenn ich den richtig verstanden habe, hat Escher sich darum gerissen, den Fall zu bearbeiten. Wenn Geldek Escher damals bestochen hat, dann hatte er ihn in der Hand. Es könnte doch sein, dass Geldek den Herrn Oberstaatsanwalt jetzt damit unter Druck gesetzt hat, aus welchem Grund auch immer. Escher hat in seinem Leben schon zweimal gründlich eins auf die Mütze gekriegt. Ich glaube nicht, dass seine Nerven noch die besten sind.»

«Zweimal? Ach, stimmt ja, der war mal kurz verdächtig, selbst an der Entführung beteiligt gewesen zu sein, und dann hat man versucht, ihn zum Kinderschänder zu stempeln. Aber es steckte doch nichts dahinter, es ist doch alles entkräftet worden.»

«Das hat ihm auch nicht mehr helfen können, sein guter Ruf war dahin. Der Mann musste zweimal umziehen und ganz von vorn anfangen.»

«Hm, und ich dachte, du hättest dich in die Entführung verbissen. Ich dachte, es hätte irgendwie etwas mit Katharina zu tun», fügte sie leise hinzu.

Toppe trat auf die Bremse. «Mit Katharina?»

«Na ja, ich weiß, wie Alina ausgesehen hat. Ihr Foto steht auf deinem Schreibtisch.»

 

Der Freitagmorgen bescherte ihnen zwei groß aufgemachte Artikel über ihren Fahndungserfolg in beiden Lokalzeitungen und einen Anruf von Look, der wieder einmal Dienst vor Geldeks Haustür schob. «Seid ihr alle da?»

Cox schaltete das Telefon auf Lautsprecher. «Jawohl, Kasperle!»

«Was? Ach egal!», knurrte Look. «Zielperson hat Haus verlassen, geht in Garage.»

Van Appeldorn tippte sich an die Stirn. «Zielperson!»

«Was? Jetzt … Zielperson verlässt in blauem BMW, amtliches Kennzeichen …»

«Geschenkt!», rief van Appeldorn.

«Was? Ach so! Fährt vom Grundstück Richtung Schleuse. Wir folgen!»

Dann bekamen sie eine detaillierte Wegbeschreibung und schließlich: «Ja, spinn ich denn? Ich glaub, die will zu euch. Tatsächlich! Jetzt hat sie eingeparkt.»

 

Martina Geldek sah sehr müde aus. «Ich möchte eine Aussage machen.»

«Was für eine aparte Idee!» Van Appeldorn nahm in aller Ruhe die Beine vom Schreibtisch. «Dann gehen wir doch am besten gleich in die gute Stube, wo das kleine Bandgerät steht.» Er sah Toppe fragend an: Du oder ich? Der zuckte die Achseln: Mach nur!

Er ging zur Kreiskarte hinüber, die neben dem Fenster hing. Vielleicht fand er ja, bevor er nach Büderich fuhr, gleich noch die Zeit, sich Eschers früheres Heim in Donsbrüggen anzusehen, den Garten, aus dem man Alina entführt hatte. Da war der Nössling, eine Stichstraße hinter dem Donsbrüggener Sportplatz. Sie lag im Naturschutzgebiet. Wie hatte Escher dort eine Baugenehmigung bekommen können?

 

Martina Geldek hatte am Tag nach der Ermordung ihres Mannes zwei anonyme Anrufe erhalten, in denen sie bedroht worden war. Beim ersten Telefonat hatte der Anrufer nur gesagt: «Das Schwein ist tot. Pass gut auf, dass es dir nicht auch an den Kragen geht.» Aber eine Stunde später war der Mann deutlicher geworden: «Unsereins geht auf dem Zahnfleisch, und ihr baut euch hier von meinem Geld eine Prachtvilla hin. Aber das ist deine Unterschrift hier auf dem Vertrag, du alte Sau. Ich hack dir die Hand ab, und dann schlitze ich dir die Kehle auf, ganz langsam.»

Da hatte sie gewusst, dass der Anrufer niemand anderes als Eberhard gewesen sein konnte, und war in Panik geraten.

Auf van Appeldorns Frage, warum sie sich nicht an die Polizei gewandt hatte, hatte sie einmal mehr geantwortet: «Ich lasse den Namen meines Mannes nicht in den Dreck ziehen. Seine Geschäfte waren reell.» Schließlich hatte sie Tobias Joosten angerufen und ihn um Hilfe gebeten.

«Und als Sie heute früh in der Zeitung lasen, dass wir einen Bauern aus Reichswalde festgenommen haben, da sind Sie aus ihrer Trutzburg gekrochen gekommen.»

«Ganz recht.»

«Tobias Joostens Tod hat Sie dazu nicht bewegen können?»

Mit versteinerter Miene unterschrieb sie das Protokoll und ging.

«Ich hätte jetzt nichts gegen einen doppelten Cognac», meinte van Appeldorn, als sie weg war. «So was wie die hab ich noch nie erlebt, und das will was heißen.»

«Unser Bäuerlein aus Reichswalde hat sich ganz schön in die Scheiße geritten.» Cox wickelte seine Schokoladenstückchen aus. «Ich möchte wissen, wie der sich aus der Nummer noch rauswinden will.»

«Wenn er gescheit ist», sagte Astrid, «hält er einfach weiter den Mund.»

«Das wollen wir doch mal sehen!» Van Appeldorn feixte und griff zum Telefon.

 

Toppe war seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr in Büderich gewesen.

Als er in Meerbusch ankam, wo die Reichen, Schönen aus der Landeshauptstadt residierten und wo auch Escher wohnte, stellte er fest, dass er gut eine halbe Stunde zu früh war. Also fuhr er durch bis zum Ortskern, stellte sein Auto auf einem Platz schräg gegenüber von der Kirche ab und lief durch die Straßen. Ein unbekanntes Gefühl drückte ihm die Brust zusammen.

Büderich hatte seinen dörflichen Charakter abgestoßen. An der Hauptstraße gab es jetzt lauter Läden mit trendigem Schnickschnack, Szenecafés, Weinboutiquen, die die Nähe zu Düsseldorf ahnen ließen. Hier roch es ein bisschen nach Wohlstand und neuem Jahrtausend, aber nur ein paar hundert Meter vom Zentrum entfernt sah es anders aus: grau, unscheinbar, die Häuser trist und dunkel. Daran konnte er sich erinnern, an die Schienen der K-Bahn, die löcherigen Bürgersteige.

Er sah in die Gesichter der Passanten, erkannte niemanden.

Der Friedhof – um das Grab der Eltern hatte er sich nie gekümmert, er würde auch heute nicht hingehen.

 

Gernot Escher hatte sich kaum verändert, das Haar war immer noch weizenblond, der Blick aus den dunkelbraunen Augen immer noch aufmerksam und direkt, nur die Falten um den Mund waren ausgeprägter.

Er begrüßte Toppe mit einem festen, trockenen Händedruck. «Möchten Sie ablegen?»

Toppe gab ihm seine Jacke. Irgendwo im Haus greinte ein Kind. Das musste Eschers Sohn sein, Benjamin, nur knapp drei Monate nach Alinas Entführung geboren.

«Darf ich Sie in mein Arbeitszimmer bitten?»

Das Gespräch begann steif und förmlich, genau wie Toppe es befürchtet hatte. Escher wusste aus der Zeitung von Geldeks Tod, konnte aber nicht nachvollziehen, weshalb Toppe mit ihm darüber sprechen wollte.

«Ich erinnere mich, dass Sie damals mit meinem Strafmaß nicht einverstanden waren.»

«Das bin ich immer noch nicht! Und ich kann es nach wie vor nicht verstehen, dass Geldek nicht unter Anklage wegen Anstiftung zum Mord gestellt wurde.»

Escher betrachtete ihn interessiert. «Stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein, Sie konnten keine schlüssigen Beweise beibringen. Aber erklären Sie mir doch bitte, was das alles mit Geldeks Ermordung zu tun hat.»

«Ich hoffe, dass Sie mir das erklären werden. Warum haben Sie sich damals eigentlich so darum gerissen, Geldeks Fall zu bearbeiten?»

«Habe ich das?» Eschers Mundwinkel zuckten. «Wer hat das behauptet?»

«Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich keine Namen nennen.»

«Dann ist Ihre Behauptung irrelevant. Haben Sie noch weitere Fragen?»

Toppe biss die Zähne zusammen, irgendwie musste dieser Mensch doch aus der Reserve zu locken sein. «Wie haben Sie es eigentlich geschafft, eine Baugenehmigung für ein Haus mitten im Naturschutzgebiet zu bekommen?»

Für den Bruchteil einer Sekunde kniff Escher die Augen zusammen. «Darum hat sich das Architekturbüro gekümmert.»

«Dürfte ich den Namen des Architekten erfahren?»

«Martina Geldek.»

«Und deren Firma hat dann auch den Bau ausgeführt, nehme ich an.»

«Exakt.»

«Höchst interessant! Meines Wissens arbeitet Frau Geldek schon lange nicht mehr in ihrem Beruf.»

«Das entzieht sich meiner Kenntnis.»

Selbstverständlich! Toppe rechnete nach. Als Eschers Haus gebaut wurde, war Eugen Geldek außer Landes gewesen. Hatte Martina Geldek Escher überredet, Geldeks Fall zu übernehmen, indem sie ihn mit einem natürlich sehr kostengünstigen Haus in einer absoluten Toplage geködert hatte? Und als sie sicher gewesen war, dass Escher spurte und ihr Mann mit einem blauen Auge davonkommen würde, hatte sie eine Nachricht nach Südamerika geschickt, und Geldek hatte sich auf den Heimweg gemacht!

Escher erhob sich abrupt. «Wenn Sie das, was Sie sich da gerade in Ihrem schlauen Kopf zusammenreimen, aussprechen, muss ich Sie bitten zu gehen!»

«Das verstehe ich.» Toppe blieb sitzen. «Wissen Sie, Herr Escher, ich bin lernfähig. Ich werde meine Vermutungen erst aussprechen, wenn ich stichhaltige Beweise habe. Wo waren Sie am Mittwoch, dem 8. August, zwischen vierzehn und achtzehn Uhr?»

«War das der Tag, an dem Geldek getötet wurde?»

Toppe nickte knapp.

Escher schüttelte den Kopf. «Sie verdächtigen mich? Was geht nur in Ihnen vor? Aber gut, vom 6. bis zum 8. August war ich auf einer Fachtagung in Heidelberg. Am Mittwoch bin ich gegen 23 Uhr wieder auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof eingetroffen, zusammen mit einem Kollegen übrigens. Ich gebe Ihnen gern Namen und Telefonnummer, dann können Sie ihn sofort anrufen.»

«Das ist nicht nötig, es reicht, wenn Sie mir das aufschreiben. Ich bin aber noch einer anderen Sache wegen hier. Ich möchte mit Ihnen über Alinas Entführung sprechen.»

Eschers Gesicht wurde grau. «Und ich möchte mit Sicherheit nicht darüber sprechen!»

Toppe beugte sich vor. «Herr Escher, ich habe mir die Akten wieder vorgenommen. Da sind so viele offene Fragen …»

Escher schlug die Hände vors Gesicht. «Also werde ich jetzt wieder einmal verdächtigt, mein eigenes Mädchen entführt und vielleicht sogar getötet zu haben.»

«Nein, ich verdächtige Sie nicht.» Toppe sprach eindringlich. «Ich bin sicher, dass Sie mit der Entführung nichts zu tun hatten! Ich habe selbst eine kleine Tochter», fügte er hinzu, als Escher nicht antwortete.

Escher sah gequält auf. «Können Sie sich unser Leben vorstellen, seitdem Alina verschwunden ist? Benjamins Leben? Sie mussten meiner Frau das Kind aus dem Leib schneiden. Sie bekam keine Wehen, sie wollte das Kind nicht mehr, sie wollte Alina. Fast ein Jahr lang war sie danach in der Psychiatrie, Suizidgefahr, und bis heute hat sie trotz starker Medikamente Depressionen. Wenn es ganz schlimm ist, kommt meine Schwiegermutter aus Kleve und kümmert sich um Benny, weil Maren ihn dann überhaupt nicht wahrnimmt.» Er stand auf und ging zum Schrank. «Möchten Sie auch einen Whisky?»

«Ja, gern.»

«Sie haben also die Ermittlungen wieder aufgenommen.»

«Nicht offiziell.»

Mehr als eine Stunde lang redeten sie über Alina, den Tag ihres Verschwindens und über die Ermittlungen.

«Dieser Entführeranruf», meinte Toppe, «darüber bin ich gestolpert. Was gibt es für Möglichkeiten? Wäre Alina von Kinderhändlern verschleppt worden, hätten die nicht angerufen. Und wenn jemand durch die Entführung Ihres Kindes wirklich Geld von Ihnen erpressen wollte, wieso dann diese lächerlich niedrige Summe?»

«Die Soko hat Rache als Motiv zugrunde gelegt.»

«Ja, ich weiß», sagte Toppe. «Und die Soko hat gut gearbeitet. Sie hat über vierzig Leute überprüft, die einen Grund gehabt haben könnten, sich an Ihnen zu rächen. Ich hatte noch keine Zeit, mir die Ermittlungsakten im Einzelnen anzuschauen, aber das mache ich noch.»

«Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie da etwas Neues entdecken werden», antwortete Escher bedrückt.

«Vielleicht nicht, vielleicht muss ich erst einen neuen Ansatz finden …»

«Einen anderen als Rache?»

«Ja, aber darüber muss ich noch nachdenken. Ich weiß, dass ich die ganze Zeit ein Puzzleteil vor der Nase habe, das nicht richtig passt, aber mein Blick gleitet immer noch darüber hinweg.»

 

Als Toppe ins Auto stieg, klebte ihm das Hemd am Rücken, er hatte bohrende Kopfschmerzen und unerträglichen Durst.

Er hielt an der Bahnhofskneipe, in der man offensichtlich seit den siebziger Jahren nichts verändert hatte, und setzte sich an den einzigen Tisch, der noch frei war.

Freitagabend – am Stammtisch in der Ecke wurde Skat gekloppt, die Theke war voll besetzt, der Wirt kam mit dem Zapfen kaum nach. Er bestellte sich ein Altbier und einen Doppelkorn, den er eigentlich nicht mochte, aber das hier war nicht die richtige Umgebung für Calvados oder Grappa.

Hier im Ort war er zur Schule gegangen. Er sah sich um, die Leute waren zum größten Teil in seinem Alter, aber keiner kam ihm bekannt vor, keiner schenkte ihm auch nur einen zweiten Blick.

«Dasselbe nochmal!»

Nun denn, er hatte selten rausgedurft. Seine Mutter mochte es nicht, wenn er mit den anderen auf der Straße spielte. «Da lernst du nur das Rüpeln.» Und er war brav gewesen, ein ganz braver Junge. Sein Vater war trotzdem gestorben.

Er kippte den nächsten Doppelkorn. Der wievielte war das gewesen?

Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren. Nach Hause?

«Zahlen, bitte!» Er stemmte sich hoch, der Boden schwankte. Scheiße, er war völlig hinüber. Schwerfällig setzte er sich wieder hin, die Kellnerin kam, nahm seinen Deckel in die Hand und rechnete.

«Nein, warten Sie. Haben Sie auch Fremdenzimmer?»

«Wenn’s sein muss.»

«Ich glaube schon. Ich fürchte, ich bin nicht mehr fahrtüchtig. Also dann, ein Einzelzimmer für heute Nacht.»

«Wir haben bloß Doppel.»

«Auch gut. Wo ist das Telefon?»

«Vorm Klo.»

«Danke, und bringen Sie mir nochmal dasselbe, jetzt ist es auch schon egal.»

Astrid meldete sich nach dem ersten Klingeln. «Wo steckst du denn? Und wieso hast du dein Handy nicht eingeschaltet?»

«Ui, das hab ich gar nicht gemerkt! Hör zu, Süße, ich komm heute nicht mehr zurück. Ich übernachte hier.»

«Helmut, was ist los? Du klingst, als wärst du schrecklich betrunken.»

«Na ja», meinte er kleinlaut. «Ich hab ein paar alte Freunde getroffen. Wir sitzen in einer Kneipe, haben viel zu erzählen, ganz gemütlich. Du bist doch nicht sauer? Ich komme morgen früh gleich zum Ponyhof. Muss doch sehen, wie toll meine Kleine reitet.»

Das nächste Bier trank er in einem Zug aus, aber es half nicht viel gegen den schalen Geschmack im Mund.

Am Tresen saß jetzt eine Frau und kippte einen Weinbrand. Sie war nicht mehr ganz jung, sah aber nicht schlecht aus mit dem hüftlangen Haar, das sie mit zwei roten Kämmen zurückgesteckt hatte. Vielleicht war die Bluse ein wenig zu eng und zu tief ausgeschnitten, der Rock ein bisschen zu kurz, aber sie hatte pralle Brüste und glatte, gebräunte Beine.

Sie musterte ihn, und er erwiderte sanft ihren Blick.

Sie ließ sich vom Wirt ihr Glas wieder auffüllen, rutschte vom Barhocker und kam zu ihm herüber. «Helmut? Helmut Toppe, bist du das wirklich?»

«Ja, bin ich, aber …»

«Ich bin die Erika, weißt du nicht mehr? In der Schule war ich zwei Klassen unter dir. Und ich fand dich unheimlich süß, damals schon. Du warst so ’n ganz stiller, dunkler. Schrecklich romantisch!» Sie leckte sich die Lippen und heftete ihren Blick auf seinen Mund.

Toppe stellte irritiert fest, dass sein Körper reagierte, als sie sich jetzt dicht neben ihn setzte.

«Erzähl doch mal, was ist aus dir geworden? Wohin hat es dich verschlagen? Was machst du hier?»

«Ich wohne jetzt am Niederrhein, in Kleve.» Er spielte mit seinem Bierfilz. «Und ich bin bei der Kripo.»

«Du? Das gibt’s ja wohl nicht! So ein richtig harter Bulle. Du bist doch nicht etwa bei der Mordkommission?»

«Genau da!»

«Huch, wie gruselig! Und ich hab immer gedacht, du würdest mal Dichter oder so was. Jetzt erzähl doch!»

Er redete irgendwas, wusste, dass er lahm klang, lahm und langweilig, und merkte, dass sein Blick immer wieder zu ihrem Ausschnitt schweifte.

Sie lächelte und legte ihm unterm Tisch die Hand auf den Oberschenkel. «Du ahnst gar nicht, was ich mir damals alles so ausgemalt habe. Wie du meine Träume beflügelt hast. Du weißt schon, schwüle, feuchte Jungmädchenträume, sehr feucht manchmal …»

Toppe legte den Arm um ihre Taille und zog sie noch näher heran. Sie roch gut.

Mit einem leisen Lachen ließ sie ihre Hand ein Stück höher gleiten. «Soll ich sie dir erzählen, meine Träume?»

Er nickte und spürte, dass er alle Kontrolle verlor.

«Dann musst du mich aber erst ein bisschen in Fahrt bringen.»

Ihr Gesicht war auf einmal ganz nah. Er küsste sie. Ihre wilde Zunge schob sich sofort in seinen Mund und sie presste sich an ihn. Sie trug keinen BH.

Er küsste sie drängender und strich über ihre hart aufgerichteten Brustwarzen. Sie stöhnte auf, hielt ihn mit einer Hand zurück, während ihre andere intensiv mit seinem Schritt beschäftigt war.

«Nicht hier», flüsterte sie und rieb dabei höchst effektiv. «Hast du nicht eben ein Zimmer genommen?»

«Doch!» Wieder küsste er sie und fuhr ihr unter den Rock. Sie trug auch kein Höschen.

«Dann hol den Schlüssel. Ich geh schon mal vor. Warte!» Ihre Zunge flatterte über seine Zähne. «Beeil dich! Ich bin so scharf, dass es mir jetzt schon fast kommt.»