Acht

Van Appeldorn und Cox hatten eine Weile am Computer gesessen und ein paar Telefonate mit Kollegen und Bewährungshelfern geführt. Die Hand voll Männer, die der Sicherheitsinspektor in Pont ihnen als mögliche Täter genannt hatte, war schnell überprüft.

«Eigentlich komisch», sagte Cox, «aber wenn ich ehrlich sein soll, bin ich nicht traurig, dass dabei nichts rumgekommen ist. Keiner von diesen Knackis ist aus der Gegend hier. Wenn’s einer von denen getan hätte, wäre unsere schöne Theorie im Eimer gewesen, dass unser Täter erstklassige Ortskenntnisse haben muss. Und ich kriege gerade so richtig Spaß an unserer Hypothese.»

Van Appeldorn rieb sich die Augen. An Tagen wie diesem konnte er Peters eigenwilligen Eifer nur schwer ertragen. Aber gut, der hatte fast fünfzehn Dienstjahre weniger auf dem Buckel als er, und vielleicht wurde man ja zwangsläufig etwas seltsam, wenn man irgendwo in der Walachei bei seinen uralten Großeltern aufgewachsen war und seine Eltern nicht gekannt hatte.

Er reckte sich und stand auf. «Ich mach mich auf die Socken.»

Peter Cox sah ihn verdutzt an. «Ich dachte, wir wollten uns mit Geldeks Imperium beschäftigen. Deshalb hab ich doch gestern extra die ganzen Unterlagen bei der Stadt und beim Kreis besorgt, Handelsregister und all das.» Er deutete mit vorwurfsvoller Miene auf den Aktenstapel auf der Fensterbank, aber van Appeldorn schien das nicht zu rühren. «Fang du ruhig schon damit an. Ich höre mich erst mal in Geldeks Nachbarschaft um, ob sein wertes Weib am Mittwoch tatsächlich brav zu Hause war und was es sonst noch über sie zu berichten gibt. Die hat sich so widersinnig verhalten, da ist was oberfaul, kann gar nicht anders. Und ich will verdammt sein, wenn ich das nicht rauskriege.»

Cox nickte nur. Mittlerweile hatte er sich an van Appeldorns und Toppes sprunghafte, oft von Intuitionen bestimmte Arbeitsweise gewöhnt. Sie machte ihn nicht mehr nervös, und die Ergebnisse waren ja auch überzeugend, aber er selbst ging die Dinge anders an, manchmal etwas langsam vielleicht, aber immer darum bemüht, nichts zu übersehen. Wie oft schon waren scheinbare Nebensächlichkeiten zum Knackpunkt geworden.

Die Geldek’schen Firmen schrieben, so weit er das überblicken konnte, schwarze Zahlen. Eugen Geldek besaß ein Unternehmen in Kleve mit dem Namen ‹Swan›, das Sportartikel herstellte. Offenbar hatte Geldek vor sieben Jahren eine örtliche Sportschuhfabrik übernommen, die Pleite zu gehen drohte. Mit einer ordentlichen Finanzspritze und der neuen Produktpalette hatte er die Firma wieder rentabel gemacht, sogar neue Arbeitsplätze geschaffen. Weiter gab es da ein Reiseunternehmen, ‹Landlord›, das Ferien auf dem Lande anbot, und zwar nicht nur am Niederrhein, sondern auch in Belgien und England, und schließlich war da noch eine Spielhallen GmbH mit über fünfzig Läden im Ruhrgebiet.

Die dicksten Gewinne schienen vier Hoch- und Tiefbaufirmen einzufahren, jeweils eine in Kleve, Duisburg, Düsseldorf und Köln. Zumindest hatten sie in den letzten Jahren an vielen sehr großen, renommierten Objekten mitgearbeitet. Diese vier Unternehmen gehörten Martina Geldek, die übrigens Architektin war.

Wieso liefen die nicht, wie alles andere auch, auf ihren Mann? Das konnte interessant sein. Auf alle Fälle war die Frau nicht arm. Wenn sie was mit dem Mord zu tun hatte, konnte Geldgier kaum das Motiv gewesen sein.

Cox blätterte und fand Geldeks jüngstes, ambitioniertes Projekt, die Stiftung, die Opfer von Gewalttaten betreute, und dann zwei weitere Stiftungen, die etwas mit Klever Museen zu tun hatten.

Stiftungen? Was bedeutete das? Er zögerte nur kurz, dann suchte er Günthers Handynummer heraus. Warum nicht? Schließlich wurde der oft als Wirtschaftsstaatsanwalt eingesetzt und musste sich auskennen. Und wenn er schon erwartete, dass sie am Wochenende arbeiteten, musste er sich auch ein paar Fragen gefallen lassen.

«Ja!», bellte es aus dem Hörer.

Cox war es nur recht, dass er sich nicht mit Artigkeiten aufhalten musste.

Offenbar hatte sich auch Günther bereits mit Geldeks Unternehmen beschäftigt, und es war ihm gelungen, die Struktur auseinander zu tüfteln. Sein Erfolg schien ihn zu beflügeln, denn er gab für seine Verhältnisse fast schon geschwätzig seine Ergebnisse weiter und ließ sich am Ende des Gesprächs sogar zu einem Kichern hinreißen.

Peter Cox schaute auf die Uhr und stellte fest, dass er völlig aus dem Zeitplan geraten war. Er zwang sich zur Ruhe, aß sein Mittagsbrot, die täglichen zwei Stücke Toblerone-Schokolade, rauchte eine Zigarette und setzte sich dann erst an das Diagramm des Geldek’schen Imperiums. Nach drei Anläufen sah das Ganze endlich so aus, wie er es sich vorgestellt hatte. Er ging hinaus zum Kopierer, vergrößerte den Plan und war gerade dabei, ihn sorgsam an ihre Tafel zu heften, als van Appeldorn zurückkam, einen Ausdruck grimmiger Zufriedenheit im Gesicht.

«Ich zuerst diesmal», beeilte sich Cox.

«In Ordnung.» Van Appeldorn rollte seine Hemdärmel hoch; der Sommer hatte sich entschlossen, doch noch ein Intermezzo einzulegen.

«Schau dir das hier mal an.» Cox zeigte auf seine Skizze. «Günther hat mir eben die Konstruktion erklärt. Das hier sind Geldeks Firmen, das sind die Firmen seiner Frau, und dies hier sind Stiftungen, eine fürs Haus Koekkoek, eine fürs Museum Kurhaus, und eine dritte ist diese Opfergeschichte, über die wir neulich gesprochen haben. Da überall buttert Geldek Knete rein.»

Van Appeldorn betrachtete stirnrunzelnd das Diagramm und versuchte, daraus schlau zu werden. «Ohne, dass dabei was rumkommt? Das macht doch keinen Sinn. Warum sollte Geldek in Zuschussunternehmen investieren? Schließlich war er Geschäftsmann.»

«Reputation», antwortete Cox. «Ihr habt doch selbst erzählt, wie viel ihm an einer weißen Weste lag. Außerdem sind das doch nur scheinbar Zuschussunternehmen. Was meinst du, wie viel geschäftliche Kontakte man in diesen Stiftungskreisen knüpfen kann? Von den guten Beziehungen zur Stadt mal ganz abgesehen. Die bringen einem dann wieder die entsprechenden Bauaufträge für die Firmen. Und steuerlich rechnet sich so was allemal. Aber das ist alles nicht so wichtig.» Cox tippte mit dem Zeigefinger auf sein Diagramm. «Hier wird’s interessant. Da gibt es nämlich noch diese Stiftung in Liechtenstein.»

«Hat Geldek da etwa auch ein Bauunternehmen?»

«Nein, nein, das ist was ganz anderes. Günther hat mir erklärt, wie das funktioniert. Geldek ruft eine Stiftung in Liechtenstein ins Leben. Dazu muss man wissen, dass Liechtenstein dem schweizerischen Steuergesetz unterliegt, und das bedeutet, Stiftungen zahlen keine Steuern. Außerdem müssen die dort weder gemeinnützig sein noch irgendeinen Zweck angeben. Also pass auf: Geldek zahlt die Profite, die seine ganzen Firmen machen, auf dieses Stiftungskonto ein.»

«In Liechtenstein.»

«Eben nicht! Das Geld verlässt Deutschland gar nicht, weil die Liechtensteiner Stiftung nämlich ihr Konto bei einer Bank in Kleve hat.»

«Ach was? Und wie kommt Geldek an das Stiftungsgeld ran?»

«Ganz einfach, die Stiftung stellt Barschecks auf Geldek aus, das darf sie nämlich. Und das Geld, das da fließt, muss nicht versteuert werden, weil’s ja eine Liechtensteiner Stiftung ist, die nicht unters deutsche Steuergesetz fällt.»

Van Appeldorn schüttelte ungläubig den Kopf. «Und so was ist legal?»

«Völlig legal, meint Günther. Verrückt, nicht?»

«Dann könnte das doch jeder machen!»

«Stimmt!»

«Sind wir blöd!»

«Vielleicht.» Cox wiegte den Kopf. «Aber auf so was muss man ja auch erst einmal kommen. Und bei den paar Kröten, die unsereins auf der hohen Kante hat, lohnt sich der Aufwand vermutlich nicht.»

«Da bin ich mir nicht so sicher», murmelte van Appeldorn und schaute wieder auf das Diagramm. «Hm, und die Bauunternehmen gehören alle ihr? Ach klar, die hat Geldek bestimmt noch vor seinem Konkurs überschrieben, bevor er sich abgesetzt hat. Vielleicht liegt da ja der Hase im Pfeffer … Der Dame geht nämlich der Arsch mächtig auf Grundeis. Die Nachbarn waren erfreulich gesprächig, sehr beliebt ist die Frau anscheinend nicht. Am Mittwoch hat man Geldek zur fraglichen Zeit abfahren sehen, allein. Ob seine Frau zu Hause war, wusste keiner, aber allen ist aufgefallen, dass Martina Geldek sich in ihrer Hütte verbarrikadiert. Nicht nur, dass die Hoftore abgeschlossen sind, sie hat auch das zweite Sicherheitstor vorgeschoben, und die Wachhunde laufen Tag und Nacht frei herum. All das sei höchst ungewöhnlich. Ich bin auch bei Geldeks Putzhilfe gewesen. Die Frau ist völlig verstört, denn die Geldek hat ihr gestern gekündigt, telefonisch und ohne einen Grund zu nennen.»

«Und seit wann hat sie sich so verschanzt? Erst seit Mittwoch oder schon vorher?»

«Das wollte keiner beschwören. Es könnte auch schon ein paar Tage länger so gehen. Glaub ich allerdings nicht, denn als ich am Mittwoch ankam, war das Sicherheitstor offen. Eins steht jedenfalls fest, die Frau hat panische Angst. Die Frage ist nur, warum.»

«Sie kennt den Mörder», schlug Cox vor.

«Sieht ganz so aus. Aber warum sollte der auch hinter ihr her sein?»

Cox schabte mit den Fingernägeln über seine Bartstoppeln. «Du meinst, das könnte was mit ihren Baufirmen zu tun haben?»

 

Als van Appeldorn nach Hause kam, fand er Ulli, am ganzen Körper zitternd, in eine dicke Wolldecke gepackt, auf dem Sofa vor.

Sie war in der Fußgängerzone mit einem so schweren Anfall von Atemnot zusammengebrochen, dass Passanten den Notarzt gerufen hatten.

«Da war irgendein Geruch in der Luft, ich glaube, es war Urin.» Sie konnte nur flüstern. «Ich bin dann wieder in der Kiste, verstehst du? Ich bin dann wirklich in diesem Sarg! Ich verdurste, ich ersticke. Sie bringen mich um.»

Van Appeldorn küsste ihr die Tränen weg. «Jetzt bin ich ja bei dir.»

Aber sie wandte das Gesicht ab. «Es wird nie aufhören.»

 

Katharina hatte es wie immer gespürt, dass Astrid noch weggehen wollte, und machte beim Zubettbringen großes Theater, wollte eine zweite Geschichte vorgelesen bekommen, ein Glas Saft, knaatschte und fuhr schließlich ihr stärkstes Geschütz auf: «Ich hab aber Angst!»

Toppe schob Astrid aus dem Kinderzimmer. «Und du lässt dich nicht wieder weich klopfen. Du wolltest um acht Uhr gehen, und das tust du auch. Ich kümmere mich schon um unseren Haustyrannen.»

«Mama!», greinte Katharina.

Toppe holte tief Luft. Wenn er jetzt die Nerven verlor, würde das hier noch Stunden so weitergehen. «Wovor hast du denn Angst, Liebchen? Erzähl’s mir.»

Um neun Uhr kam er endlich dazu, Norbert anzurufen, um zu fragen, was es Neues gab. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und schlug die Akte auf, die im Sommer 1997 angelegt worden war: der Fall Alina Escher.

Noch monatelang, als die Sonderkommission, die die Entführung bearbeitet hatte, längst aufgelöst worden war, war dieser Fall in den Köpfen aller Beteiligten herumgespukt. Man fand sich nicht leicht damit ab, dass ein Fall unlösbar schien, bei einem Gewaltverbrechen war es besonders schwer, wenn ein Kind das Opfer war, unmöglich. Das war wohl auch der Grund, warum Toppe etliche Nachträge in der Akte fand. Sie stammten fast alle von Walter Heinrichs, seinem inzwischen pensionierten Kollegen, der Einzige vom KK 11, der in der Soko Alina gewesen war. Er hatte sich offensichtlich, wenn Leerlauf war, immer mal wieder mit der Geschichte befasst. Kein Wunder, Walter hatte selbst fünf Kinder.

Toppe legte die handschriftlichen Notizen, mit denen er noch nicht viel anfangen konnte, zur Seite, blätterte zum Anfang zurück und beschäftigte sich mit den Fakten.

Am Donnerstag, den 12. Juni 1997, verschwindet Alina Escher, vier Jahre alt, irgendwann zwischen 15 Uhr und 15 Uhr 30 spurlos aus dem elterlichen Garten.

Spurlos? Toppe stutzte und blätterte ein paar Seiten vor. 

Man hatte tatsächlich keinerlei Spuren eines Kampfes oder gewaltsamen Eindringens in den umzäunten Garten gefunden, nicht einmal Schuhspuren, was allerdings nicht weiter verwunderlich war, denn das Anwesen war von einem breiten Kiesstreifen eingefasst. Die einzigen Reifenspuren in der Nähe stammten von den Fahrzeugen der Eltern.

Er überflog das nächste Protokoll.

Gernot Escher war 1988 Oberstaatsanwalt am Klever Landgericht geworden. 1994 hatte er Maren Großkurth, die Tochter eines Kollegen, geheiratet, die ein Kind, Alina, mit in die Ehe brachte. Escher hatte das Mädchen nach der Eheschließung adoptiert. Gleich darauf war die Familie in ihr neu gebautes Einfamilienhaus gezogen. Nössling, lautete die Adresse, und sie sagte Toppe nichts. Es musste irgendwo außerhalb sein, denn es gab – zumindest 1997 – keine unmittelbaren Nachbarn, folglich keine Augenzeugen.

Er blätterte wieder zum Anfang zurück.

Der 12. Juni ist für die Familie Escher ein ganz normaler Tag. Am Morgen fährt Gernot Escher wie üblich zum Gericht, wo er bis gegen 17 Uhr zu tun haben wird. Maren besucht mit Alina ein Kennenlernfest in dem Kindergarten, den das Mädchen ab August besuchen soll. Danach machen Mutter und Kind ein paar Einkäufe, essen eine Kleinigkeit zu Mittag und gehen gemeinsam zum Spielen in den Garten. «Wir haben unsere neuen Sträucher und Pflanzen gegossen. Alina spielt so gern mit dem Gartenschlauch», berichtet die Mutter bei der ersten Vernehmung.

Es ist ein ungewöhnlich warmer Tag, und Maren Escher, zu dem Zeitpunkt im siebten Monat schwanger, geht ins Haus, um kurz zu duschen. «Ich war verschwitzt und fühlte mich nicht wohl. Alina saß in der Sandkiste und spielte. Sie war ganz vertieft, deshalb habe ich sie nicht mit reingenommen. Man kann sie gut eine Weile allein lassen, sie beschäftigt sich gern selbst. Und es hat ja auch nicht lange gedauert. Wenn ihr langweilig wird, kommt sie mir sowieso immer nachgelaufen. Ich habe alle Türen offen gelassen. Sie konnte die Dusche hören, und ich hätte sie gehört, wenn sie mich gerufen hätte.»

Als Maren Escher in den Garten zurückkehrt, ist Alina nirgendwo zu finden, auch im Haus keine Spur von ihr. Die Mutter schließt das Gartentor auf – «Es war abgeschlossen, wir schließen immer ab wegen Alina» – und sucht auf dem Zufahrtsweg, läuft bis zum nahen Sportplatz.

Gegen 16 Uhr ruft sie ihren Mann an, der sofort nach Hause kommt und noch einmal alles absucht. Er fährt zur Mehrer Straße, dann sogar bis zur Kranenburger Straße, klingelt bei Anwohnern, spricht Passanten an, aber keiner hat Alina gesehen, keinem ist etwas Ungewöhnliches aufgefallen.

Um 19 Uhr fährt Maren Escher zum Polizeirevier und gibt eine Vermisstenmeldung auf. Gernot Escher bleibt im Haus für den Fall, dass Alina heimkehrt.

Toppe rieb sich die Augen. Wieso ließ der seine hochschwangere Frau, die sicherlich außerdem verstört und aufgeregt war, zur Polizei fahren und blieb selbst zu Hause? Anscheinend hatte niemand zu dem Zeitpunkt diese Frage gestellt, denn er fand keine Antwort. Mehrer Straße, Kranenburger Straße? Eschers Haus stand also in Donsbrüggen.

Um 19 Uhr 20 erhält Escher den Anruf eines Mannes, der Alina entführt haben will und Lösegeld fordert. In der Vernehmung durch einen Kommissar Peters aus Krefeld erinnert sich Escher an den genauen Wortlaut. «Er sagte nur zwei Sätze, dann legte er auf: Wir haben deine Tochter. Wir wollen 150 000 Mark.»

Es sei, der Stimme nach, ein jüngerer Mann gewesen, der ohne nennenswerten Akzent gesprochen habe, ein bisschen hastig, ein bisschen gepresst.

Konnte es sein, dass Escher den Mann kannte? Der Kommissar hatte an dieser Stelle mehrfach nachgehakt, schließlich hatte der Anrufer Escher geduzt. «Mein Gott, ich habe mit Hunderten von Menschen zu tun, mit Tausenden vielleicht über die Jahre. Da kann ich natürlich nicht sicher sein, aber die Stimme hat mir nichts gesagt … Keiner freut sich, wenn er eingebuchtet wird, aber ernsthafte Drohungen? Nein, nichts, was mir im Gedächtnis geblieben wäre.»

«Deine Tochter …» Toppe nickte. Aber 150 000? Wieso so wenig? Wieso denn keine Million oder wenigstens eine halbe?

 

Clemens Böhmer schaute von der Empore auf die Tanzfläche hinunter. Hier oben standen ein paar staubige Stühle, und es war noch stickiger als unten im Saal, aber wenigstens glotzte ihn keiner an. Was hatte er hier verloren, wieso war er überhaupt gekommen? Mit ihm redete ja doch niemand. Waren sich zu fein dafür, diese Schleimscheißer!

Von Astrid Steendijk hätte er das nie gedacht. Sie war so normal und immer ganz nett zu ihm gewesen, und jetzt hüpfte sie da unten bei diesen Schickimickis herum, Küsschen hier, Küsschen da, und ließ sich von diesem Langhaarigen anbaggern, den er noch nie gesehen hatte, der aber anscheinend eine ganz große Nummer war.

Er wischte sich die Schweißperlen von der Oberlippe und stützte sich auf das Geländer. Aber der alte Steendijk war ja genauso ein Heuchler, immer ein Schulterklopfen und ein paar warme Worte. In Wirklichkeit war er dem doch scheißegal, einfach der letzte Dreck.

Und das bloß, weil er im falschen Stall geboren war, kinderreich und die meiste Zeit ohne Mutter, weil die Alte mit irgend so einem Schwanzlurch durchbrennen muss.

Nein, die Steendijk war auch nicht besser als die anderen Warmduscher da unten mit ihren Sektflöten und Nobelschnittchen. Sie schien nichts dagegen zu haben, dass dieser Yeti die ganze Zeit seine Hand auf ihrem Hintern hatte. Und die wollte Mutter sein! Dabei war die Kleine ein Engelchen. Genauso eins hatte er immer für sich haben wollen. Hätte auch geklappt, wenn Sibylle ihn nicht hätte fallen lassen. Genau wie all die anderen, von denen er immer nur Arschtritte gekriegt hatte. Sie war keinen Deut besser, dabei hatte er ihr wirklich geglaubt. Und jetzt hatte sie einen neuen Kerl und sogar ein Blag angenommen. Vielleicht auch so ein Engelchen wie das von der Steendijk.

Jetzt ließ die sich von dem Typen auch noch abküssen!

Angewidert wandte er sich ab.