Fünf
Peter Cox war am Freitag noch früher als sonst ins Büro gefahren – mit dem Fahrrad, der Citroën stand in der schon vor Monaten angemieteten Garage –, denn er wusste, dass er keine Ruhe finden würde, solange er die Routinemaschine nicht in Gang gebracht hatte. Und dazu gehörte bei einer Mordermittlung zunächst einmal ein Namensabgleich aller Personen im Umfeld des Opfers. Cox hatte «Eugen Geldek» in den PC eingegeben und war allen Querverweisen gefolgt. Die Liste, die er schließlich auf dem Schirm hatte, war in der Tat beachtlich. Geldeks Kontakte reichten von Ministern, Bürgermeistern, Verwaltungsdirektoren über Geschäftsleute und Handwerker bis hin zu zwielichtigen Männern und Frauen mit den verschiedensten Vorstrafen.
Während die Daten viermal ausgedruckt wurden, war Cox, wie jeden Morgen, in die Teeküche gegangen, um eine Kanne Kaffee zu kochen, und hatte pünktlich um halb acht sein tägliches Frühstück zu sich genommen, eine Schnitte Vollkornbrot mit Cervelatwurst und ein halbes Rosinenbrötchen mit mittelaltem Gouda.
Danach hatte er sich in Geldeks alte Akte vertieft und die erste Tabelle des heutigen Tages geschrieben. Ein ausreichender Vorrat der von ihm selbst entworfenen Vordrucke dafür befand sich stets in der mittleren Schreibtischlade. «Tobias Joosten», hatte er notiert, «Martina Geldek, Peter Verhoeven, Kurt Korten.»
Um acht Uhr hatte Cox ein kurzes Telefonat geführt und daraufhin den letzten Namen sorgfältig durchgestrichen.
Auch Helmut Toppe hatte nicht viel geschlafen. Gegen halb fünf war er aus einem wirren Traum hochgefahren und hatte festgestellt, dass er allein war. Irgendwann in der Nacht musste Astrid in ihr eigenes Zimmer gegangen sein. Als er, noch benommen, die Decke zurückgeschlagen hatte, war ihm der schwere Geruch von Schweiß und Sperma in die Nase gestiegen, und er hatte leise frische Wäsche aus dem Schrank im Flur geholt und das Bett neu bezogen. Danach hatte er sich eine Zigarette angezündet und endlich den zusammenhanglosen Gedanken, die schon seit gestern in seinem Kopf rumort hatten, freien Lauf gelassen: Warum war eigentlich Escher der leitende Staatsanwalt im Prozess gegen Geldek gewesen? Die Ermittlungen im Mordfall Verhoeven hatte ein anderer geleitet, Dr. Stein, ein Staatsanwalt, mit dem die Zusammenarbeit immer unkompliziert und erfreulich gewesen war. Warum hatte der nicht auch gegen Geldek ermittelt, wo doch beide Fälle zusammenhingen?
Stein war Frühaufsteher, das wusste Toppe, oft sogar schon vor sieben im Büro, wenn im Gebäude noch alles ruhig war.
Escher – Toppe hatte versucht, sich an den Mann zu erinnern, und das erste Bild, das ihm in den Sinn kam, war eine unscharfe Fotografie gewesen. Wann und wo hatte er ein Foto von Escher gesehen? Nicht im Zusammenhang mit Geldeks Prozess, so viel war sicher, aber … Die Erinnerung, die kurz aufgeblitzt war, hatte Toppe nicht festhalten können, weil sie sofort von Norberts Stimme übertönt worden war: «Vielleicht stand der ja bei Geldek auf der Lohnliste.»
Um halb sieben war Toppe nach unten gegangen, hatte den Frühstückstisch gedeckt, die Kaffeemaschine eingeschaltet und schließlich zum Telefon gegriffen.
Stein war über den frühen Anruf nicht im Mindesten erstaunt gewesen, sondern freundlich wie immer, bis Toppe seine Frage gestellt hatte.
«Nun ja, der Kollege war sehr interessiert an dem Fall, so weit ich mich erinnere …»
«Aber es wäre doch wesentlich einfacher gewesen, wenn Sie die Sache verhandelt hätten. Escher musste sich doch erst von Grund auf einarbeiten.»
«Nun, das ist unser täglich Brot, Herr Toppe.»
Jetzt im Büro grübelte er immer noch darüber nach, warum Stein so reserviert gewesen war, welcher Unterton mitgeklungen hatte, und nahm nur am Rande wahr, dass Astrid telefonierte und van Appeldorn sich mit Cox unterhielt.
Als sein Handy läutete, schreckte er hoch.
Es war van Gemmern, der aus der Pathologie anrief. «Wir haben die Tatwaffe. Es ist einer von den Ufersteinen, die ihr angeschleppt habt. Bonhoeffer hat mir gerade bestätigt, dass das Blut, das dran klebt, von Geldek stammt.»
«Fingerspuren?»
«Keine verwertbaren, das Material ist zu rau. Auch sonst nichts, was Aufschluss über den Täter geben könnte.»
«Wäre ja wohl auch ein bisschen zu einfach gewesen», meinte Cox gelassen, nachdem Toppe berichtet hatte. «Hoffentlich kriegen wir schnell das Ergebnis der DNA-Analyse. Ich würde gern den Abgleich mit den Blutspuren von den Tatorten der letzten Jahre machen. Vielleicht haben wir da mehr Glück.»
Van Appeldorn lachte. «Und du hättest wieder eine neue Liste.»
«Genau», gab Cox unbeschwert zurück und sah Toppe an. «Ich weiß nicht, ob du das eben mitgekriegt hast … Ich habe den ’91er-Fall durchgesehen und mir gedacht, dass der Killer, dieser Kurt Korten, ja wohl ein erstklassiges Motiv hat, Geldek um die Ecke zu bringen. Wenn Geldek den tatsächlich gedungen hat und er dafür in den Bau gegangen ist, während Geldek selbst fröhlich in der Gegend rumläuft, muss Korten einen ganz schönen Rochus auf den haben. Aber leider, ich habe eben telefoniert, Korten sitzt noch. Der kann’s also nicht gewesen sein.»
«Es sei denn, Korten hat jetzt seinerseits einen anderen beauftragt», meinte Astrid mit einem boshaften Lächeln.
«Aus dem Knast?»
«Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen.»
«Da hast du auch wieder Recht.» Cox malte eine Reihe sauberer Punkte unter Kortens Namen auf seiner Tabelle. «Bleibt im Spiel», murmelte er.
«Wie sieht es mit Peter Verhoeven aus?», fragte Toppe in die Runde.
«Bleibt auf alle Fälle im Spiel», antwortete van Appeldorn. «Wenn der damals den Mord wirklich mitgeplant hat, war Geldek eine ständige Bedrohung.»
«Nach so langer Zeit?», zweifelte Astrid und zuckte dann die Achseln. «Na ja, wer weiß, was in den letzten Jahren zwischen denen so gelaufen ist …»
«Tobias Joosten», begann Toppe, aber Astrid unterbrach ihn. «Der ist zu Hause und erwartet uns. Ich habe gerade angerufen.»
Eine Viertelstunde später waren sie unterwegs, Toppe zu Joosten, Astrid zum Verhoevenhof, van Appeldorn zu einem weiteren Besuch bei Frau Geldek, nur Cox blieb im Präsidium für den Fall, dass sich Zeugen auf den Presseaufruf meldeten, und um den Namensabgleich zu bearbeiten.
Astrid fuhr nicht direkt zum Hof der Verhoevens, sondern stattdessen mitten ins Dorf, stellte den Wagen ab und setzte sich auf eine Bank am Kriegerdenkmal. Seit dem Verhoevenfall damals war sie nicht mehr in Keeken gewesen, doch nichts schien sich verändert zu haben in der 600-Seelen-Gemeinde. Kein Mensch war zu sehen, aber sie wusste, dass man sie beobachtete, am Haus neben dem Friedhof hatten sich die Gardinen bewegt. Von irgendwo hinter der Kirche kam das hohe Kreischen einer Kreissäge, und auf dem Feld hinter der Pappelreihe zog brummend ein Traktor seine Spur.
Für einen kurzen Moment brach die Sonne durch die Wolken, und Astrid schloss die Augen und hob ihr das Gesicht entgegen. Sie hatte Mühe, ihre aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bringen und nicht weiter über den diffusen Schmerz nachzudenken, der ihr das Durchatmen schwer machte. Aber derart dünnhäutig konnte sie keine gute Vernehmung führen. Erst recht nicht mit jemandem wie Peter Verhoeven. Wenn der Mann sich in den letzten zehn Jahren nicht völlig verändert hatte, würde das Gespräch mit ihm kein Spaziergang sein.
Sie straffte die Schultern und machte sich auf den Weg.
Der Verhoevenhof war kaum wiederzuerkennen. Heute strotzte der einstmals heruntergewirtschaftete Betrieb mit seinen nahezu baufälligen Gebäuden nur so vor Wohlstand. Astrid entdeckte ein «bioland»-Schild. Der Hoferbe, Peter Verhoevens Sohn, hatte wahrhaftig ganze Arbeit geleistet.
Sie zögerte noch, ob sie zur Vordertür um die Ecke gehen sollte, als sie neben der sichtbar frisch verputzten Scheune einen Mann entdeckte, der pralle Kartoffelsäcke und Holzsteigen voller Gemüse in einen Lieferwagen lud.
Peter Verhoeven, stellte sie fest, als sie auf ihn zuging, und die letzten zehn Jahre waren gnädig zu ihm gewesen. Sein Haar zeigte keine Spur von Grau, und das Gesicht war immer noch, auf eine verlebte Art, attraktiv. Auch der klebrige Charme war noch derselbe.
«Ach guck mal an, die schöne Kommissarin, wenn ich mich nicht irre», rief er und zeigte blendend weiße Zähne. «Wie komm ich denn zu dieser unverhofften Ehre?» Dann fiel der Groschen, und er zog finster die Augenbrauen zusammen. «Lassen Sie’s stecken! Geldek, oder?»
«Ganz recht», antwortete Astrid und nahm Block und Stift aus der Tasche. «Wo können wir uns unterhalten?»
Verhoeven lehnte sich gegen den Wagen, kreuzte die Beine und legte die Arme übereinander. «Gleich hier, meine Schöne. Ich habe nichts zu verbergen.»
Astrid verzichtete auf einen Kommentar und entschied sich für den direkten Weg. «Wo waren Sie am Mittwoch, dem 8. 8., zwischen 14 und 17 Uhr?»
«Letzten Mittwoch?», er umfasste nachdenklich sein Kinn. «Da muss ich mal gründlich überlegen.»
Astrid ließ ihn, er hatte offensichtlich eine Menge Spaß an seinem Spiel. «Bitte, ich hab’s nicht eilig.»
Da lachte er auf. «Nein, war nur ein Scherz. Ich weiß ganz genau, wo ich gewesen bin. Mittwochs fahre ich die Krefelder Tour.»
Wie sich herausstellte, belieferte er von montags bis samstags eine Reihe von Bioläden zwischen dem Niederrhein und Düsseldorf mit den verschiedenen Produkten des Hofes. «Und da habe ich meine festen Touren.»
«Spielen Sie eigentlich noch?»
Er zuckte nicht mit der Wimper. «Keine Zeit!» Dann eine großspurige Handbewegung. «Sie sehen ja, was hier zu tun ist.»
«Wohl eher kein Geld», dachte Astrid. Verhoevens Vater hatte damals seine Mühle und einiges an Land verkaufen müssen, um die Spielschulden seines Sohnes bezahlen zu können. So großzügig würde das Erbe kaum sein.
«Wie war Ihre Beziehung zu Eugen Geldek in den letzten Jahren?», fragte sie. «Haben Sie noch engeren Kontakt?»
«Ich höre immer Kontakt!» Verhoeven schnaubte hämisch. «Als bei mir nichts mehr zu holen war, hat dieser Großkotz mich mit dem Arsch nicht mehr angeguckt.»
Es klang echt.
«Na gut!» Astrid nickte und tippte mit dem Stift auf den Block. «Dann hätte ich jetzt gern ein paar Namen.»
«Was denn für Namen?» Verhoeven runzelte die Stirn.
«Leute, die bezeugen können, wo Sie am Mittwoch in der fraglichen Zeit gewesen sind. Ich höre!»
Er grinste wieder und kam so nah, dass sein Atem Astrids Wange streifte. «Wie könnte ich diesen Zigeuneraugen wohl etwas abschlagen?»
Auch Toppe fuhr nicht auf direktem Weg zu seiner Vernehmung nach Grieth, sondern entschied sich stattdessen für einen Umweg über Griethausen und den Oraniendeich, die Route, die Eugen Geldek am Mittwoch vermutlich gefahren war.
Das erste Stück der Deichstraße war zu beiden Seiten mit dichten Sträuchern bepflanzt – saftig grün nach dem anhaltenden Regen –, dann weitete sich das Panorama, und man hatte freie Sicht auf den schnell fließenden, mächtigen Strom.
Toppe entdeckte ein paar Kinder am Ufer, die im Sand herumkullerten. Sie hatten die Hosenbeine hochgekrempelt und planschten im Wasser. Er spürte einen leisen Stich, als er daran dachte, wie oft er als kleiner Junge seine Mutter angebettelt hatte, mit den anderen Kindern aus der Straße im Rhein schwimmen zu dürfen, was damals alle taten. Aber während Vaters Krankheit war kein Platz für Vergnügen gewesen, und nach dessen Tod hatte er sich gar nicht mehr getraut zu fragen. Nur einmal hatte Mutter ihm erlaubt, mit der Nachbarsfamilie nach Lörick ins Freibad zu fahren, aber bei seiner Heimkehr war sie ganz blass gewesen und hatte kaum mit ihm gesprochen.
Erst als ihn eine Lichthupe in den Rückspiegel schauen ließ, merkte er, dass er trödelte und sich eine Schlange hinter ihm gebildet hatte.
In Grieth musste er zweimal nach dem Weg fragen, bis er Joostens Bungalow gefunden hatte, der versteckt auf dem Gelände eines Obstbauernhofes lag.
Toppe konnte nicht sagen, wie er sich Geldeks Finanzberater vorgestellt hatte, aber mit Sicherheit hatte er keinen so jungen Mann erwartet, der ihn mit einem kräftigen Händedruck begrüßte und ihm dabei offen in die Augen blickte.
«Mein Chef mag gewesen sein, wie er will, Vorurteile hatte er keine. Er hielt mich für fähig, und da war es ihm egal, wie alt ich bin», meinte er, als er Toppes Überraschung bemerkte. Er sprach laut, denn hinter ihm purzelte lachend und kreischend ein ganzer Pulk von Kindern durcheinander. «Alles meine», erklärte Joosten. «Wir haben gleich zweimal den Joker gesetzt, einmal Zwillinge, einmal Drillinge.» Er drehte sich um. «Susanne!»
«Sekunde», antwortete eine Frauenstimme von weiter hinten im Haus. «Wir sind in fünf Minuten weg. Schließ dich doch so lange im Arbeitszimmer ein.»
Aber auch dort gab es zunächst mal keine Ruhe. Die ganze Zeit wurde an der Türklinke gerüttelt, geklopft, gebollert, gekichert, bis Joosten der Kragen platzte. Er hechtete zur Tür, riss sie auf und brüllte ein paar Sätze, die alle mit «wenn jetzt nicht sofort …» und «wenn ich das noch einmal …» anfingen.
Mit einem zerknirschten Lächeln kam er zurück. «Schwarze Pädagogik, ich weiß. Muss leider manchmal sein, eine Frage des Überlebens.»
Tobias Joosten war achtundzwanzig Jahre alt, gelernter Bankkaufmann und arbeitete seit drei Jahren für Geldek. Am Mittwoch hatte er den ganzen Tag Termine bei verschiedenen Banken in Köln und in Düsseldorf gehabt, aber gegen Mittag hatte ihn Geldek über sein Handy angerufen und erzählt, dass es wieder einmal Schwierigkeiten bei Multicasa gab.
«Er wollte, dass ich bei der Besprechung dabei bin, also bin ich direkt von Köln aus nach Duisburg gefahren. Alle waren da, bloß der Chef, der die Sitzung selbst einberufen hatte, tauchte nicht auf. Das war komisch, denn normalerweise ist der Chef pünktlich wie die Maurer. Ich habe sofort an einen Unfall gedacht, und mir war ziemlich mulmig, als ich ihn nicht erreichen konnte. Sein Handy war abgeschaltet und bei ihm daheim ging keiner ran. Ich wusste dann auch nicht, was ich tun sollte, also bin ich nach Hause gefahren. Und da erzählt mir Susanne, dass der Chef tatsächlich einen Unfall gehabt hat, und dass er … na ja, dass er tot ist.»
«Um wie viel Uhr war das? Wann waren Sie zu Hause?»
«Ich glaube, so gegen halb sieben. Irgendein Reporter hatte hier angerufen und wollte ein Interview mit mir. Als Susanne gefragt hat, warum, hat er ihr von dem Unfall erzählt.»
«Es war kein Unfall», sagte Toppe.
«Ich weiß», meinte Joosten zögernd, «aber das habe ich erst heute Morgen aus der Zeitung erfahren. Wissen Sie denn inzwischen, ich meine …» Er unterbrach sich selbst. «Dann wären Sie wahrscheinlich nicht hier, oder?»
Sie redeten über eine halbe Stunde miteinander. «Ich kenne die Gerüchte, die über Eugen Geldek in Kleve kursieren, genauso wie jeder andere», erzählte Joosten freimütig. «Deshalb wollte Susanne auch zuerst nicht, dass ich bei ihm anfange. Aber ich kann wirklich nichts Schlechtes über ihn sagen. Er war immer korrekt, geschäftlich meine ich. Privat, das weiß ich nicht. Ich meine, wir waren nicht befreundet oder so. Ich war ein Angestellter und hatte meinen Aufgabenbereich und damit Ende.»
Der junge Mann dachte lange nach, bevor er sagte: «Nein, ich wüsste nicht, wo sich Herr Geldek in den letzten drei Jahren geschäftlich jemanden zum Feind gemacht haben sollte, wirklich nicht.»
Es war still im Haus, als er Toppe zur Tür brachte. «Susanne wollte mit den Kleinen zum Fluss, damit ich ein bisschen Ruhe kriege. Ich muss zusehen, dass ich die Zahlen auf die Reihe bringe. Wer weiß, was jetzt wird.»
Toppe nickte abwesend und ließ seinen Blick über die Obstgärten schweifen. «Sie wohnen wirklich idyllisch.»
«Der Hof gehört meinen Schwiegereltern. Für die Kinder ist es ideal hier. Und ohne Omas Hilfe würde Susanne es gar nicht schaffen.» Er reichte Toppe die Hand. «Wenn mir doch noch etwas einfällt, melde ich mich.»
Mit der Martina Geldek, die ihm heute – geschminkt und ganz in Schwarz – gegenübertrat, kam van Appeldorn viel leichter zurecht. Sie wirkte zwar immer noch erschüttert und zerbrechlich, ließ aber keinen Zweifel daran, dass sie ihre Absicht geändert hatte. Sie würde der Polizei nicht zuarbeiten, unter keinen Umständen. Ihr Anwalt habe bestätigt, dass sie nicht dazu verpflichtet sei. Und sie würde mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass der Ruf ihres Mannes geschädigt würde.
In ihren Augen lag wieder die abschätzende Härte, die van Appeldorn schon am Mittwoch aufgefallen war, bevor er seine Nachricht überbracht hatte.
Er hob eine Augenbraue und musterte sie.
«Fein», meinte er endlich. «Kommen wir zum Testament Ihres Gatten. Wer erbt?»
Sie hielt seinem Blick stand und schwieg.
«Dann nicht.» Van Appeldorn bedachte sie mit einem kühlen Blick. «Es müsste Ihnen eigentlich klar sein, dass es für uns ein Leichtes ist, sofort Einsicht in die letztwillige Verfügung Ihres Mannes zu nehmen. Was ich auch tun werde, da dürfen Sie ganz beruhigt sein. Fürs Erste gehe ich davon aus, dass Sie als Angetraute und Geschäftspartnerin des Verblichenen die Begünstigte sein werden.»
Ihre Stimme war schrill, ihr Gesicht nicht mehr nur abweisend, sondern voller Hass. «Ich verweigere jede weitere Aussage!» Sie hatte zu viel Parfüm aufgelegt, süß und schwer von Moschus.
«Das ist Ihr gutes Recht», antwortete van Appeldorn, «wenn auch etwas befremdlich. Sie scheinen zu vergessen, dass Sie nicht unter Anklage stehen. Wir suchen den Mörder Ihres Mannes. Aber nun gut, meine Pflicht ist es, Sie zu fragen, wo Sie am Mittwoch zwischen, na sagen wir, fünfzehn und siebzehn Uhr gewesen sind.»
«Was?» Für eine Sekunde war sie fassungslos, dann verschloss sie sich wieder. «Ich war hier zu Hause. Wenn Sie dafür Zeugen brauchen, haben Sie Pech. Ich habe niemanden getroffen und mit niemandem telefoniert.»
Van Appeldorn ließ sich Zeit mit der Rückfahrt zum Präsidium.
Was war seit gestern mit dieser Frau passiert? Warum der plötzliche Sinneswandel, die Abwehr, dieser Hass? Hatte sie angefangen, in Geldeks Vergangenheit herumzustochern, in den Zockerkreisen zum Beispiel? Und hatte man ihr sofort gezeigt, wo die Glocken hingen, ihr gedroht? Außerdem, das mit der guten Ehe konnte man ihr glauben oder auch nicht. Was, wenn sie die Nase voll gehabt hatte von Geldek? Wenn sie die andere Hälfte des Kuchens, den sie eh schon hatte, auch noch wollte? Sie hatte zwar behauptet, mit den Typen in Geldeks dunkler Vergangenheit nichts zu tun zu haben, aber musste man das glauben? Einen zweiten Kurt Korten zu finden, war mit der genügenden Knete wahrhaftig kein Problem. Und daran mangelte es ja wohl kaum.