Von Druckereien und Büchern

Der Ort Schö am Fuße des Potala ist durch seine Staatsdruckerei berühmt. Sie ist ein hohes, düsteres Gebäude, aus dem selten ein Laut an die Außenwelt dringt. Keine Maschinen dröhnen in ihr, nur die gedämpften Stimmen der Mönche hallen durch die Säle. Auf langen Regalen liegen Holzblöcke aufgestapelt, die nur in Funktion treten, wenn ein neues Buch in Auftrag gegeben wird. Unendliche Arbeit steckt im Zustandekommen eines solchen Buches. Die Mönche müssen mit dem Zuhacken der kleinen Holzbrettchen beginnen, denn es gibt hier keine Sägemühlen. Dann wird jeder der verschnörkelten Buchstaben einzeln in das Birkenbrettchen geschnitzt, und die fertigen Tafeln werden sorgsam geordnet aufgestapelt. Es ist eine schier endlose Mühe, denn ein Buch beispielsweise wie die tibetische Bibel füllt oft eine ganze Halle. Die Druckerschwärze ist angerührter Ruß, den die Mönche reichlich beim Verbrennen von Jakmist erhalten. Meist stehen sie von Kopf bis Fuß geschwärzt bei ihrer Arbeit. Schließlich kommt es zum Abziehen der einzelnen Platten auf dem handgemachten tibetischen Papier. Die Bücher werden nicht gebunden, sondern bestehen aus losen, auf beiden Seiten bedruckten Blättern, die zwischen zwei geschnitzte Holzdeckel gelegt werden. Die fertigen Bücher kann man entweder in der Druckerei bestellen, oder man kauft sie bei einem der Buchhändler am Parkhor. Es ist üblich, daß man sie zu Hause in Seidentücher wickelt und sorgfältig aufbewahrt. Da sie immer einen religiösen Inhalt haben, werden sie mit viel Respekt behandelt, und ihr Platz ist meist auf dem Altar. In jedem wohlhabenden Haus findet man sowohl die sämtlichen Bände der tibetischen Bibel, als auch die zweihundertvierzig Bände ihrer Auslegung. Mit diesen Büchern gehen die Tibeter sehr sorgsam um. Nie würde es zum Beispiel jemandem einfallen, ein Buch auf einen Sitzplatz zu legen. Um so weniger achten sie unsere Bücher. So fand ich einmal an einem nicht sehr passenden Ort ein wertvolles Werk über die tibetische Sprache. Nur die ersten paar Seiten fehlten, ich schrieb sie mir aus einem anderen Exemplar ab und war sehr froh über meinen Fund.

Der Preis der tibetischen Bücher hängt von der Qualität des Papiers ab. Der Wert der vollständigen Bibelausgabe entspricht dem eines edlen Pferdes oder eines Dutzends bester Jaks.

Außer in Schö gibt es noch in Narthang in der Nähe von Schigatse eine sehr große Druckerei, und fast jedes Kloster besitzt die Druckstöcke für bestimmte Bücher über lokale Heilige und die Annalen ihrer Lamaserie.

Die ganze Kultur Tibets ist von der Religion inspiriert, so wie es in früheren Zeiten auch bei uns der Fall war. Die Werke der Baukunst und Bildhauerei, der Dichtung und Malerei verherrlichen den Glauben und haben das Ziel, Macht und Ansehen der Kirche zu vermehren. Noch gibt es zwischen Religion und Wissenschaft keine Differenzen, und so ist der Inhalt aller Bücher eine Verquickung der Religionsgesetze mit philosophischer Erkenntnis und aus der Erfahrung geschöpften Ratschlägen. Lieder und Gedichte sind nur handschriftlich auf losen Blättern festgehalten, gesammelte Ausgaben gibt es nicht. Eine Ausnahme bilden die Gedichte des 6. Dalai Lama, die gedruckt sind und die auch ich mir im Basar erstand. Ich habe sie oft gelesen, denn sie geben in vollendeter Form der Sehnsucht nach Liebe Ausdruck. Aber nicht nur ich hegte eine besondere Vorliebe für diese Verse eines einsamen Gefangenen, auch die Tibeter lieben die Gedichte ihres längst verstorbenen Herrschers. Er war eine eigenartige Erscheinung in der Reihe der Dalai Lamas. Er liebte die Frauen und schlich oft verkleidet in die Stadt. Aber man trug es seiner sehnsüchtigen Dichterseele nicht nach.

Kostbarer als jedes gedruckte Werk sind die vielen Handschriften, die meist kunstfertige Mönche geschrieben haben. Ihren Inhalt bilden weniger gelehrte Themen, oft sind es Anekdoten, wie zum Beispiel die Anekdotensammlung des berühmtesten tibetischen Komikers, Agu Thönpa. Er kritisiert in sehr humorvoller Weise das politische und religiöse Leben seiner Zeit und ist noch heute ungeheuer beliebt. Bei jeder Party werden seine Geschichtchen hervorgeholt, um die Gäste zu unterhalten. Bei der Vorliebe des Volkes für Humor und komische Situationen hat er so etwas wie klassische Bedeutung erlangt, und während meines Aufenthaltes in Lhasa trug der beste Komiker der Stadt seinen Namen.

Dann gibt es noch besondere Bücher, die genaue Richtlinien für das Zeichnen und Malen der Thankas enthalten. Thankas sind Wandbehänge, die religiöse Motive darstellen und in jedem Tempel oder Kloster und auch in den meisten Privathäusern zu finden sind. Ihre Kostbarkeit richtet sich nach dem Alter und der Ausführung, sie sind das beliebteste Andenken an Tibet, und alle Ausländer sind hinter ihnen her. Diese Wandbilder stellen die Lebensgeschichte der Götter dar, auf kostbare Seide gemalt, und die Männer, die sie herstellen, sind sehr stolz auf ihren Beruf, denn er erfordert eine gründliche Kenntnis der Bücher, in denen die Legenden aufgezeichnet sind. Der Künstler kann in der Ausschmückung der einzelnen Episoden seiner Phantasie freien Lauf lassen, bei den Gestalten der Götter hingegen ist er an genaue Vorschriften und Proportionen gebunden. Die Seide ist während der Arbeit in einen Rahmen gespannt, und das fertige Kunstwerk wird mit kostbarem Brokat eingefaßt. Da Thankas stets religiöse Motive behandeln, gelten sie als religiöser Gegenstand und dürfen daher nicht öffentlich zum Verkauf angeboten werden. An diese Vorschrift hält man sich in Tibet sehr genau. Gegenstände, die mit dem Glauben zusammenhängen, kommen niemals in den Handel, und im Falle ihres Verkaufes dient der Erlös dazu, Butterlampen in den Heiligtümern zu speisen oder als Almosen verteilt zu werden. Trotzdem gelangen Thankas immer wieder über die Grenze Tibets, und dort werden oft hohe Liebhaberpreise dafür bezahlt. Ich hatte meinen Freunden gegenüber oft den Wunsch geäußert, einen der herrlichen Wandbehänge zu besitzen, aber keiner wollte mir einen verkaufen. Doch kurz vor meiner Abreise bekam ich mehrere zum Geschenk. Als ich später in Darjeeling einen besonders schönen sah, den ich unbedingt in meiner Sammlung haben wollte, mußte ich tief in die Tasche greifen.

Viele der alten Thankas wandern in den Potala oder in andere Tempel, denn niemand würde einen Thanka vernichten; andererseits lieben es die Reichen, ihre Wandbehänge immer wieder durch neue in frischen Farben auf der glänzenden Seide zu ersetzen. Vom Dalai Lama hörte ich später, in seinem Winterpalast hingen weit mehr als zehntausend Thankas unbeachtet in den verschiedenen unbenutzten Räumen. Ich hatte Gelegenheit, mich selbst davon zu überzeugen.

Jedes Jahr im Herbst gibt es in Lhasa ein großen Anstreichen und Saubermachen aller Privathäuser und Tempel, ja sogar der Potala wird frisch hergerichtet. Es ist eine lebensgefährliche Arbeit, die hohen, steilen Mauern des Potala zu streichen, und deshalb wird sie immer von denselben geübten Leuten durchgeführt. Sie hängen frei an Seilen aus Jakhaar und schütten mit kleinen Tongefäßen die Farbe auf die Wände, sie reiten in halsbrecherischen Stellungen über die Ornamente der Gesimse und geben ihnen neuen Glanz. Viele Stellen, an denen der Regen die Farbschicht nicht so leicht abwaschen kann, haben im Lauf der Jahrhunderte durch dieses jährliche Anstreichen eine dicke Kalkkruste bekommen. Aber es ist ein strahlender Anblick, wenn sich dann der Potala blendend weiß über der Stadt erhebt.

Ich freute mich sehr, als ich vom Dalai Lama den Auftrag bekam, von dieser Arbeit einen Film zu drehen. Wieder konnte ich etwas festhalten, was sicher auf der ganzen Welt einzigartig war.

Langsam trottete ich schon am frühen Morgen mitten unter einer Schar lustiger Farbträgerinnen die vielen Steinstufen hinauf. Die ganze Farbe für den Riesenbau wird von Frauen aus Schö heraufgetragen, und hundert Kulis müssen vierzehn Tage lang arbeiten, bis die steilen Mauern im neuen Gewände prangen. Ich konnte mir also Zeit lassen mit meinen Aufnahmen und probierte alle möglichen Perspektiven aus, um wirkungsvolle Bilder zu bekommen. Besonders reizte es mich, mit der Kamera die Arbeiter einzufangen, die da zwischen Himmel und Erde an ihren Seilen baumelten. Zu diesem Zweck bekam ich auch Zutritt zu allen Räumen des Palastes. Die meisten Zimmer waren stockfinster, denn jahrhundertealtes Gerümpel verstellte die Fenster, und ich hatte die größte Mühe, an sie heranzukommen. Aus großen Augen blickten mich vergessene Buddhastatuen an, keine Butterlampe brannte mehr zu ihren Ehren, und kein Frommer warf sich ihnen zu Füßen. Unter dicken Staubschichten entdeckte ich immer wieder herrliche alte Thankas. Die Museen der ganzen Welt wären glücklich, wenn sie nur einen Bruchteil der Schätze besäßen, die hier unbeachtet verstauben. Man hat sie vergessen, Mäuse und Spinnen sind heute ihre einzigen Bewunderer. Im untersten Stockwerk zeigte mir mein Begleiter noch eine Merkwürdigkeit dieses einmaligen Gebäudes. Unter die Säulen, die die Decke tragen, waren Keile geschoben. Der wolkenkratzerartige Bau hatte sich im Laufe der Jahrhunderte gesenkt, und die besten Handwerker Lhasas hatten es in mühevoller Arbeit fertiggebracht, ihn wieder zu heben. Es war für diese ungeschulten Leute eine technische Glanzleistung, die ich kaum fassen konnte. Es gelang mir, vom Streichen des Potala einen guten Film zu drehen, und er wurde, wie alle anderen, nach Indien zum Entwickeln geschickt.