In der eigenen Wohnung — mit allem Komfort

In meinen persönlichen Verhältnissen hatte sich in diesem Jahr vieles zum Guten und Besseren gewendet. Ich war mein eigener Herr geworden. Dazu gehörte vor allem eine schöne Wohnung, in der ich ganz unabhängig leben konnte. Ich vergaß nie, wie sehr ich Tsarong zu Dank verpflichtet war, daß er mir sein Haus geöffnet und mir geholfen hatte, hier Fuß zu fassen. Seit ich Geld verdiente, hatte ich ihm auch eine Miete gezahlt. In letzter Zeit bekam ich manche Angebote von Adeligen, die zeitweise in die Provinz versetzt wurden, ihr Haus, ihren Garten und einen Teil ihrer Dienerschaft zu übernehmen. Das war sehr verlockend, und ich konnte es mir ja jetzt leisten, einen eigenen Haushalt zu führen!

Ich wählte schließlich eines der Häuser des Außenministers Surkhang, denn es gehörte zu den für tibetische Begriffe modernsten Bauten der Stadt. Es hatte massive Wände, eine ganze Front von Fenstern mit kleinen Glasscheiben, aber für meinen Bedarf viel zuviel Räume. Deshalb wählte ich mir nur einige Zimmer aus und ließ die anderen verschließen. Der Raum mit der schönsten Morgensonne wurde mein Schlafzimmer. Griffbereit neben das Bett stellte ich den Radioapparat, an die Wände heftete ich Bilder aus einem Schweizer Alpenkalender, der irgendwie — wahrscheinlich mit einer Schweizer Uhrensendung — nach Lhasa gekommen war. Die Schränke und Truhen in meinem Zimmer waren wie unsere Bauernmöbel bunt bemalt und geschnitzt. Die Kleider mußte man im Sommer gut verwahren, denn Motten und anderes Ungeziefer bildeten eine große Plage. Alle Böden des Hauses waren aus Stein, und mein Diener war stolz darauf, wenn sie spiegelblank glänzten. Er rieb sie mit Kerzenwachs ein und tanzte jeden Morgen in Wollschuhen kreuz und quer durch die Räume — so war die Arbeit für ihn gleichzeitig ein Vergnügen. Bunte Teppiche lagen in allen Zimmern. Die Zimmerdecken werden hier allgemein von Säulen getragen, deshalb sind die einzelnen Teppiche ziemlich klein. Es gibt berühmte Teppichweber, die in die adeligen Häuser kommen und gleich an Ort und Stelle jeden Teppich in den gewünschten Maßen herstellen. Sie sitzen auf dem Boden, haben einen Holzrahmen vor sich und knüpfen die bunten, handgesponnenen Fäden nach klassischen Vorlagen: Drachen, Pfauen und Blumen und die verschiedenen Ornamente entstehen unter ihren geschickten Händen. Diese Teppiche überdauern Generationen, das Material ist unglaublich haltbar und die Farben, aus Baumrinde von Bhutan, grünen Nußschalen und Pflanzenessenzen hergestellt, bleiben lange frisch.

Für mein Wohnzimmer hatte ich mir einen Schreibtisch und ein großes Zeichenbrett machen lassen. So geschickt die Tischler bei der Herstellung von althergebrachten Möbelstücken und Schnitzereien waren, so unbeholfen zeigten sie sich, wenn sie etwas Neues fertigbringen sollten. Das schöpferische Können wird hier in allen Berufen vernachlässigt, und weder Schulen noch Privatinitiative regen zu Versuchen an.

Im Wohnzimmer stand ein Hausaltar, von meinem Diener mit besonderer Hingabe gepflegt. Täglich wurden die sieben Schalen mit frischem Wasser für die Götter gefüllt, und das Flämmchen der Butterlampe erlosch nie. Ich lebte allerdings in ständiger Sorge vor einem Einbruch, denn die Götterfiguren trugen echte Golddiademe mit Türkisen. Zum Glück waren meine Diener sehr verläßlich, und in all den Jahren kam nicht das geringste abhanden.

Einiges Kopfzerbrechen bereitete mir das Problem einer Duschanlage. Schließlich bastelte ich aus einem großen Benzinkanister ein Wasserreservoir mit Brause, indem ich ihn auf einer Seite durchlöcherte und in einem Raum neben meinem Schlafzimmer aufhängte. Da das Zimmer einen Steinboden hatte, war der Abfluß leicht geschaffen: Ich machte einfach ein Loch in die Hauswand, was bei der Bauweise ohne Zement keine Schwierigkeit bot. Diese primitive Badeanlage bildete einen Anziehungspunkt für alle meine Freunde, denn sie kannten bestenfalls ein Bad in einer kleinen Zinnwanne oder im kalten Fluß. Das flache Dach meines Hauses, von einer Steinmauer eingefriedet, wäre ein ideales Sonnenbad gewesen. Doch das kennt und begreift man hier nicht. Niemand mag braun werden, und man wundert sich sehr über die Bilder in den westlichen Illustrierten, die so oft Menschen beim Sonnenbad zeigen.

Wie auf allen Dächern, war in jeder Ecke ein Gebetsfahnenbaum angebracht. Ich benutzte den einen gleich zur Befestigung meiner Radioantenne. Ein Weihrauchofen und andere »glückbringende« Aufbauten gehören zu jedem Haus, und ich achtete immer sorgsam darauf, daß alles in Ordnung blieb und keine der einheimischen Sitten verletzt oder vernachlässigt wurde.

Dieses Haus wurde mir bald ein wirkliches Heim, und ich freute mich immer darauf, wenn ich von meiner Arbeit oder von Besuchen nach Hause kam. Dann wartete schon mein Diener Nyima, »die Sonne«, mit heißem Wasser und Tee, und alles war sauber, ruhig und voll Behaglichkeit. Ich hatte nur immer Mühe, mein Alleinsein zu wahren, denn es ist Sitte, daß die Diener sich in Rufnähe aufhalten oder ungerufen in kurzen Abständen zum Tee-Einschenken hereinkommen. Nyima achtete zwar meine Wünsche, aber er hing sehr an mir. So kam es immer wieder vor, daß er mich spätabends im Haustor meiner Gastgeber erwartete, wenn ich ihn auch zu Bett geschickt hatte. Denn er fürchtete, daß man mich auf dem Heimweg überfallen könnte, und stand mit Revolver und Schwert bereit, sein Leben für mich einzusetzen. Diese Anhänglichkeit entwaffnete mich immer wieder.

Er durfte seine Frau und seine Kinder bei sich haben, und auch bei diesen einfachen Menschen sah ich, wie groß die Liebe der Tibeter zu ihren Kindern ist. Wenn gar eines krank wurde, sparte er keine Ausgaben, um den besten Lama herbeizuholen.

Ich tat selbst alles, was ich konnte, um meine Dienerschaft gesund zu erhalten, denn ich wollte frohe Gesichter um mich sehen. Ich konnte sie in der indischen Auslandsmission, die sehr entgegenkommend war, impfen und behandeln lassen, mußte aber immer dahinter her sein, denn die Tibeter beachten Krankheiten bei Erwachsenen meist gar nicht.

Neben diesem persönlichen Diener, der ein Monatsgehalt von etwa dreißig Mark bekam, stellte mir die Regierung noch einen Soldaten als Botengänger und einen Pferdeknecht zur Verfügung. Seit ich für den Norbulingka arbeitete, durfte ich ständig ein Pferd aus dem Stall des Dalai Lama reiten. Ursprünglich sollte es jeden Tag ausgewechselt werden. Denn der Stallmeister mußte streng darauf achten, daß keines der Pferde zu sehr beansprucht wurde, und er wäre sofort entlassen worden, hätte ein Tier abgenommen. Für mich war aber der ständige Wechsel denkbar unangenehm. Die Pferde kannten nur ihr ruhiges Leben auf den schönen Weiden des Norbulingka, und sie scheuten in den engen Straßen und im Verkehr der Stadt beim geringsten Anlaß. Schließlich erreichte ich, daß man mir jedes Pferd für eine Woche ließ und daß drei bestimmte Tiere einander abwechselten, so daß wir uns aneinander gewöhnen konnten. Das Zaumzeug der Pferde war gelb wie alles aus dem Besitz des Dalai Lama. Theoretisch hätte ich mit diesen Tieren, die die Farbe des Gottkönigs trugen, bis hinauf in den Potala reiten oder am Parkhor die Runde machen können zu einer Zeit, wo dies sogar den Ministern verboten war.

Stall, Küche und Dienerquartiere lagen in Nebengebäuden in einem Garten, der von einer hohen Mauer eingefriedet war. Diesem Garten wendete ich meine besondere Liebe zu. Er war sehr groß, ich konnte viele Blumen- und Gemüsebeete anlegen, und es blieb noch genug Platz für Federball- und Krocketplätze auf den schönen Rasenflächen. Auch einen Tisch für das in Tibet sehr beliebte Pingpong stellte ich auf. In einem kleinen Glashaus zog ich Gemüsepflanzen und erzielte schon früh im Jahr eine angenehme Beikost zu meinen Mahlzeiten. Jeder Besucher mußte meine Beete bewundern, denn ich war sehr stolz auf meine Erfolge. Ich machte mir Mr. Richardsons Erfahrungen zunutze, widmete mich jeden Morgen und jeden Abend der Gartenarbeit und konnte auch bald den sichtbaren Lohn für meinen Fleiß ernten. Schon im ersten Jahr hatte ich herrliche Tomaten, Blumenkohl, Salat und Kraut. Es war erstaunlich, welche Größe hier alles erreichte, ohne an Qualität zu verlieren. Das Rezept war eigentlich einfach: Man mußte nur dafür sorgen, daß die Wurzeln immer genug Feuchtigkeit bekamen; die trockene Luft und die halbtropische Sonne schufen dann eine Treibhausatmosphäre, in der alles herrlich gedieh. Das Bewässern war freilich nicht so einfach, denn da es hier keine Druckleitungen gab, konnte man natürlich auch keine Gartenschläuche zum Spritzen verwenden. Man mußte die Beete so anlegen, daß sich ein kleiner Wasserlauf hindurchleiten ließ. Bei den Gartenarbeiten halfen mir ständig zwei Frauen, besonders beim Jäten, denn auch das Unkraut gedieh üppig. Aber das Ergebnis der Arbeit belohnte alle Mühe: Auf einer Fläche von sechzehn Quadratmetern erntete ich zweihundert Kilogramm Tomaten, einzelne davon wogen bis zu einem halben Kilo. Ähnlich war es bei allen anderen Gemüsen. Es gibt keine Gemüsesorte Europas, die hier nicht prächtig gediehe, obwohl der Sommer sehr kurz ist.