41

Noch bevor die Unterredung zwischen Alured de Ashby und Hugh de Monthermer stattgefunden hatte, lehnte Lucy, in ein weites Nonnengewand von grauem Tuch gehüllt, nachdenklich an einem Türpfosten in dem großen Zimmer, das ihr im Schloss von Nottingham zugewiesen worden war. Ihr volles Haar hatte sie unter einem Schleier verborgen, über der Schulter trug sie eine Pilgertasche, gefüllt mit Schmucksachen und einigen anderen Dingen, die sie mitnehmen zu müssen glaubte. Neben ihr stand eines ihrer Mädchen und betrachtete sie teilnahmsvoll und bange.

Endlich, als hätte es lange an sich gehalten, sagte das Mädchen: »Lasst mich mit Euch gehen, Lady.«

»Du weißt nicht, wohin ich gehe, Claudia«, versetzte Lucy. »Du weißt nicht einmal, ob ich überhaupt fortgehe.«

»Doch!«, sagte das Mädchen. »Warum sonst hättet Ihr Euch so verkleidet?«

»Nur um zu sehen, ob diese Verkleidung für den Notfall taugt«, antwortete Lucy. »Da, hilf mir, sie auszuziehen, Mädchen! Ich würde mich selbst nicht, viel weniger würden mich andere erkennen!«

»Ja, Lady, aber doch geht Ihr fort«, beharrte das Mädchen, während Lucy Schleier und Rock ablegte. »Ich weiß nicht, wohin, aber ich will mit Euch gehen, und ich bin mir sicher, ich kann Euch helfen.«

»Nun gut, wie du willst!«, versetzte Lucy nach einigem Nachdenken. »Aber es kann sein, dass wir Höfe und weiche Betten für immer hinter uns lassen müssen, Claudia!«

»Das ist mir gleich!«, rief das Mädchen. »Ich wollte lieber bei den Waidmännern im Wald leben als in Nottingham oder auch in Lindwell.«

»Gut, dann beeil dich und mach dich bereit«, sagte Lucy lächelnd. »Es sind hier viele, die dich kennen, Claudia, und wir müssen unerkannt fortkommen.«

»Ich will mich in einer Minute so verwandeln, dass mich mein Liebhaber, wenn ich einen hätte, am Altar nicht erkennen würde. Horcht! Es klopft jemand!«

»Lauf und sieh, wer es ist!«, rief Lucy.

»Die Prinzessin wünscht Euer augenblickliches Erscheinen«, sagte das Mädchen, nachdem es kurz mit jemandem an der Tür gesprochen hatte. Rasch eilte Lucy hinter einer von Eleonores Frauen, die die Botschaft gebracht hatte, den Korridor entlang. Sie fand Prinz Edward bei Eleonore. Er war noch so, wie er aus Leicester gekommen war. Seine Kleidung war staubig von der Reise, er trug noch Waffen, aber sein Kopf war unbedeckt, und das dichte, lockige Haar fiel ihm wirr in die Stirn. Er ging mit langsamen Schritten im Zimmer auf und ab. Sein Gesicht drückte Unmut, ja Zorn aus. Eleonore dagegen saß und schaute ihn schweigend an, mit einer ernsten und zärtlichen Miene, als warte sie ab, bis die erste Aufwallung der Gefühle vorüber und der Augenblick zum Begütigen oder Trösten gekommen war.

»Da ist sie, Edward«, sagte sie, sobald Lucy eingetreten war.

Er verbannte sogleich alle Unmutsfalten von seiner Stirn und sagte, ihre Hand ergreifend: »Seid ohne Furcht, teures Fräulein, ich bin vielleicht aufgebrachter, als ich sein sollte, aber nicht über Euch und die Eurigen. Als ich vor etwa zwanzig Minuten hier ankam, gab mir die Prinzessin einen Brief, der den Zweck hat, unseren armen Freund Hugh von der Anklage freizusprechen, und ich brachte ihn sofort zum König, um ihn zu bitten, den Kampf um acht Tage aufzuschieben. Stellt Euch mein Erstaunen vor, als er mir dies abschlug. Euer Bruder müsse sich gegen die Anklage behaupten oder sterben. Aber es ist nicht die Schuld meines Vaters«, fuhr er verlegen fort, als er Abscheu und Geringschätzung in Lucys Gesicht bemerkte. »Es ist nicht die Schuld meines Vaters, das kann ich Euch versichern. Mortimer und Pembroke und einige andere, auf die er hört, haben ihn so auf ihre Seite gezogen, dass im Moment alle Worte vergeblich sind. Und doch darf es nicht zu diesen Kampf kommen, denn einer von zwei edlen Männern würde ermordet werden!«

»So lasst mich versuchen, dies zu verhindern«, sagte Lucy. »Hat die Prinzessin, mein Lord ...«

»Ja, sie hat!«, rief Edward. »Und Ihr müsst es versuchen, holdes Fräulein! Aber ich bezweifle, dass selbst Eure Überredungskunst, selbst der bestechende Lohn Eurer schönen Hand Hugh de Monthermer dazu bewegen wird, zu fliehen und seinen Namen auch nur einen Tag der Schmach preiszugeben!«

»Er wird es tun!«, sagte Eleonore. »Von seiner Unschuld überzeugt, mit dem Geständnis ihres Bruders in Lucys Händen, dass er ihn für unschuldig hält ...«

»Er bezweifelt seine Schuld nur«, unterbrach sie Edward. »Hughs Antwort könnte deshalb ganz klar sein: Wo er Ehre, Unschuld und Mut auf seiner Seite habe, warum solle er fliehen?«

»Um meinen Bruder zu retten!«, sagte Lucy, dem Prinzen fest ins Gesicht blickend.

»Aber sein Ruf als Ritter!« Edward hob beschwörend die Hände. »Doch er muss fliehen! Es muss einfach ein Mittel gefunden werden, um ihn dazu zu überreden.«

»Könntet Ihr es nicht tun, mein gnädiger Lord?«, fragte Lucy.

»Das ist die Frage«, erwiderte der Prinz, wieder im Zimmer auf und ab schreitend. »Was wird man von mir sagen, wenn ich mich einmische? Wenn ich einem Ritter rate, vor seiner Pflicht zu fliehen? Aber es muss sein! Hört mich an, mein Fräulein: Geht zu ihm, wie Ihr Euch vorgenommen habt, bittet und beschwört ihn, tut alles, was Ihr könnt, bietet ihm an, mit ihm zu gehen und seine Gattin zu werden. Er wird das kaum ausschlagen, denke ich«, und er wandte sich mit dem Anflug eines Lächelns zu Eleonore. »Aber wenn alles nichts hilft, so sagt ihm, ich bitte ihn, ja ich befehle ihm: Wenn er sicher ist, seine Unschuld nach kurzer Frist beweisen zu können, so soll er heute Nacht fliehen! Ich werde ihn rechtfertigen und sagen, dass es auf meinen ausdrücklichen Befehl geschehen sei. Und dann will ich den Mann im ganzen Königreich sehen, meinen Vater eingeschlossen, der das zu tadeln wagt!«

»Wollt Ihr mir das schriftlich geben?«, fragte Lucy. »Wenn ich allein ihn zu überzeugen versuche, so könnte Hugh denken, es sei nichts weiter als die List eines Weibes, um ihn für ihre Wünsche zu gewinnen.«

»Ist ein Tintenfass hier?«, fragte Edward.

»Ja«, sagte die Prinzessin und deutete auf die Schreibmaterialien. Mit rascher Hand warf er einige Worte auf das Papier, las sie noch einmal, behielt aber den Befehl in der Hand. »Vergesst nicht«, sagte er ernst zu Lucy, »dies soll das letzte Mittel sein, zu dem Ihr greift! Es ist ein übereilter Schritt, fürchte ich, und ein ziemlich unkluger, den ich tue, obwohl aus guter Absicht, und ich wünschte, dass er möglichst nicht an die Öffentlichkeit dringt.«

Lucy nahm aufatmend das Papier an sich. »Dies rettet alles«, sagte sie. »Jetzt wird er gehen, mein Lord, da er seine Ehre gesichert sieht. Aber ich gelobe Euch, ich will nicht mit Bitten sparen, um ihn auch ohne Euer Schreiben zur Flucht zu bewegen. Ich will vergessen, dass ich diesen kostbaren Schatz habe, wenn er sich nicht taub und blind gegen alle meine Bitten erweist. Falls es aber dieses Schreibens bedarf, um ihn zur Flucht zu bewegen, darf ich ihm doch sicher einigen Unwillen darüber zeigen, dass er auf Eure Worte eingeht, nachdem er alle meine verachtet hat. Aber wahrhaftig, ich werde zu dankbar sein, wenn ich ihn überhaupt gehen sehe, als dass ich zornig sein könnte.«

»Gut, gut, holdes Fräulein«, sagte der Prinz. »Mögen wir sicher und glücklich aus dieser dunklen und traurigen Geschichte herauskommen. Ich tue alles gegen den Willen meines Vaters, das ist wahr, aber dadurch verhindere ich, dass unschuldiges Blut vergossen wird, und erspare dem König eine Tat, die er später bitter bereuen würde. Gott führe alles zu einem guten Ende. Wir handeln nach unserem besten Wissen und Gewissen.«

»Seid ohne Sorge, mein Edward«, sagte Eleonore. »Es wird alles gut werden!« Dann küsste sie ihre junge Freundin zärtlich auf die Stirn. »Jetzt sagt mir, ob alles bereit ist zu Eurem Unternehmen?«

»Alles!«, antwortete Lucy. »Mein Mädchen Claudia hat mir das graue Gewand einer Nonne beschafft, das mich unkenntlich machen wird.«

»Das ist alles?«, rief der Prinz. »Wo sind die Pferde? Aber überlasst das mir. Wenn Monthermer einwilligt, sich zu entfernen, so bittet ihn, nicht zu zögern und sich nicht mit Vorbereitungen aufzuhalten. Er wird Pferde finden am Stadttor, am nördlichen Tor, meine ich. In einer halben Stunde sollen sie dort sein. Wisst Ihr den Weg in seine Wohnung?«

»Nicht genau«, sagte Lucy. »Es ist, glaube ich, die dritte Tür in Richtung auf den Hof hinab. Aber Claudia wird dort hinfinden.«

»Es gibt einen kürzeren Weg«, sagte der Prinz. »Folgt dem Gang, der an Eurem Zimmer vorbeigeht, bis an die Treppe. Ihr werdet dort eine Tür sehen, die in sein Vorzimmer führt. Es wäre besser«, fuhr er nachdenklich fort, »wenn Ihr eine Dienerin die Verkleidung nachtragen ließet und sie nicht eher anlegtet, als bis Ihr gewiss seid, dass er gehen will. Wenn Ihr ihn verkleidet besuchtet, schönes Fräulein, und nachher unvermählt zurückkämt, so könnten die Leute leichtfertig von Eurem Ruf sprechen. Was Ihr in aller Unschuld getan habt, um einen höchst überflüssigen Kampf zu verhindern, könnte Euch zum Nachteil ausgelegt werden.«

Das Blut stieg warm in Lucys Wangen, aber sie schaute dem Prinzen offen ins Gesicht und erwiderte voll edler, unbefangener Offenheit: »Ihr haltet mich zweifellos für etwas keck, mein Lord, und viele Menschen mögen mich tadeln. Aber ich fühle etwas hier«, und sie legte die Hand aufs Herz, »was mich nicht tadelt, sondern mich auffordert hinzugehen und mein Vorhaben auszuführen.«

»Nun gut«, versetzte Edward. »Lebt jetzt wohl, ich wünsche Euch gutes Gelingen bei Eurem edlen Unternehmen!«

Lucy küsste seine Hand und kehrte in ihr Zimmer zurück. »Schnell, Claudia!«, rief sie beim Eintreten. »Bist du bereit?«

»Ja, Lady«, antwortete die Dienerin. »Wollt Ihr nicht das Nonnengewand anlegen?«

»Nein«, sagte Lucy, in der Tür stehenbleibend. »Bring alles mit und folge mir schnell!«

Das Mädchen packte eilig die Verkleidung für sich und ihre Gebieterin zusammen, und Lucy eilte voran den Gang entlang, wie der Prinz ihr geraten hatte. An der Tür zu Hugh de Monthermers Vorzimmer angekommen, wollte sie sofort klopfen, hielt aber ihre schon erhobene Hand zurück, weil sie jemanden sprechen hörte.

Sie wurde fast ohnmächtig, und ihr Herz schlug heftig, denn sie erkannte die Stimme ihres Bruders. Deutlich vernahm sie die Worte: »Ich halte Euch im Grunde meiner Seele für unschuldig, Monthermer, und wollte meine rechte Hand dafür geben, dass einer von uns beiden heute Nacht hundert Meilen weit von hier weg wäre!«

Ein Lächeln flog über ihr Gesicht. Er bahnt mir den Weg!, dachte sie. Nun blieb alles still, bis sie sich entfernende Schritte und das Schließen einer Tür hörte.

»Er ist fort«, sagte Lucy zu ihrem Mädchen,. »Warte ein paar Minuten hier, Claudia.« Ohne anzuklopfen, öffnete sie leise die Tür und sah hinein.

Ein kleines Zimmer lag vor ihr, mit dem Kamin an der gegenüberliegenden Wand, um den drei Stühle standen. Kein Mensch war da, und mit leisem Schritt trat sie ein und schaute sich um. Zu beiden Seiten erblickte sie eine Tür. Die zur Rechten war geschlossen, aber hinter ihr hörte sie Plaudern und Lachen. Die Tür links war ein wenig geöffnet, doch alles war still. Lucy ging darauf zu und zog sie vorsichtig zurück.

In der Mitte des Zimmers stand der Geliebte, die Arme über der Brust verschränkt, den Kopf gesenkt, einen kummervollen, finsteren Ausdruck um den Mund und auf der Stirn. Als sie die Tür weiter öffnete, schreckte er aus seinen Gedanken auf und schaute empor. Sein Gesicht zeigte Freude, Überraschung und Bangigkeit zugleich, als er Lucy bemerkte. Rasch trat er auf sie zu, zog sie sanft in das Zimmer, schloss die Tür und drückte sie dann eine Weile an seine Brust, während beide schwiegen, denn das Klopfen ihres Herzens lähmte Lucys Zunge, und Hugh wagte nicht zu sprechen, um nicht zu stören und zu verjagen, was ihm wie ein glücklicher Traum erschien.

»Liebe Lucy«, sagte er endlich, »obwohl ich Euch danke für Euer Kommen, muss ich doch fragen, was Euch hierherführt? Es war unbesonnen, teures Mädchen! Wenn Ihr mich zu Euch gebeten hättet, wäre ich sofort bei Euch gewesen. Noch vor einer Minute war Euer Bruder hier.«

»Das weiß ich«, versetzte Lucy, »ich weiß alles, Hugh. Ich weiß auch, dass es unbesonnen war, zu kommen. Aber ich will heute Nacht noch mehr Unbesonnenes tun, dies war erst der Anfang. Es ist die Regel, dass Ihr Männer uns Frauen aufsucht und uns um etwas bittet. Heute komme ich mit meinen Bitten zu Euch!«

»Oh, Lucy!«, rief Hugh, der vielleicht ahnte, was sie ihm sagen wollte. »Was wollt Ihr von mir verlangen? Denkt an meine Ehre, Lucy! Wenn Ihr mich liebt, muss sie Euch teurer sein als mein Leben. Verlangt nichts von mir, was Schande über mich bringen kann!«

»Hört mich an, ehe Ihr urteilt«, erwiderte sie. »Euer Leben ist mir genauso teuer wie Eure Ehre. Und doch ist es nicht Euer Leben, um das ich fürchte. Fest gewaffnet mit Unschuld und Stärke, geht Ihr dem sicheren Sieg entgegen. Um meinen Bruder fürchte ich, um meinen ungestümen, unbesonnenen, ja schuldigen Bruder, denn wer eine Anklage gegen einen Unschuldigen erhebt, ist selbst schuldig. Ich zittere um ihn, Hugh! Ich zittere auch um mich! Ich fürchte, Hugh de Monthermer wird seine Hand mit dem Blut meines Bruders färben, und eine so befleckte Hand kann nie die meinige werden.«

»Das weiß ich«, sagte Hugh, »aber was kann ich tun? Ich habe keine andere Wahl, als elend zu leben oder entehrt zu sterben.«

»Doch«, rief Lucy lebhaft, »Ihr habt eine Wahl! Flieht, Hugh de Monthermer! Gebt niemandem einen Grund an, warum Ihr es tut. Ihr habt die Gewissheit, schon bald Eure Unschuld beweisen zu können. Erscheint nicht beim Ruf der Trompeten, erscheint nicht, bis Ihr dem nichtswürdigen Schurken, der die Tat begangen hat, seine Schuld beweisen könnt.«

»Was?«, rief Hugh de Monthermer entrüstet. »Mich verurteilen lassen, nicht nur als Verbrecher, sondern auch als Feigling? Meinen Namen als Schimpfwort von Mund zu Mund gehen lassen durch ganz Europa? So dass die Herolde sagen, wenn sie eine Memme und einen Verräter meinen: ›Er ist wie Hugh de Monthermer!‹ Oh, Lucy, denkt an meine Ehre!«

»Aber Eure Ehre ist doch gesichert, Hugh«, antwortete Lucy und umklammerte seinen Arm. »Alured selbst gibt zu, dass Ihr unschuldig seid. Eben jetzt hörte ich ihn sagen ...«

»Ja, in diesem Zimmer und unter vier Augen«, fiel ihr Hugh bitter ins Wort. »Aber morgen reitet er auf den Turnierplatz und ruft Gott zum Zeugen an, dass seine Sache gerecht ist. Vor mir gibt er zu, dass die Anklage falsch ist, aber vor der Welt lässt er sie bestehen.«

»Nein!«, rief Lucy. »Seht, Monthermer, was er hier sagt!«, und sie zog das Schreiben heraus, das Alured ihr gegeben hatte.

Hugh las es begierig, und als er darin den Wunsch ihres Bruders ausgesprochen sah, dass sie beide, wenn er falle, dennoch vereinigt werden möchten, sah er Lucy voll Zärtlichkeit und Liebe an. Dann aber schüttelte er wehmütig den Kopf und sagte: »Er kennt dich nicht so gut, Lucy, wie ich dich kenne. Sein Wunsch ist großmütig und edel. Aber würde Lucy ihm gemäß handeln?«

»Nein!«, antwortete sie entschlossen. »Müsste ich auch mein Leben in hoffnungslosem Kummer verbringen, nie würde ich meine Hand dem geben, der das Blut meines Bruders vergossen hat. Aber hört mich an, Hugh«, fuhr sie fort, und ihre Wangen, die bei den letzten Worten sehr blass geworden waren, wurden nun feuerrot: »Hört mich an, Hugh, und willigt ein in meine Bitte! So dringend, so zärtlich, wie Ihr jemals um diese Hand geworben habt, bitte ich Euch jetzt, sie zu nehmen. Auf meinen Knien, Hugh de Monthermer« – und sie sank vor ihm auf die Knie – »auf meinen Knien, Eure Hand mit meinen Tränen befeuchtend, bitte ich Euch, Lucy de Ashby zu Eurer Gattin zu machen!«

»Aber wie, liebste Lucy?«, rief er ratlos und beugte sich herab, um ihr aufzuhelfen. »Was – was meint Ihr?«

»Flieht!«, rief Lucy. »Flieht mit mir heute Nacht! Hier ist die Einwilligung meines Bruders, hier ist auch Eure Rechtfertigung. Hier erklärt er gleich zu Anfang Eure Unschuld!«

»Aber nein!«, versetzte Hugh de Monthermer und schüttelte den Kopf. »Er schreibt nur, er zweifle an meiner Schuld! Ich sage dir, liebste Lucy, es gibt keinen ehrlichen Mann im Königreich, der mich nicht eine Memme nennen würde, sollte ich fliehen.«

»Ist das alles, was Euch zurückhält?«, fragte Lucy. »Wie, wenn ich Euch nun zeigte, dass unter den Höchsten und Ehrenhaftesten des Landes solche sind, die Euch entschuldigen und verteidigen werden?«

»Das könnt Ihr nicht, Lucy«, entgegnete Hugh. »Ihr hofft vielleicht, sie würden es tun. Vielleicht haben sie sogar so etwas gesagt wie: es wäre das Beste zu fliehen, ich sollte dem Kampf einige Tage ausweichen. Aber wenn die Stunde käme, würden sie mit allen Übrigen ihre Stimme gegen mich erheben. Mehr als das könnt Ihr nicht vorbringen, Lucy.«

»Ich kann!«, antwortete sie. »Da, lest dies, und wenn Ihr noch einen Augenblick überlegt, so sicher nur, weil Hugh de Monthermer seine Braut nicht liebt, ihre ihm angebotene Hand verschmäht und das unbesonnene, törichte Mädchen verachtet, das um eines undankbaren Mannes willen alle Rücksicht fahren ließ, beseelt nur von dem Gedanken, die zu retten, die sie liebt!«

Hugh de Monthermer hielt das Schriftstück einen Augenblick in der Hand, ohne es zu lesen, und betrachtete das schöne Mädchen an seiner Seite, das ihn mit Augen voller Glanz und Feuer und mit glühenden Wangen zu überzeugen versuchte.

»Lucy«, sagte er gerührt, »diesen Vorwurf verdiene ich nicht. Ihr selbst habt mir gesagt, meine Ehre sei Euch so teuer wie mein Leben. Lasst sie Euch teurer sein als alles andere und sagt mir dann, ob ich mit Ehren gehen kann? Wenn Ihr ja sagt, mit welcher Freude werde ich fliehen, da Lucy meine Begleiterin ist! Mit welcher Hingebung will ich mein Leben lang bestrebt sein, ihr ihre großmütige Aufopferung zu vergelten.«

Während er sprach, umarmte er sie zärtlich, und Lucy verbarg das Gesicht an seiner Brust, um ihre Tränen nicht zu zeigen. Aber dann hob sie den Kopf und sagte: »Lest, Hugh! Das wird Euch zufriedenstellen!«

Hugh de Monthermer trat an die Lampe heran, und als er auf das Schriftstück sah, rief er erstaunt aus: »Prinz Edwards Handschrift! Was ist das?«

Dann las er halblaut:

Monthermer! Befolgt den Plan Eurer schönen Lady! Flieht mit ihr so schnell Ihr könnt – sie wird Euch mehr sagen. Fürchtet nichts für Eure Ehre, ich will als Bürge für Euch einstehen und sagen, es sei mein Befehl gewesen. Ihr seid noch mein Gefangener, bedenkt das, und könnt als solcher nicht fechten ohne die Einwilligung von

Edward

»Das ändert alles!«, rief Hugh de Monthermer. »Aber warum habt Ihr mir dies nicht früher gegeben?«

»Weil der Prinz verlangte, ich sollte es nur als letztes Mittel benutzen.« Lucy berichtete ihm nun kurz von der Unterredung und fügte hinzu: »Lasst uns eilen! Die Pferde stehen jetzt schon am nördlichen Stadttor bereit. Mein Mädchen Claudia wartet an der Treppe mit einer Nonnentracht für mich und einer passenden Verkleidung für sie selbst. Habt Ihr nichts, was Ihr Euch überwerfen könntet? Denn da Ihr mit einer armen grauen Schwester reisen werdet, wäre es gut, wenn Ihr nicht als höfischer Kavalier erscheinen würdet.«

Lucys Herz, befreit von der bedrückenden Last, schlug freudig in neuer Hoffnung. Aber die Tränen in ihren Augen zeigten noch die Aufregung der letzten Tage und Stunden. Hugh umarmte und tröstete sie, bis ihn Lucy erinnerte, wie schnell die Zeit verging.

»Bedenkt, Hugh«, sagte sie, »die Minuten und mein Mut sind keine beständigen Dinge, und beide schwinden schnell dahin. Ich darf nicht ohnmächtig oder schwach werden, ehe wir die Stadt verlassen haben.«

»Auch dann dürft Ihr es nicht!«, rief Hugh. »Aber Euer Mut wird zunehmen, liebe Lucy, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Wir täten jedoch besser daran, nicht ganz allein zu gehen, denn wir könnten unterwegs Hilfe benötigen. Ich will Blawket mit seinen eigenen Pferden ans Tor hinunterschicken.«

»Aber Ihr braucht eine Verkleidung!«, rief Lucy. »Eine Verkleidung! Sonst wird, ehe wir das Schloss verlassen haben, Euer Gewand Euch verraten!«

»Ich habe eine bereit«, antwortete Hugh. »Der Priesterrock, in dem ich seinerzeit floh, mag mir noch einmal seinen Dienst erweisen. Wo ist Euer Mädchen?«

»Auf dem Gang«, versetzte Lucy. »Ich will sie rufen.«

»Nein, überlasst das mir«, sagte Hugh de Monthermer und schritt durch das Vorzimmer. Er öffnete die Tür, die auf den Gang hinausführte, und flüsterte: »Kommt herein, Mädchen, bringt die Lampe mit. Ich werde gleich wieder da sein.« Sobald Claudia in seinem Zimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, begab er sich in das äußere Zimmer, rief Blawket und erteilte ihm leise einige Befehle. Dann setzte er sich an den Tisch, schrieb ein paar Worte auf einen Bogen Papier, den er einem seiner Knappen anvertraute, und sagte: »Stört Sir John Hardy diese Nacht nicht, aber gebt ihm dies morgen bei Tagesanbruch.«

»Es wäre eine schwere Aufgabe, ihn zu stören, Sir«, antwortete der Mann, »denn er schläft jetzt schon, und wenn seine Augen einmal geschlossen sind, so bringt sie in den nächsten acht Stunden kein Blitz zum Blinzeln.«

»Es tut nichts«, versetzte Hugh. »Morgen ist es früh genug. Nur, übergebt es ihm ganz gewiss.« Darauf kehrte er in sein Zimmer zurück und verschloss sorgfältig hinter sich die Tür.

Der junge Ritter fuhr zurück, als er Lucy in dem grauen Gewand und dem Schleier sah, so groß war die mit ihr vorgegangene Veränderung.

»Ihr seht, Hugh«, sagte sie lächelnd, als sie seine Überraschung bemerkte, »aus welchem Stoff Lucys Schönheit ist. Sie verschwindet ganz, wenn man den prächtigen Putz wegnimmt und sie in das trübselige Gewand einer Nonne hüllt.«

Es mochte ein wenig Koketterie in ihren Worten liegen, denn Hugh de Monthermer konnte darauf nur eine zärtliche Antwort geben, und die gab er. Dann suchte er eilig den schwarzen Priesterrock hervor und warf ihn über seine Rittertracht. Nun erhob sich die Frage, wie sie fortkommen sollten, ohne durch das Zimmer zu gehen, in dem die Diener und Gefolgsleute Hugh de Monthermers saßen.

»Können wir nicht durch den Gang zurück, Madame?«, fragte Claudia. »Dicht neben der Tür Eures Zimmers ist die kleine Treppe, die in den großen Schlosshof führt.«

»Das wird der beste Weg sein«, sagte Hugh. »Zieht den Schleier über Euer Gesicht, liebe Lucy. Niemand wird uns in solcher Verkleidung erkennen, und es ist auch kaum wahrscheinlich, dass wir jemandem begegnen.«

Weder im Korridor noch auf der Treppe trafen sie auf eine lebende Seele, obwohl sie, als sie sich den Gemächern des Prinzen und der Prinzessin näherten, dicht vor sich Schritte hörten und dann, in einer kleinen Entfernung vernahmen, wie sich eine Tür öffnete und wieder schloss. Auch den Hof erreichten sie ungefährdet, und Hugh de Monthermer trat ein paar Schritte hinaus, um zu sehen, ob die Luft rein sei. Ein Lichtschimmer vom Hauptgebäude her veranlasste ihn, sich sogleich wieder in den Schutz der Tür zurückzuziehen.

»Es kommen Leute mit Fackeln«, sagte er. »Benutzt der König diese Treppe?«

»Nie, soviel ich weiß«, antwortete Lucy.

»Nie!«, sagte auch das Mädchen Claudia.

Hugh machte die Tür fast ganz zu, schaute aber durch einen Spalt hinaus, um zu sehen, was vorging.

»Da kommt ein Priester mit einem Kruzifix und einer Hostie!«, sagte er. »Man bringt einem Sterbenden das Sakrament.«

»Die heilige Maria sei uns gnädig!«, rief das Mädchen Claudia, die ebenfalls hinausgespäht hatte. »Wir können nicht mehr fort, man schließt die Tore!«