13

Eine Stunde nach Tagesanbruch standen Hugh de Monthermer und Lucy de Ashby bei ihren Pferden, bereit aufzusteigen und aufzubrechen. Das gelbe Morgenlicht breitete sich hell über der Waldlandschaft aus, jeder Grashalm funkelte wie von tausend Diamanten, jeder Baum ertönte vom Gesang der Vögel. Lucys Herz schlug hoch vor Freude über ihre Befreiung durch den Geliebten. Ihrer Zuneigung gewiss und voller Hoffnung, Lucy zu gewinnen, war auch Hugh erfüllt von frohen Empfindungen.

Robin Hood trat aus dem Haus, in einen eng anliegenden Anzug gekleidet, der seine muskulöse Gestalt noch hervorhob. Sein nussbraunes Haar kräuselte sich um seine nachdenkliche Stirn. Als er die beiden Liebenden betrachtete, flog ein Lächeln über sein Gesicht, und er verhielt unwillkürlich den Schritt.

Nachdem Hugh de Monthermer Lucy auf ihr Pferd gehoben hatte, wandte er sich zu Robin Hood, um ihm Lebewohl zu sagen. Er bot ihm herzlich die Hand.

»Gute Reise, Hugh de Monthermer«, sagte Robin, sie ergreifend. »Wir werden uns bald auf einem bewegteren Schauplatz wiedertreffen, wenn meine Vermutungen richtig sind. Aber wo bleibt Tangel, der Euch führen soll? Tangel, Tangel! Wo bist du?« Bei seinem letzten Ruf kroch der Zwerg hinter dem Haus hervor. Mit gesenktem Haupt und in gebeugter Stellung näherte er sich langsam seinem Gebieter und blickte ihn fragend an.

»Was ist?«, fragte Robin Hood ungehalten. »Gab ich Euch nicht Befehl? Wo ist das Pferd?«

»Ich möchte lieber nicht fort!«, rief der Zwerg eigensinnig. »Lass mich bei dir bleiben, Robin! Schicke das Glattgesicht oder Harry, den Pagen. Wenn der Narr in seinem gestickten Wams nicht für sich selbst sorgen kann und jemanden haben muss, der ihn durch die Welt geleitet, so soll es der junge Schweinfleisch tun. Warum soll er ausgerechnet mich mitnehmen?«

»Lass den Jungen bei dir bleiben, mein Freund«, sagte Hugh de Monthermer, als er sah, dass der Waidmann zornig antworten wollte. »Er hängt sehr an dir. Ich werde meinen Weg schon finden.«

»Nein, er hat zu gehorchen«, versetzte Robin Hood. »Und, mein guter Lord, nicht bloß, um Euch den Weg zu zeigen, schicke ich Tangel mit Euch. Ihr müsst ihn mit nach Hereford nehmen und ihn bei Euch behalten, bis wir uns wieder treffen. Ihr werdet ihn treu, schlau und anstellig finden, obgleich er sich jetzt so unbotmäßig zeigt. In diesen gefährlichen Zeiten kann es sowohl für Euch als auch für mich von großem Nutzen sein, wenn Ihr jemand bei Euch habt, der jeden meiner Männer kennt. Ich habe Euch und Eurem Oheim vielleicht Nachrichten zu übermitteln, denn ich erhalte eher Kenntnis von allem, was im Lande vorfällt, als selbst Lord Leicester bei all seiner Macht. Dazu ist es aber notwendig, dass Ihr erkennt, welche Boten die meinigen sind und welche nicht, denn menschliche List und Tücke ist heutzutage geschäftiger als man es je in der Welt erlebte. Wenn jemand zu Euch kommt in meinem Namen, so ruft Tangel und lässt Euch von ihm sagen, ob es einer von meinen Leuten ist. Geht nun, Tangel, und lasst mich hören, dass Ihr Eure Pflicht getan habt!«

»Kommt, mein Junge«, sagte Hugh de Monthermer freundlich. »Ich will dich gut behandeln, und du sollst mich lieben, du magst wollen oder nicht.«

»Wahrhaftig, ich habe dich schon jetzt recht gern«, antwortete Tangel, »obgleich ich keine besondere Vorliebe für Männer in gestickten Wämsern habe. Aber was sein muss, muss sein. Der arme Tangel ist immer des Schicksals Spielball gewesen. Nun gut, ich will mein Pferd holen.«

Mit diesen Worten streckte er seine langen Arme aus, legte seine Hände plötzlich auf die Schultern von Lucys Dienerinnen, die ganz nahe beieinanderstanden, sprang mit einem Satz über die laut aufkreischenden Mädchen hinweg und verschwand um die Ecke des Hauses. Gleich darauf erschien er wieder, ein kleines braunes Pferd am Zaum führend.

Sobald die ganze Gesellschaft zu Pferde saß, trat der Geächtete noch einmal zu Hugh de Monthermer und sagte leise einige Worte zu ihm, die großes Erstaunen bei dem jungen Ritter zu erregen schienen.

»In der Tat!«, rief er. »Aber seid Ihr Eurer Sache auch gewiss?«

»So gewiss, als dass auf diesem Baum hier eine Elster sitzt.«

»Dann müsst Ihr Vorkehrungen getroffen haben, sie hinters Licht zu führen«, sagte Hugh de Monthermer.

»Ich nicht«, antwortete Robin Hood. »Ich lasse Narren immer sich selbst hinters Licht führen. Sie tun es jederzeit geschickter, als ich es könnte. Doch ist es notwendig, dass Ihr davon wisst. Gott sei mit Euch, Sir. Wir werden uns bald wieder begegnen.«

Nach wenigen Augenblicken bewegte sich die kleine Kavalkade über die schmalen Waldwege. Tangel ritt voran, ihm folgten in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritt Lucy und ihr Verehrer, und auch zwischen ihnen und den Mädchen dahinter blieb ein angemessener Abstand. Sie ritten nicht rasch, kamen aber bald aus dem dichten Wald heraus und zogen nun abwechselnd durch Wiesen und Gehölze, bis sie eine Straße mit einem Wegweiser erreichten.

Hugh de Monthermer hatte mit der Vergesslichkeit eines Liebenden gar nicht daran gedacht, ihrem kleinen Führer Weisungen zu erteilen, und das Erste, was ihn an diese Notwendigkeit erinnerte, war der Wegweiser.

»Ich fürchte, teure Lucy«, sagte er, »Lindwell ist nicht mehr weit von hier, und dahin muss ich Euch ja bringen, obgleich es traurig ist, dass so glückliche Augenblicke wie diese dann vorüber sind.«

»Ihr habt recht«, antwortete Lucy mit einem Seufzer. »Mein Vater wird, wie Ihr Euch denken könnt, in Sorge sein, bis er mich wiedersieht.«

»Wenn Ihr um seinetwillen nach Lindwell gehen wollt«, versetzte der junge Edelmann, »so werdet Ihr Eure Erwartung getäuscht sehen, liebe Lucy, denn er ist nicht dort. Er und Euer Bruder sind nach Gloucester aufgebrochen, in der Annahme, Ihr seid durch Leute von des Königs Partei entführt worden, um Euren Vater von unserer Sache abzubringen.«

»Oh, dann will ich nicht allein in Lindwell bleiben!«, rief Lucy, nicht unzufrieden, dass sie einen guten Vorwand hatte, unter des Geliebten Schutz weiterzureisen. »Zudem, wer weiß, was mir zustoßen könnte? Die ausländische Partei ist stark in Nottingham. Nein, Hugh, wenn Ihr ein guter Ritter und treu seid, so werdet Ihr mich bis zu meinem Vater geleiten.«

»Liebe Lucy, ich muss Euch davon abraten, mit mir weiterzureisen, obgleich noch zwei oder drei Tage an Eurer Seite zu reiten mir mehr gälte als ein ganzes Jahr meines Lebens. Aber ich kann Euch nicht verschweigen, dass zwischen hier und Gloucester manche Gefahr zu bestehen sein wird. Der Graf von Gloucester, Gilbert de Clare9, dessen Treue schon lange angezweifelt wurde, ist jetzt bereit, die Waffen gegen de Montfort zu erheben. Er kann es bereits getan haben, und eines ist gewiss: dass sich im Forst von Dean bewaffnete Männer in großer Anzahl scharen, ohne dass man ihr Vorhaben kennt.«

»Ich habe keine Furcht, Hugh, wenn ich Euch an meiner Seite weiß. Auch können wir einige Leute von Lindwell mitnehmen. Ich möchte jedenfalls nicht allein hier bleiben.«

»Wenn dies Euer Wille ist«, antwortete ihr Angebeteter, »bleibt mir keine andere Wahl, obwohl Euer Bruder vielleicht die Stirn runzeln und Euer Vater ein frostiges Gesicht machen wird. Indessen besteht noch die Möglichkeit, dass wir meinen Oheim in Torwel einholen. Seine Anwesenheit und seine kräftigen Krieger können uns gegen alle Vorwürfe sichern. Auf jeden Fall wird er ein paar zuverlässige Bogenschützen zurücklassen, und wenn wir ebenso viele von Lindwell mitnehmen können, sind wir ungefährdet.«

Ihre Pferde zu rascherer Gangart antreibend, wies er Tangel an, sie nach Torwel zu führen. Als sie jedoch dort gegen neun Uhr morgens anlangten, erfuhren sie, dass der Graf schon weitergezogen war und sechs Bogenschützen für seinen Neffen zurückgelassen hatte. Hugh hielt nun eine längere Rast für notwendig, denn obgleich Lucy imstande war, weitere Anstrengungen zu ertragen, mochte sie doch ermüdet sein von dem Ritt.

Die Zeit, die sie in Torwel zubrachten, verfloss schnell, und gegen Mittag machten sie sich auf den Weg nach Schloss Lindwell. Groß war dort die Freude, als man Lucy unversehrt zurückkommen sah, und alle Männer hätten sie gern begleitet, um sie unterwegs zu schützen. Doch auch das Schloss musste eventuell verteidigt werden, und da Lucys Entschluss feststand, noch am Nachmittag weiterzuziehen, wurden sechs tüchtige Bewaffnete aus den Übrigen ausgewählt. Dann brach die Gesellschaft auf und schlug den Weg nach den Grenzen von Derbyshire ein.

Tangel hatte sich ans Ende des Zuges begeben, da man ihn als Führer nicht mehr benötigte. Als sie jedoch Lindwell etwa sieben Meilen hinter sich hatten, ritt er in raschem Trab zu Hugh de Monthermer heran und sagte: »Habt Acht! Es kommen Männer schnell hinter uns her!« Sich umwendend, gewahrte Hugh etwa sieben Reiter, die, eine halbe Meile von ihnen entfernt, einen Hügel hinuntergaloppierten.

Lucy schaute sich ebenfalls nach den Verfolgern um.

Plötzlich rief sie: »Es ist mein Bruder, Hugh! Gewiss, er ist es, ich erkenne ihn!«

»Ich glaube es auch«, versetzte Hugh de Monthermer und zog die Zügel an. »Aber auch wenn es nicht so ist, haben wir nichts zu fürchten.«

Die Reiter kamen in vollem Galopp und, wie es schien, nicht mit den friedlichsten Absichten heran. Die Gestalt Alured de Ashbys ließ sich immer deutlicher erkennen. In einiger Entfernung ließ er sein Pferd in Schritt fallen, als wollte er die Gruppe genauer in Augenschein nehmen, die jetzt seine Ankunft erwartete. Sein Gesicht drückte weniger Freude aus, als man hätte erwarten dürfen, da er doch seine Schwester befreit und in Sicherheit sah.

»Was ist denn das?«, rief er, nachdem er herangeritten war. »Warum seid Ihr nicht in Lindwell geblieben, Lord? Und wohin wollt Ihr die Güte haben, meine Schwester zu führen?«

»Wir wollten den Grafen Ashby einholen, mein Lord«, versetzte Hugh, »der, wie wir erfahren haben, nach Gloucester geritten ist.«

»Mich dünkt aber, Sir«, antwortete Alured de Ashby hochmütig, »dass allein Lindwell der passende Ort ist, wohin Ihr Lucy geleiten solltet, nachdem Ihr sie so geschickt aufgefunden habt, während sonst niemand wusste, wo sie war.«

»Aber nehmt einmal an, Alured«, sagte Lucy, ehe noch Hugh de Monthermer Zeit hatte zu der scharfen Erwiderung anzusetzen, die ihm auf der Zunge lang, »nehmt einmal an, dass Eure Schwester nicht dorthin wollte. Nehmt an, dass sie, nachdem sie in Lindwell war, es angemessen fand, diesen edlen Gentleman zu bitten, sie schützend noch weiter zu geleiten, bis zu ihrem Vater.«

»Ohne Zweifel fand sich der Gentleman sehr gern dazu bereit«, erwiderte Alured mit einem Hohnlächeln.

»Ohne alle Frage«, antwortete Hugh de Monthermer, so kühl er nur vermochte. »Ich bin ebenso bereit wie berechtigt dazu. Aber Ihr beliebtet soeben, Euch eines Wortes zu bedienen, welches Erklärung verlangt. Ihr sagtet, Sir, ich hätte Eure Schwester gefunden, während sonst niemand gewusst hätte, wo sie sei. Wollt Ihr mir damit zu verstehen geben, dass ich es wusste?«

»Wahrhaftig«, erwiderte der junge Edelmann hitzig, »es steht mir wohl nicht zu, zu sagen, dass Ihr es gewusst habt. Es ist jedoch überaus sonderbar, dass Ihr sie zu finden imstande wart, sobald ihre Verwandten weg waren.«

»Nicht halb so sonderbar«, sagte Lucy schnell voller Angst vor den Folgen dieses Streits, »wie Euer undankbares Verhalten, Alured! Statt ihm herzlichen Dank auszusprechen, der ihm von Euch wie von mir gebührt, scheint Ihr so zornig, als hättet Ihr gewünscht, dass ich im Wald geblieben und umgekommen wäre.«

»Gut, gut«, sagte Alured de Ashby, sich seiner Reizbarkeit und seines Zorns nun doch etwas schämend. »Es sind müßige Worte, die wir verschwenden. Wo seid Ihr gewesen, Lucy? Was war der Grund Eurer Entführung? Wie ist es Euch ergangen?«

»Drei Fragen in einem Atem«, rief Lucy. »Was die Erste betrifft: Ich bin im Wald gewesen. Um die Letzte zu beantworten, bedürfte es eine volle Stunde, deshalb will ich Euch zu passender Zeit davon erzählen. Was aber die Frage nach dem Grund meiner Entführung betrifft, so muss ich sagen: Ich weiß es nicht!«

»Ihr vielleicht, Sir?«, sagte ihr Bruder, sich zu Hugh wendend. Der junge Edelmann schaute ihm unerschrocken und etwas finster ins Gesicht und antwortete: »Ich ja!«

»Dann seid so gut und erklärt es.«

»Ihr müsst mich entschuldigen«, versetzte Hugh. »Ich werde zuvor alles Eurem Vater erklären, da er es ist, der in dieser Sache handeln muss. Ich habe eine Botschaft an ihn, über die allein er entscheiden kann.«

»Mächtig geheimnisvoll, mein guter Lord«, rief Alured. »Aber da ich jetzt hier bin und den Grafen von Ashby so schnell wie möglich einholen muss, wird meine Schwester Eures gütigen Schutzes nicht länger bedürfen.«

»Da wir jedoch denselben Weg haben«, sagte Hugh de Monthermer ruhig, die Unhöflichkeit Alureds überhörend, »wird es für alle sicherer sein, wenn wir zusammen ...«

Aber Lucys Bruder unterbrach ihn und sagte: »Ich bin anderer Meinung, mein guter Lord. Ich glaube, dass es sicherer für uns sein wird, gesondert zu reisen. Unsre beiden Trupps bilden zusammen einen Haufen, der der Beobachtung nicht entgehen kann und doch zu klein ist zur Verteidigung. Daher ist es besser für uns, wenn wir uns trennen. Ich danke Euch sehr für den Beistand und Schutz, den Ihr diesem Fräulein gewährt habt, und erwarte mit ergebungsvoller Geduld die Aufklärungen, die mir zu geben Ihr nicht passend gefunden habt.«

Hugh de Monthermer biss sich auf die Lippe. Aber er war entschlossen, mit dem Bruder seiner Geliebten jeden Zank zu vermeiden. Daher riss er, ohne Alured de Ashby zu antworten, sein Pferd herum, ritt neben Lucy und fragte mit leiser Stimme: »Soll ich gehen?«

»Es ist besser«, sagte Lucy mit einem Seufzer. »Lebt wohl, Lord Hugh! Ich wenigstens bin dankbar, und dankbar werdet Ihr gewiss auch meinen Vater finden. Lebt wohl!«

Mit diesen Worten reichte sie ihm ihre Hand. Hugh de Monthermer wandte sein Ross und wies seine Leute an, ihm zu folgen. Dann ritt er davon, ohne den jungen Edelmann noch eines Blickes zu würdigen.

Er nahm seinen Weg etwas nördlich von dem, den Lucy und ihr Bruder wählten, auf Gloucester zu. Mehrere Tage ritt er beinahe parallel zu der anderen Gesellschaft. Von Zeit zu Zeit bekam er von ihren Bewegungen Nachricht. Gegen Ende des fünften Reisetages näherte er sich mit seinem kleinen Trupp der Stadt Charlton, in der er seinen Oheim zu finden hoffte. Aber der alte Graf Monthermer war schon zwei Tage zuvor weitergeritten. Von seinem Wirt erhielt er eine Warnung: Falls er sich dem Heer des großen Grafen von Leicester anschließen wolle, so täte er gut daran, einen längeren Umweg zu machen, da die Straße zwischen hier und Gloucester gefährlich sei.

»Gilbert de Clare«, sagte der Wirt, »unser Graf von Gloucester, hält den Wald von Dean mit etwa fünftausend Mann besetzt. Wir haben gerade an diesem Morgen gehört, dass der junge Graf von Ashby, der uns in der vorigen Nacht verließ, mit seiner ganzen Begleitung gefangen genommen wurde. Auch seine Schwester war bei ihm, das schöne Fräulein Lucy. Man munkelt, der junge Lord sei nicht abgeneigt gewesen, dem Grafen in die Hände zu fallen. Jedenfalls war er vorher gewarnt, denn wir hatten ihm gesagt, was geschehen würde, wenn er in dieser Richtung reiste.«

Hugh zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen, sann ein paar Augenblicke nach und murmelte dann: »Das ist nicht unmöglich!« Sofort bestieg er sein Pferd und ritt los, diejenige Straße nach Gloucester einschlagend, die der Wirt als die sicherste bezeichnet hatte.