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Ein lustiges Glockengeläute führte den Maimonat des Jahres 1265 ein, und eine glänzende Sonne stieg am Osthimmel empor und warf lange Lichtstreifen über die grünen Felder, welche von den Tautropfen der entschwundenen Nacht schimmerten. Der Frühling hatte sich in großer Schönheit eingestellt, beinahe alles Laub war schon auf den Bäumen, ausgenommen einige jener knorrigen alten Eichen, die in ihrer braunen Starrheit nicht geneigt schienen, die Livree des Frühlings anzulegen. Das Schneeglöckchen hatte schon seine Zeit gehabt, aber das Veilchen blühte noch und strömte seinen Wohlgeruch aus, und der Weißdorn schaukelte seine duftigen Blüten in den liebkosenden Lüften. Kurz, der fröhliche Monat Mai hatte seine Fahnen in jeder Hecke und in jedem Feld aufgesteckt und versprach einen schönen Sommer.
Manches Mädchen war, noch ehe die Sonne aufging, hinter den Anhöhen in der Ferne gewesen, um Maientau zu holen, der die Schönheit frisch erhalten sollte, und mancher Jüngling, die Blüte des Weißdorns suchend, hatte durch verabredeten Zufall das Mädchen, das er liebte, unter dem Liebesbaum getroffen. Der junge Harland jedoch hatte sich zwar auch nach Kate Greenly umgeschaut auf dem Platz, wo er sie voriges Jahr an demselben Tage gefunden hatte, aber diesmal vergebens. Als er, etwas verdrießlich über die Täuschung seiner Hoffnung, heimkehrte, hatte er sie in einer Gesellschaft munterer Mädchen getroffen, manchmal einstimmend in deren Gelächter, manchmal aber auch in tiefes, düsteres Grübeln versunken.
Ihre jungen Gespielinnen machten sich davon, um sie mit ihrem Liebhaber allein zu lassen, und Kate schritt rasch an seiner Seite heim, mit einem unbeständigen, wechselnden Wesen. Bald war sie munter und scharf, bald nachdenklich und traurig. Ihr Benehmen war so launenhaft wie ein Apriltag. Aber das war es schon oft gewesen, und er übersah den tieferen Schatten, der mit einer Schlimmes weissagenden Schwere alles umwölkte. Sie trennten sich vor dem Haus ihres Vaters, und der junge Ralph Harland wandte sich wieder heimwärts, an die Freuden des bevorstehenden Maientanzes denkend.
Der grüne Platz des Ortes, den wir schon beschrieben haben, war bereits mit allem versehen worden, was zu den Belustigungen des Tages erforderlich war. Der große Maibaum in der Mitte trug einen Blumenkranz, dessen Bänder lustig flatterten. Auch die übrigen Bäume waren mit Girlanden behängt, und selbst der alte Brunnen war mit Kränzen und Weißdornzweigen geschmückt. Vor der Tür des Gasthauses waren schon zu früher Stunde die verschiedenen Preise ausgestellt, welche die glücklichen Preiskämpfer in den ländlichen Spielen belohnen sollten. Sie waren der Hauptanziehungspunkt für manche Gruppe von neugierigen Jungen und Mädchen.
Der Maientanz zog zu jener Zeit auch einen Haufen von Musikanten herbei, und »Freier Trunk für die Spielleute!« war eine geläufige Redensart. Der erste Spielmann, der an diesem Tage auf dem grünen Platz von Barnesdale erschien, war ein Pfeifer mit seinem Dudelsack unter dem Arm. Er entlockte dem Instrument solche Töne, dass ihm beinahe sämtliche Hunde des Ortes bellend oder heulend folgten. Der gute Pfeifer jedoch schien dies gar nicht als ein schlechtes Kompliment anzusehen, sondern setzte sich auf die Bank vor der Tür des Wirtshauses nieder und spielte drauflos, bis auch einige menschliche Zuhörer herbeikamen, unter andern der Wirt selbst mit einem Krug schäumenden Ales, den er neben ihn hinstellte.
Der Pfeifer tat, wie alle Pfeifer pflegen, einen langen und herzhaften Zug, sah sich dann um und pries, wie sich von selbst verstand, die Vorbereitungen, die zu den Maientagsbelustigungen getroffen worden waren.
Ein Flötenspieler folgte bald und diesem dann ein Mann mit einer Leier; aber der Hauptmusikant, der Künstler auf der Geige, ohne den der Tanz nicht vollständig hätte abgehalten werden können, ließ, wie alle wichtigen Personen, auf sich warten. Als er endlich erschien, kam er, begleitet von seinem Gesinde, bestehend aus zwei langohrigen Kötern und einem Knaben, der seine Geige trug. Mit großer Würde und Vornehmheit nahm auch er seinen Weg sogleich in das Wirtshaus.
Nachdem die Spiele des Morgens vorüber waren und man das Mittagsmahl eingenommen hatte, versammelten sich die Mädchen des Dorfes, die ihre Kleidung wieder der leichteren Unterhaltung des Abends angepasst hatten, fröhlich auf dem Rasenplatz, um ihren ersten Tanz um den Maibaum zu beginnen.
Ralph Harland stand an Kates Seite und erkundigte sich angelegentlich und ängstlich, was sie so traurig mache, als er plötzlich aufhorchte.
Das Stampfen von drei oder vier Pferden, die sich in raschem Trab näherten, hatte zwar an einem so geräuschvollen Tag nichts Ungewöhnliches an sich, aber das Herz des jungen Mannes ward beklommen, und als er Richard de Ashby erkannte, der, von drei Dienern gefolgt und mit ungewöhnlichem Glanz gekleidet, daherritt, mochte wohl die Brust des jungen Freisassen von bitteren Empfindungen gequält werden, zumal er sie, die er liebte, rot und blass werden sah und in ihrer wechselnden Farbe die Bestätigung manch finsteren Argwohns las.
Derjenige, welcher diese Empfindungen erweckte, schien anfänglich gar keine Notiz zu nehmen von den fröhlichen Gruppen um ihn her. Er ritt direkt auf die niedrige Tür des Wirtshauses zu, die beinahe ganz versperrt wurde durch die behäbige Gestalt des Wirtes John Greenly, sprang dort leicht und anmutig vom Pferd und fragte so laut, das alle Umstehenden es hören konnten: »Ist der Graf von Ashby schon angekommen?«
Als dies verneint wurde, wandte er sich mit gleichgültiger Miene um und sagte: »Meiner Treu, dann muss ich mich eben auf eigene Faust unterhalten, bis mein edler Vetter kommt! Was geht denn hier eigentlich vor? Ein Maientanz? Wahrhaftig, da will ich auch teilnehmen. Hübsche Kate«, fuhr er fort und näherte sich ihr, »wollt Ihr mir Eure Hand reichen, damit ich Euch einmal um den Maibaum herumschwenken kann?«
»Sie ist mir zugesagt«, sagte Ralph Harland mit finsterer Miene, ehe Kate antworten konnte.
»Wirklich?«, rief Richard de Ashby, ihn von Kopf bis Fuß messend mit jenem kühlen Blick hochmütiger Verachtung, der so schwer zu ertragen und wegen dem es doch so schwierig ist, Händel anzufangen. »Nun gut, aber sie hat zwei Hände. Soll sie Euch eine reichen und mir die andere. Und diese hübsche kleine Jungfer«, fuhr er fort und wandte sich zu einem Mädchen von etwa dreizehn Jahren, »soll meine andere Hand nehmen. So ist alles ins Reine gebracht. Kommt, Meister Fiedler, lässt uns einen Tanz hören! Kommt, holde Kate, ich freue mich, diese schönen Glieder in der anmutigen Bewegung des Tanzes zu sehen!«
Der arme Ralph Harland! Es war einer der Augenblicke, wo es gleich schwer ist, zu handeln und nicht zu handeln, zumal für einen unerfahrenen jungen Mann, aufgewachsen in der beständigen Gewohnheit der Untertänigkeit gegen Personen höheren Ranges und Standes. Eine offene Beschimpfung, eine entschiedene Beleidigung würde er sofort am höchsten Haupt gerächt haben, das im Königreich herumstolzierte; aber er wusste nicht, wie er dem verdeckten Hohn, der verhüllten Niederträchtigkeit von Richard de Ashby begegnen sollte.
Ralph folgte trotzig und schweigsam zum Tanz, während Richard de Ashby ganz Liebenswürdigkeit, Zuversicht, Lächeln und Fröhlichkeit war. Sein Gespräch und seine Blicke gehörten nur Kate Greenly. Während sie tanzten, flüsterte er ihr zärtliche Worte ins Ohr, die niemand recht verstehen konnte, obgleich Ralph Harland auf jeden Ton lauschte, um gegebenenfalls mit dem Redenden Hader anzufangen.
Endlich verstummte die Musik, und der Tanz ging zu Ende, gerade als Richard de Ashby noch ein paar Worte an die hübsche Kate an seiner Seite richtete. Die plötzlich eintretende Stille machte die letzte Hälfte des Satzes vernehmlich: »... daher verliert keinen Augenblick!«
Ralph Harland ließ entrüstet Kates Hand los, und vor Richard de Ashby hintretend, rief er: »Um was zu tun?«
»Was geht das dich an, Bauer?«, fragte Richard de Ashby, gleichermaßen vor Zorn, dass seine Worte gehört worden waren, wie vor Hochmut errötend.
»Alles, was sie tut, geht mich an«, versetzte Ralph drohend, »wenn ich ihr Gatte werden soll. Und wenn ich es nicht werden sollte, wehe dem Mann, der sie ihre Zusage brechen macht!«
»Ihr seid unverschämt, Bauer«, versetzte der Vetter des Grafen mit verächtlichem Lächeln. »Nehmt Euch in Acht, oder Ihr bringt mich in Zorn!«
»Es soll ohne viel In-Acht-Nehmen geschehen«, entgegnete Ralph Harland, der jetzt keine Bedenken mehr kannte. »Lasst meinen Arm los, Kate, und ich will Euch und andern zeigen, aus welchen Eierschalen eines Lords Vetter besteht. Was kommt Ihr hierher, um unsere Freuden zu stören und unsre Maientagsspiele zu verderben? Nehmt das zur Erinnerung, an Ralph Harland!«, und er versetzte Richard de Ashby einen Faustschlag, der ihn zurücktaumeln ließ.
In diesem Augenblick eilten die drei Diener herbei, und einer von ihnen fing de Ashby in seinen Armen auf und hielt ihn, damit er nicht zu Boden fiel.
Dessen Schwert war nun aus der Scheide; die Waffen seiner Begleiter blieben auch nicht zurück, und alle vier stürzten auf den jungen Freisassen los mit dem Ruf: »Schneidet ihm die Ohren ab! Der Schurke hat sich erfrecht, einen Edelmann zu schlagen! Schneidet ihm die Ohren ab!«
Sämtliche Bewohner des Ortes wichen auseinanderstiebend zurück, ausgenommen zwei: Kate Greenly, die sich vor Richard de Ashby auf die Knie warf und ihn um Schonung für ihren Liebhaber bat, und Ralphs Vater, der, aus der Tür des Gasthauses herbeieilend, seinem Sohn einen derben Prügel in die Hand gab und rief: »Recht so, Ralph, mein Junge! Drisch sie alle zusammen! Hallo, Greenly, gebt mir auch einen Knüttel, dass ich ihm helfen kann!«
Einer von den Dienern schlug jedoch den alten Freisassen mit dem Schwertknauf zu Boden, während die zwei andern auf Ralph eindrangen. Der vorderste packte seinen linken Arm, und Richard de Ashby, Kate beiseiteschiebend, stürzte sich auf ihn, wobei er mit wilder Heftigkeit wiederholte: »Schneidet ihm die Ohren ab!«
Wahrscheinlich wäre der Befehl ohne Barmherzigkeit ausgeführt worden, hätte sich nicht plötzlich Verstärkung auf Ralphs Seite eingefunden.
Aus dem Fenster der Herberge sprang ein grüngekleideter Mann, ein Schwert an der Seite und in der Hand eine sechs Fuß lange Stange schwenkend. Unter dem linken Arm trug er ein Bündel Pfeile. Mit drei Sätzen legte er den Raum zwischen dem Wirtshaus und den Kämpfenden zurück. Den dritten Satz, der ihn auf gleiche Linie mit ihnen brachte, hatte er kaum getan, als er schon mit einem Schlag seiner Stange den Mann, der Ralph am linken Arm gefasst hatte, niederstreckte und mit einem zweiten Schlag Richard de Ashbys Schwert weit über dessen Kopf hinweg in die Lüfte schleuderte.
Nach einem Blick auf den Mann, den er niedergeschlagen hatte, rief er aus: »Haha, mein alter Bekannter! Als wir neulich miteinander in der Herberge dort zu Fall kamen, dachte ich mir gleich, wir würden uns wieder treffen. Ehrliches Spiel! Nicht vier gegen einen! Geht Ihr hinein, Kate Leichtsinn! Geht aus dem Wege, dass Euch kein Leid geschieht! Der Tag könnte leicht nicht so gut enden, wie er angefangen hat. Ehrliches Spiel, sage ich, oder wir rufen Verstärkung herbei!«
Richard de Ashby sah sich voll Wut nach seinem Schwert um und legte die Hand an den Dolch, den er an seiner rechten Seite trug. Aber der Anblick, der sich ihm darbot, als er nach dem Gasthaus blickte, war wohl geeignet, den Ausdruck seiner Wut zu mäßigen. Acht bis neun Männer, alle wie Hardy in knappe Röcke von grünem Tuch gekleidet, kamen in raschem Lauf hinter dem Hause hervor, und ihr Aufzug ließ wenig Zweifel daran, dass sie Verbündete des zuerst Angekommenen waren, in dem er jetzt mit nicht geringem Erstaunen den blaunasigen alten Bauern erkannte, den er kürzlich mit seinen Dienern sich hatte balgen sehen. Der Buckel war freilich weg, und auch alle Zeichen der Schwäche waren verschwunden; aber das Gesicht war nicht zu verkennen, und Richard de Ashbys Miene umwölkte sich bei dem Anblick.
Er war indessen kein Feigling. Unter den vielen Lastern und Fehlern, die so manchen vom normannischen Adel jener Zeit entwürdigten, fand sich Feigheit selten. Sie waren Leute des Schwerts und nie abgeneigt, sich desselben zu bedienen.
Sein erster Gedanke war also, sich bis auf den Tod zu widersetzen, der nächste aber, wie er den Widerstand aufs vorteilhafteste leisten könne. So nahm er denn sein Schwert an sich, das einer seiner Diener aufgehoben hatte, und richtete sein Augenmerk auf die Baumgruppe. Aber Harland und der Mann in Grün, nebst einem ganzen Schwarm von Einwohnern des Ortes, deren zornige Gesichter ihm nichts Gutes voraussagten, stellten sich ihm augenblicklich in den Weg, so dass ihm keine andere Möglichkeit zu bleiben schien, als sich zur Tür der Herberge zurückzuziehen.
Der erste Schritt jedoch, den er in diese Richtung machte, veranlasste eine rasche Bewegung von Seiten der Freibauern oder Waidmänner, oder was die grüngekleideten Männer sonst sein mochten. Sie schnitten ihm blitzschnell auch diesen Zufluchtsort ab, und Hardy rief: »Vertretet ihm den Kirchenpfad, Much! Jetzt, Junker Richard de Ashby, hört ein paar Worte! Ihr seid hierhergekommen mit keinen guten Absichten, und wir brauchen Euch nicht mehr hier. Aber Ihr sollt freie Wahl haben zwischen drei Dingen: Entweder sollt Ihr auf Euer Pferd steigen, fortreiten und schwören, nie wieder einen Fuß auf diesen Platz zu setzen, oder ...«
»Ich will nicht«, antwortete Richard de Ashby trotzig.
»Gut«, fuhr Hardy fort. »Wenn es so ist, sollt Ihr hier mitten auf den Platz treten, Schwert und Dolch ablegen, dafür einen dicken Prügel in die Faust nehmen und zusehen, ob nicht, bei gleichen Waffen, der junge Ralph Harland Euch wie eine Weizengarbe zusammendreschen wird.«
»Mit einem Bauern auf Prügel fechten!«, rief Richard de Ashby empört. »Das will ich nicht!«
»Gut denn; das Dritte gefällt Euch vielleicht noch weniger«, sagte Hardy kalt. »Ich habe Euch nichts anderes anzutragen, als dass wir alle über Euch und die Eurigen herfallen und Euch durchprügeln auf dass Ihr an uns denkt, solange Ihr Euch einen Mann nennt.«
»Ermordet uns, wenn Ihr wollt«, sagte Richard de Ashby verstockt. »Wir werden unser Leben teuer verkaufen!«
»Ich bin da nicht sicher, würdiger Herr«, sagte der Mann mit der Purpurnase. »Wir haben keine Lust, mehr Leute durchzudreschen als eben nötig ist, und so mögen Eure Diener sich wegbegeben, wenn sie wollen. Lauft, Freunde, lauft, wenn es Euch beliebt. Aber beeilt Euch, denn mein Knüttel lechzt danach, mit Eures Gebieters Ohren Bekanntschaft zu machen.« Und mit diesen Worten schwenkte er ihn in der Hand wie Windmühlenflügel.
Einer von den Männern brauchte nicht viel Zeit zur Überlegung, sondern gab Fersengeld, so schnell er nur laufen konnte. Ein Zweiter bedachte sich eine kleine Weile und entfernte sich dann langsam mit den Worten: »Es nützt nichts, gegen eine solche Übermacht zu kämpfen.« Der Dritte jedoch, Hardys alter Gegner von der Herberge her, stellte sich neben Richard de Ashby und sagte: »Ich will zu Euch stehen, Sir!« Dann fügte er leiser noch etwas hinzu.
»Jetzt, Much, und Ihr, Tim von der Mühle«, rief Hardy, »lasst uns alle auf einmal über sie herfallen! Schlagt ihre Schwerter mit euren Schilden nieder und bindet ihnen die Hände. Dann wollen wir den Sackpfeifer ihnen voraustreten lassen und sie prügeln bis halbwegs nach Pontefract. Schnell, schnell! Ich sehe den Priester kommen, und der wird den Friedensstifter machen wollen!«
Aber kaum war der erste Schritt zum Angriff getan, als das Schmettern einer Trompete auf der Landstraße ertönte und verschiedene der Dorfleute riefen: »Lasst ab!« – »Wartet!« – »Lauft, Meister Hardy. Da kommen die Lords, von denen Greenly sprach!«
Nun kamen zwei vornehm gekleidete Herren langsam an der Spitze von etwa fünfzig Reitern die Straße herauf auf den Rasenplatz zu geritten. Hardy, als er sah, dass der Tag nicht sein Glückstag bleiben würde, wollte eben weiter, um sich seinen Gefährten auf der anderen Seite anzuschließen, als Richard de Ashby sich ihm in den Weg warf und mit dem Schwert einen Streich gegen ihn führte. Der stämmige Freibauer parierte ihn leicht mit seinem Knüttel und stieß seinen Gegner mit dem Ende desselben vor die Brust, wodurch er sich freien Weg bahnte. Gleich darauf stand er an der Spitze der Waidmänner.
»Kommt mit uns, Harland!«, rief er. »Es ist besser für Euch, wenn Ihr Euch entfernt!«
Richard de Ashby jedoch, dem sich nähernden Trupp von Edelleuten mit der Hand winkend, schrie: »Haltet sie auf! Ich bin schwer misshandelt und beinahe ermordet worden! Lasst Eure Leute sie umzingeln, mein Lord!«
Ein Wort, ein Zeichen von einem älteren Mann an der Spitze des Trupps ließ in einem Augenblick etwa zwanzig von den Reitern ihre Pferde in Galopp setzen, um die Waidmänner von der Straße nach der Kirche abzuschneiden. Diese jedoch begegneten dem sehr kaltblütig. Sie nahmen ihre Bogen von der Schulter, spannten sie, und legten jeder einen Pfeil auf die Sehne, mit einer ruhigen Bedächtigkeit, welche bewies, dass sie solche Begegnungen durchaus gewohnt waren.
Die meisten Einwohner flüchteten inzwischen in die benachbarten Häuser oder eilten auf der Straße fort. Etwa sieben stämmige Bauern aber, zum Teil mit Schwertern und Bogen bewaffnet, blieben bei den Waidmännern stehen und schienen sehr geneigt, an dem Kampf teilzunehmen.
So standen die Sachen, als der Priester, den man vorhin aus seinem Hause hatte treten sehen, jetzt auf die Gruppe von Edelleuten zueilte, die sich, ohne von ihren Pferden zu steigen, um Richard de Ashby versammelt hatten. Seine Aufgabe war natürlich, Frieden und Sanftmut zu predigen. Obgleich sein Gesicht rund und rosenfarbig und seine Gestalt füllig war und deutlich ein gutes Leben und Neigung zum Genuss verriet, erfordert doch die Gerechtigkeit, zu sagen, dass er seiner Gemeinde nicht nur das Gebot des Friedens und der Ruhe mit Eifer einschärfte, sondern auch Richard de Ashby schalt wegen seines Benehmens im Ort. Er hielt nicht hinter dem Berge damit, dass er von seinem Tun und Treiben mehr wusste, als diesem Herrn irgend lieb war.
Der Priester redete noch; die Waidmänner zogen sich langsam in Richtung Kirche zurück, ohne sich um die ihnen im Wege stehenden Reiter zu kümmern. Zwei oder drei ältere Herren liehen den Worten des Geistlichen ein aufmerksames Ohr. Zwei junge Herren, einen Schritt weiter hinten, hielten sich etwas entfernt voneinander; es schien keine große Freundschaft zwischen ihnen zu bestehen. Plötzlich setzte der eine das herrliche Pferd, auf dem er saß, in einen raschen Galopp und ritt gerade auf die Waidmänner los.
In der Meinung, seine Absicht sei feindselig, erhoben diese alle zugleich ihre Bogen, und jeder zog den Pfeil bis ans Ohr. Als sie aber bemerkten, dass niemand ihm folgte, nahmen sie ein friedlicheres Aussehen an. Einer von den alten Herren, die er verlassen hatte, rief dem jungen Edelmann laut nach, zurückzukommen. Aber er ritt nicht nur weiter, sondern sprang auch, zum Erstaunen aller, bei der Gruppe der Waldleute angekommen, vom Pferde und fasste mit Wärme die Hand des jungen Harland.
Dieser Vorgang zog nun die Aufmerksamkeit aller nach dieser Seite hin, und der Schluss der Rede des Priesters ward nur wenig beachtet. Aber auf sein Verlangen schickte einer der Herren einen Diener an die Reiter bei der Kirche ab, um ihnen zu sagen, dass sie nichts ohne weiteren Befehl unternehmen sollten.
Mittlerweile fand eine kurze Unterredung zwischen dem jungen Edelmann und dem Freisassen statt, worauf jener sein Pferd wieder bestieg, zu dem Reitertrupp zurückritt und sagte: »Darf ich mir einige Worte erlauben, meine Lords?«
»Natürlich«, rief Richard de Ashby, »Lord Hugh ergreift gegen mich Partei, oder es müsste nicht das Blut der Monthermer in seinen Adern fließen!«
»Nicht so!«, versetzte der junge Hugh de Monthermer. »Alle alten Fehden zwischen unsern Familien sind – dank der Weisheit dieser zwei edlen Grafen – abgetan. Niemand freut sich mehr über die jetzt zwischen unsern Häusern bestehende Freundschaft als ich, niemand kann ernstlicher danach trachten, sie aufrechtzuerhalten. Ich wollte nur sagen, was ich soeben gehört habe. Der junge Mann, mit dem ich gesprochen habe, ist so redlich und treu als nur irgendein Ritter oder Edelmann in der Welt. Er hat mir einmal einen großen Dienst geleistet, und niemand soll ihm ein Leid antun. Dafür verpfände ich meinen Namen und meine Ehre als Ritter. Er sagt mir nun aber, dieser werte Edelmann hier habe eine Neigung zu seiner Braut gefasst, dränge sich bei ihren Maientagsbelustigungen ein und gebe, die Vorrechte des Edelmannes etwas weit ausdehnend, vor seinen Augen den Liebhaber des Mädchens. Seine Geduld, scheint es, reicht dafür nicht. So schlug er unsern Freund Sir Richard, der dann wieder, das Schwert in der Hand, mit seinen drei Dienern ihn anfiel. Da mischten die Männer vom Sherwood sich ein, um darauf zu achten, dass es ein ehrliches Spiel würde.«
»Das alles ist wahr, ich zweifle nicht daran!«, rief der Priester mit beschwörend erhobenen Händen. »Denn ich ...«
»Schaut, schaut!«, schrie Richard de Ashby. »Während Ihr solches Geschwätz anhört, entfliehen sie! Sie treten in das Haus des Priesters, so wahr ich lebe!«
Während er sprach, rief eine laute Stimme von der andern Seite des Rasenplatzes herüber: »Es gilt Richard de Ashbys Mütze!«
Alle Augen wandten sich sogleich nach dieser Richtung, wo an der Tür des Pfarrhauses noch zwei oder drei Waidmänner sichtbar waren. Ganz vorn stand der Mann, den sie Hardy nannten, und er wiederholte mit überlauter Stimme: »Es gilt Richard de Ashbys Mütze!«
Sobald er sah, dass er die allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, hob er plötzlich den Bogen, spannte ihn, und ein Pfeil schwirrte durch die Luft. Richard de Ashby war, da nun klar war, dass der Schütze ihn zum Ziel nahm, auf die Seite gewichen; aber der Waidmann hatte ebenfalls, während er den Pfeil von der Sehne schnellen ließ, die Richtung seines Armes geändert, und das Geschoss traf mit nicht irrender Sicherheit den Hut Richard de Ashbys und blieb in seinen Haaren stecken. Als dieser ihn erblassend und mit leicht zitternder Hand herauszog, las er die mit schwarzen Buchstaben in das Holz eingeätzten Worte: »Scathelock! Gedenke!«
Die Edelleute reichten einer dem andern den Pfeil, lasen den Namen und das folgende Wort und sahen dann einander mit bedeutungsvollen Mienen an.
»Ruft die Reiter zurück«, sagte einer der älteren Herren. »Diese Männer sind auf und davon, und es ist recht so.«