8

Die Worte des alten Grafen beschrieben nicht übel die Szene, die sich jetzt, da sie auf eine größere Waldlichtung hinausritten, seinem Auge bot. Auf dem Platz standen sechs alte Eichen, drei auf jeder Seite, und bildeten eine Art von natürlicher Allee. Ihre langen Äste erstreckten sich über den Zwischenraum und berührten fast einander. Unter diesem natürlichen Baldachin war ein langer Tisch gedeckt, während oben, von Zweig zu Zweig, in verschiedenen anmutigen Schwingungen sich durchkreuzend, unzählige Girlanden schwebten. Über den Tisch war so feines Linnen gebreitet, wie es nur je von den Webstühlen Irlands oder Sachsens kam. Blumensträuße bezeichneten den Platz, wo jeder Mann sitzen sollte. Der Grasboden war mit Binsen und grünen Blättern bestreut, um auch den Füßen einen weichen Ruheplatz zu bereiten. Unter den Bäumen waren Bogenschützen in ihrer eigentümlichen Tracht versammelt, nebst vielen Landmädchen von den benachbarten Dörfern, alle im Feiertagsaufzug. Auch eine Anzahl junger Landleute war anwesend, ein Beweis, dass die Freibeuter des Waldes sich nicht viel Mühe gaben, ihren Versammlungsort geheimzuhalten, denn ihre trotzige Auflehnung gegen die ungerechten Gesetze fand Gunst in den Augen von vielen, und ihre Sicherheit hing vor allem von dem Vertrauen und der Neigung der niederen Stände ab.

»Wünscht ihm guten Morgen. Gebt dem edlen Grafen einen schönen Morgengruß!«, rief Robin Hood den Leuten zu und setzte sein Horn an den Mund.

Alle folgten seinem Beispiel, und nun widerhallte der Wald von den Klängen der zahlreichen Hörner. Das langsame Schwellen und Sinken der weichen Töne wirkte in dieser wilden, aber schönen Szenerie nicht wenig ergreifend.

»Gut so!«, schrie Robin Hood. »Das ist die Art, mein Lord, wie wir einen aufrichtigen Freund der englischen Gemeinen empfangen. Gefällt es Euch, abzusteigen und unser Mahl zu kosten?«

Ein ungeheurer Scheiterhaufen von loderndem Holz, groß genug, um einen ganzen Ochsen zu braten, prasselte und zischte so nahe an einem Ausläufer des Waldes, dass die Flammen das grüne Laub weithin versengten. Daneben waren etwa fünf Männer in sauberen weißen Jacken damit beschäftigt, große Fleischstücke von sehr einladendem Duft am Spieß zu braten.

Etwa fünf Schritt von diesem brennenden Berg entfernt war ein kleinerer Vulkan, über dem an drei langen Pfählen einige Kessel von riesenhaftem Umfang hingen, während an einer schattigkühlen Stelle unter den Bäumen der nicht minder willkommene Anblick von zwei großen Fässern das Auge erfreute, eines mit einer Girlande von jungem Rebenlaub, das andere mit einem Eichenkranz umflochten. Eine Menge Trinkbecher, geeignet, ein Heer damit zu bedienen, lagen daneben, und ein Mann mit einem Hammer war eifrig beschäftigt, den Spund zu öffnen.

»Wo ist der ›kleine John‹«, rief Robin Hood, sich im Kreise umschauend. »Ein winziger Freund von mir, mein Lord, der Meister unsrer Lustbarkeiten, den Ihr kennen müsst. Bei meinem Leben, er beträufelt die Kapaunen! Hallo, Freund John!«

Jetzt näherte sich ein Freibauer, etwa sechs Fuß vier Zoll6 hoch, mit Schultern, die gemacht schienen, den Stier so gut wie das Kalb fortzutragen. Sein runder Kopf war mit nussbraunem Haar bedeckt, und sein Gesicht glänzte von guter Laune.

»Ich glaube, wir haben uns früher schon getroffen, ›kleiner John‹«, sagte der Graf, ihm die Hand schüttelnd, »und zwar an einem ebenso warmen Festtag wie heute!«

»Wärmer, mein Lord, viel wärmer«, antwortete John Naylor. »Bei einem ganz besonderen Feste.«

»Ich erinnere mich Eures Gesichts wohl«, sagte der Graf.

»Der von Andelys würde sich desselben noch besser erinnern, mein Lord, wenn er sich noch an etwas erinnern könnte, der arme Kerl!«, versetzte der Freibauer. »Als er und ich und Ihr uns zuletzt trafen, hatte er Euch bei der Kehle gepackt, um Euch den Dolch durch das Visier zu stoßen. Ich klopfte ihm gerade noch zu rechter Zeit auf den Kopf, ihn zu ermahnen, dergleichen Dinge besser zu lassen. Ob er fortging oder nicht, weiß ich nicht, aber wenn er es tat, so hat er gewiss sein Hirn nicht mitgenommen.«

»Ja, Ihr leistetet mir dort einen guten Dienst«, versetzte der Graf. »Ich hätte wenigstens ein Auge verloren. Da habt Ihr ein Juwel, mein guter Freund«, fuhr er fort und zog einen Ring vom Finger.

»Ich habe es selbst mit schweren Streichen errungen und gebe es Euch für einen so tüchtigen Streich wie je ein englischer Freibauer einen führte.«

»Ich will es in meine Mütze setzen, mein Lord«, erwiderte der »kleine John«, »und vielleicht eines Tages ...«

»Jetzt keine Prahlereien, John!«, rief Robin Hood. »Lasst den Grafen sich zum Mahl setzen. Es ist die Jahreszeit, mein guter Lord, wo man weder Hirsch noch Hase schießt, wo das Rebhuhn freien Pass hat des Brütens wegen und selbst die wilde Trappe ungefährdet läuft. Deshalb kann ich Euch kein Jägermahl vorsetzen. Aber ich will Euch bewirten wie ein Baron, wenn nur die guten Köche dort ihre Schuldigkeit tun. Keine Schlosshalle in ganz England soll ein besseres Essen aufzuweisen haben, als heute das Eurige sein wird.«

»Ich zweifle nicht daran, Robin. Ihr seid Lord vom Sherwood und könnt Euern Hof als frei geborener Baron halten, wann es Euch beliebt. Aber wie das!«, fuhr er überrascht fort, als ein langer Zug von Männern sich näherte, die große hölzerne Schüsseln, mit Fleisch beladen, herbeitrugen. »Ihr habt sogar einen Pfauen?«

»Ich könnte doch einen Grafen nicht bewirten, ohne ihm einen jungen Pfauen vorzusetzen, noch Eure Männer ehrenhaft empfangen ohne einen doppelten Lendenbraten vom besten Ochsen im Lande. Übrigens«, setzte er listig lächelnd hinzu, »ist der Pfau mein Eigentum. Der ›kleine John‹ hat ihn mir geschenkt.«

»Wie er aber dazu kam, habt Ihr nicht gefragt?«, sagte der Graf schmunzelnd.

»Nein, was hätt’ ich auch sollen? Ihr verlangt doch nicht etwa, dass ich die Ehrlichkeit meiner Männer bezweifle?«

»Das verhüte der Himmel!«, erwiderte der Graf.

»Kommt, mein Lord, lasst uns niedersitzen!«, rief Robin. »Wir haben keine Salzbüchse hier, um den Unterschied zwischen oben und unten anzuzeigen«, fuhr er, an die übrigen Freibeuter gewandt, fort. »So setze sich denn jeder dort, wo er Platz findet. Gebt den Frauen Sitze und zeigt Euch höflich wie Ritter. Sind auch keine Stühle da, so reichen doch die Speisen für alle. Da mein Kaplan nicht bei der Hand ist, will ich Euch ein waldmäßiges Gratias7 zu Eurem Mahl sprechen. Achtung, Männer!«

Jeder Mann stand auf, nahm seinen Hut ab, und Robin Hood neigte sein Haupt und sprach die beiden Sätze seines sicher nicht den Kirchenvorschriften entsprechenden Gebets: »Gott gebe uns seinen Segen – und lasse niemand uns stören!«

Wirklich war Speise im Überfluss für alle vorhanden, und die Dienstmänner des Grafen kamen so schnell mit den Bräuchen des Sherwood zurecht wie ihr Lord. In bunter Reihe zwischen den grünröckigen Freibeutern Platz nehmend, fielen sie über das Essen her, sobald das Gebet gesprochen war. Eine Zeitlang herrschte tiefes Stillschweigen bei der ganzen Gesellschaft, aber schon nach etwa zehn Minuten standen fünf bis sechs der jüngeren Männer auf und unternahmen einen Streifzug in Richtung der obenerwähnten Fässer. Sie kehrten mit großen Flaschen beladen zurück, und als einzige Zeremonie brachte John Naylor einen Humpen starken Ales und einen Krug Wein dem Grafen und bot ihm den Trunk in einem großen silbernen Becher dar. Das Getränk beschleunigte bald die Bewegung der Zungen, und das Scherzen und Gelächter vermischte sich zu einem ansehnlichen Lärm.

Von Zeit zu Zeit wechselten der Graf und Robin Hood ein Wort in leiserem und ernsterem Ton; doch meist stimmte der alte Edelmann munter in das Lärmen der Übrigen ein, mit wenigen Worten zwar, wobei er mit vergnügtem Lächeln die fröhlichen Gesichter, die ihn umgaben, betrachtete.

»Kommt, John Naylor!«, rief Robin Hood endlich dem »kleinen John« zu. »Erfreue uns mit einem Lied. Aber vergiss nicht: keine Großsprecherei und so wenig Unverschämtheiten wie möglich.«

John füllte sich bedächtig einen Becher mit Wein, und nachdem er einen tiefen Zug getan, begann er mit klangvoller Stimme ein Heimatlied zu singen. Es schien ein Lieblingslied des Geächteten und auch seiner Gefährten zu sein, denn am Schluss jeder Strophe wiederholten sie den Refrain:

Hoch lust’ges England! Lust’gem England Gruß!

Nachdem das Lied verklungen war, sagte der Graf mit leiser Stimme zu Robin Hood: »Ich fürchte, ich muss jetzt Eure Lustbarkeit durch meinen Aufbruch stören. Es warten Briefe auf mich, die vielleicht eine sofortige Antwort brauchen.«

»Sucht sie auf keinen Fall in Nottingham, mein Lord«, versetzte der Waidmann. »Ich habe schon Leute ausgesandt, um alle Boten aufzuhalten, die de Montfort an Euch geschickt hat, und ihnen Befehl gegeben, sich nach dem kleinen Dorf Stapleford zu wenden, denn ich bin sicher, man hat Euch in Nottingham eine Falle gestellt. Aber ich wünschte, Ihr bliebet noch ein paar Stunden hier. Im Laufe der Nacht erwarte ich Nachrichten von sicheren Leuten und auf einem näheren Wege.«

»Ich will entweder den Priester oder meinen Dienstmann Blawket bei Euch zurücklassen«, sagte der Graf leise. »Beiden kann man trauen.«

»Den Priester!«, rief Robin Hood mit einem Anflug von Ironie in der Stimme. »Gott segne Seine Ehrwürden, aber ich vergaß seine Anwesenheit völlig und nahm ihm soeben weg, was seines Amtes ist. Ich muss doch wohl ein Vaterunser hinzufügen, wenn er heute Abend am Tisch ist. Wahrhaftig, ich vergaß seine Anwesenheit völlig. Blawket muss genügen, mein Lord. Doch wünschte ich mir, jemand bei mir zu haben, mit dem ich mich im Notfall beraten könnte. Auch ich kann in die Verlegenheit kommen, sofort nach Empfang der Botschaft handeln und einen Plan entwerfen zu müssen, wie ich mich rasch mit Euch vereinige, und das könnte ich nicht, ob nun der Priester oder Euer Dienstmann bei mir bleibt. Dennoch will ich glauben, dass Ihr recht habt und am besten daran tut, aufzubrechen.«

»Hört!«, rief der Graf mit einer Schweigen gebietenden Geste. Und nach einer ganz kurzen Pause fuhr er fort: »Ich glaubte den Klang eines Horns in großer Entfernung zu vernehmen. Vielleicht ist es Euer Bote.«

»Nein«, versetzte der Geächtete. »Ich habe es auch gehört, aber es kam von Osten her, wo Kundschafter aufgestellt sind. Es muss jemand von Bedeutung durch den Sherwood reiten. Wir werden bald mehr erfahren. Ruhig, Männer! Es ertönt, dünkt mich, ein Horn von dem Versteck an den Eschen her!«

Alle wurden augenblicklich still, und länger als eine Minute sprach niemand. Aber dann fingen ein paar Männer am unteren Ende des Tisches schon wieder an, mit leiser Stimme ein paar Wörtchen mit ihren Nachbarn zu tauschen. Da ertönte das Horn erneut, viel näher als zuvor. John Naylor sprang auf und rief: »Das ist Knellers Hornsignal von der hohlen Eiche von Mostins Edge!«

»Nehmt eure Bogen zur Hand, meine Männer!«, schrie Robin Hood. »Wer es auch ist, er nähert sich rasch. Es wird vielleicht nötig sein, dem Grafen noch mehr von unserem Leben und Treiben zu zeigen!«

Alle Männer standen jetzt vom Tisch auf, und die Bogenschützen nahmen rasch ihre Waffen zur Hand. Die Bogen wurden gespannt, und ein paar Pfeile in Bereitschaft gesetzt.

Nach ungefähr fünf Minuten ertönte wieder ein Horn, wenige hundert Schritt entfernt. Die Landmädchen liefen nach der anderen Seite des grünen Platzes. Der alte Graf befahl nun seinen Leuten, die Pferde zu besteigen und zu handeln, wie es nötig erscheinen würde. Ganz deutlich ließen sich schon Hufschläge vernehmen, und nach einer kurzen Pause gespannter Erwartung ritt Hugh de Monthermer, von vier Dienern begleitet, ziemlich erhitzt auf den offenen Platz und machte plötzlich halt, sehr erstaunt über die Szene, die sich seinen Augen darbot.