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Während an dem prunkvollen Hof Heinrichs III., der nun über seine Feinde triumphiert hatte, Freude und Genugtuung das Herz der Anhänger des Königs erfüllte, während die ausländischen Günstlinge ihren Jubel mit ungeziemender Prahlerei zur Schau stellten und selbst die besonneneren Anhänger seines hochherzigen Sohnes Edward sich der lauten Freude nicht enthalten konnten, verbreiteten sich Bestürzung, Entsetzen und Trauer unter den mittleren und niederen Ständen des Volkes. Die Schranke war niedergerissen, die ihre Rechte und Freiheiten geschützt hatte, und die meisten von denjenigen, deren Schwerter so lange für die Volkssache gestritten hatten, lagen jetzt in ihrem Blut auf dem Schlachtfeld von Evesham. Nur Flüchtlinge und Geächtete blieben zurück, heimlich und im Verborgenen um sie trauernd.
Heinrich III. hielt nicht in der Hauptstadt des Königreichs Hof, sondern im Palast zu Eltham, der einer der schönsten und glänzendsten Residenzen des englischen Königreichs war.
Etwa einen Monat nach der Schlacht von Evesham lag in einem kleinen Zimmer im linken Flügel des Palastes Hugh de Monthermer auf einem Lager, eifrig damit beschäftigt, eine Handschrift zu entziffern, die von einer etwas schweren und zittrigen Hand stammte. Er war ganz in die Tracht des Friedens gekleidet, aber eine tiefe Schramme auf seiner Stirn und eine um seinen Arm gebundene Schlinge zeigten, dass er erst vor kurzem noch mit dem Kriegshandwerk zu schaffen gehabt hatte. Der junge Ritter war nicht ohne Wunden aus der Schlacht von Evesham gekommen, und die Verletzungen waren noch immer nicht völlig verheilt.
Als Gefangener des Prinzen war er im Gefolge des Hofes zunächst nach London, dann nach Eltham gebracht worden. Obgleich man schon vielen anderen Edelleuten gestattet hatte, sich zu unterwerfen und Gnadenbriefe zu empfangen, war mit Hugh de Monthermer noch kein Wort über sein künftiges Schicksal gesprochen worden. Auch die Bedingungen seiner Freilassung hatte man ihm noch nicht genannt. Jedoch wurde er freundlich und achtungsvoll behandelt. Kaum ein Tag war verflossen, an dem er nicht von Edward selbst besucht worden wäre. Aber ein Gespräch über seine jetzige Lage hatte der Prinz geflissentlich vermieden. Hugh, inzwischen ungeduldig, lag jetzt in seinem Gemach und wartete auf den Besuch des Prinzen und war entschlossen, Fragen an ihn zu richten, die zu einer entscheidenden Antwort führen mussten.
Ungefähr eine halbe Stunde nach der gewohnten Zeit hörte man den festen Schritt Edwards im Vorzimmer, im nächsten Augenblick trat der Prinz ein. Er wirkte ernst, aber sein Ton war freundlich. Er ergriff Hughs Hand, als er sich nach seinem Befinden erkundigte.
»Ich bin beinahe wiederhergestellt, mein Lord«, antwortete Hugh. »Und wie Ihr, als ich Euch in dem Kastell zu Hereford besuchte, sehne ich mich nun nach frischer Luft und nach Freiheit.«
»Aber warum verschafft Ihr Euch denn keine Bewegung?«, fragte der Prinz. »Ihr solltet jeden Tag ausreiten.«
»Ich glaubte nicht, dass ich dazu Erlaubnis hätte«, antwortete Hugh.
»Nachdem Ihr Euch ohne Widerruf ergeben habt, Monthermer«, sagte der Prinz, »lege ich Euch denn keine Fesseln an, mein Freund, als die Fesseln Eures Wortes. Die großen Tore stehen Euch offen, und wenn ich Euch nicht die Freiheit gebe, so geschieht dies doch nur Euretwillen. Meines Vaters Zorn auf Euer Haus ist groß, Monthermer. Es ist der einzige Funke, den ich nicht zu löschen vermocht habe. Euch wird er nach einer gewissen Zeit verzeihen, aber ich fürchte, Eurem Oheim nicht. Er meint, de Montfort habe auf seinen Rat hin gehandelt.«
Edward sagte die letzten Worte im Ton einer Frage oder vielleicht einer Behauptung, zu der er sich Widerspruch wünschte. Aber Hugh antwortete ernst: »Seine Majestät hat recht, mein Lord. Auf meines Oheims Rat hörte de Montfort. Aber Euer Gnaden Worte geben mir Trost und Beruhigung. Ich habe keine Nachrichten von meinem Oheim seit jener unheilvollen Schlacht, und obwohl ich Hoffnung hatte, er sei entkommen, so war diese Hoffnung doch schwach. Ich bitte Euch dringend, mir mitzuteilen, was Ihr von ihm wisst, denn nie hat ein Sohn seinen Vater inniger geliebt, als ich ihn liebe, unter dessen weiser Obhut ich von Jugend an aufwuchs.«
»Ich weiß wenig mehr als Ihr selbst«, antwortete der Prinz. »Alles, was ich Euch sagen kann, ist: Weder seinen Leichnam noch seine Waffen fand man unter den Toten. Und mein Vater ist so sehr davon überzeugt, dass er entkommen konnte, dass er über ihn und sieben andere, die sich noch nicht zur Unterwerfung bequemt haben, die Acht verhängt hat.«
Hugh de Monthermers Gefühle waren geteilt zwischen Freude und Schmerz. Freundlich legte der Prinz die Hand auf seine Schulter und sagte ablenkend: »Kommt, alter Spielgenosse, wir reiten gemeinsam aus. Ihr trefft mich in einer Minute im Hof unten. Es kommen heute Gäste in den Palast, und vielleicht begegnen wir ihnen!«
Die Aussicht, seine Glieder bei einem Ritt wieder regen und frische Luft atmen zu dürfen, erfüllte Hugh de Monthermer mit freudiger Erwartung. So kleidete er sich denn eilig an und war bald an der Seite des Prinzen.
Der erste Atemzug in freier Luft gab ihm neue Hoffnung, doch in demselben Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke an die vielen tapferen und mutigen Freunde, die jetzt den warmen Sonnenschein nicht mehr genießen konnten, der Gedanke an seinen rechtschaffenen, ritterlichen Oheim, der verwundet und allein als Verbannter und Geächteter umherschweifte.
So war er denn, als sie aus dem Palasttor ritten, düster gestimmt, und die Lustigkeit der jungen Ritter und munteren Knappen aus Edwards Begleitung war ihm zuwider. Doch als die Gesellschaft nach einem etwa zweistündigen Ritt zurückkehrte, schien Hugh de Monthermers Lächeln so fröhlich wie das der Übrigen.
Im Gefolge des Prinzen befand sich nämlich außer den Grafen von Gloucester und von Ashby eine Gesellschaft schöner Damen, und unter diesen war eine, deren sanfte dunkle Augen glänzten, sobald sie sich dem jungen Ritter zuwandte. An ihre Seite gesellte er sich so oft, wie es ihm nur möglich war.
Manche von den Gentlemen im Zug, stolz, der Hofpartei anzugehören, betrachteten es als eine Unverschämtheit, dass der Gefangene und Rebell, wie sie ihn nannten, die Aufmerksamkeit eines so schönen Gastes ihres Königs in Anspruch zu nehmen wagte. Hugh de Monthermers Ruf als Ritter jedoch hielt ihren Verdruss in gebührenden Schranken, und obwohl sie es so einzurichten wussten, dass kein vertrauliches Wort zwischen Lucy de Ashby und ihrem Verehrer gewechselt werden konnte, vermochten sie ihn doch nicht von ihrer Gesellschaft auszuschließen.
Als man wieder im Palast ankam, schickte sich mancher Ritter an, dem Fräulein beim Absteigen vom Pferd behilflich zu sein. Aber Hugh de Monthermer, der sich bestimmter Ansprüche bewusst war, trat heran und hob die schöne Lucy aus dem Sattel. Hierbei bot sich ihnen die einzige Gelegenheit, ein Wort miteinander zu wechseln, das sonst niemand hörte. Lucy selbst war es, die diese Gelegenheit ergriff.
»Ich habe Euch etwas Wichtiges zu sagen, Hugh«, flüsterte sie.
Ehe sie jedoch fortfahren konnte, stand der alte Graf von Ashby neben ihnen. Er hatte bisher keine Notiz von seinem früheren Verbündeten genommen und hätte es vielleicht auch jetzt nicht getan, hätte er nicht aus einem Gespräch mit dem Prinzen ersehen, dass Hugh de Monthermer in Edwards Augen alles andere als ein gefangener Feind war. So bot er ihm denn die Hand mit freundlichem Gruß, erkundigte sich nach seinem Befinden und setzte hinzu: »Jetzt, nachdem die Kämpfe glücklich beendet sind, mein junger Freund, lasst uns alle früheren Streitigkeiten vergessen!«
Hugh zögerte ein wenig, die ihm dargebotene Hand zu ergreifen, hütete sich aber, durch seine Miene erkennen zu geben, dass er sich bewusst war, bei den frühern Misshelligkeiten viel mehr der Beleidigte als der Beleidiger gewesen zu sein. Ein paar kurze Fragen und Antworten folgten, während Edward leise mit dem Grafen von Gloucester sprach. Schließlich drehte sich der Prinz um, verbeugte sich verbindlich vor Lucy de Ashby und einer anderen Dame und sagte ihnen, dass die Prinzessin Eleonore sie im Saal erwarte, da die Königin noch in Frankreich sei.
»Die Prinzessin ist eine Verwandte von Euch, schönes Fräulein«, fuhr er, an Lucy gewandt, fort. Und dann sagte er zu seinem Gefangenen: »Wir haben ein großes Bankett heute Abend, Monthermer, und Ihr müsst mit Euren Kräften haushalten, um ihm beiwohnen zu können. Ich habe von meinem Vater den Auftrag, Euch einzuladen.«
Hugh dankte mit einer Verbeugung und begab sich nachdenklich in sein Zimmer. Der König hatte ihn, den Neffen des alten Grafen Monthermer, eingeladen! Gewiss verdankte er dies der herzlichen Fürsprache Edwards, doch würde er auf der Hut sein müssen. Ablehnen konnte er in seiner Situation ohnehin nicht, sondern höchstens seinen alten Freunden nützlich sein, wenn er die Einladung annahm. Es mochte jedoch im Augenblick weniger politische Klugheit sein, die ihn zu diesem Verhalten bewog, sondern vielmehr die Erwägung, dass er Lucy auf dem Bankett sehen würde. Durch sein Wiederbegegung mit ihr war seine Liebe neu entflammt.
Ein geringfügiger, jedoch verdrießlicher Umstand störte aber den jungen Ritter empfindlich. Getrennt von allen seinen Dienern, bis zu diesem Zeitpunkt sowohl durch seine Wunden als auch durch seine Lage zu strenger Gefangenschaft verdammt, fehlten ihm die Mittel, an der Tafel des Königs in dem Glanz zu erscheinen, der damals Sitte war. Der einzige Anzug, den er besaß, war das Wams, über dem er bei Evesham seine Rüstung getragen hatte.
Ich will den Prinzen wissen lassen, in welcher misslichen Lage ich mich befinde, dachte er.
Da traten zwei Diener ein mit einer jenen langen schweren Truhen, die aus einem mit Leder bespannten Holzgestell bestanden. Man benutzte sie damals, um Waffen und Kleider bei einem Kriegszug mitzuführen.
»Diese Truhe wurde in der vorigen Nacht für Euch gebracht, mein Lord«, sagte einer der Diener. »Der Obervorschneider öffnete sie durch ein Versehen, und als er sah, dass sie Kleidungsstücke enthielt, schickte er uns damit hierher.«
Hugh lächelte, denn er glaubte, es sei eine wohlgemeinte List des Prinzen, um ihn mit dem Nötigen zu versehen. Aber noch ehe die zwei Diener das Vorzimmer verlassen hatten, trat Edward ein, um Hugh seinen Beutel und seine Garderobe anzubieten. Hugh deutete auf die Truhe und dankte ihm für das, was er ihm bereits geschickt hatte. Der Prinz zeigte sich sehr überrascht, denn er hatte bisher noch nichts veranlasst. Als Hugh die Truhe, nun selber neugierig geworden, von wem sie kommen mochte, öffnete, stellte er fest, dass sie mit seinen eigenen Kleidern gefüllt war, die er Anfang des Jahres in Yorkshire zurückgelassen hatte.
»Das muss das Werk meiner Freunde sein, mein Lord«, sagte er. »Ich bitte Euch deshalb um die Erlaubnis, einen Boten loszuschicken, um mich nach denen zu erkundigen, die bei Evesham zerstreut wurden. Sie können mir so viele Diener und Pferde bringen, wie mir gestattet ist, als Gefangener zu halten, sowie auch einiges Geld.«
»Wenn Ihr schreiben wollt«, antwortete Edward, »so will ich den Brief unverzüglich fortschicken. Aber verstehen wir uns richtig, Monthermer. Ich glaube, dass es in mancher Beziehung besser für Euch sein dürfte, ein paar Monate am Hof von England zu bleiben. Ich vermute zudem, dass Ihr selbst nicht sehr begierig sein werdet, ihn zu verlassen, solange ein gewisses schönes Fräulein Gast der Prinzessin ist. Dass Ihr mein Gefangener seid, ist der einzige Vorwand, womit die Verlängerung Eures Aufenthalts gerechtfertigt werden kann. Es ist sehr wichtig, dass Ihr hierbleibt, und dies ist der Grund, warum ich Euch nicht öffentlich die Freiheit gebe. Aber da man in dieser wechselvollen Welt«, fuhr er mit Nachdruck fort, »nie im Voraus wissen kann, was der nächste Tag bringt, und es unter Umständen Eure Sicherheit erfordern kann, dass Ihr auf eine rasche Warnung hin plötzlich fliehen müsst – denn ich kann weder dem trotzigen Mortimer noch dem grausamen Pembroke trauen –, so verspreche ich Euch, Euer Lösegeld festzusetzen, sobald Ihr es verlangt. Im Notfall aber mögt Ihr auf dieses Versprechen hin handeln, als hätte ich Euch schon Eure Freiheit gegeben. Ich werde Euch rechtfertigen, wenn der Fall eintritt. Inzwischen müsst Ihr jedoch die Rolle des Gefangenen weiterspielen und Eure Gelegenheit so gut wie möglich nutzen, mein Freund. Ich bin über den Stand Eurer Herzensangelegenheit unterrichtet und zweifle nicht, dass Eure Dame gern Eure Geschichte anhören wird, wenn Ihr eine passende Stunde wählt, sie vorzutragen. Nein, keinen Dank, Monthermer! Nehmt aus meiner Börse Geld, soviel Ihr braucht, bis Euer eignes ankommt. Und jetzt: Adieu!«
Hugh begleitete den Prinzen bis zur Tür des Vorzimmers und kehrte dann um mit der Absicht, die ihm so unverhofft übersandte Garderobe genauer zu untersuchen. Vielleicht ließ sich ja feststellen, von wem sie kam. Aber ehe er damit begann, setzte er sich nieder und schaute nachdenklich zu dem kleinen Fenster seines Zimmers hinaus. Seine Lage war glücklicher als vor wenigen Stunden: Er war über die Sicherheit seines Oheims einigermaßen beruhigt, die Freiheit winkte ihm, und er würde heute noch die Geliebte sehen.