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»Der Graf von Ashby, mein guter Lord, wünscht mit Euch zu sprechen«, meldete Thomas Blawket Hugh de Monthermer, der am Tisch saß und schrieb.

»Lasst ihn eintreten«, sagte Hugh. »Ist er allein?«

»Ganz allein, mein Lord«, antwortete Blawket und ging hinaus.

Der Zorn, der von Alured, ausgelöst durch den Besuch seines Vetters Besitz ergriffen hatte, war verflogen. Er schritt jetzt ernst, aber mit edlen Gefühlen auf das Zimmer Hugh de Monthermers zu. Als er durch das Vorzimmer kam, wo ein Page und einige Dienstmänner saßen, sah er sich um. Hugh de Monthermer, die Bedeutung dieses Blickes erratend, bat Blawket, der Alured hereinführte, das Vorzimmer zu räumen, so dass niemand ihr Gespräch hören könnte.

Alured trat sofort auf seinen Gegner zu und bot ihm die Hand. Hugh ergriff sie und drückte sie fest.

Dann setzten sie sich einander gegenüber.

»Monthermer«, begann Alured de Ashby, »ich bekenne, ich habe meine Anklage gegen Euch voreilig erhoben. Ich kann Euch morgen auf dem Kampfplatz nicht entgegentreten, ohne Euch einige Worte zu sagen, die mein Gewissen reiner und mein Herz leichter machen sollen. Hinterhältige Männer haben mich dazu verführt, Euch für schuldig zu halten. Seither jedoch haben Vernunft, Nachdenken und einige zufällige Entdeckungen mich daran zweifeln lassen.«

»Nur zweifeln?«, rief Hugh de Monthermer vorwurfsvoll.

»Nun«, sagte Alured, »sie lassen mich annehmen, dass die Anklage falsch ist. Genügt Euch das?«

»Es muss«, versetzte Hugh de Monthermer. »Ich muss also davon ausgehen, dass es allein die Furcht vor Hohn und Spott ist, die Euch das Schwert ziehen lassen wird gegen einen Freund. Nur sie lässt Euch darauf bestehen. Aber ich will keinen Ausdruck gebrauchen, der Euch weh tun könnte. Nur diese Furcht veranlasst Euch, Euer und mein Leben, das Glück Eurer Schwester und Eure eigene Gemütsruhe aufs Spiel zu setzen.«

»So ist es, Monthermer, so ist es!«, sagte Alured de Ashby in traurigem, aber entschlossenem Ton. »Ich weiß alles, worauf ihr Euch berufen könnt. Dennoch ist es unmöglich, dass ich, nachdem ich Euch zum Kampf gefordert habe, irgendetwas zurücknehme, ohne mir den Vorwurf der Feigheit zuzuziehen, der nie an meinem Namen haften darf.«

Hugh stand auf und schritt zweimal die Länge des Zimmers ab. Dann schüttelte er bekümmert den Kopf und sagte: »Ashby, Ihr habt unrecht! Aber ich darf kein Wort sagen, dass Euren Entschluss ins Wanken bringen könnte. Wie Ihr es für das Beste haltet, so müsst Ihr handeln. Ich betrete den Kampfplatz frei von Unrecht, betrübt, dass ich gezwungen bin, das Schwert gegen einen Mann zu ziehen, dem ich gern mit Freundschaft begegnen würde, bitter betrübt, dass, ob ich nun lebe oder sterbe, eine unverdiente Anklage Kummer über mich bringt. Aber, wie gesagt, ich will Euch nicht mit Gründen bestürmen, die Euer Vorhaben ändern könnten. Nur glaubt mir, Alured, dass mir der Gedanke, Euren Vater durch Wort oder Tat zu verletzen, nie in den Sinn kam, dass ich an seinem Tod völlig unschuldig bin.«

»Ich glaube Euch, gewiss, ich glaube Euch«, sagte der junge Graf gequält.

»Gut denn«, fuhr Hugh fort. »Ich habe einen Auftrag für Euch, Alured. Kein Mensch kann den Ausgang dieses Kampfes vorhersagen. Ich reite niedergedrückt von Sorgen und Kummer in die Schranken. Die Liebe Eurer Schwester macht meine Lanze stumpf und überzieht mein Schwert mit Rost. Widerwille und Abscheu vor dem Kampf lasten schwer auf meinem Arm, und es ist möglich, dass ich, obwohl meine Sache die gerechte, die Eurige die ungerechte ist, doch falle und Ihr Sieger werdet. Wenn dies geschieht, so fordere ich Euch um der Gerechtigkeit willen auf, mit Eurer eigenen Stimme die Unschuld des Mannes zu verkünden, den Ihr erschlagen habt. Sucht alle Beweise hervor, um zu zeigen, dass er nicht schuldig gewesen ist, und liefert die Mörder an den Galgen, solltet Ihr sie auch in Eurem eigenen Hause finden!«

Alured bedeckte stumm die Augen mit der Hand. Dann aber schaute er wieder auf und sagte: »Nein, nein! Ich werde fallen, Monthermer. Mein Tod durch Eure Lanze wird Euch von der Anklage freisprechen, die ich gegen Euch erhoben habe, und Euch wird die Pflicht zufallen, die Mörder meines Vaters zu suchen und zu strafen.«

»Und Eure Schwester?«, fragte Hugh de Monthermer.

»Ich habe sie getroffen und ihr meinen Willen erklärt. Schweigen wir davon. Nur vergesst nicht, Monthermer, dass, wenn ich morgen Gott zum Zeugen anrufe, meine Sache gerecht ist. Und dass die Sache, die ich meine, nicht meine Anklage gegen Euch ist, sondern die Verteidigung meiner Ehre gegen den gehässigen Verdacht der Welt.«

Hugh sah ihn mit einem schmerzlichen Lächeln an. »Ach, Alured!«, sagte er. »Ich fürchte, der Himmel wird diesen Unterschied nicht sehen! Aber wenn es sein muss, sei es so! Und doch ist es höchst seltsam, dass zwei Männer, die einander kein Leid und Unrecht zufügen möchten, durch ein vorschnelles Wort dazu verurteilt sein sollen, sich gegen ihr Gewissen abzuschlachten!«

»Ja, so geht es in der Welt, Hugh«, sagte der Graf bekümmert. »Wir müssen eben unsere Pflicht als Ritter tun.«

Hugh de Monthermer dachte an die wahren Pflichten des Rittertums, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man hier den Namen und den Anschein von Ehre für wichtiger nahm. Er schwieg jedoch, denn er wusste, dass Vorwürfe Alured nur reizen und nicht umstimmen würden. So sagte er nur: »Es schmerzt mich, dass Ihr so denkt. Aber da Ihr dies alles veranlasst habt, könnt auch nur Ihr darüber entscheiden. Ich kann nur meine Unschuld verteidigen, so gut es mir möglich ist.«

Der Ton, in dem der junge Ritter sprach, seine Ruhe, Freundlichkeit und Zurückhaltung von aller Prahlerei rührten Alured de Ashbys Herz tief. Er drückte Hugh de Monthermers fest die Hand und sagte: »Lebt wohl! Ich halte Euch im Grunde meiner Seele für unschuldig, Monthermer, und wollte meine rechte Hand dafür geben, dass einer von uns beiden heute Nacht hundert Meilen weit von hier weg wäre!«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und kehrte in seine Wohnung zurück. Er hatte gehofft, durch den Besuch bei seinem Gegner jenen besseren Gefühlen zu genügen, die unter dem Druck dunkler und schrecklicher Umstände in seinem Herzen aufgestiegen waren, er hatte seine Brust zu erleichtern gehofft von der Last, die darauflag. Aber das Ergebnis war ein ganz anderes: Die Bitterkeit in seinem Herzen war nun doppelt so groß, Kummer, Scham und Bangigkeit hatten zugenommen. Kein Wort und keine Miene des von ihm so schwer Gekränkten hatten ihm Anlass gegeben, schmerzliche Wehmut und Reue gegen Unmut und Zorn zu tauschen. Er fühlte sein Herz wild pochen, seine Augen brannten, der Kopf schmerzte, und ehe er durch die Tür schritt, die in sein Zimmer führte, öffnete er sein Wams und ging einige Male im Schlosshof auf und ab.

Er wollte eben hineingehen, als jemand, von der Seite her kommend, wo seine Zimmer lagen, sich ihm näherte und ihm den Weg vertrat. Es war Guy de Margan.

»Ich wünsche Euch einen guten Abend, mein Lord«, sagte er. »Ich wartete in Eurem Zimmer ...«

»Gute Nacht«, fiel ihm Alured ins Wort und wollte an ihm vorbei.

»Bitte, was hat es denn mit Eurem Vetter Richard gegeben?«, fragte Margan, der sich nicht abweisen lassen wollte. »Ich begegnete ihm vorhin, als er wie ein Wahnsinniger durchs Tor rannte.«

»Ich weiß nicht, Sir«, versetzte Alured ungeduldig. Aber dann sagte er: »Da fällt mir ein, Sir Guy, dass ich mit dir sprechen wollte. Du bist ein Freund Richard de Ashbys, nicht wahr?«

»Ja und, mein Lord?«, rief Guy de Margan herausfordernd.

»Du hast ihn mit all deinen Kräften dabei unterstützt, die Schuld an der Ermordung meines Vaters auf Hugh de Monthermer zu wälzen!«, sagte der Graf und schwieg, als erwarte er eine Antwort.

Es kam keine, und er fuhr drohend fort: »Die Ankläger können über kurz oder lang zu Angeklagten werden, daher nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht!« Dann ging er rasch weiter.

Guy de Margan stand einen Augenblick wie erstarrt. Plötzlich rannte er Alured de Ashby nach und rief: »Mein Lord! Wollt Ihr damit sagen, ich hätte Anteil am Tod Eures Vaters? Dann verlange ich allerdings, dass Ihr diese Anklage öffentlich vor dem König aussprecht. Wenn es dem Grafen von Ashby beliebt, erst Hugh de Monthermer und dann mich anzuklagen, so will ich eine Untersuchung verlangen vor den Peers, die Euch nötigen werden, Eure Worte zu beweisen!«

»Aus dem Weg, du Wurm!« schrie der Graf erbost. »Aus dem Weg, oder ich zertrete dir den Kopf und zermalme dich wie eine giftige Schlange! Wer hat dich angeklagt? Ich nicht!«

»Ich dachte, der Graf von Ashby versuche vielleicht, dem Kampf mit seinem Gegner auszuweichen«, sagte Guy de Margan und trat ein paar Schritte zurück. »Und er wünscht das vielleicht auf meine Kosten zu tun. Hugh de Monthermer ist ein berühmter Ritter und ein Feind, gegen den man nicht gern auf Leben und Tod kämpft.«

Alured tastete nach dem Knauf seines Schwertes, aber er hatte es auf dem Tisch liegengelassen. Er sprang auf Guy de Margan zu, packte ihn am Hals und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt rücklings auf das Pflaster.

Guy de Margan lag reglos da, und Alured schrie: »Bleib nur liegen, du Fuchs!« Dann schritt er seiner Wohnung zu. Er durchquerte schnell das Vorzimmer und blieb in seinem Gemach tief in Gedanken versunken neben dem Tisch stehen.

»Eine Bande von Schelmen und Schurken ist das!«, murmelte er schließlich vor sich hin, füllte den Achatbecher bis zum Rande mit Wein, hob ihn an die Lippen und leerte ihn bis zur Neige.