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Die Straßen der alten Stadt Hereford waren damals so schmal, dass kaum vier Reiter nebeneinander reiten konnten, und doch war in Wirklichkeit der Raum für Fußgänger viel breiter, als es schien, denn wie es damals besonders an den Grenzen von Wales üblich war, wurde die Hälfte des Erdgeschosses der Häuser von einem langen, offenen Bogengang eingenommen, der die Fußgänger zu gewissen Jahreszeiten vor dem Regen und zu anderen vor allzu heißen Sonnenstrahlen schützte.

Eine Gruppe aus drei Männern und einer Frau ritt eine dieser belebten Straßen hinunter, an deren Ende ein Gasthaus zweiten Ranges, genannt »Zum Maienbaum«, lag. Sie verfügten über zwei Pferde und ein störrisch aussehendes Maultier. Auf dem einen Pferd ritt ein großer, stämmiger Mann in der Tracht eines Dieners, auf dem anderen allem Anschein nach ein Bediensteter desselben Herrn. Auf einem Reitkissen saß hinter ihm eine unverkennbar weibliche, dicht verschleierte Gestalt.

Auf dem Maultier, die Beine bequem herunterhängen lassend und den dicken Bauch behaglich auf den Sattel stützend, trottete ein behäbiger Mönch daher, ganz in Grau gekleidet und die Kapuze zurückgeschlagen. Sein Gesicht war groß und fröhlich, und ein Zug spitzbübischer Schalkheit lag um die Winkel der kleinen grauen Augen. Er schien einer jener bequem dahinlebenden Mönche zu sein, die selbst keinen Kummer und keine Entbehrung kennen und Gram und Leid anderer nicht allzu ernst nehmen. Seine rosigen Wangen, sein Doppelkinn – alles zeugte davon, dass er wohl Ursache hatte, zufrieden zu sein.

Als sie den Eingang der Herberge »Zum Maienbaum« erreichten, brachte der Mönch durch falsches Lenken das Hinterteil seines Maultieres in zu nahe Berührung mit dem allein auf einem Pferd reitenden Diener. Während er scheinbar versuchte, sein Tier in eine günstigere Stellung zu bringen, reizte er es zu heftigem Ausschlagen. Dabei erhielt der Reiter einen Schlag gegen das Schienbein, der ihn vor Schmerz laut aufbrüllen ließ. Der fette Mönch behauptete sich ganz gut im Sattel, bis er das Tier wieder beruhigt hatte. Dann glitt er behend auf der Seite herunter, und erst als er sich nach seinem Begleiter umsah, schien er das schmerzverzogene und wütende Gesicht des Dieners zu bemerken.

»Gott tröste meine Seele!«, rief er. »Hat er dir einen Tritt versetzt, der nichtsnutzige Schelm? Ich will ihn dafür züchtigen!«

»Wenn Euer Maultier mir nicht das Bein zerschmettert hat, so ist das nicht seine Schuld«, erwiderte der Mann, stieg vom Pferd und hinkte um sein Tier herum. »Ihr aber, toller Priester, müsst auch seine Hinterhufe sich dorthin bewegen lassen, wo sie gar nichts zu schaffen haben.«

»Nein«, erwiderte der Mönch. »Ich habe seine Hinterhufe sich nicht dorthin bewegen lassen, sondern das Tier hat sich selbst so herumgedreht. Es wollte mich abwerfen, und ich werde es streng dafür bestrafen. Es soll für sein schlechtes Benehmen fünf Gerstenkörner weniger Futter bekommen.«

»Ihr macht elende Späße, Mönch!«, entgegnete der Diener erbost. »Ich bereue, dass ich Euch mit uns habe reiten lassen.« Die nicht gerade einladend aussehende Fassade der Herberge hinaufschauend, fuhr er fort: »Ist das das Wirtshaus, von dem Ihr sagt, dass es so guten Wein habe? Es scheint zu ärmlich zu sein, um solches Lob zu verdienen!«

»Du wirst hier besseres Getränk finden als in einem anderen Haus in Hereford«, erwiderte der Mann in der grauen Mönchskutte. »Versuche und koste, und wenn ich dich getäuscht habe, darfst du mich in zollgroße Stücke zerhacken. Kannst du einem Mönch nicht trauen?«

Der Mann brummte eine Antwort, die eben kein hohes Lob des Standes enthielt, dem sein fetter Begleiter angehörte, und wenige Minuten später saß die ganze Gesellschaft in der Gaststube, in der sich sonst niemand befand. Die Stunde des Abendessens war bereits vorüber, aber der Wirt war ein mitleidiger Mann und kannte überdies recht gut das Augenzwinkern des lustigen Bruders, so dass er, der alten Freundschaft zuliebe, ihnen manche schmackhafte Speise vorsetzte nebst einer großen Flasche Wein.

Unter dem Einfluss solcher Stärkungen vergaß der Diener seine Verletzung, und das Frauenzimmer, seinen Schleier zurückschlagend, zeigte das hübsche Gesicht der Kate Greenly. Sie wirkte drei bis vier Jahre älter als noch vor wenigen Wochen, denn es lag eine gewisse Traurigkeit auf ihrem Gesicht, und das fröhliche Lächeln war dahin.

Die Augen des Mönchs hefteten sich auf sie, bis sie unter seinem Blick mit halb zorniger, halb beschämter Miene errötete. Ihr Erröten wurde jedoch noch stärker, als er sagte: »Mich dünkt, schöne Dame, ich habe dies holde Gesicht schon früher einmal gesehen.«

»Vielleicht«, antwortete sie ausweichend, »ich weiß es nicht. Mancher wandernde Mönch kommt an meines Vaters Tür.«

Der Mönch lachte und fuhr munter fort: »Versucht einmal diesen gedämpften Aal, Hübsche! Versucht ihn, er ist gut für die Hautfarbe. Und jetzt, Meister Dienstmann, was sagt Ihr zu dem Wein? Habt Ihr je etwas Besseres getrunken?«

Der Dienstmann musste anerkennen, dass er selten ein so gutes Getränk genossen hatte. Allmählich überwand er seine üble Laune, die noch geschärft worden war durch einen geheimen Argwohn, die Hufe des Maultiers hätten ihn doch nicht zufällig getroffen, ließ sich sein Nachtessen schmecken und lachte und plauderte mit dem Mönch.

Derweil saß Kate Greenly schwermütig in dem lustigen Kreis. Die Gedanken an ihre Heimat waren durch die Worte des Mönchs in ihrem Herzen geweckt worden, und nachdem sie einige Zeit die Qual fremder Fröhlichkeit erduldet hatte, stand sie auf und sagte, sie wolle sich in ihr Schlafgemach begeben, da sie morgen sehr früh aufbrechen müsste.

Die beiden Dienstmänner bezeigten der Geliebten ihres Gebieters keine große Achtung, denn sie blieben faul am Tisch sitzen und ließen sie allein ihren Weg suchen. Aber der lustige, fette Mönch fuhr von seinem Sitz mit einer Rüstigkeit auf, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, und sagte: »Wartet, meine Schöne! Ich will den Wirt oder die Wirtin rufen, Euch zu begleiten.« Und er schritt neben ihr der Tür zu.

Wären die Blicke ihrer beiden Begleiter ihr gefolgt, so hätten sie das Zusammenschrecken des Mädchens bemerken müssen, als sie mit dem Mönch das Zimmer verließ. Aber sie waren zu sehr mit der Flasche beschäftigt, und schon einen Moment später hörte man die volle Stimme des Mönchs nach Wirt und Wirtin rufen. Gleich darauf wälzte er sich ins Zimmer zurück und nahm wieder seinen Platz am Tisch ein.

»Aufs Wohl deines Herrn, wer er auch sei!«, rief der Mönch, seinen Becher zu dem Dienstmann hebend, den sein Maultier geschlagen hatte. »Gott steh ihm bei zu seinen guten Taten und vereitle seine schlimmen, wenn er solche begeht!«

»Darauf trinke ich nicht«, versetzte der Ehrenmann. »Ich sage, Gott stehe meinem Herrn bei in allen seinen Werken und Taten – guten, schlimmen und gleichgültigen. Ich bin nicht befugt, Ausnahmen zu machen.«

»Still, Mann, still, trinkt und singt uns ein Lied!«, schrie der Mann mit der grauen Kutte.

»Sing du selbst erst, fetter Mönch«, antwortete der Dienstmann.

Der Mönch versetzte: »Das will ich!« Nachdem er noch einen tiefen Zug getan hatte, stimmte er in vollem Ton ein Lied an.

Der Gesang fand den Beifall der beiden Gesellschafter des Mönchs, die sich am Wein so gütlich getan hatten, dass sie zu jeder Art von Fröhlichkeit aufgelegt waren. Auch sie brüllten nun nacheinander ein paar Strophen des Liedes.

Während die drei Männer beim fröhlichen Gelage saßen, wurde Kate Greenly in ein Zimmer mit einem Erker geführt. Die Wirtin begleitete sie in ihr Gemach und machte sich darin eine Zeitlang zu schaffen – zum großen Missbehagen des Mädchens. Vergebens versicherte sie, sie habe alles, wessen sie bedürfe. Immer fand die Wirtin noch etwas in Ordnung zu bringen, einen Tisch zurechtzurücken, einen Stuhl abzustauben, während sie jeden Augenblick erklärte, ihre Mägde seien unordentliche Dirnen und ihr Hausdiener ein fauler Schlingel. Endlich wandte sie sich zur Tür, und Kate Greenly glaubte nun, von ihrer Anwesenheit befreit zu werden, aber es war nur, um ihren Eheherrn zu rufen und ihm mit der lautesten Stimme zu sagen, er sei »erstaunlich träge und langsam«.

Kate Greenly konnte es nicht länger aushalten, sondern näherte sich dem Erker, wo die Lampe im Fenster stand, stellte sich dicht neben das Licht und entfaltete ein Stück Papier, das sie in ihrer Hand hielt. Zuerst konnte sie kaum die Worte sehen, aber die Augen mit der Hand beschattend, las sie mit gespanntem Eifer die Zeilen:

Kehrt zu Eurem Vater zurück, lasst ihn nicht allein mit gebrochenem Herzen! Wenn Ihr zu ihm zurückkehren wollt, will ich Mittel dazu finden, denn ich habe mehr Hilfe bei der Hand, als Ihr ahnt. Sagt nur der Wirtin ein Wort, so sollt Ihr morgen vor Tagesanbruch auf dem Weg nach Barnesdale sein. Ich erkläre Euch, dass dies Eure letzte Möglichkeit ist. Wenn Ihr umkehrt, mag Euch Frieden und Behagen noch zuteil werden, wenngleich Ihr Euer Glück weggeworfen habt. Wenn Ihr weiterzieht, habt Ihr ein Leben voll Elend, Verachtung, Verlassenheit und Verzweiflung vor Euch.

Der Mönch

Kate zitterte heftig und konnte kaum einen Gedanken fassen, aber in diesem Augenblick näherte sich ihr der Wirt, einen kleinen silbernen Becher mit warmem Wein und einen Teller mit vielfarbigen Süßigkeiten in der Hand.

»Ich bitte Euch, probiert diesen Schlaftrunk«, sagte er. Während sie mechanisch den Becher ergriff und, dem Brauch jener Zeit folgend, einige Süßigkeiten hineintauchte, bemerkte sie, wie die Augen beider Wirtsleute mit teilnehmendem, fragendem Blick auf ihr hafteten und erkannte, dass auch sie in ihre Geschichte eingeweiht sein mussten.

Brennende Glut der Scham trat Kate Greenly in die Wangen, aber sie erweckte nur ihren Stolz. Nach einer kleinen Pause sagte sie mit der Miene und Haltung einer Königin: »Ihr könnt gehen! Wenn ich noch etwas bedarf, werde ich rufen!«

Der Wirt und die Wirtin entfernten sich, ihr gute Nacht wünschend; aber sie glaubte, um den Mund des Mannes ein verächtliches Lächeln zu bemerken.

Nachdem sie weg waren, faltete das Mädchen die Hände und brach in Tränen aus, aber es waren Tränen des leidenschaftlichen Verdrusses darüber, dass sie mit diesem letzten Angebot der Rückkehr von Seiten der Wirtsleute eine vielleicht gütigere Behandlung erfahren hatte, als sie verdiente. Dann sprang sie auf, näherte sich der Lampe und las noch einmal die erhaltenen Zeilen.

Sie schienen ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, denn ihre Augen starrten ins Leere, das Papier sank ihr aus der Hand. »Umkehren? Nein!«, rief sie endlich aus. »In meines Vaters Haus zurückkehren? Das Lächeln und Höhnen meiner Gespielinnen mir gefallen und mit Fingern auf mich deuten lassen? Auf dem Spaziergang und in der Kirche gemieden werden wie eine Aussätzige? Nein, nein! Nimmermehr kann ich zurückkehren!«

Dann murmelte sie, sich selbst gleichsam tröstend, vor sich hin: »Richard wird mich nie verlassen! Er wird gewiss nicht so niederträchtig sein! Und doch – warum schickt er mich mit Dienern weiter und begleitet mich nicht selber? Wenn er unbedingt nach London muss, warum nimmt er mich nicht mit? Aber er hat bestimmt ein höchst wichtiges Geschäft vor, das sofortige Erledigung erfordert. Ohne Zweifel war seine Reise zu schnell und zu anstrengend für ein Weib. Ach ja! Er wird bald wieder zu mir zurückkommen!«

Sie beeilte sich nun, Toilette zu machen, und begab sich zu Bett. Aber auch in ihren Kissen waren Dornen, und ihre Nächte hatten den besten Teil ihres Friedens verloren.

Der folgende Morgen brach hell und strahlend an; Kate Greenlys Selbstanklage und Reue waren mit den Schatten der Nacht verschwunden. Sie hörte Gesänge von den Straßen, hörte unten fröhliche Menschen lachen und plaudern. Ihre einzige Sorge, als sie sich am Morgen ankleidete, war nur, wie sie dem Bruder Graurock begegnen sollte. Aber das war bald entschieden. Sie nahm sich vor, ihn finster anzusehen und ihn mit schweigender Verachtung zu behandeln. Ohne Zweifel würde er dann aus Furcht vor ihren zwei Dienern kein Wort weiter wagen. Es blieb ihr jedoch alle Unruhe in dieser Hinsicht erspart, denn der Mönch war vor Tagesanbruch abgereist. Sie hatte ihm durch die Wirtin keine Antwort geschickt, und ihr Schweigen war Antwort genug.

Nach einem eiligen Frühmahl machten sich das Mädchen und ihre Begleiter wieder auf den Weg und ritten, ohne anzuhalten, etwa fünfzehn Meilen dahin.

Als sie auf einer ansehnlichen Erhöhung des Waldes angekommen waren, zeigte sich schließlich ein kleiner befestigter Turm mit einigen Hütten, die unter seinen Mauern Schutz suchten. Der Dienstmann, der neben Kate ritt, deutete auf sie und sagte: »Dort ist das Kastell, Madame.«

Kate schaute hin, und ihre Augen funkelten vor innerer Erregung. Nach wenigen Minuten ritten sie in den Bogengang unter dem Gebäude hinein.

Das Kastell war kleiner, als sie erwartet hatte, und bestand eigentlich nur aus einem jener starken Türme, wie man sie ein Jahrhundert zuvor zum Schutz gegen die Einfälle der Normannen in diesem Teil der englischen Insel erbaut hatte. Es focht indessen Kate wenig an, ob die Burg groß oder klein war; es war sein Kastell – das Kastell des Mannes, dem jetzt alle ihre Gedanken und Empfindungen galten.

Ihre Enttäuschung begann jedoch schon auf der Schwelle. Ein alter Torwächter, der sie einließ, erklärte nicht nur in rauem Ton, Sir Richard de Ashby sei noch nicht angekommen, sondern betrachtete auch den weiblichen Gast voll mürrischen Missvergnügens. Er murmelte etwas vor sich hin, was sie zum größten Teil nicht verstand. Aber die Worte »die neue Geliebte« erreichten ihr Ohr und ließen sie zusammenfahren. Die Augen von zwei oder drei Bogenschützen, welche am Tor herumlungerten, hafteten auf ihr, und wie gejagt lief sie hinter dem alten Torwächter her, der sagte, er wolle ihr das Gemach zeigen, das für sie auf Befehl seines Gebieters eingerichtet worden sei. Sie fand es bequem und mit aller Behaglichkeit ausgestattet.

In der Folgezeit wurde sie gut behandelt, doch war bei den Männern, die sie umgaben, ein Mangel an Achtung zu bemerken. Aber Kate tröstete sich mit der Hoffnung, sie würde Richard de Ashby leicht dazu veranlassen können, solcher Missachtung ein Ende zu setzen. Doch Tag um Tag verstrich, ohne dass er erschien, und schwermütige Erinnerungen und nichtige Reue bestürmten stärker und stärker ihr Gemüt, bis sie die Last ihrer eignen Gedanken kaum mehr zu tragen vermochte.

Endlich, eines Abends, sah sie von den Zinnen aus einen kleinen Trupp Reiter über den Berg daherkommen. Voller Ungeduld lief sie ihm entgegen, denn sie war fest überzeugt, dass Richard de Ashby unter ihnen war. Der alte Torwart wollte sie daran hindern, das Tor zu passieren, aber sie gebot ihm mit so finsterem und gebieterischem Ton, zurückzutreten, dass er sich nicht widersetzte.

Kate Greenly hatte sich nicht getäuscht. Die Gesellschaft bestand aus ihrem Verführer und vier Soldaten, die er sich in Hereford verschafft hatte, um seine kleine Besatzung zu verstärken, da jetzt der Ausbruch des Krieges drohte und der Posten, den er zu behaupten hatte, als nicht unwichtig galt.

Richard de Ashby sprang vom Pferd, um sie zu begrüßen. Er küsste sie mehrmals unter vielen Ausdrücken der Zärtlichkeit. Zwar redete er nur in oberflächlichem Ton mit ihr, aber Kate Greenly erkannte nicht ihre wirkliche Stellung, denn das Glück, ihn wiederzusehen, verdeckte alle anderen Empfindungen.

Im Laufe der Zeit jedoch kamen ihr Zweifel an Richard de Ashbys Liebe. Er ritt oft aus und ließ sie den ganzen Tag allein. Kehrte er zurück, war er ermüdet, herrisch und reizbar. Über ihre Tränen lachte er nur und wandte sich von ihren Liebkosungen ab.

Indessen war doch noch so viel ungesättigte Leidenschaft in seinem Wesen übrig, dass er immer wieder bemüht war, es nicht zu einem Bruch kommen zu lassen.