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Nicht klein war die Überraschung von Oheim und Neffe, als sie sich so mitten im Forst von Sherwood trafen, doch auf Seiten des alten Grafen war die Überraschung größer als bei Hugh. Zwar setzte die Gesellschaft, in welcher Hugh seinen ehrwürdigen Verwandten fand, den jungen Edelmann ein wenig in Erstaunen, denn die Freibeuter des Waldes, der verschwenderisch gedeckte Tisch, das Weinfass und die Trinkbecher – das alles bildete eine Umgebung, in der er seinem Oheim zu begegnen nicht erwartet hatte. Auf Grund der Ehrerbietung jedoch, die in jener Zeit gegen Alter und Ruhm an den Tag gelegt wurde, hütete er sich, sein Erstaunen zu zeigen, stellte auch keine Fragen, sondern stieg vom Pferd und begann sofort der Aufforderung seines Oheims nachzukommen, der Aufklärung verlangte, warum er umgekehrt sei, statt den Grafen von Ashby entweder nach Lindwell oder nach London zu begleiten.

Nachdem er kurz von dem plötzlichen Verschwinden Lucy de Ashbys berichtet hatte, erzählte er von seiner Suche nach ihr im Sherwood.

»In der letzten Nacht durchstreifte ich den Wald in einer Breite von etwa zwei Meilen, ohne die geringste Spur von irgendjemand zu entdecken, der an der frevelhaften Tat Anteil gehabt haben könnte. Einmal begegnete ich einem Schweinehirten und dann einem Bauern mit zwei Töpfen voller Lehm auf einem Karren, aber sonst keiner Menschenseele. Warum lächelt Ihr, guter Waidmann?«, unterbrach sich der junge Edelmann, sich an Robin Hood wendend.

»Weil, edler Herr«, versetzte der Geächtete, »die Leute im Forst von Sherwood nicht immer das sind, was sie scheinen. Es ist hier schwer, eine Aaskrähe von einer Amsel zu unterscheiden.«

»Ich mag allerdings getäuscht worden sein«, sagte Hugh de Monthermer. »Ob es nun aber Aaskrähen oder Amseln waren: Sie hatten keine Dame bei sich. In Orton übernachtete ich im Hause des Vogts. Heute bei Tagesanbruch wurde ein Mann zu mir gebracht, der berichtete, dass er gestern gegen Mittag drei vornehme Damen zu Pferd, begleitet von einer Anzahl Männer zu Fuß, gesehen habe. Sie waren in Richtung Mansfield unterwegs.«

»Gab der Mann zu verstehen«, fragte der Graf, »dass die Leute, die die Damen begleiteten, Gewalt gebrauchten?«

»Nein«, erwiderte Hugh de Monthermer. »Er versicherte, dass sie ganz willig mit ihnen zogen. Dennoch nahm ich an, es könne niemand anderes sein als das von mir gesuchte Fräulein mit ihren Dienerinnen.«

»Als ob es kein Weib weiter auf der Welt gäbe als Lucy de Ashby!«, rief der alte Graf. »Was sagt Ihr dazu, Robin? Ihr solltet eigentlich wissen, ob sie hier langkam?«

»Keine vornehmere Dame als die Tochter eines Freisassen ist nach Mansfield unterwegs gewesen«, antwortete Robin Hood. »Aber hat Euch der gute Mann nicht mehr gesagt? Seine Nachrichten müssen ziemlich dürftig gewesen sein.«

»Er sagte mir«, erwiderte Hugh de Monthermer, und ein Lächeln zeigte sich für einen Augenblick auf seinem Gesicht, das sonst den Ausdruck von Besorgnis trug, »ich solle mich auf meinem Wege vorsehen, denn ich könnte leicht Robin Hood und seinen Leuten begegnen und mit einem Verlust heimkommen.«

»Hm! Und ohne Zweifel habt Ihr geantwortet, Ihr würdet Euch nicht fürchten, sondern wolltet Robin Hood, wenn Ihr ihn träfet, als Gefangenen nach Nottingham bringen?«

»Nein, im Gegenteil, ich habe ihm gesagt, dass ich sehr froh sein würde, Robin Hood zu sehen, und dass ich gewiss sei, wir würden uns als gute Freunde begegnen, da er und mein Oheim Seite an Seite für die gute Sache von Altengland gefochten hätten.«

Robin Hood bot ihm die Hand. »Ihr habt recht gesprochen, junger Lord, obwohl ich Euch sagen muss: Nicht jeder junge, muntre Herr, der den Sherwood passiert, kommt wieder heraus, ohne dass ihm sein schmuckes Fell vom Rücken gezogen wurde. Aber Ihr seid gerade zu rechter Zeit hier erschienen. Lasst Euern Oheim weiterziehen und dem Grafen von Ashby, wenn er ihn trifft, sagen, Robin Hood meine, der Verlust seiner Tochter sei die Strafe dafür, dass er ein Auge zugedrückt habe, als Richard de Ashby das Kind eines so ehrlichen Mannes, wie er selber ist, entführte. Wenn ich Lucy de Ashby in meinen Händen hätte, sie sollte nicht eher zurückkehren, als bis der alte Graf sein Wort gegeben hat, die eitle Kate Greenly zurückzusenden. Ihr aber, Lord Hugh de Monthermer, bleibt bei mir, um mit mir die Maßnahmen zu beraten, die nach den an mich einlaufenden Nachrichten erforderlich sind.«

Hugh de Monthermer warf einen misstrauischen Blick zuerst auf das Gesicht des Geächteten, dann auf das seines Oheims und fragte: »Habe ich Euer Wort, dass sie nicht hier entlanggekommen ist?«

»Ihr habt es!«, antwortete der Waidmann.

Der junge Mann sann ein paar Augenblicke nach, denn der Verdacht war in ihm aufgetaucht, dass Robin Hood mehr vom Schicksal von Lucy de Ashby wusste, als er zugab.

Doch in seine Überlegungen hinein sagte der alte Graf: »Es ist sehr wichtig, Hugh, dass Ihr, wenn möglich, hier bei Robin Hood bleibt, wie er von Euch verlangt. Nach Eurer Erzählung habt Ihr das junge Fräulein viel gründlicher gesucht, als ihr Euch verpflichtet hattet. Es ist mir auch mehr als wahrscheinlich, dass ein Beauftragter des Königs oder des Grafen von Gloucester – der kürzlich von de Montfort öffentlich zum Verräter erklärt wurde – sich der schönen Lucy bemächtigt hat als Geisel für ihres Vaters Neutralität.«

»Gloucester zum Verräter erklärt!«, rief Hugh de Monthermer aus. »Dann sind unruhige Zeiten zu erwarten, und ich will mich nicht weigern, hierzubleiben, wenn es nötig ist. Aber was soll ich mit meinen Männern anfangen? Zwei davon gehören dem Lord von Ashby. Und wo, meint Ihr, kann ich meine Pferde einstellen?«

»Schickt sie alle weg, außer Euerm eigenen Streitross«, sagte der Geächtete. »Ihr fürchtet Euch sicher nicht, allein zurückzubleiben bei Robin Hood – oder Robert von den Lees, wenn Euch der Name besser gefällt!«

»Nicht im mindesten. Ich weiß, ich bin bei Euch so sicher wie in meinem eignen Schloss. Nehmt denn meine Leute mit Euch, Oheim. Und Ihr, Freund«, fuhr er fort, zu einem der Diener des Grafen von Ashby gewandt, »berichtet Euerm Lord, dass ich das junge Fräulein mit allem Eifer gesucht habe, und bezeugt, das ich ...«

»Nun gut, ich will jetzt fort«, sagte der alte Graf ungeduldig. »Ich schlafe heute Nacht in Stapleford und ziehe morgen weiter nach Derby. Folgt mir schnell, Hugh. Solange Ihr im Sherwood hier bei unsern guten Freunden weilt, seid Ihr sicher, aber ich will Euch zehn Bogenschützen in Stapleford zurücklassen, und, falls ich die Straßen gefährlich finde, Euch auch einige Lanzen von Derby aus entgegenschicken. Wenn Ihr heute Nacht eingehende Nachrichten erfahrt, dass der Krieg schon begonnen hat, so verabredet mit dem kühnen Robin ein Aufgebot von so vielen Freisassen als möglich und kümmert Euch, dass sie zu mir stoßen, wo ich gerade darum dem Feind entgegentrete.«

Mit diesen Worten setzte der Graf den Fuß in den Steigbügel, schwang sich mit Leichtigkeit in den Sattel, ergriff noch einmal die Hand des Geächteten und ritt fort, von einem lauten Zuruf der Waidmänner begleitet.

»Jetzt, mein junger Lord«, sagte Robin, nachdem er ein paar Augenblicke dem tapferen, stattlichen alten Grafen nachgeschaut hatte, »nehmt ein Stück von dem Lendenbraten dort und einen Becher Bordeauxwein. Es wird Euch guttun.«

»Nein«, versetzte Hugh, »gebt mir einen von diesen Gerstenkuchen und den Wein, von dem Ihr sprecht. Wo rasten wir heute Nacht?«

»Etwa drei Meilen von hier, auf dem Weg nach Nottingham«, antwortete der Waidmann.

Während Hugh de Monthermer aß und trank, gab Robin John Naylor leise ein paar Befehle. Dann wandte er sich an die übrige Festgesellschaft.

»Jetzt, meine lustigen Männer und hübschen Mädchen, zerstreut Euch. Die tüchtige Schultern haben, sollen alles wegräumen, was übriggeblieben ist, und es den Armen in den Dörfern der Umgebung geben.«

Rasch begann sich die auf dem grünen Platz versammelte Menge zu zerstreuen. Einige schlenderten die Straße entlang fort, andere verschwanden unter den Bäumen, und die Zurückbleibenden zeigten sich geschäftig, die Schüsseln und Teller vom Tisch zu räumen.

Hugh de Monthermer hatte seine Mahlzeit rasch beendet. Sie bestiegen ihre Pferde und ritten fort in den Wald.

»Ihr werdet heute Abend besser speisen«, sagte Robin, während sie dahinritten.

»Ich weiß nicht«, versetzte der junge Lord. »Ich bin in Sorge um die junge Dame, Robin, und Sorge macht eine schlechte Tunke zu dem schmackhaftesten Braten.«

»Ist sie denn schön?«, fragte Robin mit einem schalkhaften Lächeln.

»Wahrhaftig, das ist sie!«, antwortete Hugh de Monthermer überzeugt. »Und mehr als schön. Sie hat jene Art von Zauber an sich, der sich mit nichts vergleichen lässt als mit dem hellen Morgensonnenschein, der alles, was er berührt, mit neuer Lieblichkeit erfrischt.«

»Seid Ihr gewiss, dass dieser Zauber nicht Liebe ist?«, fragte Robin Hood. »Aber lasst uns von andern Dingen sprechen. Hier müssen wir von der Straße abbiegen, und ich werde Euch nun über Pfade geleiten, die keinem Richter bekannt sind. Obgleich ich Eurer ritterlichen Ehre vertrauen könnte, muss ich doch von Euch eine Zusage verlangen, die jeder gibt, der diesen Weg geführt wird. Die nämlich, dass Ihr alles, was Ihr seht oder hört, bis wir wieder auf diese Straße zurückkehren, vergessen wollt, sobald Ihr mich verlasst, und es niemand mitteilen wollt. Niemand, nicht einmal Eurem Beichtvater!«

Hugh de Monthermer gab das von ihm verlangte Versprechen, ohne lange nachzudenken, und nachdem das geschehen war, geleitete ihn der Waidmann auf einem schmalen Pfad in ein Walddickicht, wo schöne alte Eichen über einer unermesslichen Menge von Gesträuch und Buschwerk emporragten.

Nach etwa einer halben Meile war der Weg zu Ende, aber Robin Hood ritt ohne Zögern weiter voran, mit großer Sicherheit die verschiedenen grünen Linien treffend, die eine Masse Buschwerk von der anderen trennten, geleitete seinen Begleiter einmal durch eine tiefe Schlucht, dann wieder um eine sandige Erhebung herum.

Als die Sonne unterging, hatten sie den tiefsten Punkt der Waldgegend erreicht und näherten sich einem mehrere Acres bedeckenden Walddickicht. Hier war auf einer Seite ein durch das Unterholz gehauener Pfad, den Robin und sein Begleiter einschlugen. Nachdem sie eine Weile im Dunkel weitergezogen waren – denn die Bäume ließen nichts von dem noch übrigen Tageslicht eindringen –, gelangten sie endlich auf eine Lichtung.

Vor sich erblickten sie ein Gebäude von eigentümlicher Bauart. Es bestand aus Feldsteinen, die aufeinandergetürmt und zusammengefügt waren, während Fenster und Türen Simse aus behauenem Stein hatten, überall von kurzen, schmalen Säulen gestützt. Efeu hatte den größten Teil des Gebäudes überwuchert, aber es drang Licht aus den Fenstern, und einen Augenblick hielt Robin Hood sein Pferd an, als wollte er lauschen.

»Hier«, sagte er schließlich, »lebte und herrschte ein angelsächsischer Recke, als die Bäume im Sherwood noch jung waren. Die Erinnerung an ihn ist entschwunden samt den Menschen, die darin wohnten, und es ist nun der Wohnsitz eines Sohns desselben Stammes, seit er geächtet wurde wegen seiner Liebe zu seinem Vaterland.«