Kapitel 29

29. Januar 2018

»Wir werden auspacken«, sagte Viktor, als der Airbus-Rover, in eine Staubwolke gehüllt, hinter dem Horizont verschwand.

»Worauf du dich verlassen kannst«, sagte Marc und ging mit den anderen in den Gemeinschaftsraum, wo sie sich um den Tisch versammelten.

»Was wollte Chen überhaupt von dir?«, wandte Viktor sich an Julia.

»Es ging hauptsächlich um Biologie. Ich habe ihm die Daten auf meinem Palmtop gezeigt. Dann haben wir ein Fachgespräch über Genetik geführt, in dessen Verlauf ich ihm sagte, daß das Fumarolen-Leben Ähnlichkeit mit den frühen Lebensformen auf der Erde hätte. Daß wir entfernte Verwandte seien.«

Viktor nickte. »Er will Proben?«

»Ja … er hatte ein paarmal danach gefragt. Zumindest wollte er sie sehen.«

»Zeig ihm doch ein Video«, sagte Marc.

»Aber nicht vom Abstieg in die Fumarole«, sagte Viktor. »Vielleicht von den Proben in den Petrischalen. Das wäre zu vertreten.«

»Er wollte ins Gewächshaus«, sagte Julia.

»Ist dir aufgefallen, daß er auf dem Rückweg zu ihrem Rover stehengeblieben ist und einen Blick darauf geworfen hat?«, fragte Raoul.

»Ja«, sagte Marc. »Er war so versessen darauf, daß man es förmlich spürte.«

»Er wußte, daß wir ihm auf die Finger gehauen hätten, wenn er versucht hätte, dort einzudringen«, sagte Viktor und schniefte.

»Richtig«, sagte Marc, »aber wir hätten schon fünf Minuten gebraucht, nur um die Anzüge anzulegen.«

Julia grinste schelmisch. »Ich würde die Strecke auch ohne Anzug bewältigen. Meine Proben kriegt er jedenfalls nicht.«

»Hast du ihm etwa angeboten, die Proben gemeinsam zu untersuchen?«, hakte Viktor nach.

»Sicher. Und ich habe ihm in Aussicht gestellt, mit mir in die Fumarole abzusteigen.«

Die Männer schauten konsterniert. »Dann schlag dich doch gleich auf seine Seite«, sagte Raoul. »Ich wette, er freut sich über jede Hilfe.

Vielleicht lädt er uns dafür zum Mittagessen ein oder so.«

»Ein Abstieg mit ihm kommt nicht in Frage«, sagte Viktor.

Julia sagte nichts. Irgendwie wußten alle, daß noch mehr dahintersteckte. Niemand sagte etwas. »Er hat mir den Rückflug angeboten, falls ich mit ihm kooperiere.«

Wie zu erwarten gewesen war, machte jeder sich auf seine Art Luft. Raoul hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, Marc sprang wie von der Tarantel gestochen auf, und Viktor stieß ein lautes, verächtliches Grunzen aus.

»Bastard!«, schrie Raoul. »Er will uns gegeneinander ausspielen.

Ich wußte es.«

»Das wird nicht funktionieren«, sagte Marc und ging im Raum auf und ab. »Der Rest von uns hätte ihm nämlich gar nichts anzubieten.«

»Im Moment stimmt das wohl«, sagte Viktor nachdenklich. »Einen Piloten hat er schon. Ich bezweifle auch, daß er sich für Marcs Steinesammlung interessiert, aber bei den Bohrkernen sieht das schon anders aus. Ich glaube, Raoul wäre nützlich für sie.«

Raoul blinzelte. »Wie das?«

»Wer in den Pingos nach Eis schürft, betritt Neuland. Dafür braucht man einen guten Ingenieur. Ingenieure. Gerda ist zwar kompetent, aber allein wird sie die Arbeit kaum schaffen.«

Raoul vermochte sein Interesse nicht zu verbergen – jedenfalls nicht vor Leuten, mit denen er schon seit Jahren zusammenlebte.

»Meinst du?«

»Wenn sie nicht genug Wasser haben, werden sie das beste Startfenster verpassen. Je länger sie warten, desto mehr Wasser werden sie brauchen. Die Regeln der Orbitalmechanik sind unerbittlich.

Wäre durchaus möglich, daß sie noch einen fähigen Kollegen brauchen.«

»Unsinn!«, sagte Marc.

»Das bezweifle ich«, sagte Raoul zögerlich, und es klang auch nicht sehr überzeugend für Julias Ohren.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Viktor. »Die Kommandanten sollten entscheiden, wer mitfliegt. Keine Händel.«

»Was hast du ihm gesagt?«

»Ich habe natürlich abgelehnt.«

Raoul wahrte mühsam einen unbewegten Gesichtsausdruck, doch seine Stimme war angespannt. »Wirklich? Du willst auf den Proben sitzenbleiben und auf den Rückflug verzichten?«

»Darauf kannst du wetten.«

Niemand sagte etwas, doch spürte Julia förmlich die wilden Mutmaßungen, die im Raum angestellt wurden. Sie vermochte nicht zu sagen, ob sie ihr glaubten. Sie war froh, als das Nachrichten-Signal ertönte. Es war natürlich Axelrod. Marc ließ die Überrang-Mitteilung ablaufen und setzte sich wieder.

»Ich weiß Bescheid, Leute. Dieser Hundesohn von Chen! Ein Platz, sagt er.«

Axelrod ging vor dem Schreibtisch auf und ab, und durchs Panoramafenster im Hintergrund sah man die Lichter der abendlichen Stadt. Die Zeitverschiebung zwischen den Rotationen der beiden Planeten spielte schon seit langem keine Rolle mehr für die Mars-Astronauten; nach ihrer Uhr wuchs ihr Vorsprung jeden Tag um etwas über eine halbe Erdstunde.(Der Marstag dauert 24 h 37 min.) Und doch war Julia irgendwie erstaunt, den Vollmond am hellen Abendhimmel hängen zu sehen.

Die behagliche Erde war eben weit vom unwirtlichen Mars entfernt.

Axelrod wirkte derangiert und war grau im Gesicht. »Glaubt nur nicht, daß ihr mit ihm verhandeln müßtet. Ich stehe mit seinen Bossen in Verbindung. Sie machen es spannend. Sie sagen nicht, wieviele Plätze sie höchstens bereitstellen könnten. Chen sagt, er habe noch einen Platz frei. Weil wir die konstruktiven Details ihres Schiffs nicht kennen, halten meine Ingenieure diese Angabe jedoch für plausibel.«

»Deckt sich mit dem, was ich während der Ausbildung in Erfahrung gebracht habe«, sagte Marc.

»Sie kommen immer wieder auf Ihre Proben zu sprechen, Julia. Ich glaube, das ist der Ansatzpunkt. Glaube ich wirklich. Sie werden ihm nichts sagen, was ihn zu dieser Fumarole führen würde. Rein gar nichts. Vielleicht braucht er nur Ihren Spuren zu folgen. Sie erzählen ihm überhaupt nichts von der ganzen Sache.«

»Ein bißchen spät, Axy«, sagte Raoul spöttisch. »Die alte Zeitverschiebung schlägt wieder zu.«

»Wir haben lediglich Theorien erörtert und über Genetik gesprochen«, rechtfertigte Julia sich.

Axelrod schaute verschmitzt in die Kamera. »Eins habe ich in harten Verhandlungen wie dieser jedenfalls gelernt. Man muß unbedingt die wahre Position des Gegenspielers ermitteln. Was er haben will. Damit er kein Schnäppchen macht, während Sie glauben, er hätte es auf etwas anderes abgesehen.«

»Das ist schon bewundernswert«, sagte Marc. »Er hat keinen Trumpf in der Hand, bleibt aber im Spiel.«

»Er ist in dieser Disziplin bewandert«, sagte Viktor. »Wir nicht.«

Axelrod breitete die Arme aus. »Angenommen, sie brauchen ein Ersatzteil oder etwas in der Art. Dann wird er sich an Sie wenden, Raoul. Oder vielleicht brauchen sie wirklich Brennstoff, wo sie davon gesprochen haben, in den Pingo-Hügeln zu schürfen. Das hat noch niemand gemacht, nicht wahr? Also war das auch kein Bestandteil der Ausbildung – Marc war noch nicht einmal bis zum Eis vorgestoßen, als sie die Pingos mit dem Abgasstrahl knackten. Wäre möglich, daß sie nicht die erforderliche Ausrüstung haben. Oder daß es von vornherein unmöglich ist, und diese Ingenieurin, diese Gerda, weiß das bereits.«

»Da ist was dran«, sagte Marc.

Axelrod führte seine Überlegungen fort. Er sprach aus dem Stegreif, anstatt einen sorgfältig konzipierten Text vorzutragen, der ihre Moral festigen sollte. »Teufel, vielleicht kommen sie noch an und betteln um euer Methan. Sie erzielen mit einem Liter Flüssigkeit mehr Schub als wir, richtig? Ihr Brennstoff hat den zwei- bis dreifachen Wirkungsgrad, wie die Ingenieure mir sagen. Sie würden für den Rückflug nicht annähernd so viel Brennstoff brauchen wie ihr.

Also werden sie vielleicht versuchen, euch etwas abzuluchsen.«

»Er redet nur«, sagte Raoul. »Keiner von seinen Leuten hat bisher etwas herausgefunden.«

»Noch nicht«, sagte Julia. »Aber das wird sich vielleicht noch ändern.«

»Was ich also damit sagen will, ist: ihr gebt ihnen nix, nada, null.

Wartet auf weitere Mitteilungen von uns, und insbesondere von mir.« Axelrod blinzelte. »Ich weiß, daß ihr Leute einen schweren Stand habt. Vertraut mir. Ich bin sicher, daß wir das irgendwie deichseln.«

»Er ist sich überhaupt ziemlich sicher, oder?«, sagte Marc spöttisch.

Axelrod straffte sich und schaute direkt in die Kamera. »Julia, Sie sind die wichtigste Person. Die Entdeckung des Fumarolen-Lebens war ein Kracher für die Medien. Hat voll eingeschlagen. Wir bauen Sie zum einen als Heldin und zum anderen als Super-Wissenschaftlerin auf. Zum Schutz der Erde untersuchen wir dieses Ding auf Herz und Nieren, ehe wir auch nur daran denken, es mitzunehmen.

Das Fumarolen … he, lassen wir uns eine bessere Bezeichnung dafür einfallen, wie? ›Fumarolen-Leben‹… ich habe nämlich den Eindruck, daß das nicht so gut rüberkommt.«

Dann war er mit seiner Kraft am Ende, ließ das Gespräch mit ein paar Floskeln ausklingen und meldete sich dann ab.

Niemand sagte etwas. »Glaubt ihr, den PR-Leuten gefällt meine

›Mars-Matte‹?«

»Mir gefällt ›Mars-Pilz‹ trotzdem besser«, sagte Viktor.

Die anderen lachten pflichtschuldig und verstummten wieder.

»Er ist sich so verdammt sicher, daß er die Sache irgendwie deichselt«, sagte Raoul säuerlich.

»Dafür will er natürlich einen Anteil am Mars-Preis«, sagte Marc.

»Jeder von uns wird seinen Beitrag leisten«, bekundete Viktor seine Loyalität.

»Vielleicht schindet er zwei Plätze heraus«, sagte Julia.

Raoul schaute grimmig. »Es geht hier um Sachzwänge, Leute. Dieses Schiff hat schlicht und einfach einen begrenzten Rauminhalt.

Wollt ihr etwa ein halbes Jahr lang zwischen den ›Airbus-Drillingen‹ herumkriechen?«

»Und umgekehrt«, sagte Marc.

»Nicht, daß es dir etwas ausmachen würde«, sagte Raoul.

»Hä? Wie soll ich das denn verstehen?«

»Du und Claudine, ihr nutzt doch jede Gelegenheit, um euch zu verdrücken und miteinander rumzumachen«, sagte Raoul mit belegter Stimme.

»Was ist los?«, fragte Marc zornig.

»Das ist doch verdammt offensichtlich.«

»Wir haben uns während der Ausbildung kennengelernt und sind ein paarmal zusammen ausgegangen. Mehr war nicht.«

»Du würdest aber gern mit ihnen zurückfliegen«, empörte Raoul sich.

»Natürlich; wer wollte das nicht?« gab Marc ihm Kontra.

»Und du weißt auch, wo die Fumarole ist, nicht wahr?«, giftete Raoul.

Marc sprang auf. »Willst du damit sagen, ich würde …«

»Ich will damit nur sagen, daß du ein Motiv hättest«, sagte Raoul mit finsterem Blick.

Marcs Hände zuckten. »Quatsch! Ich würde nie …«

»Natürlich würde er nicht«, sagte Viktor milde. »Setz dich wieder hin, Marc.«

»Er hat mir unterstellt, ich würde …«

»Er hat sich verplappert«, fiel Viktor ihm ins Wort und musterte Raoul mit kühlem und festem Blick. »Ich bin mir sicher, daß es ihm leid tut.«

»Ich wollte gar nicht sagen, daß du das wirklich tun würdest.«

Raoul schaute in seine Tasse. »Axy sagte doch, wir sollten alle Möglichkeiten durchspielen, stimmt’s? Und das ist eben eine Möglichkeit, die Chen sicher auch in den Sinn kommen wird.«

Für Julia war das zwar eine schwache Begründung, doch Viktor nickte. »Er wird vielleicht versuchen, einen Keil zwischen uns zu treiben.«

»Die Sache ist die«, murmelte Raoul düster in seine Tasse, »ich muß auf dem gottverdammten Video sehen, wie mein Sohn aufwächst. Seine ersten Schritte habe ich einen Tag später auf Band gesehen, weil wir zu dem Zeitpunkt gerade draußen waren. Und bald wird er schon zwei Jahre alt!«

»Wir wissen, daß es schwer für dich ist«, versuchte Julia ihn zu trösten.

Raoul schaute ihr in die Augen. »Und was hätte ich Chen anzubieten? Nichts, außer ihm dabei behilflich zu sein, Wasser aus den Pingos zu gewinnen. Falls sie überhaupt dazu Hilfe brauchen.«

»Das steht doch gar nicht in seinem Ermessen«, sagte Viktor geduldig.

Julia hatte einen Kloß im Hals. Sie war bisher nicht in der Lage gewesen, Raoul auf die Trennung von Katherine anzusprechen – und das, obwohl sie auf der Mission als inoffizielle psychologische Betreuerin fungierte. Doch anscheinend war er auch nicht imstande gewesen, sich in dieser Hinsicht zu artikulieren. »Wir werden gemeinsam eine Entscheidung treffen.«

»Nein«, sagte Viktor. »Ich werde das für uns tun.«

»Kann nicht gerade behaupten, daß mir das gefällt«, sagte Raoul und nahm einen Schluck aus der Tasse, als ob er seiner Aussage Nachdruck verleihen wollte.

»Ich entscheide zum Besten der Mission«, sagte Viktor.

Raoul musterte Viktor, und aus seinem Gesichtsausdruck schloß Julia, daß er davon absah, eine Front gegen Viktor zu eröffnen – zumindest für den Augenblick. »Ich habe den Eindruck«, sagte Raoul bedächtig, »daß meine Chancen am besten stehen, wenn wir Strohhalme ziehen.«

»Vernünftiges Abwägen ist immer besser als ein riskantes Spiel«, sagte Viktor.

»Vor allem, wenn Leben auf dem Spiel steht«, pflichtete Julia ihm bei. Ihr war warm, als ob sie selbst in Rage geriete. Oder vielleicht, sagte sie sich reumütig, fühlte sie sich auch nur schuldig. Sie hatte schließlich den Platz abgelehnt, auf den Raoul so scharf war. Viktor setzte sich gerade hin; ein untrügliches Zeichen, daß er die Diskussion voranbringen wollte. »Wir sollten uns mit dem Methan befassen.«

Marc legte den Kopf schief. »Du meinst Axys Idee?«

»Nein, das Methan, das wir brauchen, um das nächste Startfenster in zwei Jahren zu durchstoßen.«

* * *

»Das ist aber eine Menge«, sagte Raoul und schüttelte den Kopf.

Seine gutturale Stimme sagte Julia, daß es ihn wurmte, daß sein Vorschlag mit dem Strohhalm-Ziehen so schmählich ignoriert worden war.

Es war offensichtlich, daß er litt. Es war eine unmögliche Situation für jeden von ihnen, nur daß Raoul es viel schwerer nahm als die anderen. Der Machismo fordert wieder seinen Tribut.

»Die Delta Vau ist fast doppelt so hoch wie die maximale Leistung unseres ERV.« Viktor gab einen Befehl in seinen Rechner ein, worauf das Ergebnis auf dem Flachbildschirm ausgegeben wurde. Sie alle studierten die Daten für eine Weile: die erforderlichen Rendezvous-Geschwindigkeiten, Brennstoffverbräuche, Dauer der jeweiligen Trajektorien – für ein Bündel von Rückflug-Trajektorien im Start-Fenster. »Also wird der Brennstoffverbrauch fast viermal so hoch sein wie ursprünglich veranschlagt.«

»Sie werden uns ein ERV mit viel größeren Tanks schicken müssen«, sagte Raoul mit monotoner, emotionsloser Stimme. »Und reichlich Wasserstoff.«

»Es sei denn, wir gehen nach einem anderen Schema vor«, sagte Viktor. »Wir zerlegen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff und lagern beides getrennt. Dann müssen wir das ERV nur noch betanken, nachdem es gelandet ist.«

»Und wie soll das gehen?« fragte Marc, um gleich darauf mit den Fingern zu schnippen. »Sicher! Wir bauen Pingo-Eis ab und schmelzen es zu Wasser.«

»Bisher«, sagte Viktor, »war das unmöglich. Wir hatten weder Schläuche noch Zirkulierkammern oder Behälter. Doch wo Airbus nun hier ist, sieht das anders aus. Sie müssen solche Gerätschaften haben.«

»Claudine sagte, sie sei für ein paar Tage nur mit dem Aufbau beschäftigt gewesen«, sagte Marc. »Wegen der hohen Wärmeleistung des Reaktors haben sie ihn nur einmal hoch- und wieder heruntergefahren.«

»Sie haben wohl einen großen Reaktor«, sagte Raoul; »uns stehen aber auch hundertvierzig Kilowatt zur Verfügung. Die drei nuklearen Heizgeräte dienen hauptsächlich der Stromerzeugung, aber ich könnte sie modifizieren und eine Kammer aus Ersatzteilen bauen, falls notwendig …«

»Dann hätten wir also genug Brennstoff, wenn das ERV landet?«, fragte Julia. »Und wären in der Lage, das Schiff sofort aufzutanken und müßten nicht warten, bis das ERV Methan aus dem CO2 der Mars-Atmosphäre gewonnen hat?«

»Es würde aber die Wahl der Trajektorien beeinflussen«, sagte Viktor.

»Melden wir das gleich der Erde!«, sagte Marc freudig.

»Das bedürfte noch einiger Überlegungen«, sagte Raoul bedächtig.

»Aber ich glaube nicht, daß es viel bringen würde.«

»Wieso nicht?«, fragte Marc überrascht.

»Weil es nach der Landung des ERV auf absehbare Zeit kein günstiges Fenster geben wird. In ein paar Monaten wird sich ein Fenster für den Start von der Erde öffnen. Doch wenn das ERV erst einmal hier ist, gibt es keinen einfachen und kostengünstigen Weg zurück.«

Viktor nickte. »Das deckt sich mit meinen Berechnungen. Aber die Erde ist vielleicht in der Lage …«

»Das ist doch ein Hirngespinst«, sagte Raoul in einer Aufwallung von Zorn. »Du machst uns hier bloß falsche Hoffnungen.«

Viktors Gesicht verhärtete sich. »Ich spiele nur alle Möglichkeiten durch!«

»Du willst über Methan sprechen«, sagte Raoul hitzig. »Ich würde sagen, wir beschützen das, was wir haben. Das ERV dort drüben hat genug Methan in den Tanks, um die Airbus-Rakete zurück zur Erde zu bringen. Sie wären schön blöd, wenn sie es nicht versuchen würden.«

Julia wollte schier verzweifeln. Nicht schon wieder.

Marc blinzelte. »Versuchen … es zu stehlen?«

»Axy hatte recht. Wenn sie es nicht auf legalem Weg bekommen, wieso es sich nicht einfach nehmen?«, sagte Raoul. »Sollen die Anwälte sich doch streiten, wenn sie schon auf dem Rückflug zur Erde sind.«

»Ja, das ist typisch NASA, nicht wahr?«, sagte Marc nachdenklich.

»Axy hat zwar einen Handel abgeschlossen, aber einen mit Haken und Ösen …«

»Wir werden das aber nicht zulassen«, sagte Viktor mit Nachdruck.

»Angenommen, sie kommen mit ihrer Atomrakete angeflogen und nehmen es sich einfach?«, fragte Raoul patzig.

»Sie werden es gar nicht erst versuchen«, sagte Julia mit bemüht fester Stimme, wobei sie aber das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde glühen.

»Wer weiß …?«, sagte Raoul. »Ich will damit sagen, es wäre durchaus möglich, daß sie hier auftauchen und uns zu einem Handel zwingen wollen.«

»Im Gegenzug wofür?«, fragte Julia.

»Zum Beispiel für einen zweiten Platz?«, sagte Raoul schelmisch.

»Was für ein Unsinn! Ein Verschwörungstheorie-Alptraum«, sagte Julia.

»Ich habe darüber nachgedacht, seit der Boss das Problem angeschnitten hat«, sagte Viktor ruhig. »Wir müssen das Methan nicht sichern.«

»Axy hat aber noch mehr gesagt«, brauste Raoul auf. »Daß sie vielleicht Ersatzteile oder etwas in der Art brauchen. Daß sie sich vielleicht nachts anschleichen und sich das Zeug beschaffen.«

»In meinen Augen geht von ihnen keine Bedrohung aus«, sagte Viktor mit unerschütterlicher Ruhe.

»Für dich ist wohl alles in Butter, was?« sagte Raoul mit erhobener Stimme und fuchtelte mit der halb zur Faust geballten rechten Hand. »Du sonnst dich in deinem Kommando wie … wie ein gottverdammter Potentat…«

Er unterstrich das Wort mit einer ausladenden Geste – und fegte dabei versehentlich die Kaffeetasse vom Tisch. Sie prallte auf den Boden und zersplitterte.

Alle hielten die Luft an. Raoul drehte sich wie in Trance um. Er schaute auf die Scherben, die klirrend von der Wand aufgehalten wurden. Sein entsetzter Blick und der in schierer Verzweiflung halb geöffnete Mund gefroren in dem Augenblick in Julias Bewußtsein, als über ihr selbst eine Woge der Desintegration zusammenschlug.