DIE SUFFRAGETTE

1908

DER KLEINE HENRY MEREDITH WEINTE. Gerade war er ordentlich verdroschen worden. Die Tatsache, daß Mr. Silversleeves, Housemaster in seinem Internatsgebäude und Mathematiklehrer, mit ihm verwandt war, hatte keinerlei Unterschied gemacht; zudem war diese Bestrafung nichts Ungewöhnliches. Rohrstock, Rute und Riemen wurden in England, Amerika und vielen anderen Ländern ausgiebig angewandt. Während Eton und ein oder zwei andere Schulen ein individualistischeres Ethos pflegen mochten, gehörte Charterhouse zu den Privatschulen, deren erster Zweck darin bestand, ihren Zöglingen die Frechheit auszuprügeln. Silversleeves tat nur seine Pflicht, wie er und der kleine Meredith wohl wußten.
Es gab noch einen Grund für das Elend des Jungen – er war furchtbar hungrig. Die Schule im Charterhouse bestand seit 1614. Sie war siebzig Jahre, nachdem Heinrich VIII. die letzten Mönche verjagt hatte, gegründet worden. Vor kurzem war die Schule in ein neues Gebäude dreißig Meilen südwestlich von London umgezogen – eine berühmte alte Schule, und die Eltern bezahlten gutes Geld, um ihre Söhne hierher zu schicken.
Doch entweder wußten sie es nicht oder hielten es nicht für wichtig, daß ihre Kinder hier kaum etwas zu essen bekamen. Brotscheiben, nur dünn mit Butter bestrichen, Eintopf oder Schleimsuppe in winzigen Mengen, Kohl, dafür Unmengen eines kaum eßbaren süßen Brotpuddings – das war das Essen privilegierter Schuljungen, die streng erzogen werden sollten. Wer das überstand, sollte das Empire regieren. Ohne die Pakete seiner Mutter hätte Meredith Hunger gelitten.
Aber als er zu seiner harten Bank in dem Klassenzimmer zurückschlich, zu dem Pult, in dem die Namen früherer Leidtragender tief eingeritzt waren, mußte Henry Meredith seine Tränen nicht wegen des Schmerzes oder des Hungers hinunterschlucken, sondern wegen eines Zeitungsartikels, den ein älterer Junge ihm an diesem Morgen gezeigt hatte.
Als der Einspänner an diesem Herbsttag durch das Parktor von Bocton fuhr, konnte Violet immer noch nicht begreifen, daß ihre Mutter nicht dasein würde. Mary Anne war im Jahr zuvor gestorben; von den vier Schwestern Dogget lebte nur noch Esther Silversleeves.
Es war eine lange Auffahrt, und Violet umklammerte nervös die Hand ihrer sechsjährigen Tochter. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen, redete sie sich selbst gut zu, als sie ihren Vater erblickte, der vor dem Haus auf sie wartete.
Kompliziert wurde die Situation, weil Edward Bull so gut zu ihnen war. Da Meredith so kräftig und schlank geblieben war, hatte Violet gedacht, er würde sehr alt werden. Sie hatte zwei Söhne bekommen, und dann noch ihre kleine Tochter Helen, als Meredith schon über siebzig war. Es hatte sie sehr getroffen, als er vor drei Jahren plötzlich einem Herzanfall erlegen war und weniger Geld hinterlassen hatte als erwartet. Sie waren nicht arm, aber um einen angemessenen Haushalt aufrechtzuerhalten und die Schulen der Kinder zu finanzieren, nahm sie dankbar die Hilfe ihres Vaters an.
Zwei Stunden lang, während sie durch den Wildpark spazierten und Edward Bull in dem alten ummauerten Garten mit seiner Enkelin spielte, sagte er nichts. Erst als die Haushälterin Helen in ihr Zimmer brachte und sie allein in der Bibliothek blieben, nahm er die Zeitung und legte sie neben Violet auf das Sofa. »Ich sehe, du hast mit dem Premierminister gesprochen.«
Es war kein neues Thema, mit dem sie an den großen Mann herangetreten war. Seit der großen Wahlreform von 1832 war die Demokratie immer weiter vorangeschritten. Zwei weitere Gesetze hatten zuerst der Mittelschicht und dann den bessergestellten Arbeitern das Wahlrecht verliehen. Etwa zwei Drittel der volljährigen Männer in England konnten nun wählen – aber keine Frauen. Schon seit vierzig Jahren hatte eine Gruppe ehrbarer Ladys als sogenannte Stimmrechtlerinnen gegen diese Ungerechtigkeit protestiert, aber nichts erreicht. Vor fünf Jahren war nun eine neue Vereinigung aufgetaucht, angeführt von der leidenschaftlichen Mrs. Pankhurst. Bald waren die Ladys als »Suffragetten« bekannt. Taten, nicht Worte, war ihr Motto. Sie wählten sich ihre eigenen Farben – Rot, Weiß und Grün –, die sie auf Schärpen, Fahnen und Plakaten verwendeten; sie hielten öffentliche Versammlungen ab und störten bei Parlamentswahlen. Und sie hatten sich darauf verlegt, auf der Straße bekannte Politiker anzusprechen.
Vor einer Woche hatten zwei ehrbar aussehende Damen, die die ausladenden, mit Federn geschmückten Hüte trugen, die in England zur Zeit König Eduards modern waren, vor dem Amtssitz des Premierministers, Downing Street 10, gewartet. Als Mr. Asquith erschien, gesellten sie sich zu ihm, eine links, eine rechts, und schritten zur Freude des Journalisten der Times und des Photographen, dem man einen Wink gegeben hatte, den ganzen Weg entlang Whitehall neben ihm her, wobei sie sich höflich erkundigten, was er für das Frauenwahlrecht unternehme, bis er sich in den Schutz der Parlamentsgebäude rettete. Eine der beiden Damen wurde am nächsten Tag in der Zeitung als Violet identifiziert.
»Du hast Glück, daß man dich nicht verhaftet hat«, sagte Bull.
Edward Bull war sanfter geworden, seit er nach Bocton gezogen war. Seine Söhne führten nun die Brauerei, und er genoß das Leben eines Gutsherrn. In den Grundbüchern hatte er entdeckt, daß der Besitz einmal einer Familie namens Bull gehört hatte. »Die haben mit uns natürlich nichts zu tun«, hatte er munter bemerkt. Er wurde nicht einmal ärgerlich, als Violet ihre Sympathien für die Suffragetten erklärte, obwohl seine eigene Haltung unverändert geblieben war. Frauen sollten das Haus zieren, und nicht nur die Männer, sondern auch die meisten Frauen stimmten ihm zu. Eine Frauenorganisation gegen das Stimmrecht war gegründet worden; die prominente Romanschriftstellerin Mary Augusta Ward schrieb in ähnlichem Sinn. Frauen würden durch Politik verdorben; Ritterlichkeit würde aussterben. Es war ein merkwürdiger Zug der spätviktorianischen Zeit und der eduardischen Herrschaft, daß sich selbst Frauen aus der Mittelschicht – teilweise aufgrund eines Wiederauflebens der ritterlichen Artusliteratur, teilweise aufgrund wachsenden Wohlstandes, der einem größeren Kreis von Frauen ein müßiges Leben ermöglichte – einbildeten, so zerbrechlich zu sein wie eine Modedame des achtzehnten Jahrhunderts. Ihre weiblichen Vorfahren hätten darüber nicht wenig gestaunt.
»Alles nur, weil ich dich nicht auf die Universität gehen lassen wollte«, schloß Bull.
»Nein, Papa. Ist es richtig, daß eine Frau Bürgermeisterin, Krankenschwester, Ärztin, Lehrerin – oder auch eine gute Mutter sein kann, ihr aber das Wahlrecht verweigert wird? Da war es ja im Mittelalter besser! Hast du gewußt, daß Frauen damals den Londoner Gilden beitreten konnten?«
»Sei nicht albern, Violet.« Edward kannte die City; der Gedanke, eine der Livreegesellschaften könnte Frauen zulassen, war absurd. Er wäre erstaunt gewesen zu erfahren, daß seine eigene Brauerei durch Dame Barnikel an ihn gekommen war. »Jedenfalls unterstützt euch keine einzige politische Partei.« Das stimmte. In jeder Partei gab es Befürworter und Gegner, aber keiner der Führer konnte entscheiden, ob ein Frauenwahlrecht zu seinem politischen Vorteil wäre. Selbst die Radikalsten waren weit mehr interessiert daran, daß mehr Arbeiter wählen durften, als sich um Frauen zu kümmern.
»Dann machen wir weiter, bis sie es tun«, konterte Violet.
»Aber eure Kampagne gibt ein schlechtes Beispiel«, bekannte er. »Verstehst du nicht, daß es nur die niederen Klassen ermutigt, dasselbe zu tun, wenn Leute wie wir anfangen, öffentlich zu agitieren? Und die Lage ist schon gefährlich genug.«
Dieser letzten Äußerung konnte Violet zustimmen. Als das Jahrhundert dahingegangen war und Königin Viktoria mit ihm, sah sich der neue König Eduard einer zunehmend unsicheren Welt gegenüber. Den Krieg gegen die holländisch sprechenden Buren in Südafrika hatte man nur mit Mühe und einigen Zweifeln an seiner moralischen Berechtigung gewonnen. In Indien begannen die Menschen gegen die britische Herrschaft zu murren. Obwohl der deutsche Kaiser ein Neffe König Eduards war, erweiterte das Deutsche Reich seine militärische und koloniale Macht auf bedrohliche Weise. Auch der britische Handel sah sich nun heftiger Konkurrenz ausgesetzt, so daß selbst standhafte Freihändler wie Bull sich zu fragen begannen, ob der riesige Wirtschaftsraum des Empires nicht besser mit Zöllen geschützt werden sollte. Die Frage, ob man den Iren die Selbstverwaltung gewähren sollte, hatte die liberale Partei gespalten. Doch der beunruhigendste Aspekt des neuen Zeitalters unter Eduard lag viel näher.
Die enormen Ungleichheiten und Probleme des neuen Industriezeitalters waren nicht gelöst. Zwar amüsierte König Eduard seine weniger puritanischen Untertanen mit seinem lebendigen Hof und seinem prächtigen Stil, doch waren sie auch beunruhigt über die Unsicherheit dieser ungelösten Spannungen. Die von Marx prophezeite große sozialistische Revolution war zwar noch nicht eingetreten, doch die Gewerkschaften um die Jahrhundertwende hatten zwei Millionen Mitglieder und rechneten damit, bald auf vier Millionen anzuwachsen. Bei den letzten Wahlen hatten sie ihre eigene politische Partei aufgestellt, die sich bereits als kommende dritte Kraft zeigte. Im Augenblick waren die Parlamentsmitglieder der Labour Party (nur wenige davon wirkliche Sozialisten) bereit, die liberale Regierung zu unterstützen, deren radikaler Flügel, angeführt von dem brillanten Waliser Lloyd George, sich dazu verpflichtete, Sozialleistungen für die Armen einzuführen. »Aber das konservative House of Lords wird sogar das niederstimmen«, prophezeite Bull. »Und was passiert dann? Es wird neuen Arger geben. Und ihr heizt ihn an. Habt ihr an eure Kinder gedacht? Ist das ein gutes Beispiel?«
»Die Kinder sind stolz auf mich!« erwiderte Violet stürmisch. »Sie wissen, daß ich mich für eine gute und moralische Sache einsetze. Ich zeige ihnen, wie man für das Richtige eintritt.«
Sein Bruder war mit seinen Clownereien manchmal wirklich albern, dachte Percy Fleming. Echt Herbert. Eine kleine Menschengruppe war stehengeblieben und starrte zu ihm hinauf, wie er auf der Mitte der Tower Bridge stand. »Entscheide dich, Percy!« rief er. »So lange bleibe ich hier stehen, auch wenn die Brücke aufgeht!«
Unter den Menschen war auch eine sehr respektabel aussehende junge Frau – vielleicht ein oder zwei Jahre älter als er, vermutete Percy. Er fragte sich, was sie von dem Ganzen hielt.
Percy Fleming war ein glücklicher Mann. In der vierten Generation umfaßte die Nachkommenschaft Jeremy Flemings, des Angestellten der Bank von England, insgesamt dreißig Menschen. Manche hatten es zu etwas gebracht, manche nicht. Viele lebten nicht mehr in London. Percys und Herberts Vater hatte einen Tabakwarenladen in Soho gehabt, ein Stückchen östlich der Regent Street. Als Percy noch ein Kind war, hatte das Straßenbauamt in Soho zwei große Straßen gebaut – die Charing Cross Road, die vom Trafalgar Square aus nach Norden ging, und die Shaftesbury Avenue, die zum Piccadilly Circus führte und schon seit langem von Theatern gesäumt wurde. Während Herbert das unkonventionelle Soho des Theaters liebte, fühlte sich Percy mehr zu der ruhigeren Seite der Regent Street hingezogen, die nach Westen in das gesetzte Mayfair mündete. Hier gab es noch einige altehrwürdige Geschäfte hugenottischer Uhrmacher und Handwerker, doch der am häufigsten vertretene Berufsstand des Viertels, in der Savile Row hinter dem Burlington House, waren die Londoner Schneider.
Percys Vater, obwohl Tabakhändler, hatte viele Bekannte unter den Geschäftsleuten. »Die goldene Meile nennt man sie«, sagte er immer. »Sobald ein Kunde durch die Tür kommt, sehe ich, ob er einen Anzug aus dem Westend trägt. Gott hat die Menschen nicht in Standardgrößen geschaffen. Ein gut geschnittener Anzug paßt so perfekt, daß ein Mann nicht einmal spürt, daß er ihn anhat. Ware von der Stange hat keinen Stil.«
Percy fand die goldene Meile wundervoll. Als Kind sah er den Lehrlingen und Laufburschen zu, die Muster auslieferten und Botengänge erledigten. Durch seinen Vater freundete er sich mit manchen Zuschneidern an. Während sein Bruder Herbert nach einem kurzen Flirt mit dem Theater einen Posten als Angestellter antrat, wollte er die fünf oder sechs Lehrjahre als Schneider ableisten. Als er schließlich einen Schneidermeister fand, der ihn nahm, und seinem Vater davon erzählte, war Fleming senior wahrhaft beeindruckt. »Tom Brown!« rief er begeistert. »Das nenne ich einen richtigen Schneider für Gentlemen, Percy.«
Bei Tom Brown lernte Percy sechs Jahre lang, und er war so geschickt, daß Mr. Brown ihm danach ein gutes Angebot für eine Anstellung machte. Doch Percy hatte etwas anderes im Sinn. Es war nicht ungewöhnlich, daß ein geschickter Schneider sich selbständig machte. Er war sicher, daß Tom Brown ihn weiter beschäftigen würde, und zudem konnte er Aufträge von anderen Schneidern annehmen. Wenn man gut war und lange Arbeitszeiten akzeptierte, konnte man mehr verdienen als ein Angestellter. Der eigentliche Anstoß aber war von Herbert gekommen.
»Ich sehe dich so selten, Percy«, sagte er, »und du bist jetzt alles, was ich an Familie habe.« Beide Eltern waren gestorben. »Warum suchst du dir nicht eine Wohnung in der Nähe von mir und Maisie? Die Luft da oben in Crystal Palace ist viel besser für deinen Husten.«
Nachdem der Kristallpalast nach der Weltausstellung abgebaut worden war, hatte ihn eine Unternehmensgruppe gekauft und auf dem Hügelkamm am südlichen Rand des Londoner Beckens wieder aufgestellt. Auf den südlichen Hängen war hinter den Häusern offenes Land, das sich bis zu den bewaldeten Hügeln von Sussex und Kent erstreckte. Auf dem Kamm selbst jedoch standen nun Häuser – Herrenhäuser in großen Gärten ganz oben, weiter unten bescheidenere Vorstadthäuser. Die Luft war ausgezeichnet weit weg vom Londoner Smog. Crystal Palace, wie man nun sagte, war eine höchst erstrebenswerte Wohngegend. Herbert und Maisie wohnten dort seit ihrer Heirat.
»Der Bahnhof liegt ganz nah. Ich nehme jeden Morgen den Zug in die City«, erklärte Herbert. »Und ein anderer fährt zur Victoria Station. Von deiner Haustür bis zur Savile Row bräuchtest du nicht einmal eine Stunde.«
Herbert hatte recht, was den Husten betraf. Percy hatte die Wirkung des Londoner Nebels in letzter Zeit gespürt. Und wenn er von Tom Brown fortging und selbständig arbeitete, müßte er gar nicht jeden Tag nach London fahren. Trotzdem zögerte er vor diesem großen Umzug.
Percy und Herbert trafen sich manchmal samstags, wenn Herbert ab zwei Uhr nachmittags freihatte. Heute, an diesem schönen Herbsttag, machten die Brüder nach einem Essen im Pub einen Spaziergang. Als sie sich dem alten London Stone in der Cannon Street näherten, deutete Herbert auf ein großes Gebäude gegenüber: »Du weißt, was das ist, Percy! Der große Bahnhof Cannon Street. Da fährt mein Zug nach Crystal Palace ab.«
Sie gingen an Billingsgate vorbei zum Tower, und den ganzen Weg redete Herbert auf ihn ein. »Du siehst blaß aus, Percy. Du mußt raus. Maisie hat versprochen, eine Frau für dich zu suchen. Die will bestimmt auch da oben wohnen. Und mehr Geld verdienst du auch!« Und schließlich, als sie über die Tower Bridge gingen, hatte Herbert beschlossen, den Narren zu spielen.
»Oh, na gut!« gab Percy nach. »Ich ziehe um.«
»Er hat sich entschieden!« rief Herbert. »Ladys and Gentlemen«, wandte er sich an die Umstehenden, »Sie sind alle Zeugen. Mr. Percy Fleming hat gerade versprochen, sich selbständig zu machen und in die gesunde Gegend von Crystal Palace zu ziehen…«
Percy war erleichtert, als er sah, daß die Zuschauer lächelten. Aber Herbert war noch nicht fertig. »Madam.« Er trat zu der jungen Frau, die Percy bereits bemerkt hatte. »Wollen Sie bezeugen, daß mein Bruder zugestimmt hat, in Crystal Palace zu wohnen?«
Sie lächelte. »Ich denke schon«, erwiderte sie. Während Herbert sich an einen anderen der Umstehenden wandte, blieb Percy bei ihr stehen. »Ich hoffe, mein Bruder hat Sie nicht verärgert«, meinte er.
»Schon in Ordnung«, erklärte sie. »Er macht sich nur einen Spaß.«
»Ja, das tut er manchmal.« Sie hat sehr hübsche braune Augen, dachte er.
Nichts Anmaßendes an sich, sehr still. Sie sah aus, als habe sie schon Leid erfahren. »Sie wohnen nicht hier?« fragte er.
»Nein.« Sie zögerte einen Augenblick. »Oben in Hampstead. Ziemlich weit von Crystal Palace.«
»Ja. An schönen Samstagen komme ich oft hierher«, log er. »Meistens allein.«
»Wie nett.«
Herbert war nun zum Weitergehen bereit. »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder«, wollte Percy fast sagen, aber das wäre ein wenig dreist gewesen.
Edward Bull wußte, was die richtige Vorgehensweise war. Ein kurzer Spaziergang mit seinem Enkel über das Gelände von Charterhouse, dann kam alles heraus. Ständig hatte man den Jungen gehänselt: »Hat man deine Mutter schon verhaftet? Könnte sie auf geistige Unzurechnungsfähigkeit plädieren?« Einmal hatte er über seinem Bett ein großes Transparent gefunden: »Wahlrecht für Frauen«.
»Ziemlich übel, wie?« fragte Bull.
»Ich mußte mich mit einem der Jungen prügeln«, gab Henry zu. Man sah deutlich, daß er der Meinung war, die Sache sei keine Prügelei wert gewesen.
Als Bull erklärte, er werde vier Schüler zum Tee einladen, gab es keinen Mangel an Bewerbern. Kein Junge in Charterhouse würde sich die Chance entgehen lassen, etwas zu essen zu bekommen. In einer Teestube bewirtete er sie großzügig.
Zwanzig Jahre als Gutsherr von Bocton hatten Edwards ohnehin mächtiger Persönlichkeit eine festverwurzelte Autorität verliehen. Für die Schuljungen war der Grundbesitzer aus Kent eine ehrfurchtgebietende Gestalt. Er erzählte ein wenig, wie es in Charterhouse gewesen war, als er dort zur Schule gegangen war; entdeckte, daß der Vater eines der Jungen beim Jagdclub West Kent gejagt hatte, wo sein Sohn nun einer der Master of Foxhounds war, hob sich aber den geschicktesten Schachzug bis zum Ende des üppigen Tees auf. Er lehnte sich zurück. »Weißt du, Henry, ich vermisse deinen lieben Vater.« An die Jungen gewandt erklärte er: »Colonel Meredith war ein außergewöhnlicher Sportler. Er hat wahrscheinlich mehr Tiger erlegt als jeder andere Mann des britischen Empires.«
Das war für die Jungen in der Tat ein Held. Bevor Bull aufbrach, schenkte er jedem eine halbe Crown und Henry eine ganze. Während dieses Schuljahres würde sein Enkel in der Schule keinen Arger mehr haben, vermutete er ganz zu Recht.
Als Jenny Ducket ins Erdinnere hinunterstieg, fragte sie sich, was sie da eigentlich tat.
Arnold Silversleeves hatte es knapp verpaßt, seinen Traum von einem elektrischen U-Bahn-System verwirklicht zu sehen. Gorham Doggets Schlußfolgerung, nachdem er ein Jahr lang versucht hatte, Kapital aufzutreiben – »Wir sind um zehn Jahre zu früh dran« –, hatte in etwa gestimmt. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte nun ein anderer amerikanischer Unternehmer, ein Mr. Yerkes aus Chicago, den größten Teil der Londoner U-Bahn entwickelt und organisiert. Nun fuhren tief unter der Erde die elektrischen Züge.
Von Hampstead brachte Jennys Linie sie zur Euston Station, dort stieg sie dann in eine andere Linie zur Bank von England um. Von dort aus konnte sie gehen.
Mrs. Silversleeves ging nicht mehr sehr viel aus, aber wenn, dann gab es zwei Orte, die sie gern besuchte. Der eine war der Friedhof in Highgate, wo Arnold Silversleeves seinem Wunsch gemäß unter einem selbstentworfenen gußeisernen Grabkreuz beigesetzt war. Der zweite war die Tower Bridge, denn diese massive eiserne Maschinerie, an deren Hubbrücke er mitgearbeitet hatte, war für Arnold Silversleeves in seinen letzten Jahren eine solche Quelle des Stolzes gewesen, daß Esther erklärte: »Das ist das wahre Ehrenmal meines Mannes.« In der letzten Woche hatte sie sich jedoch nicht gut genug gefühlt und daher zu Jenny gesagt: »Fahren Sie für mich hin.« Und dabei hatte Jenny die Brüder Fleming getroffen.
Liebe alte Mrs. Silversleeves. Jenny erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie in das große Giebelhaus gekommen war. Sie war so nervös gewesen, den neuen Namen Ducket und die Warnungen und Ermahnungen ihrer Großmutter Lucy noch im Ohr. Das Leben als Dienstmädchen war harte Arbeit. Oft verließ Jenny ihr kleines Zimmerchen unter dem Dach schon um fünf Uhr morgens. Als jüngste der Dienstboten hatte sie die schlechtesten Arbeiten, Kohleeimer nach oben tragen, Kamine ausräumen, Messing polieren und Fußböden schrubben. Abends sank sie erschöpft ins Bett. Aber verglichen mit dem Leben im Eastend war es der Himmel. Saubere Kleider, saubere Bettlaken, genug zu essen. Man erwartete, daß sie jeden Sonntag mit der Familie in die Kirche ging, aber dagegen hatte sie nichts. Und wenn sie anfangs nicht immer daran gedacht hatte, vor Mr. Silversleeves zu knicksen, wußte sie doch, daß das nur schicklich war. »Denn niemand von uns, Jenny«, erklärte Mrs. Silversleeves freundlich, »darf sich über seinen Stand erheben.«
Nach und nach waren kleine Veränderungen gekommen. Zu Weihnachten gab es immer ein Geschenk. Mr. Silversleeves zeigte ihr, wie sie ihre kleinen Ersparnisse anlegen sollte, und vermehrte sie manchmal um eine Guinee. Während Jenny im Laufe der Jahre zum Hausmädchen und schließlich zur Zofe aufstieg, stellte sie fest, daß die alte Lady sie sehr gern hatte. Oft sagte sie: »Hier ist ein Seidenschal für Sie, Jenny, den Sie vielleicht an Ihren freien Tagen tragen wollen.« Oder sie bekam ein Paar Handschuhe, oder sogar einen Mantel, kaum getragen. Seit sie verwitwet war, ließ Mrs. Silversleeves Jenny oft bei sich im Wohnzimmer sitzen, bat sie, ihr das Kleingedruckte aus der Zeitung vorzulesen, und unterhielt sich mit ihr. Nur ein Thema schien tabu. Wenn Jenny zweimal im Jahr ihren Vater und ihren Bruder im Eastend besuchte, erwähnte sie das ihrer Arbeitgeberin gegenüber nie. »Davon wollen wir nichts hören, Jenny«, sagte die alte Lady sonst.
In ihrem Leben hatte es keine Männer gegeben. Als sie ein Mädchen war, hatten ein paar der Lieferjungen versucht, mit ihr zu flirten, aber sie hatte sie rasch ihrer Wege geschickt. Im Laufe der Jahre hatte sie ein paar Freundinnen gefunden und sich gelegentlich mit Männern getroffen. Doch sobald sie begannen, ihr Avancen zu machen, hatte sie sie auf ihre stille Art zurückgewiesen. Sie hatte ihre Gründe.
Warum ging sie jetzt also zur Tower Bridge? Percy mit seinem hohlwangigen Gesicht, ein wenig traurig, aber entschlossen, hatte etwas an sich, das ihn verläßlich wirken ließ. Am Freitag hatte sie beschlossen, an ihrem freien Tag nur einen Spaziergang in Hampstead Heath zu machen. Wenn sie sich nun doch auf den Weg zur Tower Bridge machte, hatte das nichts zu bedeuten, redete sie sich ein. »Er wird ja doch nicht da sein.« Sie war wirklich überrascht, als sie ihn eine Stunde später mitten auf der Brücke stehen sah, und er versuchte, ganz lässig auszusehen und zu verbergen, daß er nach der Warterei halb erfroren war.
Es gab verschiedene Orte, zu denen Violet ihre Kinder regelmäßig mitnahm. Im Sommer war der botanische Garten in Kew beliebt, weil sie mit einem Boot flußaufwärts dorthin fuhren. Sehr gefragt war auch Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Die Gemälde in der National Gallery waren eine Pflicht, wenn sie auch gerne draußen auf dem Trafalgar Square die Tauben fütterten. Öfter baten sie um einen Besuch in South Kensington.
Prinz Alberts Weltausstellung im Jahr 1851 hatte große Gewinne eingebracht, so daß die Regierung das Gelände vom Hyde Park bis South Kensington kaufen konnte, und hier, zu beiden Seiten einer breiten Straße, Exhibition Road genannt, lagen nun mehrere wunderbare Museen. Ebenso wie die Albert Hall am Park war auch das neue Victoria und Albert Museum fast fertiggestellt, und diesem Gebäude gegenüber befand sich das Natural History Museum, in dem Fossilien, Gesteine und wundervolle Pflanzenzeichnungen Zeugnis ablegten von den wissenschaftlichen Entdeckungen und den Ideen Darwins, die im Laufe der letzten beiden Generationen die intellektuelle Welt verändert hatten. Die Kinder bewunderten vor allem die riesigen Skelette der Dinosaurier.
Für Violet selbst übertraf ein Ausflug alles andere, vielleicht weil das Ziel in Bloomsbury lag, dem ruhigen georgianischen Viertel mit seinen Ziegelbauten östlich der Tottenham Court Road. Hier standen viele Gebäude der Londoner Universität, die sie gerne besucht hätte. Die Antikensammlungen waren auf der ganzen Welt unerreicht, und zumindest einmal in den Ferien nahm sie ihre Kinder ins Britische Museum mit.
An diesem grauen Dezembertag, als sie die ägyptischen Mumien betrachteten, fragte Henry beiläufig: »Mutter, du willst doch nicht mehr länger eine Suffragette bleiben?«
Wie viele Eltern im eduardischen England meinte Violet, Kinder blieben in einem kindlichen Stadium, ohne Fragen zu stellen, bis sie sich plötzlich in Erwachsene verwandelten. Sie hatte nie mit Henry über ihre Aktivitäten gesprochen, außer daß sie ihm gesagt hatte, daß Frauen unter einer großen Ungerechtigkeit zu leiden hätten und daß sie und andere mutige Frauen versuchten, das zu ändern. Zwei ihrer Kinder glaubten vorbehaltlos an sie. Die kleine Helen wollte ihre Mutter in jeder Hinsicht nachahmen. Frederick, der für Charterhouse noch zu klein war, war im Internat einer Preparatory School. Ihn hatte die Nachricht von der Eskapade seiner Mutter kaum erreicht. Für den Achtjährigen war sie das kindliche Wunschbild, von dem er träumte, wenn er einsam war. Aber er war auch voller Heldenverehrung für seinen älteren Bruder Henry. Wenn Henry und seine Mutter eine Auseinandersetzung hatten, kapselte er sich ganz ab.
»Das kommt darauf an, was die Regierung tut«, erwiderte Violet.
»Also, ich wünschte, du würdest es sein lassen«, meinte Henry.
»Dein Vater war sehr für das Frauenwahlrecht«, erklärte Violet.
»Aber hätte er dich auf der Straße herumrennen und den Premierminister belästigen lassen?«
Das ging zu weit. »So redest du nicht mit mir, Henry!«
»Du solltest hören, wie sie in der Schule mit mir über dich reden.«
»Um so schlimmer für sie. Ich hoffe, du weißt, daß es um eine gerechte Sache geht.«
»So scheint das kein anderer zu sehen«, bemerkte Henry bitter. »Könntest du ihnen nicht einfach helfen, ohne in die Zeitung zu kommen?«
»Es ist meine moralische Pflicht weiterzumachen, und es tut mir sehr leid, daß du das nicht verstehst. Vielleicht wirst du es eines Tages.«
»Niemals, Mutter«, entgegnete er ernst. Als er sein Gesicht abwandte, schien es Violet, als sei ein Band zwischen ihnen plötzlich für immer zerrissen. Oh, wenn nur sein Vater da wäre, um diese Bürde jetzt mit mir zu teilen, dachte sie.
1910
Nur wenige, die sich einen Anzug im Westend kauften, wußten, daß die obere und die untere Hälfte in fast allen Fällen von verschiedenen Leuten geschneidert wurden. Wenn Kunden zu Tom Brown kamen, wurde ihr Jacket von einem Rockschneider, die Weste von einem Westenschneider und die Hose von einem Hosenschneider angefertigt. Percy Fleming war Hosenschneider und mittlerweile sehr geschickt. Daher verdiente er wirklich recht gut, glücklicherweise, da er heiraten wollte.
Er und Jenny hatten sich Zeit gelassen. Beide waren vorsichtig. Obwohl sie sich mindestens einmal pro Woche sahen, war er in den ersten Monaten nie sicher gewesen, ob er überhaupt ihre Freundschaft gewonnen hatte. Aber er war hartnäckig geblieben, und im Herbst des vorigen Jahres hatte sie sogar selbst einmal ein Rendezvous vorgeschlagen.
Percys Wohnung war im Obergeschoß eines Hauses auf den Hängen von Crystal Palace. Das Schlafzimmer war winzig, aber er hatte einen großen, heilen Dachraum, den er sich als Werkstatt hergerichtet hatte. Während er zuschnitt, nähte und bügelte, sah er direkt über London und auf die Hügel von Highgate und Hampstead auf der anderen Seite. Im Zuge des materiellen Fortschritts im viktorianischen Zeitalter hatte London sich noch mehr zerteilt. Die Trennung zwischen dem reichen Westend und dem armen Eastend ging zurück bis zu der Zeit der Stuarts, aber erst in den letzten Jahrzehnten hatte sich aufgrund der Brücken und Eisenbahnen die Zersplitterung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Ufer entwickelt. Zuvor war der Fluß immer Londons Wasserstraße gewesen. Es hatte zwar nur eine Brücke gegeben, aber Fährmänner hatten die Menschen zu den Theatern und anderen Vergnügungen entlang des Südufers gerudert. Als jedoch im neunzehnten Jahrhundert immer mehr Brücken gebaut wurden, verschwanden die Fährmänner, und der Fluß verlor sein buntes Treiben. Dann waren die Eisenbahnen gekommen und hatten die wachsende Bevölkerung weiter und weiter in die nördlichen und südlichen Vorstädte gebracht. Die Bahnhöfe entlang des Flußufers – Waterloo, Victoria, Cannon Street, London Bridge – überzogen alte Viertel wie Bankside und Vauxhall mit Eisenbahngleisen. Und so hatten sich die beiden Welten nach und nach getrennt. Angehörige der Mittelschichten und des Klerus kamen aus südlichen Vorstädten zur Arbeit in die City oder ins Westend. Trotz billiger Fahrkarten lebten Arbeiter in der Regel in der Nähe ihrer Arbeitsstelle, in der einen oder anderen der beiden Welten. Und die Themse war die breite Trennlinie.
Percy und Jenny trafen sich immer irgendwo in der Stadtmitte. Als er einmal vorgeschlagen hatte, einen Spaziergang in Hampstead Heath zu machen, hatte sie energisch den Kopf geschüttelt. »Nein, das ist viel zu weit nur für einen Spaziergang.« Und er verstand, daß sie darin ein zu weites Vordringen in ihr Territorium sah, und so hatten sie sich stets in der neutralen Zone verabredet.
Es war schwer zu sagen, wann er eine Veränderung festgestellt hatte. Vielleicht war es der Augenblick im Hyde Park, als sie zum erstenmal seinen Arm genommen hatte. Ihre Rendezvous hatten sie immer untertags vereinbart – ein Spaziergang, ein Besuch im Tower, ein Besuch in einer Teestube; doch als der Sommer begann, hatte er beschlossen, einmal abends mit ihr auszugehen. Er hatte kaum gewußt, was er vorschlagen sollte, bis Herbert ihm zu Hilfe kam: »Geht ins Palladium, Percy. Das ist der letzte Schrei.«
Was für ein Abend! Das große, neue Theater am Piccadilly Circus bot die großartigste Varieteunterhaltung in London. Percy hatte Jenny noch nie so lebhaft gesehen. Rosig und glücklich ließ sie sich danach in einer Droschke nach Hampstead zurückbegleiten. Am Eingang des großen Giebelhauses hatte sie sich von ihm auf die Wange küssen lassen. Dann ging er durch die warme Nacht den ganzen Weg zur Victoria Station zurück, wo er aber den letzten Zug verpaßte, so daß er sich zufrieden auf eine Bank legte und den ersten Zug im Morgengrauen nahm.
An diesem Abend hatte er einen weiteren Meilenstein passiert. Bevor Percy Jenny in Hampstead zurückließ, hatte er ihr das Versprechen abgerungen, daß sie am nächsten Sonntag nach Crystal Palace kommen würde. »Wir essen zusammen mit Herbert und Maisie zu Mittag«, sagte er. »Ich hole dich am Bahnhof ab.«
Jenny zögerte nur einen Augenblick. »Na gut.«
Eastend. Graue, schmutzige Straßen ohne Hausnummern, die sich unter dem trüben östlichen Himmel dahinzogen, bevor sie nach Meilen und Meilen von Docks wie in einer Mündung auseinanderdrifteten.
Jennys Familie lebte nun in einer kurzen, schmuddeligen Häuserzeile, die von der Mauer eines großen Speicherhauses abgeschnitten wurde. In den drei Zimmern im Erdgeschoß eines der schäbigen Häuser wohnten ihr Bruder und seine Frau mitsamt den drei Kindern sowie ihr Vater, der nicht mehr arbeiten konnte. Es war immer dasselbe. Jenny gab ihm ein paar Shilling, ihrem Bruder mehr. Mit der Sentimentalität des Trinkers sagte ihr Vater dann: »Siehst du, nie vergißt sie ihre Familie.« Ihr Bruder arbeitete in den Docks; an manchen Tagen fand er Arbeit, an manchen nicht.
Wenn die Frau ihres Bruders in ihrer derben Bluse und ihrem verschlissenen Rock die Kleider sah, die Mrs. Silversleeves Jenny gegeben hatte, so ordentlich gewaschen und gestärkt, und auf ihre eigenen rauhen Hände mit den abgebrochenen Fingernägeln blickte, wenn sie sich vorzustellen versuchte, in was für einer Art Haus Jenny lebte, und ihre eigenen winzigen Zimmer mit den fadenscheinigen Teppichfetzen damit verglich, war es ihr unmöglich, keinen Neid zu verspüren. Und ihrem Bruder war es unmöglich, einen Hauch von Bosheit aus seiner Stimme zu verbannen, wenn er sie begrüßte: »Da ist ja meine Schwester Jenny. Respektabel wie stets.«
Jenny warf es ihnen nicht vor, aber sie fühlte sich peinlich berührt.
Sie wußte, daß es ihr nicht ganz gelang, ihren eigenen Widerwillen zu verbergen. Der muffige Geruch nach zerkochtem Kohl; der stinkende Abort auf dem Gang, den sich drei Familien teilten. Sie hatte nicht vergessen, wie es war, so zu leben. Sie erinnerte sich an ihre Großmutter Lucy mit den Stapeln von Streichholzschachteln; sie erinnerte sich an Hunger, an ein Leben, das noch weit schlimmer war. Aber vor allem erinnerte sie sich an Lucys letzte drängende Worte: »Komm nie hierher zurück, Jenny.« Respektabel? Für jemanden wie Jenny bedeutete Respektabilität saubere Leintücher und Kleider; ein Mann mit einer festen Stelle, Essen auf dem Tisch. Respektabilität war Moral, und Moral war Ordnung. Respektabilität war Überleben. Kein Wunder, daß viele Angehörige der Arbeiterklasse sie so hoch bewerteten.
Der Besuch an diesem Samstag war wie immer. Sie plauderten ein wenig. Jenny hatte kleine Geschenke für ihren sechsjährigen Neffen und seine jüngere Schwester gekauft und mit dem kleinsten Kind, einem erst zweijährigen Mädchen, gespielt. Der Besuch hätte wie alle anderen geendet, wäre nicht die bleiche, magere Frau gekommen, gerade, als Jenny schon gehen wollte. Sie hatte strähniges, ungekämmtes rotes Haar, und ihre Augen lagen vor Müdigkeit tief in den Höhlen. Ein schmutziges Kind klammerte sich an ihre Hand und heulte, weil es sich geschnitten hatte. Jenny überzeugte sich, daß es kein tiefer Schnitt war, aber die Frau sagte, sie habe nichts, um ihn zu verbinden. Sie fanden etwas, beruhigten das Kind und noch zwei weitere Kinder der Frau, die hereinkamen. Alle sahen unterernährt aus.
»Ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben«, erklärte Jennys Bruder, als sie fort waren. »Vier Kinder. Wir helfen ihr alle ein bißchen, aber…«
»Was macht sie? Streichholzschachteln?«
»Nein. Man verdient mehr, wenn man in Heimarbeit Matratzen stopft. Aber es ist schwere Arbeit, die einen auslaugt.«
Jenny küßte ihren Vater und die Kinder zum Abschied, und ihr Bruder begleitete sie ein Stückchen. »Du hast es richtig gemacht, Jenny«, sagte er nach einer Weile. »Du hast recht gehabt, nicht zu heiraten. Du hast die Frau gesehen. Ihr Mann hatte eine gute Stelle als Gipsarbeiter. Und jetzt ist er tot… Wenn mir je etwas passiert, Jenny, würdest du dann ein Auge auf meine Kleinen haben? Ich meine, sie nicht verhungern lassen? Weil du ja nicht verheiratet bist. Könntest du das tun?«
»Ich denke, ich würde mein Bestes tun«, erwiderte sie langsam.
Es war eine fröhliche Gesellschaft am nächsten Tag. Percy sah glücklich aus, als er sie an der Crystal Palace Station abholte. Sie trug einen hübschen kleinen Strohhut und ein reizendes grünweißes Kleid, sehr einfach, aber aus ausgezeichnetem Stoff, den sie von Mrs. Silversleeves bekommen hatte. Sie sah, daß Percy stolz auf sie war.
Herbert und Maisie lebten in einem hübschen kleinen Haus, zwei Stockwerke über einem Souterrain. Davor war ein kleines Stückchen Rasen mit einer Ligusterhecke.
Jennys geübtes Auge sah sofort, daß im Haus jeder Zentimeter poliert und glänzend war. Sobald sie Maisie sah, wußte sie, warum. Die größte soziale Veränderung, die die industrielle Revolution mit sich gebracht hatte, betraf die Vorstädte. Die vielen neuen Betriebe, die wachsende Zahl von Banken, Versicherungsgesellschaften und die immer umfangreichere Verwaltung im viktorianischen und eduardischen London erforderten eine Armee von Angestellten. Und da es nun Züge gab und die sich ausbreitenden Vorstädte billiger und gesünder waren, pendelte diese enorm gewachsene neue Schicht zu Zehntausenden in die Arbeit. Männer wie Herbert Fleming, dessen Eltern oder Großeltern Ladenbesitzer oder Handwerker gewesen waren, fuhren mit der Bahn ins Büro. Ihre Frauen, die früher in der Nähe der Werkstatt gelebt oder im Laden geholfen hatten, blieben zu Hause und hielten sich für etwas Besseres als die Frauen, die arbeiteten.
Maisie war ziemlich klein. Sie hatte einen roten Mund und kleine, spitze Zähne. Sie beschäftigte ein einziges Dienstmädchen, das sich bei ihr zu Tode arbeitete, und noch ein Mädchen, das von außerhalb zum Helfen kam. Auf jedem Sessel in ihrem Wohnzimmer lagen Schonbezüge, auf der Fensterbank stand eine Topfpflanze, und an einem Ehrenplatz an der Wand hing ein Gemälde von einem Berg, das ihr Vater in Brighton gekauft hatte. Das Eßzimmer war eher klein.
Es gab Brathuhn, unter theatralischen Verbeugungen von Herbert tranchiert, mit den üblichen Beilagen.
Herbert und Maisie brüsteten sich damit, sehr gesellig zu sein. Einmal im Monat gingen sie in ein Varietetheater. »Und am nächsten Abend führt mir Herbert die ganze Vorstellung noch einmal vor!« lachte Maisie.
»Sie mit ihrer Theatergruppe ist genauso schlimm«, erwiderte Herbert fröhlich.
»Maisie hat eine hübsche Singstimme«, fügte Percy hinzu. Aber ihre Lieblingsbeschäftigung im Sommer waren Fahrradtouren an Sonntagnachmittagen.
Es war Jenny nicht entgangen, daß Maisies scharfe Augen von Anfang an nachdenklich ihre Kleidung gemustert hatten. Als das Hähnchen verspeist und ein Obstkuchen serviert worden war, hatte sie offensichtlich entschieden, es sei Zeit für ein paar Erkundigungen. »Nun«, meinte sie munter, »Percy erzählt, Sie leben in Hampstead. Eine hübsche Gegend.«
»Ja«, erwiderte Jenny. »Ich denke schon.«
»Bevor wir dieses Haus gekauft haben, dachten wir auch daran, dort zu leben«, erklärte Maisie. Kurz vor ihrer Heirat mit Herbert hatte Maisie fünfhundert Pfund geerbt. Kein Vermögen, aber genug, um das Haus zu kaufen und noch etwas übrigzubehalten. »Hat Ihre Familie schon immer dort gewohnt?« fragte sie.
Plötzlich wurde es Jenny klar, daß sie nichts über sie wußten. Percy hatte ihnen nichts erzählt. »Nein«, bekannte sie wahrheitsgemäß.
Percy hatte zuvor noch nie jemanden zu Herbert und Maisie mitgebracht. Ihm war klar, daß Jenny in Maisies Augen kein großer Fang war, aber er war nicht auf den Gedanken gekommen, daß sie das Gefühl haben würde, davon betroffen zu sein. Maisies gesellschaftliche Ambitionen waren an und für sich bescheiden, und mit ihrem Haus und ihrem beliebten Ehemann war sie im Grunde zufrieden. Aber was würde es in ihrer Wohngegend für den Namen Fleming bedeuten, wenn der Bruder ihres Mannes, der in der Nähe lebte, unter seinem Stand heiratete? Sie hatte geplant, ein nettes Mädchen für ihn zu finden, das ihnen allen Ehre machte. »Was hält Sie dann in Hampstead?« fragte Maisie weiter, ohne sich beirren zu lassen.
»Das frage ich sie auch immerzu«, schaltete sich Percy ein, recht geschickt, wie er meinte. »Sie ist da oben so weit weg, daß ich sie kaum zu sehen bekomme.« Und er beschrieb in allen Einzelheiten, wie er an der Victoria Station den letzten Zug verpaßt hatte, worüber er und Herbert herzlich lachten. Maisie schwieg. Jenny fühlte sich jämmerlich. Wollte Percy vor seiner Familie verbergen, was sie war?
Das Essen war beendet, und die beiden Brüder waren zusammen nach draußen gegangen, als Maisie fragte: »Sie sind in Stellung, nicht wahr?«
»Ganz richtig«, erwiderte Jenny.
»Ich habe es mir gedacht. Diese Kleider. Wir hatten niemals jemanden in der Familie, der Dienstbote war. Auch in Herberts Familie nicht.«
»Nein. Ich vermute, das werden Sie auch nie«, antwortete Jenny.
»Oh. Das ist dann ja in Ordnung.«
Als Percy Jenny eine Stunde später im Park von Crystal Palace einen Heiratsantrag machte, erwiderte sie: »Ich weiß nicht, Percy. Ich brauche etwas Zeit.«
Esther Silversleeves wartete zwei Wochen, bis sie Jenny ansprach, weil sie sich Sorgen machte. »Jenny, bitte sagen Sie mir, was los ist.«
Obwohl Jenny ein paar Freundinnen hatte, gab es keine, bei der sie wirklich das Gefühl hatte, sich anvertrauen zu können, daher hatte sie die letzten beiden Wochen allein nachgedacht. Und je mehr sie nachdachte, desto unmöglicher schien alles. Maisie und Herbert haben es ihm mittlerweile wahrscheinlich ausgeredet, vermutete sie. Wahrscheinlich wünscht er, er hätte mir den Antrag nie gemacht. Was will Percy auch mit einem späten Mädchen, wie ich es bin, ohne Geld? Maisie könnte ein junges Mädchen finden, das viel passender für ihn wäre. Und es gab ja auch noch ihren Bruder und seine Kinder. Ich mag arm sein, überlegte sie, aber solange ich arbeite, kann ich seine Kinder vor dem Verhungern bewahren, wenn ihm etwas passieren sollte. Und die liebe alte Mrs. Silversleeves braucht mich wirklich.
»Es ist wirklich nichts«, erwiderte sie.
»Erzählen Sie mir von ihm«, sagte die alte Lady ruhig, und als Jenny sie überrascht ansah, fuhr sie fort: »Ausgang am Samstagabend, hübsch angezogen, dann am nächsten Sonntag mit einem Strohhut unterwegs? Sie können mich doch nicht für so dumm halten, daß ich das nicht bemerkt hätte.«
Also erzählte ihr Jenny zögernd ein wenig von Percy und seiner Familie und von ihren Zweifeln. »Ich könnte Sie nicht verlassen, Mrs. Silversleeves. Ich verdanke Ihnen so viel.«
»Kind«, sagte Esther sanft, »Sie verdanken mir nichts. So lange werde ich nicht mehr leben, wissen Sie. Für mich wird schon gesorgt. Und was diesen Percy betrifft – wenn er Sie liebt, wird nichts, was diese Maisie sagt, ihn ernstlich berühren.«
»Aber es ist seine Familie.«
»Ach, zum Teufel mit seiner Familie!« Mrs. Silversleeves' Ausbruch überraschte sie beide. »Ist das alles?«
Es war nicht alles. Jeden Tag suchten sie die Erinnerungen an die Frau, die sie bei ihrem Bruder gesehen hatte, an das Elend ihrer eigenen Kindheit, an Lucys letzte Worte heim. Es war immer noch die nackte Realität. Eine Ehe mit Percy, ein paar Kinder vielleicht – aber was, wenn Percy starb? Ein Leben wie die armen Leute im Eastend? Vielleicht nicht ganz so schlimm, aber hart genug. Ihr Bruder hatte das ganz recht gesehen. Sie hatte gut daran getan, nicht zu heiraten. Sie hatte die Sicherheit bei den Silversleeves, sie hatte ein paar Ersparnisse. Wenn Mrs. Silversleeves starb, würde sie bestimmt eine gute Stelle finden. Junge Mädchen heirateten gedankenlos, Frauen wie Jenny nicht, obwohl sie sich so sehr danach sehnte, von Percy geliebt zu werden und mit ihm zu leben, daß es weh tat.
Vor einer Woche hatten ihre Magenschmerzen begonnen, zweimal war ihr übel gewesen. Sie war nicht überrascht, als Mrs. Silversleeves den Arzt rief.
Harley Street war sozusagen die Savile Row der Medizinerzunft. Wer hier seine Praxis hatte, war kein gewöhnlicher Arzt, sondern ein hervorragender Spezialist.
Etwas furchtsam schritt Jenny in der nächsten Woche die Harley Street entlang bis zu den heiligen Gemächern Mr. Algernon Tyrell-Fords. Der Hausarzt der Silversleeves hatte nichts Ernstes gefunden, aber er hatte Mrs. Silversleeves geraten, Jenny zu einem Spezialisten zu schicken, nur um sicherzugehen. »Natürlich muß sie gehen«, erwiderte Esther. »Schicken Sie alle Rechnungen an mich.« Und obwohl Jenny protestierte, ließ Esther sie in der Kutsche hinbringen.
Mr. Tyrell-Ford war ein großer, korpulenter und barscher Gentleman. Er befahl ihr schroff, sich auszuziehen, und untersuchte sie. »Ihnen fehlt nichts«, erklärte er offen. »Natürlich schreibe ich an Ihren Hausarzt.« Als sie fast wieder angezogen war, bemerkte er beiläufig: »Ich vermute, Sie wissen, daß Sie keine Kinder haben können.«
»Aber warum nicht?« Sie starrte ihn entsetzt an.
Er zuckte nur die Achseln. Viele Worte an eine so unbedeutende Frau zu verschwenden, die ohnehin nichts verstand, schien ihm überflüssig. »So sind Sie eben geschaffen«, erklärte er.
Percy hatte ihr geschrieben, sie sollten sich an der Tower Bridge treffen, und Jenny hatte zugestimmt. Es war fast eine Erleichterung, daß sie nun wußte, was sie tun sollte. Mrs. Silversleeves hatte gemeint, es würde Percy vielleicht nichts ausmachen, aber Jenny wußte es besser. »Er hat mir gesagt, daß er sich eine Familie wünscht. Ich kenne Percy. Wenn ich ihm jetzt die Wahrheit sage, wird er erklären, es mache nichts aus. Aber es macht ihm etwas aus.«
Percy wartete auf der Mitte der Brücke auf sie. Sie hakte sich freundlich bei ihm unter, und sie gingen ein wenig die Tower Bridge Road hinunter Richtung London Bridge Station, wo eine kleine Teestube war. Er bestellte Tee. »Wie ist es nun, Jenny?«
»Es tut mir leid, Percy«, erwiderte sie langsam. »Ich fühle mich so geschmeichelt, ich meine, wirklich geehrt. Du bist so ein guter Freund. Aber ich kann einfach nicht.«
»Ist es etwas, das Maisie…?«
»Nein«, unterbrach sie ihn. »Das ist es nicht. Es liegt an mir. Ich bin sehr gerne mit dir ausgegangen, Percy. Aber ich bin glücklich, wo ich bin. Ich will nicht heiraten. Niemanden. Ich glaube, wir sollten uns eine Weile lang nicht sehen.«
»Nun«, begann er, »wir können immer noch…«
»Percy, ich will dich nicht heiraten. Es tut mir leid.« Und bevor er wußte, was geschah, lief sie hinaus.
Sie ging schnell über die Tower Bridge. Als sie etwa die Hälfte überquert hatte, sah sie, daß von flußaufwärts ein Schiff kam und die Brücke sich bald drehen würde. Sie eilte bereits die nördliche Seite hinunter, als sie weit hinter sich einen Schrei hörte. Percy war gerannt. »Jenny!« rief er und stürmte auf die große Klappbrücke zu, doch ein stämmiger Polizist hielt ihn auf.
»Tut mir leid, Junge, da können Sie jetzt nicht rüber. Die Brücke geht hoch.« Und Percy sah, wie die Straße vor ihm hochgeschwenkt wurde, als Arnold Silversleeves' mächtiger Mechanismus in Gang gesetzt wurde. Es war ein ehrfurchtgebietender Anblick, wenn die Tower Bridge gehoben wurde, was etwa zwanzigmal am Tag geschah.
»Ich muß jetzt hinüber!« rief Percy.
»Das geht jetzt nur über den da«, sagte der Polizist und deutete auf den eisernen Gehsteg über der Brücke. Percy hastete zu dem südlichen Turm und erklomm in wilder Eile die über zweihundert Stufen, lief keuchend über den eisernen Steg und die Treppe am Nordturm hinunter. Aber Jenny war verschwunden.
Dreimal schrieb Percy an Jenny, bekam aber keine Antwort. Maisie stellte ihn einem anderen Mädchen vor, aber daraus ergab sich nichts. Wenn er aus seinem Fenster auf die fernen Hügel von Hampstead sah, fühlte er sich immer noch traurig.
1911
Noch nie in ihrem Leben war Helen Meredith so aufgeregt gewesen. Natürlich war sie es gewohnt, elegant gekleidet zu werden. Wie die meisten Mädchen ihrer Gesellschaftsklasse mußte sie selbst bei einem Spaziergang im Hyde Park einen Mantel und weiße Handschuhe tragen. Sie war ein Kind und wurde entsprechend gekleidet und behandelt. Aber nicht heute. Voller Stolz bewunderte sie sich in ihrem langen weißen Kleid mit der rotweißgrünen Schärpe im Spiegel. Sie war genauso gekleidet wie Mummy. Und nebeneinander würden sie bei der Krönungsprozession der Frauen mitmarschieren.
Die Herrschaft König Eduards hatte nur ein Jahrzehnt gedauert. Nun sollte nach einer schicklichen Trauerzeit Eduards Sohn Georg V zusammen mit seiner Gattin Mary gekrönt werden.
Die Bewegung der Suffragetten hatte beschlossen, am Samstag, 17. Juni, dem Wochenende vor dem königlichen Ereignis, eine eigene Krönungsprozession abzuhalten, die riesig sein sollte. In den letzten drei Jahren hatte diese Bewegung erstaunliche Fortschritte gemacht. Manche Taktiken der Anhängerinnen waren unerhört, manche eher raffiniert. Etwa der Trick, sich an öffentlichen Orten an Geländern festzuketten, hatte ihnen nicht nur Bekanntheit gebracht, sondern es ihnen auch ermöglicht, lange, wohlvorbereitete Reden zu halten, während die Polizei ihre Ketten durchsägen mußte. Als sie feststellten, daß man sie auf Bürgersteigen wegen »Verkehrsbehinderung« verhaften konnte, gingen sie dazu über, mit ihren Plakaten in den Rinnen am Straßenrand zu marschieren, wo die Polizei ihnen nichts anhaben konnte. Als einige Mitstreiterinnen Fenster einschlugen, weil die Regierung sich weigerte, ihre Abordnungen zu empfangen, wurden sie verhaftet, und als sie in den Hungerstreik traten, fanden viele Menschen das ungerechtfertigt. Doch als es genau belegte Berichte über Polizisten gab, die demonstrierende Frauen schlugen, oder über brutale Zwangsernährung in den Gefängnissen, wurde die Öffentlichkeit unruhig. Man arbeitete einen detaillierten Plan für eine gemäßigte Gesetzgebung aus, und während die Regierung ihn prüfte, gab es einen Waffenstillstand für alle illegalen Aktionen. Aber vor allem hatten sie im Laufe der Jahre Unterstützer gewonnen. Die Bewegung, die ihr Hauptquartier in der Strand und einen eigenen Verlag, die Women's Press, in der Charing Cross Road hatte, war nun groß und professionell. Im ganzen Land waren Zweigorganisationen aus dem Boden geschossen. Und heute wollte die Frauenbewegung der ganzen Welt demonstrieren, daß sie erwachsen geworden war.
»Komm«, sagte Violet. »Wir marschieren gemeinsam.« Helen war sehr stolz, als sie zum Untergrundbahnhof Sloane Station gingen.
Unmittelbar westlich des Buckingham-Palastes, etwas unterhalb der Knightsbridge Road am östlichen Ende des Hyde Park lag das Viertel Belgravia, das der reichen Familie der Grosvenors gehörte. Cubitt hatte dort stuckverzierte weiße Häuserzeilen und Plätze entworfen, groß und teuer, und am teuersten war der Belgrave Square. Etwas weiter westlich lag das lange Rechteck des Eaton Square mit den bescheideneren Häusern von Eaton Terrace, wohin Violet nach Colonel Meredith' Tod gezogen war. Sloane Square lag an der Grenze zwischen Belgravia und Chelsea, und hier war eine Haltestelle der Untergrundbahn.
Als die beiden Suffragetten durch dieses vornehme Viertel schritten, ernteten sie zum Teil mißbilligende Blicke. »Die Leute starren uns an«, flüsterte Helen ihrer Mutter zu. Deren Antwort vergaß sie nie.
»Wirklich?« Violet lächelte fröhlich. »Nun, mir macht das nichts aus.«
So etwas wie diesen Umzug, der nun am Ende von Westminster erschien, hatte Helen noch nie in ihrem Leben gesehen. Um die Kritik, sie seien unweiblich, zu widerlegen, kleideten sich die Suffragetten mit großer Sorgfalt. Alle Frauen, an die zehntausend, trugen lange Kleider, zumeist weiß. Die einzige Ausnahme war die Gestalt, die an der Spitze ritt, gekleidet als Jeanne d'Arc, die sich die Suffragetten als Schutzheilige erwählt hatten. Es gab Abordnungen und Festwagen aus ganz England, aus Schottland, Wales und sogar aus Indien und anderen Teilen des Empires. Die vier Meilen lange Prozession zog von der City am Big Ben und am Parlament vorbei zum Hyde Park zu der großen Kundgebung in der Albert Hall.
»Denk daran«, sagte Violet zu Helen, »wir sind für eine gerechte Sache. Wir demonstrieren für unser Land und für eine bessere Zukunft.«
Obwohl Helen diese Worte oder das erstaunliche Bild dieser Tausenden von Frauen in weißen Kleidern mit Schärpen und Fahnen nie vergaß, erinnerte sie sich vor allem an dieses außergewöhnliche Gefühl, gemeinsam für eine Sache zu marschieren, Seite an Seite mit ihrer Mutter, in eine neue Welt.
Es gab noch andere Anzeichen, daß ein neues Zeitalter anbrach. Als im Todesjahr König Eduards der Halleysche Komet gesehen wurde, betrachtete man das als rein wissenschaftlich interessantes Ereignis. Bedeutsamer war vielleicht die Entwicklung des Automobils. Es hatte relativ lange gedauert, bis die Engländer den Verbrennungsmotor nutzten. Es gab mittlerweile ein paar Autobusse und Taxis, aber in der Regel konnten sich nur die sehr Reichen Automobile leisten. Die Firma Rolls Royce bestand erst seit einigen Jahren, aber Penny besaß ein solches Auto, und am Samstag, den 17. Juni 1911, holte er Edward Bull damit ab.
Die Familie Penny war den Vettern Bull immer nahe geblieben. Dank der Heirat mit Gorham Doggets Tochter Nancy und des enormen Erfolges seiner Versicherungsgesellschaft war Penny nun ebenso reich wie Edward. Geplant war, daß sie Bulls Enkel, die beiden jungen Meredith, im Charterhouse abholen und nach Bocton mitnehmen sollten. Am nächsten Tag würde Penny sie zur Teezeit zurück in die Schule bringen. Sogar der alte Edward Bull, der kaum je in einem Auto gefahren war, war insgeheim aufgeregt über diesen Ausflug. Es war ein schöner Tag. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zwanzig Meilen pro Stunde kamen sie vor dem Mittagessen in Charterhouse an. Edward war einigermaßen verstimmt, als sie in der Schule telefonisch benachrichtigt wurden, daß sie nach London kommen sollten.
Auch die Jungen sahen enttäuscht drein; das Wochenende schien verdorben. Doch Henry machte einen Vorschlag. Zweifellos war sein Enkel Henry Meredith ein feiner Kerl, dachte Edward Bull, als der Rolls Royce zwei Stunden später London erreichte. Bull wußte, was Henry in der Schule durchgemacht hatte. Oftmals hatte er sich prügeln müssen, um seinen kleineren Bruder gegen die erbarmungslosen Angriffe seiner Mitschüler zu verteidigen, wenn der Name oder das Foto ihrer Mutter in der Zeitung erschien. Letztendlich hatte Henry erklärt, er unterstütze selbst die Sache der Suffragetten – was er nicht im mindesten tat –, und jeder im Haus, dem das nicht passe, müsse zuerst gegen ihn antreten. Da er nun groß und kräftig war, waren wenige geneigt, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
»Ich respektiere Mutter, weil sie an ihre Sache glaubt«, sagte Henry zu seinem Großvater. »Vielleicht sollten Frauen wirklich das Wahlrecht haben. Ich verabscheue die Methoden der Suffragetten, aber wenn Mutter sagt, auf die höfliche, altmodische Art hätten die Frauen nichts erreicht, kann ich das nicht ableugnen. Und nun unterstütze ich sie, weil sie meine Mutter ist. Wenn ihr ohnehin nach London fahren müßt, könnten wir dann nicht mit? Wir würden dann morgen mit dem Zug zurück zur Schule fahren. Wir haben die Zeitungen gesehen, Großvater, deswegen wissen wir, daß Mutter heute demonstriert. Warum überraschen wir nicht Helen? Wir könnten alle zusammen in eine Teestube gehen.«
Helen taten die Füße weh, als sie und ihre Mutter am frühen Abend nach Hause kamen. Aber sie verspürte auch ein Gefühl des Triumphes. Sie war überrascht, als sie aus der Tür des Salons eine vertraute Stimme hörte. »Geh in dein Zimmer, Helen«, flüsterte ihre Mutter, aber sie gehorchte nicht und spähte durch die Tür.
Ihr Großvater und Henry waren da. Edward Bull sah grimmig aus.
»Du hast Helen, ein unschuldiges Kind, als Suffragette verkleidet und zu einer Demonstration mitgenommen, die sich womöglich zu einem Aufstand entwickelt hätte?«
»Die Veranstaltung war vollkommen friedlich.«
»Es ist vorgekommen, daß solche Aufmärsche nicht friedlich geblieben sind. Jedenfalls ist das kein Ort für ein Kind.«
»Willst du mir sagen, daß ich das Thema Frauenwahlrecht vor meiner eigenen Tochter nicht erwähnen soll?«
»Ich sehe keine Notwendigkeit«, erwiderte Bull. »Sie kann das eines Tages selbst entscheiden. Aber ich muß dir sagen, Violet, wenn du das Kind weiterhin so mißbrauchst, werde ich es mit nach Bocton nehmen.«
»Ich würde dich verklagen, Vater.«
»Und ein Richter würde mit mir übereinstimmen, daß du kein geeigneter Vormund für ein Kind bist.«
»Das ist absurd! Henry, sag etwas.«
»Mutter, wenn es je zu so etwas kommt, werde ich gegen dich aussagen. Es tut mir leid.«
Helen bebte vor Schreck. Schließlich hob sie jemand hoch und trug sie nach oben ins Kinderzimmer.
So einen Morgen hatte es bei Tom Brown seit Menschengedenken nicht gegeben. Und das allerschlimmste – Lord St. James persönlich war in einem der Anprobezimmer. Und wenn es ihm einfiel herauszukommen?
Eine Lady war in diese Hallen eingedrungen. Sie war sehr alt und gewiß sehr respektabel. Ganz in Schwarz gekleidet und auf einen Ebenholzstock gestützt. Sie hatte nach Mr. Fleming gefragt, der an diesem Morgen zufällig einige Hosen abliefern sollte. »Glauben Sie, wir könnten sie in einem Anprobezimmer verstecken?« flüsterte der Verkäufer.
»Nein«, erwiderte Mr. Brown ruhig. »Bieten Sie ihr einen Stuhl an, und sorgen Sie dafür, daß Seine Lordschaft vollständig angezogen ist, bevor er aus dem Anprobezimmer kommt.«
Es war für Esther Silversleeves keine leichte Entscheidung gewesen. Sie hatte Jennys Entschluß, Percy fortzuschicken, respektiert, und als die Monate verstrichen und Percys Briefe aufhörten, dachte sie, das sei eben Schicksal. Sie hatte Jenny im Sommer eine Woche lang nach Brighton in den Urlaub geschickt, um sie aufzuheitern, aber vor einer Woche war wieder ein Brief gekommen, und das Mädchen war sichtlich aus dem Gleichgewicht.
»Er ist von Percy«, sagte Jenny. »Er sagt, er hat ein Jahr lang gewartet, bevor er wieder geschrieben hat, aber er würde mich gerne wiedersehen. Er schreibt, daß er krank war.«
»Sie könnten sich doch mit ihm treffen, nicht wahr?«
»Oh, Madam, ich glaube einfach nicht, daß ich es ertragen könnte.« Und ihr waren die Tränen gekommen.
Esther Silversleeves wollte seit einiger Zeit schon ins Westend fahren. Vor zwei Jahren hatte ein Amerikaner namens Selfridge in der Oxford Street ein großes Warenhaus eröffnet. In jüngeren Jahren war Esther immer gerne vor Weihnachten in das große Kaufhaus Harrod's in Knightsbridge gegangen. Selfridge's machte ihm nicht nur Konkurrenz, sondern hatte so viele Abteilungen, darunter ein Restaurant, daß man dort den ganzen Tag verbringen konnte. Sie hatte ihren Kutscher angewiesen, sie dort um zehn Uhr abzusetzen und um drei Uhr abzuholen, und kaum war er fort, hatte sie die Gemächer Tom Browns aufgesucht. Weder sie noch Lord St James wußten, wer der andere war, als er aus dem Anprobezimmer kam, ihr einen belustigten Blick zuwarf und sich auf den Rückweg in das Junggesellenviertel Albany machte, wo er nun lebte, nahe beim Piccadilly.
Als Percy um halb zwölf kam, war er höchst erstaunt, Mrs. Silversleeves anzutreffen, die er nie zuvor gesehen hatte. Auf ihre Bitte hin begleitete er sie zurück zu Selfridge's und ging mit ihr in das Restaurant, wo sie ein Stückchen Kuchen und eine Tasse Tee bestellte. Sie erkundigte sich nach seiner Gesundheit und fragte ihn, ob ihm immer noch etwas an Jenny lag. Zufrieden mit seinen Antworten erklärte sie, warum sie gekommen war. »Jenny selbst, Mr. Fleming, hat keine Ahnung, daß ich Sie aufgesucht habe, und ich will nicht, daß sie es erfährt. Aber ich werde Ihnen etwas sagen. Was Sie mit dieser Mitteilung anfangen, ist natürlich ganz Ihre Sache.«
Ein wenig sanfte Überredung von seiten Mrs. Silversleeves' war nötig, bevor Jenny der Begegnung zustimmte. Der zweite Brief, in dem stand, er würde aufgrund seiner Gesundheit den ganzen Winter über fortgehen, gab den Ausschlag. »Ich glaube, es wäre eine Gefälligkeit, sich mit ihm zu treffen«, sagte Esther, als Jenny sie um Rat fragte. Und so saß sie nun, zwei Wochen später, in einem hübschen kleinen Cafe namens Ivy Percy gegenüber und trank Tee. Sie stellten einander die üblichen Fragen. Sie war in Brighton gewesen. Mrs. Silversleeves ging es gut. Maisie und Herbert bereiteten in Maisies Theatergruppe eine Weihnachtspantomime vor. Erst nach der ersten rituellen Tasse Tee sprach Jenny das große Thema an. »Du gehst also fort.«
»Ja. Der Arzt hat gesagt, ich sollte es tun wegen meines Hustens. Man hat befürchtet, daß es Tuberkulose sein könnte.« Der Fluch der Zeit. »War es dann doch nicht, aber der Arzt hat gemeint, wenn ich wirklich gesund werden will, sollte ich im Winter irgendwohin gehen, wo es warm ist.«
»Wie die reichen Leute, Percy. Die gehen nach Südfrankreich.«
»Ich weiß. Es ist lustig, aber genau das mache ich. Wenn man dort in eine kleine Pension geht, ist es anscheinend viel billiger als in England. Und ich habe auch ein wenig gespart. Als Junggeselle habe ich ja nichts, wofür ich das Geld ausgeben könnte. Und so geht es nächste Woche zu einem Fünf-MonateUrlaub nach Südfrankreich!«
»Du wirst lauter französische Mädchen kennenlernen, Percy.« Jenny brachte ein Lächeln zustande. »Du wirst eine Französin als Ehefrau mitbringen.«
Percy runzelte die Brauen. »Da bin ich nicht so sicher, Jenny. Du hast ganz recht gehabt, daß du mich abgelehnt hast. Als man diese ganzen Untersuchungen mit mir angestellt hat, ist noch etwas herausgekommen. Ich kann heiraten – und all das – , aber Kinder wird es wohl nie geben. So ist es.«
Es war dunkel, als Edward Bull aus der Loge kam und von Walbrook Richtung St. Paul's ging. Er wollte die Nacht in seinem Club verbringen. In London hatte es immer viele Freimaurer gegeben. Manche fanden ihre Geheimrituale, Initiationsriten und geheime Mitgliedschaft unheimlich, aber Edward Bull war nie dieser Ansicht gewesen. Er war als junger Mann Freimaurer geworden, hatte dadurch viele Geschäftsleute kennengelernt und betrachtete das Ganze als eine Art Club, zwar mit einigen schrulligen und mittelalterlichen Regeln, aber hauptsächlich mit wohltätigen Werken befaßt. Ein Treffen seiner Loge hatte ihn an diesem Frühlingstag im Jahr 1912 nach London gebracht. Er bog in die Watling Street ein, kaufte sich eine Zeitung und sah die Schlagzeile.
Er fand Violet in einer Zelle. Sie war erstaunt, ihn zu sehen. »Ich habe versucht, die Rechtsanwälte zu benachrichtigen«, erklärte sie, »aber als man mich schließlich hierhergebracht hat, waren die Büros schon zu. Du mußt Kaution für mich zahlen, Vater. Ich muß nach Hause zu Helen.«
»Wie ich höre, hast du Fenster eingeschlagen«, erwiderte er ruhig.
Die Kampagne der Suffragetten, Fenster einzuschlagen, Golfplätze zu beschädigen und sogar einzelne Brandstiftungen zu begehen – allerdings so ausgewählt, daß niemand verletzt wurde –, hatte im letzten November begonnen, nachdem die liberale Regierung mit Unterstützung des konservativen Königs Georg alle Reformvorschläge ignoriert und schließlich das Faß zum Überlaufen gebracht hatte, indem Arbeiter mehr Stimmrecht erhielten, Frauen jedoch keines.
Violet war bisher nicht an solchen Aktionen beteiligt. Doch als sie auf dem Rückweg von einer Kundgebung sah, wie Polizisten äußerst grob mit einer Frau umsprangen, die, eher vorsichtig, eine Fensterscheibe einschlug, hatte sie in einem Wutanfall selbst mit ihrem Regenschirm gegen die Scheiben gedroschen. Das hatte für eine Verhaftung gereicht.
»Ich bin sicher, du könntest die Polizei überreden, mich über Nacht gehen zu lassen«, drängte Violet.
»Ja, ich denke schon. Aber ich tue es nicht, Violet. Ich hole Helen jetzt ab. Es tut mir leid, aber so etwas kann man nicht zulassen. Helen kommt mit mir nach Bocton.«
»Ich komme sofort nach und hole sie zurück!« schrie sie.
»Das bezweifle ich. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß du ins Gefängnis gehst.« Es erwies sich, daß er recht hatte. Sie bekam drei Monate.
Die Hochzeit von Percy Fleming und Jenny Ducket – obwohl zu Percys Erstaunen Dogget auf der Heiratsurkunde stand – fand im Sommer statt. Zugegen waren Herbert und Maisie, die gar nicht erfreut war, und Mrs. Silversleeves. Ihren Vater oder Bruder hatte Jenny nicht eingeladen. Auf besondere Bitte seiner Mutter kam ihr Sohn, Rechtsanwalt Silversleeves, und übernahm die Rolle des Brautführers.
Die Überraschung kam, als die alte Lady schon fort war. Mr. Silversleeves nahm das Paar beiseite. »Meine Mutter hat mir Ihr Hochzeitsgeschenk anvertraut«, erklärte er, »und ich soll es Ihnen persönlich überreichen.« Es war ein Scheck über sechshundert Pfund.
»Aber… ich kann nicht!« rief Jenny. »Ich meine, nur weil ich meine Arbeit getan habe…«
»Sie besteht darauf, daß Sie es nehmen«, erwiderte er. »Das sind meine Anweisungen.«
Jenny und Percy kauften sich ein kleines Haus in Crystal Palace.
Eine noch größere Überraschung für sie beide kam im kommenden Frühjahr. Zuerst sagte Jenny nichts. Nach einem weiteren Monat ging sie ein wenig beunruhigt zum Arzt. Als sie ihm sagte, das sei unmöglich, versicherte er ihr das Gegenteil. Als sie am Abend Percy fragte, fing er an zu lachen. Er wußte, daß er sie wegen seiner Zeugungsunfähigkeit angelogen hatte, aber das andere hatte er nicht vorgesehen, und im Sommer wurde ihr Sohn geboren.
Der hervorragende Mr. Tyrell-Ford in der Harley Street hatte dummes Zeug erzählt.