XXXVII
Kapitän Penhaligons Kajüte
Gegen sechs Uhr am Abend des 19. Oktober 1800
Dunkle Wolken ballen sich zusammen, die Dämmerung ist erfüllt von Insekten und Fledermäusen. Der Kapitän erkennt den Europäer, der am Bug des Wachtbootes sitzt, und senkt das Fernrohr. «Man bringt uns Botschafter Fischer zurück, Mr. Talbot.»
Der Dritte Leutnant sucht nach der richtigen Antwort. «Gute Neuigkeiten, Sir.»
Der nach Regen riechende Abendwind raschelt durch die Seiten des Abrechnungsbuchs.
«Ich hoffe, Botschafter Fischer bringt uns selbige.»
Die See ist still. In der Ferne zündet Nagasaki seine Kerzen an und schließt die Fensterläden.
Kadett Malouf klopft und steckt den Kopf zur Tür herein. «Lieutenant Hovell lässt Sie grüßen, Sir, und Mr. Fischer kommt zu uns zurück.»
«Ja, ich weiß. Sagen Sie Lieutenant Hovell, er soll Mr. Fischer gleich in meine Kajüte bringen, wenn er sicher an Bord ist. Mr. Talbot, benachrichtigen Sie Mr. Cutlip: Ich brauche eine Schar Seesoldaten mit schussbereiten Gewehren. Sicher ist sicher ...»
«Zu Befehl, Sir.» Talbot und Malouf entfernen sich mit wendigen jungen Schritten.
Der Kapitän bleibt allein mit seiner Gicht und dem Fernrohr im fahlen Abendlicht zurück.
Eine Viertelmeile achtern werden an den Wachposten am Ufer Fackeln angezündet.
Kurz darauf gibt Schiffsarzt Nash sein Klopfzeichen.
«Herein, Mr. Nash», sagt der Kapitän, «Sie kommen gerade recht.»
Nash tritt ein. Sein Schnaufen klingt heute Abend wie ein kaputter Blasebalg. «Das Podagra ist ein ingraveszentes Leiden, Captain.»
«‹Ingraveszent›? In dieser Kajüte wird normales Englisch gesprochen, Mr. Nash.»
Nash setzt sich ans Fenster und legt Penhaligons Bein auf die Bank. «Die Gicht wird schlimmer, bevor eine Besserung eintritt.» Seine Finger sind sanft, aber die Berührung verursacht brennenden Schmerz.
«Glauben Sie, das weiß ich nicht? Geben Sie mir die doppelte Menge.»
«Ich halte es für wenig sinnvoll, die Opiatdosis so frühzeitig zu -»
«Verdoppeln Sie die Dosis, bis der Vertrag abgeschlossen ist!»
Schiffsarzt Nash wickelt den Verband ab und schnauft beunruhigt. «Jawohl, Captain, aber ich füge Henna und Aloe hinzu, bevor Ihr Verdauungstrakt seine Tätigkeit vollends einstellt ...»
Fischer begrüßt den Kapitän auf Englisch, schüttelt ihm die Hand und nickt Hovell, Wren, Talbot und Cutlip zu. Penhaligon räuspert sich. «Nehmen Sie Platz, Botschafter. Wir alle wissen, warum wir hier sind.»
«Sir, eine kleine Sache noch vorweg», sagt Hovell. «Eben sprach uns Mr. Snitker an. Er war sturzbetrunken und verlangte, unserem Gespräch mit Botschafter Fischer beizuwohnen. Er sagte, er werde auf keinen Fall zulassen, dass ein Eindringling abräume, was rechtmäßig ihm zustehe.»
«Was ihm rechtmäßig zusteht», wirft Wren dazwischen, «ist ein kräftiger Tritt in den Arsch.»
«Ich sagte ihm, wir würden ihn rufen lassen, wenn es nötig sei, Captain, und ich hoffe, ich habe das Richtige getan.»
«Haben Sie. Botschafter Fischer» - er macht eine huldvolle Geste - «ist der Mann der Stunde. Bitten Sie unseren Freund, die Ergebnisse des heutigen Tages zusammenzufassen.»
Während Hovell Notizen macht, horcht Penhaligon genau auf Fischers Tonfall. Seine Antworten klingen wohlformuliert. «Seinen Anweisungen entsprechend, Sir, führte Botschafter Fischer Beratungsgespräche mit den Niederländern auf Dejima sowie mit den japanischen Beamten in der Residenz des Statthalters. Er erinnert uns daran, dass Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, aber er glaubt, dass der Grundstein für Britisch-Dejima gelegt sei.»
«Wir freuen uns, das zu hören - ‹Britisch-Dejima› klingt ausgezeichnet.»
Jones, der Diener, bringt eine Messinglampe. Chigwin stellt Bier und Krüge auf den Tisch.
«Beginnen wir mit den Niederländern: Stimmen sie im Grundsatz einer Zusammenarbeit zu?»
Hovell übersetzt Fischers Antwort mit: «‹Dejima gehört so gut wie uns.›»
‹So gut wie›, denkt Penhaligon, ist die erste Enttäuschung.
«Erkennen sie die Rechtmäßigkeit des Vertrages von Kew an?»
Fischers ausführliche Antwort gibt Penhaligon in Sachen «gelegter Grundstein» zu denken. Hovell fährt mit seinen Notizen fort. «Botschafter Fischer berichtet, die Nachricht vom Zusammenbruch der VOC habe bei den Niederländern und Japanern gleichermaßen Bestürzung ausgelöst: Ohne die Ausgabe des Courant hätten die Niederländer ihm nicht geglaubt. Er habe den günstigen Moment dazu genutzt, die Phoebus als ihre einzige Hoffnung auf eine einträgliche Heimkehr darzustellen. Ein Abweichler aber, ein Beamter namens ...», Hovell erkundigt sich bei Fischer, der den Namen mit Abscheu wiederholt, «... Jacob de Zoet, habe das britische Volk als die ‹Kakerlaken Europas› verunglimpft und geschworen, jeden ‹dreckigen Kollaborateur zu massakrieren›. Mr. Fischer verwahrte sich gegen diese Ausdrucksweise und forderte ihn zum Duell. De Zoet verkroch sich in seinem Loch.»
Fischer wischt sich den Mund ab und gibt Hovell einen Schlusssatz zu übersetzen.
«De Zoet war der Lakai von Faktor Vorstenbosch und vom ehemaligen Faktor van Cleef, dessen Ermordung er Sie nun bezichtigt, Sir. Botschafter Fischer empfiehlt, ihn in Ketten abzuführen.»
Offenbar, Penhaligon nickt, gibt es hier einige alte Rechnungen zu begleichen. «Bestens.»
Der Preuße holt einen versiegelten Umschlag und ein Holzkästchen mit Schachbrettmuster hervor. Unter ausführlichen Erläuterungen schiebt er beides über den Tisch. «Mr. Fischer sagt, Sir», erklärt Hovell, «er habe Sie der Vollständigkeit halber über de Zoets Widerstand in Kenntnis setzen müssen, er versichert uns jedoch, dass der Beamte ausgeschaltet sei. Als er auf Dejima war, habe ihn Dr. Marinus, der Arzt, aufgesucht. Die Belegschaft, mit Ausnahme des Schurken de Zoet, hatte Marinus ausgewählt, Mr. Fischer ihre Billigung des vorzüglichen britischen Friedensangebotes zu unterbreiten und ihm diesen versiegelten, an Sie gerichteten Brief auszuhändigen. Er enthält den ‹einmütigen Willen der Europäer auf Dejima›.»
«Bitte sprechen Sie unserem Botschafter meine Glückwünsche aus, Lieutenant. Wir sind sehr zufrieden.»
Das leise Lächeln auf Fischers Lippen sagt: Und ob ihr das seid.
«Bitte fragen Sie Mr. Fischer nach seiner Unterredung mit dem Statthalter.»
Fischer und Hovell wechseln mehrere Sätze.
«Die niederländische Sprache», sagt Cutlip zu Wren, «klingt wie kopulierende Schweine.»
Insekten, angezogen vom hellen Licht der Lampe, überziehen das Fenster mit einem schwarzen Schleier.
Hovell ist bereit. «Bevor er heute Abend auf die Phoebus zurückkehrte, erfreute sich Mr. Fischer einer langen Audienz bei Statthalter Shiroyamas oberstem Berater. Ein gewisser Kammerherr Tomine.»
«Was ist aus seiner herzlichen Verbindung zum Statthalter geworden?», erkundigt sich Wren.
Hovell erklärt: «Botschafter Fischer sagt, Shiroyama sei nur ein ‹hochmütiger Eunuch› - eine Marionette. Die wahre Macht liege in den Händen seines Kammerherrn.»
Mir ist es lieber, Penhaligon ist beunruhigt, wenn verlogene Handlanger konsequent lügen.
«Laut Botschafter Fischer», fährt Hovell fort, «nahm der mächtige Kammerherr unser Angebot für einen Handelsvertrag mit großem Wohlwollen auf. Edo ist enttäuscht über die Unzuverlässigkeit Batavias als Handelspartner. Kammerherr Tomine zeigte sich erstaunt über die Zerschlagung des niederländischen Reiches, und Botschafter Fischer säte viele Zweifel in ihm.»
Penhaligon berührt das Kästchen. «Ist hierin die Nachricht des Kammerherrn?»
Fischer versteht und spricht mit Hovell. «Er sagt, der historisch bedeutsame Brief sei von Kammerherr Tomine diktiert, von Statthalter Shiroyama genehmigt und von einem Oberdolmetscher ins Niederländische übersetzt worden. Er habe ihn zwar nicht lesen dürfen, aber er ist voller Zuversicht, dass sein Inhalt zu unserer Zufriedenheit sein wird.»
Penhaligon untersucht das Kästchen. «Eine schöne Arbeit, aber wie öffnet man es?»
«Es gibt sicher eine verborgene Feder, Sir», sagt Wren. «Darf ich?» Der Zweite Leutnant versucht es eine Weile, dann gibt er auf. «Verfluchte Asiaten.»
«Einem guten englischen Hammer», schnaubt Cutlip verächtlich, «wäre das Ding nicht gewachsen.»
Wren reicht das Kästchen an Hovell weiter. «Asiatische Schlösser zu knacken ist doch Ihre Stärke, Lieutenant.»
Hovell bewegt eines der Randfelder, und der Deckel springt auf. Im Kästchen liegt ein doppelt gefaltetes, versiegeltes Pergament.
Solche Briefe, denkt Penhaligon, retten Menschenleben ... oder vernichten sie.
Er bricht mit dem Brieföffner das Siegel und faltet das Pergament auseinander.
Der Brief ist auf Niederländisch verfasst. «Darf ich Sie noch einmal bemühen, Lieutenant Hovell?»
«Natürlich, Sir.» Hovell zündet mit einer Kerze eine zweite Lampe an.
«‹An den Kapitän des englischen Segelschiffes Phoebus. Statthalter Shiroyama teilt dem Engelsman mit, dass eine Änderung ...›», Hovell hält stirnrunzelnd inne, «... verzeihen Sie, Sir, aber die Grammatik ist hausgemacht, ‹... dass eine Änderung der Vorschriften bezüglich des Handels mit Ausländern nicht im Zuständigkeitsbereich des Statthalters von Nagasaki liegt. Dies ist das Privileg des Ältestenrates des Shōguns in Edo. Dem englischen Kapitän wird daher ...›, hier steht tatsächlich ‹befohlen›!, ‹... wird daher befohlen, sechzig Tage lang vor Anker zu bleiben, bis sich die zuständigen Behörden in Edo über die Möglichkeit eines Vertrages mit Großbritannien beraten haben.›»
Feindseliges Schweigen macht sich breit.
«Diese gelbsüchtigen Pygmäen», erklärt Wren, «halten uns wohl für eine Horde Heiducken!»
Fischer, der merkt, dass etwas nicht stimmt, bittet darum, den Brief des Kammerherrn sehen zu dürfen.
Hovell weist ihn mit einer Geste zurück. «Es kommt noch schlimmer, Sir. ‹Dem englischen Kapitän wird befohlen, alles Schießpulver an Land zu schicken -›»
«Bei allem, was uns heilig ist», beteuert Cutlip, «aber eher geben wir unser Leben!»
Wie konnte ich Dummkopf nur vergessen, denkt Penhaligon, dass Diplomatie nie ein Kinderspiel ist.
Hovell fährt fort: «‹- an Land zu schicken und Inspektoren an Bord zu lassen, welche die Einhaltung der Bedingungen sicherstellen. Es ist den Engländern untersagt, an Land zu gehen.› Der Satz ist unterstrichen, Sir. ‹Jeder Landeversuch ohne schriftliche Genehmigung des Statthalters ist eine Kriegshandlung. Abschließend sei der englische Kapitän darauf hingewiesen, dass Schmuggler nach den Gesetzen des Shōguns mit der Kreuzigung bestraft werden.› Der Brief ist von Statthalter Shiroyama unterzeichnet.»
Penhaligon reibt sich die Augen. Die Gicht schmerzt. «Zeigen Sie unserem ‹Botschafter›, was seine Schlauheit bewirkt hat.»
Peter Fischer liest den Brief mit wachsendem Unglauben und stammelt schrille Worte des Protests. Hovell übersetzt. «Fischer behauptet, Captain, der Kammerherr habe weder die sechzig Tage noch das Schießpulver erwähnt.»
«Zweifellos», sagt der Kapitän, «wurde Fischer aufgetischt, was man für zweckdienlich hielt.» Er öffnet den Umschlag mit dem Brief des Arztes. Er rechnet mit niederländischer Sprache, aber der Brief ist in einwandfreiem Englisch geschrieben. «Wenigstens ein Sprachkundiger an Land. ‹An Captain Penhaligon von der Royal Navy: Sir, ich, Jacob de Zoet, am heutigen Tage zum Präsidenten der provisorischen Republik Dejima gewählt ...›»
«Republik!», schnaubt Wren. «Dieses abgesperrte Nest aus Speichern?»
«‹... erlaube mir, Sie davon zu unterrichten, dass wir, die Unterzeichnenden, den Vertrag von Kew ablehnen, uns Ihrem Vorhaben widersetzen, sich auf unrechtmäßige Weise niederländischer Handelsinteressen in Nagasaki zu bemächtigen, und die Lockangebote der Englischen Ostindien-Kompanie zurückweisen. Des Weiteren verlangen wir die Rückkehr des Faktoreivorstehers van Cleef und setzen Herrn Peter Fischer aus Magdeburg darüber in Kenntnis, dass er fürderhin aus unserem Staatsgebiet verbannt ist.›»
Die vier Offiziere sehen den ehemaligen Botschafter an. Fischer schluckt und bittet um Übersetzung.
«Und weiter: ‹Was die Herren Snitker, Fischer u.a. auch beteuern mögen, die gestrige Entführung wird von den japanischen Behörden als Verletzung ihrer Hoheitsrechte angesehen. Es ist mit rascher Vergeltung zu rechnen, was ich nicht zu verhindern vermag. Denken Sie nicht nur an die Mannschaft, Unschuldige in diesem politischen Ränkespiel, sondern auch an ihre Frauen, Eltern und Kinder. Es ist einzusehen, dass ein Kapitän der Royal Navy seinen Befehlen folgen muss, aber à l’impossible nul n'est tenu. Ihr ergebener Diener, Jacob de Zoet›. Alle Niederländer haben unterschrieben.»
Unten in der Messe ertönt heiteres, heiseres Gelächter. «Teilen Sie Fischer bitte das Wesentliche mit, Mr. Hovell.»
Während Hovell den Brief ins Niederländische übersetzt, stopft Major Cutlip seine Pfeife.
«Warum hat dieser Marinus unseren Preußen mit diesem Eselmist gefüttert?»
«Damit er», seufzt Penhaligon, «als der größte Esel von allen dasteht.»
«Was bedeutet das Froschfressergewäsch am Schluss des Briefes, Sir?», fragt Wren.
Talbot räuspert sich. «Man kann von niemandem Unmögliches verlangen.»
«Wie ich Leute verabscheue», sagt Wren, «die auf Französisch furzen und dafür auch noch Beifall erwarten.»
«Und was hat es mit dieser Posse von der ‹Republik› auf sich?», schnaubt Cutlip.
«Kampfgeist. Einige Bürger kämpfen mutiger als schreckhafte Handlanger. Dieser de Zoet ist nicht so dumm, wie Fischer uns weismachen wollte.»
Der Preuße schleudert Hovell einen Schwall empörter Dementis entgegen. «Er behauptet, Captain, de Zoet und Marinus hätten diesen Unfug gemeinsam ausgeheckt - die Unterschriften müssten gefälscht sein. Er sagt, Gerritszoon und Baert könnten nicht einmal schreiben.»
«Darum haben sie mit ihrem Daumenabdruck unterschrieben!» Penhaligon widersteht der Versuchung, Fischer den Brieföffner ins teigige, verschwitzte, verzweifelte Gesicht zu schleudern. «Zeigen Sie es ihm, Hovell! Zeigen Sie ihm die Daumenabdrücke! Daumenabdrücke, Fischer! Daumenabdrücke!»
Holz knarrt, Männer schnarchen, Ratten schmatzen, Lampen zischen. Penhaligon sitzt in seiner höhlenartigen Schlafkajüte an seinem Klappschreibtisch. Er reibt sich die juckende Stelle zwischen den Fingern der linken Hand und hört zu, wie die zwölf Wachen «Drei Glasen, alles ist wohl» rund um das Schanzkleid rufen. Gar nichts ist wohl verdammt, denkt der Kapitän. Zwei leere Briefbögen warten im Schein der Öllampe darauf, beschrieben zu werden: Der eine an Mr. - ‹Präsident›?, denkt er, niemals! - Jacob de Zoet auf Dejima, der andere an Seine ehrwürdige Exzellenz, Statthalter Shiroyama von Nagasaki. Der einfallslose Schreiber kratzt sich am Kopf, aber es rieseln keine Worte auf das Löschpapier, sondern Schuppen und Läuse.
Eine Wartezeit von sechzig Tagen, er schüttet die Läuse in die Lampe, mag noch zu vertreten sein ...
Wetz befürchtet schwere Schäden, wenn die Phoebus im Dezember das Chinesische Meer durchsegelt.
... aber wenn ich unser Schießpulver abgebe, lande ich vor dem Militärgericht.
Ein Käfer zuckt im Schatten des Tintenfasses mit den Fühlern. Der Kapitän betrachtet den alten Mann im Rasierspiegel und liest ihm einen erfundenen Artikel vor, der in den Tiefen der Times of London des kommenden Jahres versteckt ist.
«John Penhaligon, ehemaliger Kapitän der Fregatte Seiner Majestät Phoebus, ist von der ersten britischen Seereise nach Japan seit der Regentschaft James I. zurückgekehrt. Da er weder militärische, wirtschaftliche noch diplomatische Erfolge erzielen konnte, wurde er seines Postens entbunden und ohne Pension in den Ruhestand geschickt.»
«Deine Zukunft heißt Presskommando», warnt ihn sein Spiegelbild, «und in Bristol oder Liverpool Matrosen schanghaien. Zu viele Hovells und Wrens lauern in den Startlöchern ...»
Zur Hölle, denkt der Engländer, mit dem Niederländer de Zoet ...
Penhaligon verfügt, dass der Käfer sein Lebensrecht verwirkt hat.
... zur Hölle mit seiner käseländischen Gesundheit und zur Hölle mit seiner Beherrschung meiner Sprache. Der Käfer entkommt der Faust des Homo sapiens.
Heftiger Tumult regt sich in seinem Darm: Der Druck ist erbarmungslos.
Ich muss den Reißzähnen in meinem Fuß trotzen, macht sich Penhaligon klar, oder ich scheiße mir in die Hose.
Unter unerträglichen Schmerzen schleppt er sich zum Abtritt nebenan ...
... knöpft sich in dem finsteren Kabuff die Hose auf und lässt sich auf den Sitz plumpsen.
Mein Fuß, der mörderische Schmerz kommt in Wellen, gleicht einer versteinerten Kartoffel. Immerhin haben die qualvollen zehn Schritte seinen Darm beruhigt.
Herr über eine Fregatte, denkt er, aber nicht über deine Gedärme.
Zwanzig Fuß unter ihm schlagen Wellen sanft an den Schiffsrumpf.
Junge Mädchen, er summt sein Latrinenlied, hocken wie Spatzen auf den Dächern ...
Er dreht den Ehering an seinem alten, feisten Finger.
Junge Mädchen hocken wie Spatzen auf den Dächern ...
Meredith ist erst vor drei Jahren gestorben, aber die Erinnerung an ihr Gesicht hat sich verwischt.
... ach, wäre ich noch mal ein junger Mann ...
Penhaligon wünscht sich, er hätte dem Porträtmaler damals die fünfzehn Pfund bezahlt ...
... ich stiege ihnen nach und dumdideldei und dumdideldum.
... aber er musste die Schulden seines Bruders begleichen, und seine Bezüge ließen wieder einmal auf sich warten.
Er kratzt die wunde Stelle zwischen den Fingern seiner linken Hand.
Ein schmerzhaftes Jucken entflammt seinen After. Hämorrhoiden, denkt er. Ist es denn noch nicht genug?
«Keine Zeit für Selbstmitleid», sagt er laut. «Es müssen Briefe von staatstragender Bedeutung geschrieben werden.»
Der Kapitän lauscht den Rufen der Wachen. «Fünf Glasen, alles wohl ...» Das Öl in der Lampe geht zur Neige, aber welches nachzufüllen, würde nur die Gicht aufwecken, und es ist ihm unangenehm, Chigwin wegen einer so einfachen Aufgabe zu rufen. Die unbeschriebenen Blätter bezeugen seine Unentschlossenheit. Er sammelt seine Gedanken, aber sofort zerstreuen sie sich wie eine Schafherde. Jeder große Kapitän oder Admiral, überlegt er, trägt einen berühmten Ort in seinem Titel: Bei Nelson ist es der Nil, bei Rodney unter anderem Martinique, bei Jervis ist es Kap St. Vincent. «Warum kann es bei John Penhaligon nicht Nagasaki sein?» Wegen eines gewissen niederländischen Beamten namens Jacob de Zoet, denkt er. Verflucht sei der Wind, der ihn hierher getragen hat ...
Die Warnung in seinem Brief, räumt der Kapitän ein, ist ein Meisterstreich.
Er sieht zu, wie eine Tintenträne langsam von der Feder ins Tintenfass tropft.
Wenn ich sie beherzige, stehe ich in seiner Schuld.
Ein plötzlicher Regenschauer klatscht auf die See und prasselt auf das Deck.
Sie in den Wind zu schlagen, könnte sich hingegen als leichtsinnig erweisen ...
Wetz hat heute Abend Backbordwache: Er befiehlt, Fässer aufzustellen und Planen zu spannen, um das Regenwasser aufzufangen.
... und würde nicht zu einem englisch-japanischen Abkommen, sondern zu einem englisch-japanischen Krieg führen.
Er denkt an Hovells Szenario von den siamesischen Händlern im Bristolkanal.
Auch das britische Parlament würde sechzig Tage benötigen, um seine Antwort zu schicken.
Der Mückenstich an seiner Hand ist vom Kratzen rot und dick.
Er sieht in den Rasierspiegel: Sein Großvater blickt ihm entgegen.
Es gibt ‹bekannte Ausländer›, denkt Penhaligon, und es gibt ‹fremde Ausländer›.
Bei den Franzosen, Spaniern und Niederländern kauft man sich Berichte von Spionen.
Die Lampe zischt, flackert und erlischt. Die Kajüte ist in Dunkelheit gehüllt.
De Zoet, erkennt er, hat eine seiner besten Waffen eingesetzt.
«Vielleicht», macht sich der Kapitän Mut, «wird ein kleines Nickerchen Licht ins Dunkel bringen.»
Die Wachen rufen: «Vier Glasen, alles wohl ...» Penhaligons schweißgetränktes Bettzeug hat sich um ihn gewickelt wie ein Spinnenkokon. Unten im Kojendeck liegen die Männer von der Backbordwache jetzt dicht an dicht in ihren Hängematten, zusammen mit ihren Hunden, Katzen und Affen.
Die letzte Kuh, das letzte Schaf, die beiden Ziegen und sechs Hühner schlafen ebenfalls.
Nur die nachtaktiven Ratten verrichten vermutlich in den Vorratskammern ihr Werk.
Chigwin schläft in seinem Kämmerchen bei der Kajütentür.
Schiffsarzt Nash schläft in seinem warmen Nest im Orlopdeck.
Leutnant Hovell, der heute Nacht die Steuerbordwache hält, ist sicher hellwach, aber Wren, Talbot und Cutlip werden bis zum Morgen durchschlafen.
Jacob de Zoet, stellt sich der Kapitän vor, wird von einer Kurtisane verwöhnt: Peter Fischer behauptet, er halte sich auf Kosten der Kompanie einen ganzen Harem.
«Hass frisst die Hassenden», hat Meredith einst zu dem kleinen Tristram gesagt, «so wie Ungeheuer kleine Jungs verspeisen.»
Möge Meredith im Himmel weilen und Kissen besticken ...
Das rhythmische Kurbeln der Kettenpumpe hebt an.
Wetz muss Hovell angewiesen haben, den Kielraum im Auge zu behalten.
Der Himmel ist eine heikle Angelegenheit, denkt er, und man erfreut sich an ihm besser aus der Ferne.
Kaplan Wily hält sich bedeckt, wenn er ihn fragt, ob die Meere des Himmels denen auf der Erde gleichen.
Wäre Meredith nicht glücklicher, fragt er sich, wenn sie ein eigenes Häuschen hätte?
Schlaf küsst seine Lider. Das Traumlicht ist gesprenkelt. Er geht gemächlich die Treppe zum Haus seiner alten Geliebten in der Brewer Street hinauf. Ihre Stimme flirrt. «Du stehst in der Zeitung, Johnny!» Er nimmt die Times von heute und liest:
«Admiral Sir John Penhaligon, ehemaliger Kapitän der Fregatte Seiner Majestät Phoebus, berichtete Ihren Lordschaften, er habe sofort falsches Spiel gewittert, als er den Befehl des Statthalters von Nagasaki erhielt, sein Schießpulver herauszugeben. ‹Da auf Dejima keine Beute zu holen war›, erklärte Admiral Penhaligon, ‹und sowohl Niederländer als auch Japaner uns daran hinderten, via Dejima Handel zu treiben, war es unumgänglich, unsere Geschütze gegen Dejima zu richten.› Im Unterhaus rühmte Mr. Pitt das mutige Handeln des Admirals, der damit dem niederländischen Handel in Fernost den Todesstoß versetzt habe.»
Penhaligon setzt sich in seiner Kajüte auf, stößt sich den Kopf und bricht in schallendes Gelächter aus.
Der Kapitän steigt, gestützt von Talbot, mühevoll zum Spardeck hinauf. Sein Stock ist nicht mehr Hilfsmittel, sondern Notwendigkeit: Die Gicht schmerzt wie ein Verband aus Stechginster und Brennnesseln. Es ist trocken an diesem Morgen, aber die Luft ist feucht: Dickbäuchige, muschelbesetzte Wolken sind angefüllt mit Regen. Drei chinesische Schiffe gleiten am gegenüberliegenden Ufer entlang auf die Stadt zu. Wie es aussieht, verspricht er den Chinesen, könnt ihr euch auf ein herrliches Spektakel gefasst machen ...
Auf dem Mittschiff sitzen zwei Dutzend Landratten und führen die Befehle des Segelmachers aus. Sie grüßen ihren Kapitän und bemerken den verbundenen Fuß, der zu geschwollen ist für einen Stiefel oder Schuh. Er humpelt zum Posten der Wachoffiziere am Steuer, wo Wetz eine Schale Kaffee gegen das sanfte Schaukeln der Phoebus balanciert. «Guten Morgen, Mr. Wetz. Gibt es etwas zu melden?»
«Wir haben zehn Tonnen mit Regenwasser gefüllt, Sir, und der Wind hat nach Norden gedreht.»
Aus dem Abzug der Kombüse dringen fettiger Dampf und ein Schwall Obszönitäten.
Penhaligon blickt hinaus zu den Wachtbooten. «Und unsere nimmermüden Wachhunde?»
«Haben uns die ganze Nacht lang umkreist, Sir.»
«Ich würde gerne Ihre Meinung zu einem spekulativen Manöver hören, Mr. Wetz.»
«Ach so, Sir? Vielleicht übernimmt dann Lieutenant Talbot das Steuer.»
Wetz geht zur Heckreling auf dem Achterdeck, wo sie ungestört sind. Penhaligon humpelt hinterher.
«Wäre es möglich, bis auf dreihundert Yards an Dejima heranzusegeln?»
Wetz zeigt auf die chinesischen Dschunken. «Was die können, können wir auch.»
«Könnten Sie das Schiff drei Minuten lang auf der Stelle halten, ohne Anker zu werfen?»
Wetz schätzt die Windstärke ein. «Ein Kinderspiel.»
«Und wie schnell könnten wir aus der Bucht hinaus aufs offene Meer segeln?»
«Müssten wir uns den Weg freikämpfen ...», der Navigator schätzt die Entfernung in beide Richtungen ab, «oder könnten wir ungestört wenden, Sir?»
«Meine Hauswahrsagerin ist schwer erkältet: Es ist kein Ton aus ihr herauszukriegen.»
Der Navigator schnipst mit dem Finger wie ein Pflüger, der seine Stute antreibt. «Wenn das Wetter hält, Captain ... sind wir in fünfzig Minuten draußen.»
«Robert», sagt Penhaligon mit der Pfeife im Mund. «Ich habe Sie aus dem Schlaf geholt. Treten Sie ein.»
Der unrasierte Erste Leutnant ist eben aus der Koje gestiegen. «Sir.» Hovell schließt die Kajütentür, um das Getöse der einhundertfünfzig Matrosen zu dämpfen, die Schiffszwieback mit Ghee frühstücken. «Man sagt, ein ausgeschlafener Erster Offizier ist ein unachtsamer Erster Offizier. Darf ich mich nach Ihrem ...» Er blickt auf Penhaligons verbundenen Fuß.
«Dick wie ein Bovist, aber Mr. Nash hat mich bis an die Kiemen mit seinem Heilmittel vollgepumpt, sodass ich mich für heute über Wasser halten kann, und das sollte ausreichen.»
«Ja, Sir? Wie das?»
«Ich habe heute Nacht zwei Schreiben verfasst. Würden Sie sie bitte sorgfältig durchlesen? Es sind wichtige Briefe, trotz ihrer Kürze. Ihr Gehalt soll nicht durch Rechtschreibfehler geschmälert werden, und Sie sind der gebildetste Mann, den wir auf der Phoebus haben.»
«Es ist mir eine Ehre, Sir, aber der Kaplan ist belesener -»
«Lesen Sie bitte laut vor, damit ich höre, wie sie wirken.»
Hovell liest vor: «‹An Mr. Jacob de Zoet: Erstens ist Dejima keine provisorische Republik, sondern eine abgelegene Handelsniederlassung, deren vormalige Eigentümerin, die Niederländische Ostindien-Kompanie, nicht mehr existiert. Zweitens sind Sie kein Präsident, sondern ein Krämer, der, indem er sich in Abwesenheit des stellvertretenden Faktors Peter Fischer über selbigen gestellt hat, gegen die Satzung besagter Kompanie verstoßen hat.› Ein gutes Argument, Captain. ‹Drittens, obschon ich den Befehl habe, Dejima auf diplomatischem oder militärischem Wege einzunehmen, sehe ich mich, sollte dies nicht gelingen, dazu gezwungen, den Handelsposten unbrauchbar zu machen.›» Hovell blickt überrascht auf.
«Wir sind gleich am Ende, Lieutenant Hovell.»
«‹Streichen Sie bei Erhalt dieses Briefes Ihre Fahne und lassen Sie sich bis zwölf Uhr auf die Phoebus bringen, wo man Ihnen die Privilegien eines Kriegsgefangenen von Stand gewähren wird. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, verurteilen Sie Dejima zu ...›», Hovell hält inne, «‹... zu seiner vollständigen Zerstörung ... Hochachtungsvoll und so weiter ...›»
Über der Kapitänskajüte trocknen Matrosen mit Schwabbern das Achterdeck.
Hovell gibt den Brief zurück. «Es sind keine Grammatik oder Stilfehler darin, Sir.»
«Wir sind unter uns, Robert, Sie brauchen kein Blatt vor den Mund zu nehmen.»
«Könnte manch einer ein solches Täuschungsmanöver nicht als ein wenig zu ... kühn erachten?»
«Das ist kein Täuschungsmanöver. Entweder Dejima wird britisch, oder es gehört niemandem.»
«Sind das die Befehle, die der Gouverneur von Bengalen ausgegeben hat, Sir?»
«‹Plündern Sie oder treiben Sie Handel, je nachdem, was die Umstände dulden und was Ihre Tatkraft Ihnen rät.› Die Umstände schließen Plünderung und Handel aus. Mit eingezogenem Schwanz das Feld zu räumen, ist keine angenehme Aussicht, also greife ich auf meine Tatkraft zurück.»
Irgendwo in der Nähe bellt ein Hund, und ein Affe kreischt.
«Captain - Sie haben die Folgen gründlich bedacht?»
«Es ist höchste Zeit, dass Jacob de Zoet zu spüren bekommt, was das Wort Folgen bedeutet.»
«Sir, da Sie mich aufgefordert haben, meine Meinung zu äußern, muss ich sagen, dass ein grundloser Angriff auf Dejima das Ansehen Großbritanniens in Japan für die nächsten beiden Generationen beschmutzen wird.»
«Beschmutzen» und «grundlos», denkt Penhaligon, sind unbedachte Worte. «Haben Sie die vorsätzlichen Beleidigungen im Brief des Statthalters überhört?»
«Der Brief entsprach nicht unseren Erwartungen, aber die Japaner haben uns schließlich nicht nach Nagasaki eingeladen.»
Wer nicht wie sein Feind werden will, denkt Penhaligon, muss sich davor hüten, ihn zu verstehen.
«Der zweite Brief ist an Statthalter Shiroyama gerichtet, vermute ich?»
«Sie vermuten richtig.» Der Kapitän reicht ihm das Blatt.
«‹An Statthalter Shiroyama. Sehr geehrter Herr: Mr. Fischer reichte Ihnen im Auftrag der Krone und der Regierung Großbritanniens die Hand der Freundschaft. Diese Hand wurde zurückgewiesen. Ein britischer Kapitän gibt niemals sein Schießpulver heraus oder duldet ausländische Inspektoren auf seinem Schiff. Die von Ihnen vorgeschlagene Quarantäne für HMS Phoebus verstößt gegen die unter zivilisierten Völkern üblichen Sitten. Ich bin jedoch willens, diese Beleidigung zu übersehen, vorausgesetzt, Eure Exzellenz erfüllt folgende Bedingungen: Sie liefern bis zwölf Uhr den Niederländer Jacob de Zoet an die Phoebus aus, setzen Botschafter Fischer als Faktoreileiter auf Dejima ein und ziehen die unannehmbaren Forderungen bezüglich unseres Schießpulvers und der Inspektion unseres Schiffes zurück. Alle drei Bedingungen sind einzuhalten, oder die Niederländer werden auf nach Kriegsrecht angemessene Weise für ihre Unbeugsamkeit bestraft; alle dabei erfolgenden Sach- und Personenschäden gehen zu Lasten Eurer Exzellenz. Mit Bedauern und so weiter, Captain Penhaligon von der Royal Navy der britischen Krone›. Nun ja, Sir, das ist ...»
Eine pochende Ader in Penhaligons Fuß verursacht einen fast unerträglichen Schmerz.
«... das ist genauso unzweideutig», sagt der Leutnant, «wie der erste Brief.»
Was, denkt der Kapitän zornig und betrübt, ist nur aus meinem dankbaren jungen Schützling geworden? «Übersetzen Sie den Brief an den Statthalter ins Niederländische, aber bitte schnell. Dann lassen Sie Fischer zu einem der Wachtboote rudern, damit er den Brief überbringen kann.»
«‹Kurz nachher›», Leutnant Talbot sitzt in der Kajüte des Kapitäns auf der Fensterbank und liest aus Kaempfers Buch vor, während Rafferty, der Arztgehilfe, mit dem Rasiermesser über Penhaligons Kinn schabt, «‹noch in ebendem Jahre 1638, trug dieser heidnische Hof kein Bedenken, den Holländern eine abscheuliche Probe ihres Gehorsams anzumuten, aus der er urteilen wollte, ob die Gebote des Kaisers oder die Liebe zu ihren Mitchristen größere Kraft bei ihnen habe? Diese bestand darin, dass wir dem Reich in Ausrottung der einheimischen Christen dienen und Hülfe leisten sollten. Von diesen hatte sich nämlich ein noch übriger Haufe, der etwa aus 40 000 Menschen bestand, aus Furcht vor dem Martyrium, in eine alte Festung in der Provinz ...›», Talbot ringt mit dem Wort, «‹Provinz Shimabara geworfen, um sich mit aller Stärke der Verzweiflung zu verteidigen. Die Holländer standen nicht an, auch diese verlangte Probe ihres Gehorsams zu geben. Unser Resident›» - Talbot stolpert erneut - «‹Koekebakker verfügte sich selbst mit einem noch vorhandenen Schiffe an den bestimmten Ort und beschoss binnen 14 Tagen die belagerten Christen sowohl vom Schiffe als auch vom Lande mit 426 groben Kanonenschüssen.›»
«Ich wusste ja, dass die Niederländer knauserige Hurensöhne sind ...», Rafferty stutzt Penhaligon mit der Chirurgenschere die Nasenhaare, «aber dass sie für Handelsrechte Christen abschlachten, geht auf keine Kuhhaut, Captain. Da kann man ja gleich sein altes Mütterchen an den Vivisektionisten verkaufen.»
«Sie sind das gewissenloseste Volk Europas. Mr. Talbot?»
«Jawohl, Sir: ‹Die Japaner bezeigten sich mit diesem Beistande zufrieden, und obgleich die Belagerten noch nicht zur Übergabe gebracht und gänzlich gedemütigt worden; so waren doch ihre Kräfte ganz ungemein geschwächt. Man erlaubte unserem Schiffe daher, wieder abzuziehen, doch musste es noch sechs Kanonen, zu Ausführung ihrer grausamen Absicht, den Japanern überlassen, ob man ihnen gleich schon vorher aus den anderen Schiffen fünf geliehen, und auf der Rückreise eine sehr unsichere See zu befahren hatte.› Ob es sich bei den Kanonen um die Spielzeuge handelt, die die Geschützstände in der Bucht zieren, Sir?»
«Gut möglich, Mr. Talbot, gut möglich.»
Rafferty bestreicht die Wangen des Kapitäns mit Pears-Seife.
Major Cutlip betritt die Kajüte. «Das neue Wachtboot kommt nicht näher heran als die anderen, Captain, und von de Zoet ist nichts zu sehen. Ihre Fahne weht noch über Dejima, frech wie eine lange Nase.»
«Wir werden die Nase kappen», verspricht Penhaligon, «und in Stücke schneiden.»
«Außerdem wird Dejima geräumt. Sie schaffen alles weg, was sich transportieren lässt.»
Dann haben sie ihre Entscheidung getroffen, denkt er. «Die Uhrzeit, Mr. Talbot?»
«Die Uhrzeit, Sir ... es ist kurz nach halb elf, Captain.»
«Lieutenant Wren, sagen Sie Mr. Waldron, er soll, wenn wir keine Meldung von Land erhalten -»
Auf dem Gang ertönt lautes Stimmengewirr.
«Nicht ohne Genehmigung vom Captain», schreit Banes oder Panes.
Fischer brüllt wütend etwas auf Niederländisch, das mit «Botschafter!» endet.
«Die Matrosen aus Hannover haben ihm wohl gesteckt, was im Gange ist», sinniert Cutlip.
«Soll ich Lieutenant Hovell holen, Sir?», fragt Talbot. «Oder Smeyers suchen?»
«Wozu brauchen wir noch Niederländer, wenn die Japaner unser Angebot zurückweisen?»
Fischer brüllt vor der Kajütentür: «Captain Penhaligon! Wir müssen reden! Captain!»
«Sauerkraut mag vor Skorbut schützen», sagt der Kapitän, «aber ein saurer Kraut ...»
Rafferty kichert und stößt üble Dünste aus.
«... ist nicht hilfreich, sondern hinderlich. Sagen Sie ihm, ich sei beschäftigt, Major. Wenn er das Wort nicht versteht, zeigen Sie ihm, was es bedeutet.»
Fünf Minuten vor zwölf spricht Penhaligon, geschmückt mit goldbetresstem Rock und Dreispitz, auf dem Spardeck zu seiner Mannschaft. «In fremden Breiten, Männer, überschlagen sich die Ereignisse wie im Krieg. Wir werden heute Vormittag ein Gefecht erleben. Es besteht kein Anlass für eine große Ansprache, wie sie am Vorabend einer Schlacht gehalten wird. Ich rechne mit einer kurzen, lärmenden, einseitigen Angelegenheit. Gestern noch haben wir den Japanern die Hand der Freundschaft gereicht. Sie haben darauf gespuckt. Ungalant? Ja. Töricht? Ich glaube. Strafbar nach den Gesetzen zivilisierter Nationen? Leider nein. Und so lautet unsere Pflicht an diesem Vormittag, die Niederländer zu bestrafen ...», von einigen der älteren Seeleute kommen raue Jubelrufe, «... diese Horde von Gestrandeten, denen wir Arbeit und freie Heimfahrt anboten. Sie haben mit einer Unverschämtheit darauf reagiert, die kein Engländer auf sich sitzen lassen kann.»
Dichter Sprühregen fällt auf die wolkenverhangenen Berge.
«Lägen wir vor Hispaniola oder vor der Malabarküste, würden wir von den Niederländern Wiedergutmachung fordern und diese Bucht in King George Harbour umbenennen. Die Niederländer glauben nicht, dass ich die beste Mannschaft, die ich je hatte, durch einen ihrer Meinung nach aussichtslosen Angriff auf Dejima in Gefahr bringe, und sie wissen: Die Japaner haben mehr Krieger als die Phoebus Kanonenkugeln.»
Eines der beiden Wachtboote rudert zurück nach Nagasaki.
Rudert, so schnell ihr könnt, denkt der Kapitän, ihr werdet meiner Phoebus nicht entkommen.
«Aber wir werden Dejima in Schutt und Asche legen und die Mär von der niederländischen Stärke zerstören. Wenn sich, vielleicht schon im nächsten Jahr, der Staub gelegt hat und die richtigen Schlüsse gezogen sind, wird man die britische Delegation nicht mehr so brüsk zurückweisen.»
«Was ist», fragt Major Cutlip, «wenn die Einheimischen versuchen, unser Schiff zu entern?»
«Feuern Sie Warnschüsse ab. Zeigen diese keine Wirkung, dürfen Sie die Kraft und Präzision britischer Geschütze demonstrieren. Töten Sie so wenig Menschen wie möglich.»
«Sir», Hauptkanonier Waldron hebt die Hand, «es werden sicher manche Schüsse über das Ziel hinausgehen.»
«Unser Ziel heißt Dejima, aber wenn Geschosse unbeabsichtigt auf Nagasaki niedergehen ...»
Penhaligon spürt förmlich, wie sich Hovell neben ihm die Nackenhaare sträuben.
«... werden die Japaner ihre Verbündeten in Zukunft klüger auswählen. Lassen Sie uns diesem despotischen rückständigen Land eine Kostprobe des neuen Jahrhunderts geben.» Penhaligon entdeckt unter den Gesichtern in der Takelage Hartlepool, der zu ihm hinunterschaut wie ein brauner Engel. «Zeigen Sie diesem pestverseuchten heidnischen Hafen, welche Wunden ein britischer Kriegshund seinem Feind beibringen kann, wenn sein gerechter Zorn entfacht ist!»
Knapp dreihundert Seeleute blicken ihren Kapitän mit ehrfürchtiger Bewunderung an.
Er wendet sich Hovell zu, aber der Blick des Leutnants ist auf Nagasaki gerichtet.
«Geschützmannschaften an ihre Posten! Bringen Sie uns näher heran, Mr. Wetz!»
Zwanzig Mann drehen die Winde, das Tau ächzt, der Anker hebt sich.
Wetz brüllt den Matrosen Befehle zu, während sie in die Wanten klettern.
«Ein gut geführtes Schiff, sagte Captain Golding immer, ist eine schwimmende Oper ...»
Die Spriet- und Klüversegel öffnen sich: Dem Klüverbaum gefällt die Vorstellung.
«... die vom Captain inszeniert, aber vom Navigator dirigiert wird.»
Hinab sausen die Fock- und die Großsegel, dann die Kreuzsegel ... Die Knochen der Phoebus spannen sich, und ihre Gelenke knirschen vor Anstrengung.
Wetz bewegt das Steuer, bis die Phoebus auf Backbordhalsen liegt.
Ledbetter, der Lotgast mit dem passenden Namen, hält sich an einem Schothornseil fest und misst die Wassertiefe.
Auf halbem Weg in den tropfenden Himmel setzen sich die Männer rittlings auf die Kreuzrahen.
Der Bug dreht sich um hundertvierzig Grad ...
... und mit einem kurzen Schlingern bewegt sich die Fregatte auf Nagasaki zu.
Ein wettergegerbter Däne macht aus einem Klaufall Tausalat. «Würden Sie mich einen Augenblick entschuldigen, Sir?» Hovell zeigt auf den Dänen.
«Nur zu», antwortet Penhaligon. Sein schroffer Ton signalisiert: Und lassen Sie sich Zeit.
«Kommen Sie», sagt er zu Wren, «wir wollen den Ausblick vom Bug genießen.»
«Eine ausgezeichnete Idee, Sir», stimmt der Zweite Leutnant zu.
Penhaligon humpelt bis zu den Fockmastwanten. Cutlip und ein Dutzend Seesoldaten beobachten das verbliebene Wachtboot, das nur noch hundert Yards vor ihnen liegt, ein mickriger Kahn mit kleinem Deckhaus, der schwerfälliger wirkt als eine Dau. Die sechs Schwertkämpfer und zwei Inspektoren an Bord scheinen darüber zu streiten, wie sie richtig reagieren sollen.
«Bleibt, wo ihr seid, meine Hübschen», murmelt Wren. «Wir schneiden euch mittendurch ...»
«Eine kleine Schrotladung», schlägt Cutlip vor, «brächte sie vielleicht zur Vernunft, Sir.»
«Einverstanden, aber» - Penhaligon wendet sich an die Soldaten - «ich will keine Toten sehen.»
«Zu Befehl, Sir», antworten die Soldaten, während sie die Gewehre in Anschlag bringen.
Cutlip wartet ab, bis der Abstand auf fünfzig Yards geschmolzen ist. «Feuer!»
Holz splittert von den Planken, Wasser spritzt auf.
Ein Inspektor duckt sich, sein Kollege hechtet ins Deckhaus.
Zwei Ruderer springen auf ihre Plätze und rudern das Boot im letzten Augenblick aus dem Kurs der Phoebus. Vom Bug hat man einen guten Blick auf die Krieger: Sie starren furchtlos hinauf zu den Europäern, aber sie machen keinerlei Anstalten, mit Pfeilen oder Speeren anzugreifen oder die Verfolgung aufzunehmen. Das Boot liegt mit Schlagseite im Kielwasser der Phoebus und ist schnell achteraus verschwunden.
«Gut geschossen», lobt Penhaligon die Soldaten.
«Gewehre nachladen», sagt Cutlip. «Passen Sie auf, dass das Pulver keinen Regen abbekommt.»
Nagasaki, hingegossen am Berghang, kommt näher.
Der Bugspriet der Phoebus zeigt acht bis zehn Grad östlich von Dejima: Der Union Jack weht steif wie ein Brett am Göschstock.
Hovell stellt sich wortlos zu den Vertrauten des Kapitäns.
Penhaligon erblickt ein armseliges Dörfchen an einer schlammigen kleinen Bucht.
«Sie wirken nachdenklich, Lieutenant Hovell», sagt Wren. «Bauchschmerzen?»
«Ihre Sorge, Lieutenant Wren», Hovell blickt starr geradeaus, «ist gänzlich überflüssig.»
Malouf springt leichtfüßig den Fischdavit hinunter. «Ungefähr hundert einheimische Soldaten sind aufmarschiert, Sir, auf einem Platz direkt vor Dejima.»
«Und wurden Boote zu unserem Empfang losgeschickt?»
«Nicht eines bis jetzt, Captain: Clovelly hält vom Krähennest Ausschau. Der Handelsposten scheint verlassen - sogar die Bäume sind geflüchtet.»
«Ausgezeichnet. Die Niederländer sollen als Feiglinge dastehen. Zurück in die Wanten, Mr. Malouf.»
Ledbetters Messungen, die an Wetz übermittelt werden, geben keinen Anlass zur Besorgnis.
Der Regen nimmt zu, aber es weht weiter ein frischer Wind.
Zwei, drei angespannte Minuten später ertönt auf Dejima die Alarmglocke.
Hauptkanonier Waldron ruft unten im Batteriedeck: «Steuerbordpforten öffnen, Männer!»
Die Pfortendeckel krachen wie Knochen an die Bordwand.
«Sir.» Talbot blickt durch sein Fernrohr. «Zwei Europäer auf dem Wachtturm.»
«Ah?» Der Kapitän erspäht die beiden durch sein Fernrohr und achthundert Yards Regen. Der schlankere trägt einen breitkrempigen Hut wie ein spanischer Brigant. Sein massiger Begleiter stützt sich am Geländer ab und scheint der Phoebus mit seinem Stock zuzuwinken. Auf dem Eckpfosten sitzt ein Affe. «Mr. Talbot, wecken Sie Daniel Snitker.»
«Die glauben wohl», spottet Wren, «wir schießen nicht, solange sie da oben stehen.»
«Dejima ist ihr Schiff», sagt Hovell. «Sie stehen auf dem Achterdeck.»
«Die werden schon Reißaus nehmen», orakelt Cutlip, «wenn sie merken, dass wir es ernst meinen.»
Die Phoebus ist noch siebenhundert Yards von der östlichen Krümmung der Bucht entfernt. Wetz brüllt: «Hart backbord!» Die Fregatte dreht sich um achtzig Grad, bis sie auf Steuerbordbug parallel zur Küste segelt, zwei Schussweiten entfernt. Sie passieren ein rechteckiges Gelände mit Speichern: Auf den Dächern kauern, geschützt von Strohumhängen und Regenschirmen, Männer, die gekleidet sind wie die chinesischen Kaufleute, denen Penhaligon in Macao begegnet ist.
«Fischer sprach von einem chinesischen Dejima», erinnert sich Wren. «Das muss es sein.»
Hauptkanonier Waldron kommt an Deck. «Sollen die Steuerbordgeschütze jetzt geladen werden, Sir?»
«Alle zwölf, feuerbereit in drei bis vier Minuten, Waldron. Ran an den Speck!»
«Zu Befehl, Sir!» Unten schreit er seinen Leuten zu: «Füttert die dicken Jungs!»
Talbot erscheint mit Snitker, der nicht recht zu wissen scheint, welche Pose er einnehmen soll.
«Mr. Hovell, borgen Sie Snitker Ihr Fernrohr. Er soll die beiden Männer auf dem Wachtturm identifizieren.» Snitkers Antwort lässt auf sich warten, aber sie enthält den Namen de Zoet. «Er sagt, der mit dem Stock sei Marinus, der Arzt, und der mit dem grotesken Hut sei de Zoet. Der Affe heißt William Pitt.» Snitker richtet noch einige Sätze an Hovell.
Penhaligon schätzt die Entfernung auf fünfhundert Yards.
Hovell fährt fort: «Mr. Snitker bittet mich, Ihnen mitzuteilen, Captain, dass die Situation gänzlich anders verlaufen wäre, hätten Sie ihn als Botschafter ausgewählt. Hätte er allerdings gewusst, dass Sie ein zerstörungswütiger Vandale sind, hätte er Sie nie in diese Gewässer geführt.»
Sehr dienlich, Hovell, denkt Penhaligon, dass Snitker Ihnen abnimmt, was Sie sich nicht zu sagen trauen. «Fragen Sie ihn, was die Japaner wohl mit ihm anstellen, wenn wir ihn über Bord schmeißen.»
Hovell übersetzt, und Snitker schleicht davon wie ein geprügelter Hund.
Penhaligon wendet sich wieder den Niederländern auf dem Wachtturm zu.
Durchs Fernrohr betrachtet wirkt Marinus, der Arzt und Gelehrte, bäurisch und plump.
De Zoet hingegen ist jünger und besser gekleidet als erwartet. Zeig uns, denkt Penhaligon, ob deine niederländische Kühnheit englischer Munition standhalten kann.
Waldrons Oberkörper erscheint über der Luke. «Bereit für Ihren Befehl, Captain.»
Fernöstlicher Regen fällt zart wie Spitze auf die ledrigen Matrosengesichter.
«Schlagen Sie zu, Mr. Waldron, mitten ins Gesicht ...»
«Zu Befehl, Sir.» Waldron gibt den Befehl nach unten weiter: «Steuerbordmannschaft, Feuer!»
Major Cutlip summt: «Drei blinde Mäuse, drei blinde Mäuse ...»
Die Rufe der Zündkanoniere dringen durch die Geschützpforten bis hinauf über das Schanzkleid. «Kanone klar!»
Der Kapitän beobachtet, wie die Niederländer in die Mündungen seiner Kanonen starren.
Kiebitze fliegen tief über der steinernen See; Meerwasser tropft von ihren Flügelspitzen. Das ist etwas für einen Soldaten oder Irrsinnigen, denkt Penhaligon, nicht für einen Arzt und einen Krämer.
Die erste Kanone entlädt sich mit ohrenbetäubendem Donner; das Herz des alternden Kapitäns pocht wie bei seinem ersten Gefecht mit einem amerikanischen Freibeuter vor einem Vierteljahrhundert; elf weitere Kanonen folgen innerhalb von sieben, acht Sekunden.
Ein Speicher stürzt ein, zwei Kugeln durchschlagen die Palisade, Dachziegel stieben in die Luft. Der Kapitän blickt zufrieden durch Rauch und Zerstörung hinüber zum Turm, überzeugt, dass de Zoet und Marinus mit eingezogenen Schwänzen geflüchtet sind.
«... und schnitt den armen Mäusen», summt Cutlip, «die Schwänze ab ...»
Der Wind trägt den Pulverrauch an Deck und hüllt die Soldaten in dunklen Nebel.
Talbot entdeckt sie als Erster: «Sie sind noch auf dem Turm, Sir.»
Penhaligon eilt zur Luke. Sein Fuß winselt um Gnade, sein Stock drischt auf die Planken ein: Fahrt zur Hölle, fahrt zur Hölle ...
Die Offiziere laufen ihm wie aufgeregte Spaniel hinterher, um ihm im Notfall aufzuhelfen. «Geschütze für die zweite Salve laden», brüllt er durch die Luke Waldron zu. «Zehn Guineen für die Mannschaft, die den Wachtturm fällt!»
Waldron brüllt zurück: «Zu Befehl, Sir! Ihr habt den Captain gehört, Männer!»
Wutentbrannt schleppt sich Penhaligon zurück zum Achterdeck; die Offiziere folgen ihm.
«Halten Sie das Schiff auf Position, Mr. Wetz», befiehlt er dem Navigator.
Wetz ist damit beschäftigt, das richtige Verhältnis von Windgeschwindigkeit, Segelfläche und Ruderstellung abzuschätzen. «Halte Schiff auf Position, Captain.»
«Captain», meldet sich Cutlip, «wenn wir auf hundertzwanzig Yards ranfahren, durchsieben meine Jungs das dreiste Duo mit ihren Musketen.»
Tristram, hatte Captain Frederick von der Blenheim Penhaligon mitgeteilt, wurde auf dem Achterdeck von einem Kettengeschoss zerfetzt: Hätte er sich wie die niederen Offiziere auf den Boden geworfen, wäre er wahrscheinlich noch am Leben, aber Tristram hatte der Gefahr stets unerschrocken ins Auge gesehen ...
«Ich will nicht riskieren, dass wir auf Grund laufen, Major. Der Tag würde keinen guten Ausgang nehmen.»
Erinnerst du dich noch an Charlies Bulldogge, Penhaligon seufzt, und den Kricketschläger?
«Der Rauch», murmelt der Kapitän blinzelnd, «zerbeißt mir die Augen.»
Feiglinge laben sich wie Krähen an toten Helden.
«Das erinnert mich», erzählt Wren Talbot und den Kadetten, «an meinen Einsatz auf der Swiftsure: Drei französische Fregatten waren uns auf den Fersen wie eine Meute kläffender Jagdhunde ...»
«Sir», sagt Hovell ruhig, «darf ich Ihnen meinen Umhang anbieten? Der Regen ...»
Penhaligon spielt den Entrüsteten. «Bin ich vielleicht altersschwach, Lieutenant?»
Robert Hovell zieht sich hinter den Leutnant Hovell zurück. «Verzeihen Sie, Sir.»
Wetz brüllt Befehle: Männer auf den Marsen antworten, Taue spannen sich, Blöcke knirschen, Regen glitzert.
Auf Dejima fällt ein schmaler hoher Speicher erst jetzt krachend in sich zusammen.
«... und so», erzählt Wren weiter, «verschlug es mich in all dem Rauch und dem wilden Durcheinander auf das feindliche Schiff. Ich zog die Mütze tief ins Gesicht, griff mir eine Laterne, folgte einem Äffchen hinunter zum Pulvermagazin - stockfinster war es dort -, schlüpfte in das danebenliegende Kabelgatt und spielte Feuerteufel ...»
Waldron kommt zurück. «Sir, die Geschütze sind für die zweite Salve geladen.»
Verhaltet euch wie Marineoffiziere, Penhaligon beobachtet de Zoet und Marinus ...
... vielleicht werdet ihr dann wie Marineoffiziere sterben. «Denken Sie daran, Mr. Waldron, zehn Guineen.»
Waldron verschwindet unter Deck und schreit wie ein Irrsinniger: «Zeigt’s ihnen, Männer!»
Die Rädchen der Zeit greifen ineinander. Die Zündkanoniere rufen: «Kanone klar!»
Geschütze werden in wunderschönen, schrecklich donnernden Bögen ...
... in ein Speicherdach und eine Häuserwand geschleudert, und eine Kugel fliegt nicht einmal einen Meter an de Zoet und Marinus vorbei, die sich flach hinwerfen. Alle anderen Kugeln aber fliegen über Dejima hinweg ...
Feuchter Qualm trübt die Sicht, bis der Wind ihn weggeblasen hat.
Ein Geräusch, das klingt wie eine kreischende Posaune oder ein großer umstürzender Baum, hallt herüber ...
... es kommt nicht von Dejima, sondern von dahinter: Das entsetzliche Krachen von zersplitterndem Holz und einstürzendem Mauerwerk.
De Zoet hilft dem Arzt aufzustehen; Marinus sucht seinen Stock; sie blicken landeinwärts.
Es ist widerwärtig, denkt Penhaligon, den Mut des geschmähten Feindes zu entdecken.
«Niemand kann Ihnen Vorhalten, Sir», sagt Wren, «Sie hätten den Gegner nicht ausreichend gewarnt.»
Macht ist das Werkzeug, denkt der Kapitän, mit dem die Menschen die Zukunft schreiben ...
«Die rückständigen Pygmäen», versichert ihm Cutlip, «werden diesen Tag so schnell nicht vergessen.»
... aber die Zukunft, er nimmt den Dreispitz ab, neigt dazu, sich selbst zu schreiben.
Aus dem Batteriedeck dringen grauenhafte Schreie herauf.
Jemand wurde beim Rückstoß verletzt, rät Penhaligon mit ekelerregender Gewissheit.
Hovell will schon davoneilen und sich vergewissern, als Waldron den Kopf aus der Luke steckt.
Das Entsetzen steht dem Oberkanonier noch ins Gesicht geschrieben. «Noch eine Salve, Sir?»
John Penhaligon fragt: «Wer wurde getroffen, Waldron?»
«Michael Tozer - das Brooktau ist gerissen, Sir, und ...»
Im Hintergrund sind ersticktes Schluchzen und heisere Schreie zu hören.
«Glauben Sie, das Bein muss ab?»
«Das ist es schon, Sir. Der arme Kerl wird gerade zu Mr. Nash gebracht.»
«Sir -»
Hovell, das weiß Penhaligon, möchte um Erlaubnis bitten, Tozer zu begleiten.
«Gehen Sie ruhig, Lieutenant. Dürfte ich Sie vielleicht jetzt um Ihren Umhang bitten?»
«Natürlich, Sir.» Robert Hovell reicht dem Kapitän das Kleidungsstück und geht nach unten.
Ein Seekadett legt Penhaligon den Umhang um: Der Stoff riecht nach Hovell.
Hasserfüllt wendet sich der Kapitän dem Wachtturm zu.
Der Turm steht noch und ebenso die beiden Männer; die niederländische Fahne weht noch an ihrem Mast. «Führen Sie unsere Karronaden vor. Vier Mannschaften, Mr. Waldron.»
Die Seekadetten werfen einander Blicke zu. Major Cutlip schäumt vor Begeisterung.
Malouf fragt Talbot mit gesenkter Stimme: «Fehlt es den Karronaden nicht an Stoßkraft, Sir?»
Penhaligon antwortet: «Sie wurden für den Nahkampf gebaut, das ist richtig, aber ...»
Er sieht, dass de Zoet ihn durch sein Fernrohr beobachtet.
Der Kapitän verkündet: «Ich will die verfluchte niederländische Fahne in Fetzen sehen.»
Ein Haus auf dem Berg spuckt öligen Rauch in die schwere, feuchte Luft.
Der Kapitän denkt: Ich will diese verfluchten Niederländer zerfetzt sehen.
Die Geschützmannschaften kommen von unten an Deck, düster gestimmt durch Tozers Unfall. Auf dem Achterdeck entfernen sie die Holzverkleidung vom Schanzkleid und rollen die kurzläufigen Kanonen in Stellung.
Penhaligon befiehlt: «Laden Sie mit Kettenkugeln, Mr. Waldron.»
«Wenn wir auf die Fahne zielen, Sir, könnten ...» Hauptkanonier Waldron zeigt auf den Wachtturm, der sich nur fünf Yards unterhalb der Fahnenmastspitze befindet.
«Vier pfeifende, rotierende, schartige, rostige Kettenkugeln» - Major Cutlip strahlt wie ein geiler Lüstling - «und wir reißen ihnen das Lächeln aus den niederländischen Visagen ...»
«... und die Visagen aus den Köpfen», fügt Wren hinzu, «und die Köpfe von den Schultern.»
Die Pulveräffchen klettern mit den Sprengstoffsäcken aus den Luken.
Der Kapitän erkennt Moff, den Jungen aus Penzance. Sein Gesicht ist blass, die Wangen gerötet.
Die Pulverladung wird mit Ansetzern in die Zündkammern gerammt.
Rasselnde Kugeln an rostigen Ketten werden in die kurzen Rohre gelegt.
«Zielt auf die Fahne, Männer», ruft Waldron. «Nicht so hoch, Hal Yeovil.»
Penhaligons ganzes rechtes Bein glüht vor Schmerz.
Die Gicht besiegt mich, erkennt er. In spätestens einer Stunde bin ich ans Bett gefesselt.
Dr. Marinus scheint seinem Landsmann Vorhaltungen zu machen.
Aber de Zoet, tröstet sich der Kapitän, ist in spätestens einer Minute tot.
«Befestigt die Brooktaue zweifach», befiehlt Waldron. «Ihr habt eben gesehen, warum.»
Sollte Hovell recht haben?, denkt der Kapitän. Wurden meine Gedanken in den vergangenen drei Tagen vom Schmerz gelenkt?
«Karronaden feuerbereit, Sir», ruft Waldron, «auf Ihren Befehl.»
Der Kapitän holt Luft, um das Todesurteil über die beiden Niederländer auszusprechen.
Sie wissen es. Marinus hält sich am Geländer fest und blickt woanders hin. Sein Gesicht zittert, aber er rührt sich nicht vom Fleck.
De Zoet nimmt den Hut ab; sein widerspenstiger, zerzauster Schopf ist kupferrot ...
... und Penhaligon sieht Tristram, seinen schönen, heißgeliebten, rothaarigen Sohn, der dem Tod ins Auge blickt ...