[Menü]

IX

Sekretär de Zoets Unterkunft im Großen Haus

Sonntagmorgen am 15. September 1799

 

Jacob holt den Psalter der de Zoets unter den Dielenbrettern hervor und zieht sich in die Ecke zurück, wo er jeden Abend auf nackten Knien betet. Er drückt die Nase an den schmalen Spalt zwischen Buchrücken und Einband und atmet den muffigen Geruch des Domburger Pfarrhauses. Der Geruch weckt Erinnerungen an Januarsonntage, wenn die Domburger sich auf der Dorfstraße gegen den Sturm bis hinauf zur Kirche vorkämpften; an Ostersonntage, wenn die Sonne die käsigen Rücken der Jungen wärmte, die schuldbewusst an der Lagune faulenzten; an Herbstsonntage, wenn der Küster bei dichtem Seenebel den Kirchturm hinaufstieg, um die Glocke zu läuten; an Sonntage im kurzen zeeländischen Sommer, wenn die Hüte der neuen Saison vom Putzmacher in Middelburg eintrafen, und an einen besonderen Pfingstsonntag, als Jacob seinem Onkel gegenüber den Gedanken vorbrachte, dass die Dreieinigkeit Gottvater, Sohn und Heiliger Geist sich darin zeige, dass ein einzelner Mensch zugleich Pastor de Zoet aus Domburg und ‹Geertjes und mein Onkel› und ‹Mutters Bruder› sein könne. Die Belohnung war der einzige Kuss, den er je von seinem Onkel bekam: wortlos, achtungsvoll, hier, auf seine Stirn.

Bitte, lass sie alle noch am Leben sein, wenn ich nach Hause komme, betet der heimwehkranke Reisende.

Die Kompanie bekennt sich zur niederländisch-reformierten Kirche, aber sie sorgt nur wenig für das geistliche Wohl ihrer Mitarbeiter. Faktor Vorstenbosch, sein Stellvertreter van Cleef, Ivo Oost, Grote und Gerritszoon würden ihrer Treue zum niederländisch-reformierten Glauben auch auf Dejima gern Ausdruck verleihen, aber die Japaner dulden nicht einmal den Anschein gottesdienstlicher Handlungen. Kapitän Lacy gehört der Episkopalkirche an, Ponke Ouwehand ist Lutheraner, und die katholische Kirche ist durch Piet Baert und Con Twomey vertreten. Letzterer hat Jacob anvertraut, er halte jeden Sonntag eine «maßlose Messe» und er fürchte sich davor, ohne den Beistand eines Priesters zu sterben. Dr. Marinus spricht über den Schöpfer in derselben Tonart, in der er sich über Voltaire, Diderot, Herschel und gewisse schottische Ärzte auslässt: bewundernd, aber keineswegs ehrfürchtig.

Zu welchem Gott, überlegt Jacob, betet wohl eine japanische Hebamme?

Jacob wendet sich dem 93. Psalm zu, dem sogenannten «Sturmpsalm».

Herr. die Wasserströme erheben sich, liest er, die Wasserströme erheben ihr Brausen ...

Der Zeeländer stellt sich die Westerschelde zwischen Vlissingen und Breskens vor.

... die Wasserwogen heben empor die Wellen; die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtig ...

Der Sturm in der Bibel ist für Jacob ein Nordseesturm, der sogar die Sonne überflutet.

... der Herr aber ist noch größer in der Höhe.

Jacob denkt an Annas Hände, ihre warmen Hände, ihre lebendigen Hände. Er berührt die Musketenkugel im Buchdeckel und wendet sich dem 150. Psalm zu.

Lobet ihn mit Posaunen ... mit Psalter und Harfen.

Die schlanken Finger und sichelförmigen Augen der Harfenistin gehören Fräulein Aibagawa.

Lobet ihn mit Pauken und Reigen. König Davids Tänzerin hat ein Brandmal auf der Wange.

Der hohläugige Dolmetscher Motogi wartet unter dem Vordach der Zunft. Er bemerkt Jacob und Hanzaburo erst, als der eingeladene Sekretär direkt vor ihm steht. «Ah! De Zoet-san ... Rufen lassen mit kleiner Warnung bringt große Unruhe, wir befürchten.»

«Ich bin keineswegs beunruhigt», Jacob erwidert Motogis Verbeugung. «Ich fühle mich geehrt, Herr Motogi ...»

Ein Kuli lässt eine Kiste Kampfer fallen und erntet dafür einen Tritt von einem der Kaufleute.

«... und Herr Vorstenbosch hat mich den ganzen Vormittag lang freigestellt, falls es nötig sein sollte.»

Motogi geleitet ihn in die Zunft, wo die Männer ihre Schuhe ausziehen.

Dann steigt Jacob auf den kniehohen Fußboden und geht in das geräumige Hinterzimmer, in das er sich bislang nie hineingewagt hat. An Tischen, angeordnet wie in einem Klassenzimmer, sitzen sechs Männer: die Dolmetscher ersten Ranges Isohachi und Kobayashi; der pockennarbige Narazake und der charismatische, aber durchtriebene Namura aus dem zweiten Rang; Goto aus dem dritten Rang, der als Schreiber fungieren soll, sowie ein nachdenklich blickender Mann, der sich als Doktor Maeno vorstellt und Jacob dafür dankt, der Sitzung beiwohnen zu dürfen, «damit Sie mich von meinem schwachen Niederländisch heilen». Hanzaburo sitzt in der Ecke und gibt vor, alles aufmerksam zu beobachten. Kobayashi hingegen scheut keine Umstände, um zu demonstrieren, dass er wegen der Sache mit den Pfauenfedern keinen Groll gegen Jacob hegt, und stellt ihn als «Herrn Sekretär de Zoet aus Zeeland» und «großen Gelehrten» vor.

Der große Gelehrte weist die Lobeshymne bescheiden zurück und erntet dafür Beifall.

Motogi erläutert, dass die Dolmetscher bei ihrer Arbeit immer wieder auf Wörter stießen, deren Bedeutung unklar sei, und dass man Jacob eingeladen habe, um solche Unklarheiten zu beseitigen. Gewöhnlich leite Dr. Marinus diese nicht offiziellen Übungsstunden, aber dieser sei heute verhindert und habe Sekretär de Zoet zu seinem Vertreter ernannt.

Jeder Dolmetscher hat eine Liste mit Ausdrücken mitgebracht, die sich dem Verständnis der Zunftmitglieder entziehen. Die Begriffe werden nacheinander vorgelesen, und Jacob erläutert sie so anschaulich wie möglich anhand von Beispielen, Synonymen und Gesten. Dann berät die Gruppe über eine angemessene japanische Entsprechung, die manchmal an Jacob erprobt wird, bis alle mit dem Ergebnis zufrieden sind. Konkrete Wörter wie «ausgetrocknet», «Fülle» oder «Salpeter» werden rasch abgehakt. Abstraktere Begriffe wie «Gleichnis», «Hirngespinst» oder «Parallaxe» erweisen sich als schwieriger. Ausdrücke ohne japanische Entsprechung, zum Beispiel «Privatsphäre», «Griesgram» oder das Verb «verdienen» benötigen zehn bis fünfzehn Minuten, und ebenso Begriffe, die besondere Fachkenntnisse voraussetzen - «Hanse», «Nervenendigung» oder «Konjunktiv». Jacob fällt auf, dass dort, wo ein niederländischer Schüler «Das verstehe ich nicht» sagen würde, die Dolmetscher die Augen niederschlagen, sodass der Lehrer bei seinen Erläuterungen stets abschätzen muss, was der Schüler wirklich verstanden hat und was nicht.

Zwei Stunden vergehen rasch wie eine einzige, aber Jacob ist so erschöpft, als wären es vier gewesen, und er ist dankbar, als es eine kurze Pause und grünen Tee gibt. Hanzaburo stiehlt sich ohne ein Wort davon. Im zweiten Teil der Stunde fragt Narazake, worin der Unterschied zwischen «Er war in Edo» und «Er ist in Edo gewesen» besteht; Dr. Maeno möchte wissen, zu welcher Gelegenheit man «Da beißt die Maus keinen Faden ab» sagt, und Nakamura erkundigt sich nach dem Unterschied zwischen «Wenn ich sehe», «Wenn ich gesehen hätte» und «Hätte ich doch gesehen»; Jacob ist dankbar für die langweiligen Grammatikstunden seiner Schulzeit. Die letzten Fragen des Vormittags kommen von Dolmetscher Kobayashi: «Kann Sekretär de Zoet mir bitte dieses Wort erklären: ‹Konsequenzen›.»

Jacob erläutert: «Ein Resultat, die Folgen einer Handlung. Wenn ich all mein Geld ausgebe, heißt die Konsequenz Armut. Wenn ich zu viel esse, ist eine Konsequenz» - er deutet eine Wampe an -, «dass ich dick werde.»

Kobayashi fragt nach der Bedeutung von «am helllichten Tag». «Ich verstehe einzelne Wörter, aber Bedeutung von Ganzes ist unklar. Können wir sagen ‹Ich besuche guten Freund Herrn Tanaka an helllichten Tag›? Ich glaube, nein, vielleicht ...»

Jacob weist auf die kriminellen Assoziationen dieser Wendung hin. «Das gilt besonders dann, wenn der Missetäter - das heißt, der Schurke - weder Scham empfindet noch sich davor fürchtet, erwischt zu werden. ‹Mein guter Freund Herr Motogi wurde am helllichten Tag ausgeraubt.›»

«‹Herrn Vorstenboschs Teekanne›», fragt Kobayashi, «‹wurde am helllichten Tag gestohlen?›»

«Ein treffendes Beispiel», stimmt Jacob zu, froh, dass der Faktor nicht im Raum ist.

Die Dolmetscher erörtern verschiedene japanische Entsprechungen, bevor sie sich auf eine einigen.

«Vielleicht nächstes Wort», fährt Kobayashi fort, «ist einfach ... ‹ohnmächtig›.»

«‹Ohnmächtig› ist das Gegenteil von ‹mächtig› oder ‹stark›, also ‹schwach›.»

«Ein Löwe», schlägt Dr. Maeno vor, «ist stark, aber eine Maus ist ohnmächtig.»

Kobayashi nickt und blickt auf seine Liste. «Das nächste ist ‹selige Unwissenheit›.»

«Das bedeutet, über ein Unglück nicht Bescheid zu wissen. Solange man unwissend ist, ist man ‹selig›, das heißt ‹zufrieden›. Aber wenn man von dem Unglück erfährt, ist man traurig.»

«Ehemann ist in ‹seliger Unwissenheit›», schlägt Hori vor, «‹dass Ehefrau einen anderen liebt›?»

«Ja, Herr Hori.» Jacob lächelt und streckt die schmerzenden Beine aus.

«Letztes Wort», sagt Kobayashi, «ist aus Gesetzbuch: ‹Mangel an stichhaltigen Beweisen›.»

Bevor der Niederländer antworten kann, erscheint ein grimmiger Wachtmeister Kosugi in der Tür: Er wird begleitet von einem erschütterten Hanzaburo. Kosugi entschuldigt sich für das Eindringen und beginnt seinen Bericht, in dem es, wie Jacob mit wachsendem Unbehagen feststellt, um Hanzaburo und ihn selbst geht. An einer offenbar entscheidenden Wendung halten die Dolmetscher entsetzt den Atem an, und alle Blicke richten sich auf den verdutzten Niederländer. Das Wort für ‹Dieb›, dorobō, fällt mehrere Male. Motogi stellt dem Wachtmeister eine Frage und verkündet: «Herr de Zoet, Wachtmeister Kosugi bringt schlechte Nachricht. Diebe sind in Großes Haus gewesen.»

«Was?», stößt Jacob hervor. «Wann? Wie sind sie eingedrungen? Warum

«Ihr Hausdolmetscher», antwortet Motogi, «glaubt, in dieser Stunde.»

«Was wurde gestohlen?» Jacob wendet sich an Hanzaburo, der sich offenbar davor fürchtet, dass man ihm die Schuld anlastet. «Was gibt es dort zu stehlen?»

Im Treppenhaus ist es nicht so finster wie sonst: Die Tür zu Jacobs Wohnung im ersten Stock wurde aufgebrochen, und als Jacob sein Zimmer betritt, stellt er fest, dass die Seemannskiste dasselbe Schicksal erlitten hat. Die Löcher an allen sechs Seiten lassen vermuten, dass die Diebe nach Geheimfächern gesucht haben. Der Anblick der unersetzlichen Bände und Skizzenbücher, die auf dem Fußboden verstreut liegen, ist für Jacob so schmerzlich, dass er sich unverzüglich daranmacht, sie aufzuheben. Dolmetscher Goto hilft ihm und erkundigt sich, ob Bücher gestohlen wurden.

«Das kann ich erst sagen», antwortet Jacob, «wenn ich alle aufgesammelt habe ...»

... aber dies scheint nicht der Fall zu sein. Sogar sein kostbares Wörterbuch ist noch da, wenn auch etwas zerfleddert.

Nach dem Psalter kann ich erst sehen, denkt Jacob, wenn ich allein bin.

Es sieht nicht so aus, als hätte er dazu so bald die Gelegenheit. Als er seine wenigen persönlichen Sachen zusammensammelt, marschieren Vorstenbosch, van Cleef und Peter Fischer die Treppe herauf, und im Nu drängen sich über zehn Leute in seinem engen Zimmer.

«Erst meine Teekanne», ruft der Faktor, «und nun dieser Vorfall.»

«Wir werden große Anstrengung machen», verspricht Kobayashi, «Diebe zu finden.»

Peter Fischer wendet sich an Jacob: «Wo war der Hausdolmetscher, als der Diebstahl geschah?»

Dolmetscher Motogi leitet die Frage an Hanzaburo weiter, der kleinlaut antwortet. «Er ist für eine Stunde an Land gegangen», sagt Motogi, «um sehr kranke Mutter zu besuchen.»

Fischer schnaubt verächtlich. «Ich wüsste, wo ich mit meinen Nachforschungen beginnen würde.»

«Welche Gegenstände haben die Einbrecher entwendet, Herr de Zoet?», erkundigt sich van Cleef.

«Mein restliches Quecksilber - vermutlich hatten die Diebe es darauf abgesehen - liegt zum Glück unter dreifachem Verschluss im Speicher Eik. Die Taschenuhr trug ich bei mir, und meine Brille, Gott sei Dank, ebenso. Auf den ersten Blick scheint es, als ...»

«Bei Gott, dem Allmächtigen!», fährt Vorstenbosch Kobayashi an. «Werden wir von Ihrer Regierung bei den Handelsgeschäften nicht genug ausgeplündert, dass wir auch noch diese wiederholten Diebstähle unseres Privatbesitzes erdulden müssen? Melden Sie sich in einer Stunde im Langen Zimmer, damit ich einen Beschwerdebrief an den Statthalter diktieren kann, der eine vollständige Auflistung der gestohlenen Gegenstände enthalten wird ...»

 

«Geschafft.» Con Twomey hängt die Tür wieder ein und wechselt in seinen irischen Dialekt. «Feckin’ Iangers’d need to rip out the feckin’ wall, like, to get through that

«Wer», fragt Jacob, während er die Sägespäne auffegt, «ist Feck Inlangers?»

Der Zimmermann klopft an den Türrahmen. «Ihre Seemannskiste repariere ich morgen. Wird sein wie neu. Schlimme Sache - und das Ganze am helllichten Tag?»

«Wenigstens sind meine Glieder heil geblieben.» Jacob ist krank vor Sorge um den Psalter.

Wenn er gestohlen wurde, befürchtet er, werden die Diebe mich damit erpressen.

«Das ist die richtige Einstellung.» Twomey wickelt sein Werkzeug in Öltuch. «Bis zum Abendessen.»

Als der Ire die Treppe hinuntergeht, schließt Jacob rasch die Tür, schiebt den Riegel vor und rückt das Bett zur Seite ...

Ob Grote den Einbruch in Auftrag gegeben hat, überlegt er, als Rache für die Ginsengwurzeln?

Jacob hebt das lose Dielenbrett an, legt sich auf den Bauch und greift nach dem eingewickelten Buch.

Seine Fingerspitzen berühren den Psalter, und er seufzt erleichtert auf. «Der Herr behütet alle, die ihn lieben.» Er legt das Brett zurück und setzt sich aufs Bett. Er ist gerettet, Ogawa ist gerettet. Aber was, überlegt er, stimmt hier nicht? Jacob spürt, dass er etwas Entscheidendes übersieht. Es ist wie mit den Hauptbüchern: Ich weiß, dass sich ein Fehler oder ein Betrug darin versteckt, obwohl die Summen korrekt Scheinen ...

Auf dem Fahnenplatz wird wieder gehämmert. Die Zimmerleute sind spät dran.

Die Antwort verbirgt sich im Offensichtlichen, denkt Jacob. Am helllichten Tag. Die Wahrheit trifft ihn wie ein Trog voller Backsteine: Kobayashis Fragen waren eine verschlüsselte, prahlerische Warnung. Der Einbruch war eine Botschaft. Sie lautet: «Noch lebst du in seliger Unwissenheit, aber jetzt, am helllichten Tag, bekommst du die Konsequenzen dafür zu spüren, dass du dich mir in den Weg gestellt hast. Du bist zu ohnmächtig, tun zurückzuschlagen, denn es wird nicht einen einzigen stichhaltigen Beweis geben.» Kobayashi hat sich als Urheber des Einbruchs zu erkennen gegeben und gleichzeitig dafür gesorgt, dass er über jeden Verdacht erhaben ist: Wie kann ein Einbrecher, während der Einbruch geschieht, mit seinem Opfer zusammen sein? Und wenn Jacob die Sache mit den Codewörtern meldet, wird jeder glauben, er leide unter Wahnvorstellungen.

Der glühend heiße Tag kühlt langsam ab; der Lärm hat sich gelegt; Jacob ist übel.

Er will sich nicht nur rächen, vermutet er, er will auch seine Häme befriedigen.

Welchen Gegenstand würde ein Dieb - abgesehen von dem Psalter - stehlen, um Jacob am meisten zu schaden?

Der abgekühlte Tag wird glühend heiß; der Lärm verdichtet sich; Jacob hat Kopfschmerzen.

Die letzten Seiten in meinem neuen Skizzenbuch, denkt er, unter meinem Kopfkissen ...

Zitternd reißt er das Kissen weg, nimmt das Skizzenbuch, nestelt aufgeregt an den Bändern, schlägt die letzte Seite auf und ringt nach Atem: Das Blatt wurde bis auf eine ausgefranste Ecke herausgerissen. Es war mit Zeichnungen von Fräulein Aibagawas Gesicht, ihren Händen und Augen versehen, und irgendwo ganz in der Nähe betrachtet Kobayashi diese jetzt mit boshaftem Vergnügen ...

Jacob verschließt die Augen vor dem Bild, aber es tritt umso deutlicher hervor.

Gib, dass das nicht wahr ist, betet Jacob, aber dieses Gebet bleibt fast immer unerhört.

Die Haustür geht auf. Jemand schlurft langsam die Stufen herauf.

Der außergewöhnliche Umstand, dass Marinus ihm einen Besuch abstattet, kann Jacobs Seelenpein kaum lindern. Was ist, wenn ihr die Erlaubnis entzogen wird, auf Dejima zu studieren? Ein Stock klopft heftig an die Tür. «Domburger.»

«Ich habe für heute genügend ungebetene Gäste gehabt, Herr Doktor.»

«Machen Sie sofort die Tür auf, Sie Dorfdepp.»

Es hat keinen Zweck, sich der Aufforderung zu widersetzen. «Sie sind bestimmt hier, um sich an meinem Unglück zu weiden.»

Marinus sieht sich in der Wohnung um, setzt sich auf die Fensterbank und blickt durch das Fenster aus Glas und Papier hinaus auf die Lange Straße und den Garten. Er löst das schimmernde graue Haar und bindet es neu. «Was haben sie mitgenommen?»

«Nichts ...» Er erinnert sich an Vorstenboschs Lüge. «Nichts von Wert.»

«Bei Einbrüchen», Marinus hustet, «verordne ich eine Partie Billard.»

«Billard spielen», erklärt Jacob feierlich, «ist das Letzte, was ich heute tun werde.»

Jacobs Kugel rollt über den Tisch, prallt an der unteren Bande ab und bleibt eine Handbreit über Marinus’ Kugel an der oberen Ecktasche liegen. «Sie eröffnen, Herr Doktor. Um wie viele Punkte sollen wir spielen?»

«Hemmij und ich haben die Zielmarke immer bei fünfhundertundeins gesetzt.»

Eelattu presst Zitronensaft in trübe Gläser; der Saft verströmt sonnigen Duft.

Eine sanfte Brise weht durch das Billardzimmer im Gartenhaus.

Marinus konzentriert sich auf den Eröffnungsstoß ...

Warum so plötzlich diese sonderbare Freundlichkeit? Jacob wird einfach nicht schlau aus dem Arzt.

... aber er verschätzt sich, und der Spielball trifft nicht Jacobs Kugel, sondern den roten Objektball.

Jacob versenkt mühelos seinen eigenen und den roten Ball. «Soll ich den Spielstand notieren?»

«Sie sind der Buchhalter. Eelattu, du kannst den Nachmittag freinehmen.»

Eelattu bedankt sich und verlässt das Zimmer. Der Sekretär legt eine flotte Serie Karambolagen hin, und sein Punktestand wächst rasch auf fünfzig. Das sanfte Rollgeräusch der Bälle beruhigt seine aufgewühlten Nerven. Der Schrecken über den Einbruch, redet er sich ein, hat mich aus der Fassung gebracht. Es ist ausgeschlossen, dass es für Fräulein Aibagawa eine strafbare Tat ist, von einem Ausländer gezeichnet zu werden, selbst hier nicht. Sie hat mir schließlich nicht heimlich Modell gesessen. Als sein Konto auf sechzig Punkte angestiegen ist, überlässt Jacob den Tisch Marinus. Und außerdem, denkt der Sekretär, ist ein Blatt mit Zeichnungen noch lange kein Beweis, dass ich in die Frau vernarrt bin.

Der Arzt, stellt Jacob erstaunt fest, spielt wie ein mittelmäßiger Laie.

Und außerdem, berichtigt er sich, ist «vernarrt» nicht die treffende Umschreibung ...

«Die Zeit wird einem wohl sehr lang hier, wenn das Schiff zurück nach Batavia segelt, nicht wahr?»

«Den meisten, ja. Die Männer suchen Trost im Grog, im Tabak, in Intrigen, im Hass gegen unsere Gastgeber und bei leichten Mädchen. Ich für meinen Teil ...», Marinus misslingt ein einfacher Stoß, «... widme mich lieber der Botanik, meinen Studien, meiner Lehre und natürlich meinem Cembalo.»

«Wie», Jacob kreidet das Queue ein, «gefallen Ihnen die Scarlatti-Sonaten?»

Marinus setzt sich auf die gepolsterte Bank. «Ach, heischen wir Dankbarkeit?»

«Keineswegs, Herr Doktor. Wie ich hörte, sind Sie Mitglied einer hiesigen Akademie der Wissenschaften.»

«Die Shirandō-Akademie? Leider wird sie von der Regierung nicht gefördert. In Edo haben ‹Patrioten› das Sagen, die allen ausländischen Einflüssen misstrauen, und so sind wir offiziell nur eine von vielen Privatschulen. Inoffiziell sind wir eine Börse, an der rangakusha - Studenten der europäischen Wissenschaften und Künste - ihre Gedanken austauschen. Ōtsuki Monjurō, der Direktor, hat genügend Einfluss bei der Stadtregierung, um mir jeden Monat eine Einladung zu sichern.»

«Ist Dr. Aibagawa», Jacob versenkt den roten Ball aus großer Entfernung, «auch Mitglied?»

Marinus sieht seinen jungen Kontrahenten eindringlich an.

«Ich frage aus reiner Neugier.»

«Dr. Aibagawa ist ein begeisterter Astronom und besucht unsere Veranstaltungen, sooft seine Gesundheit es zulässt. Er war übrigens der erste Japaner, der Herschels neuen Planeten durch ein Teleskop beobachtete, das für einen abenteuerlichen Preis in Auftrag gegeben wurde. Eigentlich unterhalten wir uns mehr über Optik als über Medizin.»

Jacob setzt die rote Kugel im D auf und überlegt, wie er einen Themawechsel verhindern kann.

«Nachdem seine Frau und sein Sohn gestorben waren», fährt der Arzt fort, «heiratete Doktor Aibagawa eine jüngere Frau, eine Witwe, deren Sohn in die niederländische Medizin eingeführt werden sollte, um später Aibagawas Praxis zu übernehmen. Zu seiner Enttäuschung erwies sich der junge Mann als faul und unnütz.»

«Darf Fräulein Aibagawa ...», der jüngere Mann bereitet sich auf einen wagemutigen Stoß vor, «... auch an den Treffen der Shirandō teilnehmen?»

«Es gibt Gesetze, die sich gegen Sie stellen: Ihr Werben ist zwecklos.»

«Gesetze.» Der gelochte Ball verschwindet rumpelnd im Billardtisch. «Gesetze, die es einer Arzttochter verbieten, einen Ausländer zu heiraten?»

«Keine rechtswirksamen Gesetze. Ich spreche von ungeschriebenen Gesetzen, an die man sich zu halten hat.»

«Das heißt, dass Fräulein Aibagawa die Shirandō nicht besucht?»

«Und ob, sie ist sogar die Archivarin der Akademie. Aber wie ich Ihnen bereits mehrfach erklärt habe ...», Marinus versenkt die schwierige rote Kugel, aber sein Spielball bekommt keinen Rückwärtsdrall, «... werden Frauen ihres Standes keine Dejima-Ehefrauen. Und selbst wenn sie Ihre zärtlichen Gefühle erwidern sollte: Wie groß wären ihre Aussichten auf eine standesgemäße Ehe, nachdem ein rothaariger Teufel sie befummelt hat? Wenn Sie sie wirklich lieben, sollten Sie Ihre Zuneigung dadurch ausdrücken, dass Sie ihr aus dem Weg gehen.»

Er hat recht, denkt Jacob und fragt: «Darf ich Sie einmal in die Shirandō begleiten?»

«Kommt nicht in Frage.» Marinus versucht, seinen und Jacobs Ball zu versenken, aber der Spielzug misslingt.

Die unerwartete Entspannung in unserer Beziehung, erkennt Jacob, hat also doch ihre Grenzen.

«Sie sind kein Gelehrter», erklärt der Arzt. «Und ich bin kein Kuppler.»

«Finden Sie es richtig, die unterprivilegierten Stände dafür zu schelten, dass sie den Weibern nachstellen, rauchen und trinken ...», Jacob versenkt Marinus’ Spielball, «... und es gleichzeitig abzulehnen, an ihrer Bildung mitzuwirken?»

«Ich bin keine ‹Gesellschaft zur Verbesserung der Menschheit›. Die Privilegien, derer ich mich erfreue, habe ich mir redlich verdient.»

Cupido oder Philander übt ein Air auf der Gambe.

Ziegen blöken mit einem kläffenden Hund um die Wette.

«Sie erwähnten, dass Sie und Herr Hemmij ...», Jacob verschießt den Ball, «... um einen Einsatz spielten.»

«Wollen Sie mich etwa dazu verleiten», spöttelt der Arzt, «am heiligen Sonntag dem Glücksspiel zu frönen?»

«Wenn ich als Erster fünfhunderteins Punkte erreiche, gewähren Sie mir einen Besuch in der Shirandō.»

Marinus setzt mit skeptischer Miene zum nächsten Stoß an. «Und mein Siegespreis?»

Er weist den Vorschlag nicht sofort zurück, bemerkt Jacob. «Bestimmen Sie ihn!»

«Sechs Stunden Arbeit in meinem Garten. Und nun reichen Sie mir den Steg.»

 

«Um nun aber zum Sinn und Zweck Ihrer Frage zurückzukehren ...», Marinus prüft den nächsten Stoß aus allen Richtungen, «... mein Bewusstsein erwachte in einem verregneten Sommer im Jahr 1757 in einer Haarlemer Dachstube: Ich war ein sechsjähriger Junge an der Schwelle zum Tod, gepackt von einem bösartigen Fieber, das meine ganze Familie, allesamt Tuchhändler, hinweggerafft hatte.»

Du also auch, denkt Jacob. «Das tut mir aufrichtig leid, Herr Doktor. Das konnte ich nicht ahnen.»

«Die Welt ist ein Jammertal. Ich wurde wie Falschgeld von einem Verwandten zum nächsten gereicht, die alle darauf spekulierten, sich ein Stück vom Erbe abzuschneiden, das in Wahrheit längst von Schulden aufgefressen worden war. Meine Krankheit», er klopft auf sein lahmes Bein, «machte mich zu einer wenig Erfolg versprechenden Investition. Der letzte Verwandte, ein Großonkel von zweifelhaftem Wesen namens Cornelis, behauptete, ich hätte in einem Auge den bösen Blick und im anderen den Wahnsinn. Er brachte mich nach Leiden, wo er mich vor einem Haus an einer Gracht absetzte. Die Besitzerin, sagte er, sei praktisch meine Tante und werde mich bei sich aufnehmen. Dann verschwand er wie eine Ratte in der Kanalisation. Da mir nichts anderes übrigblieb, klingelte ich an der Türglocke. Niemand öffnete. Es war zwecklos, Großonkel Cornelis hinterherzuhumpeln, und so wartete ich auf der Türschwelle ...»

Marinus nächster Stoß verfehlt sowohl den roten als auch Jacobs Spielball.

«... bis ein freundlicher Schutzmann mir drohte», Marinus stürzt seinen Zitronensaft hinunter, «mich wegen Landstreicherei zu verprügeln. Ich trug die abgelegten Kleider meines Vetters, und so stießen meine Beteuerungen auf taube Ohren. Ich lief die Rapenburg auf und ab, um mich warm zu halten.» Marinus blickt über das Wasser auf die chinesische Faktorei. «Es war ein trüber, auswegloser Nachmittag, und ich war tief erschöpft. Kastanienverkäufer waren unterwegs, grobe Straßenkinder starrten mich beutewitternd an, und auf der anderen Seite der Gracht fielen die Ahornblätter wie von Frauenhand zerrissene Briefschnipsel. ... Führen Sie Ihren Stoß jetzt aus oder nicht, Domburger?» Jacob erzielt eine seltene Doppelkarambolage: zwölf Punkte.

«Als ich zum Haus zurückkehrte, war noch immer alles dunkel. Ich klingelte wieder und rief jeden bekannten Gott um Hilfe an. Eine alte Frau, das Dienstmädchen, riss die Tür auf und wetterte, dass sie, wäre sie die Herrin, mich ohne weitere Umstände fortschicken würde, denn bei ihr gelte Zuspätkommen als Sünde. Da sie aber leider nicht die Herrin sei, solle ich zu Klaas in den Garten hinterm Haus gehen - aber gefälligst durch den Lieferanteneingang im Keller. Dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Ich ging die Treppe hinunter und klopfte. Derselbe grimmige Zerberus in Unterröcken erschien, bemerkte meinen Stock und führte mich durch einen schmutzigen Kellerflur in einen wunderschönen versunkenen Garten. Jetzt spielen Sie schon Ihren Ball, sonst stehen wir noch um Mitternacht hier.»

Jacob versenkt beide Spielbälle und platziert den roten in guter Ausgangsposition.

«Ein alter Gärtner trat hinter dichten Fliederbüschen hervor und forderte mich auf, ihm meine Hände zu zeigen. Verdutzt fragte er, ob ich denn überhaupt schon einmal Gartenarbeit verrichtet hätte. Nein, sagte ich. ‹Dann wollen wir den Garten entscheiden lassen›, sagte Klaas der Gärtner, und viel mehr sprach er an diesem Tag nicht mit mir. Wir mischten Weißbuchenblätter unter Pferdemist, streuten Sägespäne in die Rosenbeete, harkten in dem kleinen Apfelgarten Blätter ... es waren meine ersten glücklichen Stunden seit langer, langer Zeit. Wir entfachten mit den zusammengeharkten Blättern ein Feuer und brieten eine Kartoffel. Ein Rotkehlchen setzte sich auf meinen Spaten - ich sah ihn schon als meinen Spaten - und sang sein Lied.» Marinus ahmt das Chk-Ckh-Chik eines Rotkehlchens nach. «Es dämmerte bereits, als eine Dame mit kurzgeschnittenen weißen Haaren in einem persischen Morgenmantel über den Rasen auf uns zukam. ‹Ich bin Lidewijde Mostaart›, erklärte sie, ‹aber das Rätsel bist du›.» Sie hatte nämlich eben erst erfahren, dass der richtige Gärtnerjunge, der an diesem Nachmittag kommen sollte, sich das Bein gebrochen hatte. Ich erklärte ihr, wer ich sei, und berichtete von Großonkel Cornelis ...»

Als er hundertfünfzig Punkte überschritten hat, macht Jacob einen Fehlstoß und überlässt den Tisch Marinus.

Im Garten bürstet der Sklave Sjako Läuse vom Salat.

Marinus lehnt sich aus dem Fenster und sagt etwas in fließendem Malaiisch. Sjako antwortet, und Marinus kehrt belustigt an den Spieltisch zurück. «Lidewijde Mostaart, so stellte sich heraus, war eine entfernte Cousine meiner Mutter, aber die beiden waren sich nie begegnet. Abigail, das alte Dienstmädchen, plusterte sich mächtig auf und nörgelte, dass mich bei meiner Lumpenkleidung wohl jeder für den neuen Gärtnerjungen gehalten hätte. Klaas sagte, ich hätte das Zeug zum Gärtner, und zog sich in den Schuppen zurück. Ich bat Frau Mostaart, bleiben und Klaas’ Gehilfe werden zu dürfen. Sie antwortete, dass sie für die meisten Leute nicht ‹Frau Mostaart›, sondern ‹Fräulein Mostaart› sei und dass ich sie ‹Tante› nennen dürfe. Dann nahm sie mich mit ins Haus, damit ich Elisabeth kennenlernte. Sie gaben mir Fenchelsuppe, ich beantwortete ihre Fragen, und am nächsten Morgen erklärten sie, dass ich so lange bei ihnen bleiben könne, wie ich wolle. Meine alten Kleider wurden dem Feuergott geopfert.»

Zikaden zirpen in den Kiefern. Es klingt wie zischendes Fett in einer Pfanne.

Marinus misslingt ein Winning Hazard, und er versenkt aus Versehen seinen eigenen Ball.

«So ein Pech», sagt Jacob teilnahmsvoll und schreibt den Fehler seinem eigenen Punktekonto gut.

«Pech gibt es nicht beim Geschicklichkeitsspiel. Nun, Bücherfreunde sind in Leiden keine Seltenheit, aber Bücherfreunde, die durch Lesen klug geworden sind, sind dort so rar gesät wie anderswo. Tante Lidewijde und Tante Elisabeth waren solche Leser, voller Scharfsinn und voller Gier nach dem geschriebenen Wort. Lidewijde hatte in ihrer Blütezeit in Wien und Neapel ‹Verbindungen› zur Bühne gehabt, und Elisabeth war, was wir heute einen Blaustrumpf nennen, und ihr gemeinsames Haus war eine wahre Bücherschatzkammer. Zu diesem gedruckten Garten wurde mir der Schlüssel überlassen. Außerdem unterrichtete mich Lidewijde im Cembalospiel, Elisabeth lehrte mich Französisch und ihre Muttersprache Schwedisch, und in Klaas dem Gärtner fand ich meinen ersten, zwar ungebildeten, aber ungemein fachkundigen Botaniklehrer. Darüber hinaus gehörten zum Freundeskreis meiner Tanten einige der herausragendsten freigeistigen Gelehrten Leidens in der damaligen Zeit. So wurde meine persönliche Aufklärung ins Leben gerufen. Ich segne Großonkel Cornelis bis zum heutigen Tage dafür, dass er mich dort aussetzte.»

Jacob versenkt Marinus’ Spielball und die rote Kugel abwechselnd drei- oder viermal.

Der Same einer Pusteblume landet auf dem grünen Billardtuch.

«Gattung Taraxacum», Marinus löst ihn vom Tuch und setzt ihn hinaus ins Freie, «aus der Familie der Asteraceae. Aber Gelehrsamkeit allein füllt weder Bauch noch Geldbeutel, und meine Tanten lebten bescheiden von ihren schmalen Jahresrenten. Und so beschloss man, als ich mündig wurde, meine wissenschaftliche Neugier durch ein Studium der Medizin zu fördern. Ich bekam einen Studienplatz an der medizinischen Fakultät in Uppsala in Schweden. Natürlich war diese Wahl kein Zufall: Während meiner Knabenzeit hatte ich viele Wochen lang über der Species Plantarum und der Systema Naturæ gebrütet, und als ich nach Uppsala kam, wurde ich ein Schüler des berühmten Professor Linnæus.»

«Mein Onkel sagt», Jacob erschlägt eine Fliege, «er sei einer der größten Männer unserer Zeit gewesen.»

«Große Männer sind höchst schwierige Menschen. Es stimmt, dass Linnæus’ Taxonomie die Grundlage der Botanik bildet, aber er lehrte uns auch, dass Schwalben unter Seen überwintern, dass vier Meter große Riesen durch Patagonien stapfen und dass die Hottentotten Monorchiden seien, die nur einen Hoden haben. Sie haben zwei. Ich habe nachgesehen! Deus creavit, Linnæus disposuit, hieß sein Wahlspruch, und jeder, der anders dachte, war ein Ketzer, dessen Laufbahn zerstört werden musste. Dennoch hat er mein Schicksal ganz direkt beeinflusst, denn er riet mir, ich solle als sein ‹Jünger› nach Asien reisen, die Pflanzenwelt Ostindiens katalogisieren und versuchen, nach Japan zu gelangen, um mir auf diesem Wege eine Professur zu erwerben.»

«Sie nähern sich Ihrem fünfzigsten Geburtstag, nicht wahr?»

«Linnæus war sich dessen gar nicht bewusst, aber das Letzte, was ich von ihm lernte, war, dass eine Professur den Philosophen im Menschen tötet. Natürlich fordert die Eitelkeit, dass meine stetig wachsende Flora Japonica eines Tages veröffentlicht wird - als Weihgabe an das Wissen der Menschheit -, aber ein Lehrstuhl in Uppsala, Leiden oder Cambridge übt keinen Reiz auf mich aus. In diesem Leben gehört mein Herz Ostasien. Dies ist mein drittes Jahr in Nagasaki, und ich habe genügend Arbeit für weitere drei bis sechs Jahre. Wenn wir zum Empfang bei Hofe reisen, sehe ich Landschaften, die vor mir noch kein europäischer Botaniker zu Gesicht bekommen hat. Meine Famuli sind begeisterte junge Männer - und eine junge Frau -, und die Gelehrten, die mich besuchen, bringen mir Proben aus allen Teilen des Kaiserreichs.»

«Aber fürchten Sie sich nicht, hier zu sterben, so weit entfernt von ...?»

«Wir alle müssen irgendwo sterben, Domburger. Wie ist der Spielstand?»

«Sie haben einundneunzig Punkte, ich dreihundertsechs.»

«Sollen wir die Punktezahl auf tausend erhöhen und den Einsatz verdoppeln?»

«Heißt das, ich darf Sie zweimal in die Shirandō-Akademie begleiten?»

Wenn Fräulein Aibagawa mich dort sieht, denkt er, sieht sie mich in einem völlig neuen Licht.

«Vorausgesetzt, Sie sind bereit, zwölf Stunden lang Pferdeäpfel in die Rote-Rüben-Beete zu schaufeln.»

«Wie Sie wünschen ...», der Sekretär überlegt, ob van Cleef ihm wohl den geschickten Weh überlässt, damit er das Jabot an seinem besten Hemd ausbessert, «... ich nehme Ihre Bedingungen an.»