Nelke.psd19

Stuck in the middle

»Wir lassen Ihre Weihnachtskasse klingeln. Ho-ho-ho, dies ist Brum FM.«

»Was meinst du? Kitschig genug?«, fragte Mick, während ich mich in Erwartung eines langen Arbeitstages mit zwei großen Kaffeebechern und einer Tüte Gebäck durch die Studiotür kämpfte. »Hast du Probleme?«

»Diese Tür hasst mich.«

»Böse Tür, ungezogene Tür!«, bemerkte er grinsend.

Ich reichte ihm einen Kaffee. »Witzig. Gutes Jingle übrigens. Es trieft nur so vor Schmalz.«

Er kramte in der Tüte nach einer Zimtschnecke. »Amanda wollte natürlich, dass ich noch dicker auftrage. Ich glaube, sie ist mal wieder bei einer Beförderung übergangen worden, also mach dich schon mal auf Zickenalarm gefasst.«

»Toll. Genau das fehlte mir gerade noch.«

Mick hielt im Kauen inne. »Hey, lass sie einfach nicht an dich ran. Wenn wir zusammenhalten, hat sie keine Chance. Denn wir, meine Liebe, stehen zwischen ihr und ihrer kostbaren Tabellenkalkulation mit den Abteilungsresultaten. Wenn sie es sich mit uns verscherzt, gehen ihre Zahlen in den Keller.«

»Ha, was für ein netter Gedanke! Aber ich habe vor Amanda keine Angst. Ich bin nur etwas müde.«

»Tja, das hast du davon, wenn du dich nächtelang mit Musikern herumtreibst …«

Er hatte Recht. Wir hatten am Vortag mitten in der Woche einen Auftritt bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung gehabt und waren anschließend noch zu Jack und Sophie gegangen. Da D’Wayne und ich bis in die frühen Morgenstunden gequatscht hatten, war ich bei Jack und Soph geblieben, um vor der Arbeit wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Schon als D’Wayne während unseres Soundchecks in dem gemeinnützigen Vereinshaus in einem Außenbezirk von Wolverhampton auftauchte, war mir seine gedämpfte Stimmung aufgefallen. Die Wohltätigkeitsveranstaltung war von seinem Bruder organisiert worden, und zwar zugunsten der Kinderabteilung im New Cross Hospital, wo seine kleine Nichte nach einer Wirbelsäulenoperation sechs Monate gelegen hatte. Ich nahm an, dass sich D’Wayne während der Veranstaltung ausnahmsweise mal zurückhaltender benahm, weil seine gesamte Familie anwesend war, deren Mitglieder alle unglaublich charakterfest zu sein schienen. Später fand ich jedoch heraus, dass der eigentliche Grund absolut nichts mit familiären Spannungen zu tun hatte.

Nach der Veranstaltung saß D’Wayne still und in sich gekehrt auf dem Sofa bei Jack und Soph. Das war nichts Neues, da er manchmal lieber den stillen Beobachter spielte als selbst mitzumischen, aber sein Humor war immer präsent, und er ließ sich auch von den Jungs der Band immer gern zum Rumblödeln animieren. Heute jedoch bemerkte ich in seinem Blick eine Schwermut, die ich an ihm nicht kannte. Wie immer plätscherte die Unterhaltung der Pinstripes unbekümmert dahin, und nur unser Manager sagte kein Wort.

Ich setzte mich neben ihn und stupste ihn in die Seite. »Alles klar, Boss?«

Er lächelte gekünstelt: »Ging nie besser.«

»Hm. Spiele nie mit dem Gedanken, Schauspieler zu werden, okay? Das war eine miserable Darbietung.«

Dies brachte mir ein etwas offeneres Lächeln ein: »Entschuldige. Im Moment denke ich einfach zu viel nach, das ist alles.«

»Willst du darüber reden?«

Überrascht richtete er sich auf und sah mich an: »Meinst du das wirklich?«

»Natürlich.«

»Danke. Ich kann nicht genau erklären, warum, aber … Du hast doch meine Familie heute Abend gesehen, oder? Ich habe sie zusammen beobachtet, und plötzlich fiel mir auf, wie wohlgeordnet das Leben meiner Brüder ist. Von allen fünf. Sie haben Familie, Kinder und alles andere. Ich bin der Älteste, und was habe ich? Okay, ich besitze ein schönes Haus, einen super Wagen, ich mache Kohle und trage teure Klamotten – aber was bedeutet das alles am Ende des Tages? Weißt du, heute Abend war ich zum ersten Mal eifersüchtig auf meine Brüder. Wenn ich die Tür abends zumache, gibt es nur mich – na ja, jedenfalls meistens. Aber selbst wenn mal eine Frau in meinem Leben auftaucht, hält das nie lange …« Er brach ab, da Tom sich neben mich plumpsen ließ.

»Alles okay bei euch?«

Schweigend musterte D’Wayne sein Weinglas. Tom sah mich mit hochgezogenen Brauen an, verstand den Wink jedoch und ging wieder zu Jack und Sophie hinüber.

Ich lächelte D’Wayne zu: »Sprich weiter.«

»Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal sagen würde, aber ich habe keine Lust mehr auf unverbindliche Verabredungen. Ich habe ein volles Adressbuch, aber niemanden zum Reden, wenn ich nach Hause komme.« Er lachte bitter: »Mann, das hört sich echt bescheuert an.«

»Finde ich gar nicht. Dir ist einfach nur bewusst geworden, dass du bereit bist, dich auf etwas Ernstes einzulassen.«

»Ich glaube, ich bin einsam, Rom. Diese Erkenntnis ist ein ziemlicher Schock, verstehst du?«

Ich versicherte ihm, dass es gut sei, sich seine Gefühle ehrlich einzugestehen, doch ich merkte selbst, wie lahm sich das anhörte. Wahrscheinlich war ich in puncto Einsamkeit kein guter Ratgeber, da ich immer noch hin- und hergerissen war, ob ich auf Charlies Annäherung eingehen oder die Suche nach PK bis zum bitteren Ende durchziehen sollte. Als ich im Morgengrauen schließlich auf dem Sofa einschlief, vermischten sich in meinem Traum die Bilder der beiden.

Micks Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Noch keine Entscheidung in Sicht?«

Ich schüttelte den Kopf: »Leider nicht. Ich werde noch verrückt.«

»Versuch’s doch mal damit.« Er kramte einen Notizblock aus der Schublade und zog einen Kugelschreiber aus seiner Gesäßtasche. Dann schlug er den Block auf, zog eine senkrechte Linie und schrieb über die beiden Spalten »Charlie« und »Phantomküsser«. Stolz reichte mir den Block.

»Was soll ich damit?«

»Pros und Contras, Schätzchen. Na ja, eher die Pros, weil nur zwei Spalten da sind. Schreib alles auf, was dafür spricht, warum du Charlie wählen solltest, und mach dann das gleiche mit dem anderen Typen. Am Ende müsste einer als Gewinner herauskommen.«

Mir erschien das als eine etwas extreme und hartherzige Methode, aber angesichts des heillosen Durcheinanders, das in mir herrschte, wollte ich es auf einen Versuch ankommen lassen.

Statt direkt nach Hause zu gehen, spazierte ich in die Innenstadt. Ich brauchte Platz zum Nachdenken. Als ich mich durch die heimwärts strebenden Horden von Schülern kämpfte, musste ich unwillkürlich lächeln, da mich ihre jugendliche Energie daran erinnerte, wie ich mich mit Charlie, Tom, Jack und Wren nach der Schule immer an der Bushaltestelle getroffen hatte. Das schien Ewigkeiten her zu sein – dreizehn Jahre, und trotzdem Welten von meinen damaligen Teenagerträumen entfernt.

Die siebzehnjährige Romily Parker hätte nie damit gerechnet, dass ihr neunundzwanzigjähriges Selbst eine unmögliche Entscheidung zwischen zwei Männern würde treffen müssen. Ehrlich gesagt überraschte mich das selbst am meisten. Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass ich Monate später in der hintersten Ecke eines Cafés in der High Street sitzen und über einer derartigen Liste brüten würde – nein, ich hätte einzig davon geträumt, in Charlies Armen zu liegen und die glücklichste Frau der Welt zu sein. Was ein Jahr doch für einen Unterschied machen konnte …

Ich nippte an meinem Mokka und starrte auf die Liste. Bisher war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit fünf Pros auf beiden Seiten. Wie, zum Teufel, sollte ich jemals zu einer Entscheidung gelangen? Ich konnte Charlies Gesichtsausdruck nicht vergessen, als er mir seine Gefühle offenbart hatte. Er hatte so schutzlos gewirkt, so verletzlich, und wenn ich mir die Szene vergegenwärtigte, konnte ich mir mühelos vorstellen, Ja zu ihm zu sagen. Doch wann immer ich mir ausmalte, in Zukunft mit ihm zusammen zu sein, tauchte PKs Gesicht vor mir auf und stellte wieder alles infrage.

Sicher, PK würde vielleicht niemals in mein Leben treten, aber ich wollte Charlie auch nicht nur als zweite Wahl betrachten oder, wie Tom es nannte, als »Rückgriff auf das Altbewährte«. Wenn ich mit ihm eine Beziehung eingehen würde, dann aus einem einzigen Grund: Weil er der Richtige für mich war.

Als ich in die Dämmerung und den eisigen Regen hinaustrat, schwor ich mir, dass ich um jeden Preis die richtige Entscheidung treffen würde.

»Romily, hier ist Tom. Kannst du nach der Arbeit bitte vorbeikommen, ja?«, bat mich Tom einen Tag später am Telefon. Er hörte sich atemlos an. »Ich kann es dir jetzt nicht erklären, weil ich noch den anderen Bescheid geben muss, aber du wirst da sein, okay?«

»Klar, aber was …?«

»Super. Bis dann.«

Mick lachte, als er meinen verdutzten Gesichtsausdruck sah. »Was ist los?«

»Keine Ahnung. Das werde ich hoffentlich bald erfahren.«

Als ich um halb sechs bei Toms Haus ankam, traf ich Charlie an der Tür.

»Hi. Was ist hier los? Tom hat sich ziemlich seltsam angehört.«

»Ich weiß auch nicht mehr als du.«

»Na schön«, sagte er. »Es gibt nur einen Weg, es herauszufinden.« Er griff an mir vorbei nach dem Messingtürklopfer, sein Gesicht war so nah an meinem, dass ich die Wärme seiner Haut an meinen Wangen spürte. Mein Herz machte einen Satz, und in Charlies Spalte kam ein neues Pro hinzu.

Die anderen Bandmitglieder und unser Manager waren bereits da und erwarteten genau wie Charlie und ich mit Spannung, was Tom zu verkünden hatte. Wir nahmen im Wohnzimmer Platz, nur Tom blieb stehen und sah uns eine Weile schweigend an.

»Okay«, sagte er schließlich mit funkelnden Augen. »Ich habe eine kleine Überraschung.«

»Du willst heiraten«, tippte Charlie.

»Da weißt du mehr als ich, Charlie-Boy«, erwiderte Tom grinsend. »Nein, es geht um etwas anderes.« Er holte tief Luft: »Der Gig ist wieder aktuell.«

Verwirrt schüttelte D’Wayne den Kopf: »Was für ein Gig?«

»Der Millionärs-Gig.«

Das schlug ein wie eine Bombe. Uns klappten die Kinnladen hinunter.

»Wann … wie?«, stammelte Wren und drückte damit aus, was wir uns alle fragten.

Aufgeregt sprudelte Tom die Einzelheiten hervor. Die Braut hatte sich zum Glück wieder erholt und war vor zwei Wochen zum ersten Mal seit ihrer Operation ohne Hilfe gelaufen. Julian war darüber so glücklich, dass er seiner Tochter unbedingt ihren Wunsch erfüllen wollte, noch in diesem Jahr zu heiraten. Er hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um an dem ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsort noch einen Termin zu bekommen und hatte tatsächlich einen ergattert.

»Das ist der einzige Haken an der Sache«, erklärte Tom mit schiefem Grinsen: »Der Termin ist am Weihnachtsabend.«

Schweigen breitete sich im Raum aus, während wir die Neuigkeiten verdauten.

Wren warf einen Blick in die Runde: »Also ich weiß nicht, wie ihr das seht, Leute, aber ich bin dabei.«

»Wir auch«, stimmten Jack und Soph zu.

»Ich ebenfalls«, sagte Charlie und nickte in meine Richtung. »Rom?«

Auch für mich war die Antwort sofort klar. Auf einer Promiveranstaltung zu spielen und die Hauptstadt in weihnachtlichem Lichterglanz zu erleben, war ein echtes Geschenk. »Natürlich bin ich dabei!«

D’Wayne klatschte in die Hände: »Klasse! Wir fahren nach London!«

»Ein guter Anlass, um die Korken knallen zu lassen«, sagte Jack und präsentierte unter begeistertem Applaus eine riesige Flasche Champagner.

»Hast du davon gewusst?«, fragte ihn Charlie, während Wren in die Küche ging, um Gläser zu holen.

»Nein, natürlich nicht. Aber so wie Tom am Telefon klang, musste er irgendeinen Knaller in petto haben. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass niemand etwas gegen Champagner würde einzuwenden haben.«

Sophie seufzte: »Ach, wir sind leider so verdammt leicht zu durchschauen!«

»Schrecklich«, stimmte ich lachend zu.

»Wir müssen im Hyde Park Schlittschuh laufen«, quiekte Wren, »und durch die weihnachtlich geschmückte Regent Street spazieren!«

»Ähm, darf ich euch daran erinnern, dass wir zum Arbeiten dort sind?«, bemerkte D’Wayne. Doch sein Grinsen ruinierte den Eindruck des gestrengen Managers.

Sophie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir kriegen das schon alles hin, keine Bange. Schließlich können wir nicht an Weihnachten in London sein, ohne uns ein wenig zu amüsieren, oder?«

D’Wayne lachte: »Okay, ich gebe mich geschlagen! Dann werden wir uns eben das eine oder andere Stündchen freischaufeln.« Er stieß einen überraschten Schrei aus, als ihm Wren und Sophie übermütig um den Hals fielen.

Charlie legte sanft die Hand auf meinen Arm und beugte sich zu meinem Ohr. »Der Weihnachtsabend in London, hm? Vielleicht haben wir beide bis dahin ja etwas zu feiern …«

Ich beobachtete, wie er zu Tom hinüberging, um ihm zu gratulieren, und mein Herz raste wie ein Jagdhund, der hinter einem Kaninchen her war. Vielleicht, Charlie, dachte ich. Vielleicht.

Nach der anfänglichen Euphorie darüber, dass der Millionärs-Gig wieder aktuell war, gewannen praktische Überlegungen die Oberhand. Bis zu dem Event waren es noch knapp drei Wochen, also eine relativ kurze Zeitspanne, in der unsere Proben oberste Priorität haben mussten.

Wir stellten einen Probenplan auf und knapsten so viel wie möglich von unserer Freizeit ab, um an unserem Auftritt zu arbeiten. Selbst wenn nicht alle zu einer Probe kommen konnten, trafen wir uns in kleinen Gruppen, um die Schlüsselkomponenten der Stücke einzustudieren: Wren, Jack und ich versammelten uns nach der Arbeit bei Jack, um am Gesang zu feilen. Charlie und Tom nutzten ihre Mittagspausen, um die Rhythmen durchzugehen, und da Sophie uns begleitete, übte sie mit Jack und Tom bis spät in die Nacht, um die Saxophon-Solo-parts für die längeren Nummern zu perfektionieren.

Eine Woche vor der Hochzeit trafen wir uns in der Schuhfabrik zu einer ganztägigen Probe, die um acht Uhr morgens begann und bis mindestens sechs Uhr abends dauern sollte. Vollgestopfte Lebensmitteltüten reihten sich neben dem Teekessel aneinander, und überall standen Wasserflaschen herum. Da es in der Schuhfabrik immer ziemlich kalt war, hatte Tom einige Heizkörper im Studio aufgestellt, und wir trugen alle – sehr attraktiv! – mehrere Kleiderschichten, um gegen die eisige Zugluft, die durch jede Ritze zu dringen schien, einigermaßen gewappnet zu sein.

Sobald wir fertig waren mit dem Aufbau, verteilte Tom Tassen mit dampfend heißem Kaffee. »In jeder Tasse sind ungefähr drei Löffel Kaffee«, sagte er. »Wenn uns so viel Koffein nicht hilft, dann hilft uns gar nichts.«

Charlie rümpfte die Nase, als er seine Tasse mit löslichem Kaffee entgegennahm: »Bäh. Was für ein ekliges Gebräu.«

»Was bist du nur für ein Kaffeesnob«, sagte ich grinsend. »Trink einfach und sei dankbar dafür.«

Er mimte den Beleidigten, doch als er mich ansah, stand in seinen Augen ein Lächeln. Die Chemie zwischen uns wurde immer besser, und Charlie hatte auf meiner Pro-Liste zum ersten Mal einen kleinen Vorsprung vor PK. Während ich beobachtete, wie er mit Tom und Jack herumalberte, kam mir der Gedanke, dass mir meine Entscheidung zu gegebener Zeit vielleicht doch leichter fallen würde, als erwartet.

Gegen elf trudelte D’Wayne zu unser aller Freude mit einer riesigen Schachtel Donuts ein. Als sich Wren (die trotz ihrer zierlichen Statur mehr verdrücken konnte als Tom und Jack zusammen) einen zweiten Donut aus der Schachtel nahm, setzte D’Wayne eine tadelnde Miene auf.

»Ich dachte, du wolltest für den Gig auf dein Gewicht achten, Wren.«

Autsch!

Seit der ersten Begegnung mit meiner besten Freundin, seinerzeit in der Spielgruppe, hatte ich viel über sie gelernt. Eines der wichtigsten Dinge war es, die Warnzeichen zu erkennen, wenn Wren wütend wurde. Leider hatte D’Wayne diese Fähigkeit noch nicht entwickelt. Während er sie nichtsahnend weiterneckte, wurden wir anderen immer stiller, da wir auf die unvermeidlichen Konsequenzen warteten.

Und tatsächlich … »Oh, gut, du hast also das Recht, sexistische, beleidigende Bemerkungen zu machen, weil … ja, warum eigentlich? Weil du so unglaublich witzig bist? Nein, warte, also das kann man beim besten Willen nicht behaupten!«

D’Wayne lachte nervös: »Hey, Wren, verstehst du keinen Spaß?«

Tom und Charlie duckten sich unwillkürlich, und Sophie schnitt eine Grimasse. Jetzt war D’Wayne fällig …

Aufgebracht stemmte Wren die Hände in die Hüften, bereit, sich in die Schlacht zu stürzen. »Oh, und ob ich Spaß verstehe, D’Wayne. Ich habe nämlich gerade eine richtige Lachnummer vor mir!«

»Also, jetzt aber …«

»Ich habe deine dumme Art, mit den Dingen umzugehen, gründlich satt – deinen Zynismus bei den Hochzeiten, deine Unzuverlässigkeit. Immer wieder verteidige ich dich vor den anderen, und wofür? Damit du mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Korn nehmen kannst, weil du meinst, du könntest auf meine Kosten den starken Mann markieren?«

Jetzt platzte auch D’Wayne der Kragen. In seinen Augen funkelte der Zorn: »Und du musst immer den Ton angeben, was? Kommst dir wohl wahnsinnig wichtig vor, wenn du das Arschloch von Manager so richtig schön herunterputzt, nicht wahr? Du hältst dich für so toll und allmächtig, Miss Eisprinzessin, aber das bist du nicht.«

»Alles klar, das war’s! Wir gehen raus! Sofort!«

Schockiert sahen wir zu, wie Wren D’Wayne am Arm packte und ihn in den staubigen Korridor hinauszerrte.

»Mann, jetzt geht’s ihm an den Kragen«, sagte Tom, während wir alle zur Tür schlichen, um zu lauschen. »So sauer habe ich Wren seit Jahren nicht erlebt.«

Wir hörten Wrens helle, empörte Stimme durch den Korridor hallen, gefolgt von D’Waynes dröhnendem Bass. Ganze fünf Minuten lang wütete der Kampf, wurde immer lauter, bis nach einem letzten Aufschrei von Wren plötzlich Stille eintrat.

»Sie hat ihn abgemurkst«, murmelte Jack, mehr besorgt als amüsiert.

Wir warteten. Noch immer nichts. »Vielleicht sollte ich mal nachsehen«, schlug ich vor.

Jack wollte gerade antworten, da öffnete sich langsam die Tür, und wir huschten eilig auf unsere Plätze zurück.

Wrens Veränderung war drastisch: Ihre kochende Wut war einem heiteren Lächeln gewichen. Hinter ihr kam D’Wayne herein – unversehrt. Und sie hielten Händchen

»So, das wäre geklärt«, sagte sie fröhlich und tätschelte D’Waynes Hand. »Nicht wahr, Schatz?«

Sichtlich erschüttert, brachte D’Wayne nur ein benommenes Nicken zustande.

Und damit nicht genug: Während wir noch mit offenen Mündern dastanden, zog Wren unseren Manager an sich und küsste ihn leidenschaftlich. Tom und Jack stießen einen Pfiff aus, und wir anderen applaudierten.

Schließlich löste sich Wren aus D’Waynes Armen und warf ihre rote Mähne zurück: »Noch Fragen? Nein? Dann lasst uns weiterproben.«

Um neun Uhr am Abend verabschiedeten wir das glückliche Paar vor der Schuhfabrik und gingen zu Jack und Sophie. Wir waren immer noch völlig baff über diese unerwartete Entwicklung.

»Damit hätte ich nie gerechnet«, sagte Jack, während er eine Schüssel mit Nachos herumreichte.

»Ich schon«, entgegnete ich mit vollem Mund. »Habt ihr euch nie gefragt, warum sie ihn ständig verteidigt hat? So etwas macht Wren nur, wenn sie jemanden mag.«

»Also ich habe mich auch über die beiden gewundert«, meinte Sophie. »Aber ich hätte nie gedacht, dass da was laufen würde.«

»Das ist unsere Wren«, bemerkte Charlie lachend. »Sie gibt sich nie mit halben Sachen zufrieden.« Sein Lächeln wurde noch intensiver, als er meinen Blick auffing.

Als es Zeit zum Aufbruch wurde, ging Tom als Erster und nahm sich ein Taxi nach Hause. Charlie und ich halfen noch beim Abwasch und verabschiedeten uns dann ebenfalls.

»Hoffentlich kannst du nach dieser ganzen Aufregung schlafen«, sagte ich. Mein Ellbogen stieß gegen seinen, als wir durch den Vorgarten gingen.

»Ja, hoffentlich.« Sein Atem wurde vom weißen Licht der Straßenlaterne beleuchtet. »Rom?«

»Ja?« Ich wandte mich ihm zu, und mein Herz begann zu galoppieren, als ich ihn anblickte. Die Schatten betonten seine markanten Wangenknochen, seine Augen schimmerten in der Dunkelheit. Sofort fühlte ich mich wieder an die Zeit vor einem Jahr erinnert, als er mir mit einem einzigen Blick den Atem rauben konnte.

»Ich weiß, du brauchst Zeit zum Nachdenken, und ich will dich nicht drängen, aber …«, er schob die Hände tiefer in die Hosentaschen. »Es ist jetzt drei Wochen her, und ich würde einfach gern erfahren, was du denkst. Ich muss es wissen …«

Ich zitterte und wickelte meinen Mantel fester um mich. »Das verstehe ich. Tut mir leid, dass es so lange dauert. Ich möchte die richtige Entscheidung treffen. Ich finde, das bin ich uns beiden schuldig. Die Suche ist fast vorbei und …«

»Dann sag es mir bei dem Gig«, stieß er hervor.

Ich sah ihn an. Seine Augen glitzerten im Licht der Straßenlaterne. »Wieso ausgerechnet dort?«

Er trat einen Schritt näher. »Deine Suche endet am Weihnachtsabend, nicht wahr? Also komm zur Ruhe, geh in dich und gib mir deine Antwort bei diesem Auftritt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Set ist ungefähr eine Stunde Pause. Das ist ein guter Zeitpunkt.«

Ein warmes Gefühl durchströmte mich. »Und du kannst bis dahin warten?«

Er atmete aus: »Es ist wichtig für dich, und du bist wichtig für mich. Ich weiß, du wirst die richtige Entscheidung treffen. Also warte ich, bis die Zeit gekommen ist.«

Mich überfiel der unwiderstehliche Drang, ihm hier und jetzt eine Antwort zu geben, während ich sein schönes, vertrautes Gesicht betrachtete und mich danach sehnte, in seinen Armen zu liegen. »Charlie, ich glaube …«

Er schüttelte den Kopf: »Sag nichts, bis du dir ganz sicher bist. So oder so. Am Weihnachtsabend, okay?«

Überwältigt von einer Flut an Gefühlen nickte ich: »Am Weihnachtsabend.«