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Please dont’t stop the music …
Hi, Freunde. Der Millionärs-Gig ist VOM TISCH. Nicht unsere Schuld, aber es lässt sich nicht ändern. Bei der Probe am Donnerstag werde ich alles erklären. Tom x
Ungläubig starrte ich auf die SMS, als mein Telefon klingelte.
»Rom? Charlie hier. Hast du Toms Nachricht schon gelesen?«
Trotz meiner Erschütterung freute ich mich, dass es Charlies erste Reaktion war, mich anzurufen. »Gerade eben. Was ist da los?«
Charlie klang genauso fassungslos wie ich. »Keine Ahnung. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber es war besetzt.«
»Wenn du irgendwas herausfindest, gibst du mir dann Bescheid?«
»Klar. Ich ruf dich nachher nochmal an.«
Sobald ich das Gespräch beendet hatte, fragte Mick besorgt: »Alles okay?«
»Nein, leider nicht. Meiner Band wurde gerade der größte Gig aller Zeiten abgesagt, und ich weiß nicht, warum.«
»Doch nicht etwa der Gig für diesen Millionär?« Micks Fähigkeit, sich an jedes winzige Detail einer Unterhaltung erinnern zu können, erstaunte mich immer wieder.
»Doch.«
»Mist! Du bist sicher total enttäuscht.«
»Nicht nur ich – wir alle.« Resigniert die Achseln zuckend, wandte ich mich wieder dem Bildschirm zu. Ich war am Boden zerstört. Jetzt einen Werbesong über ein Deodorant zu verfassen, kam mir plötzlich vor wie eine Art Trostpreis.
Dieser Donnerstag war einer der deprimierendsten Tage, die ich seit langem erlebt hatte. Und es wurde nicht besser dadurch, dass ich mich den ganzen Tag über mit dem Werbeleiter einer Agentur herumstreiten musste, der von einem Kunden als Hilfe angefordert worden war, um dessen Radiokampagne »aufzupeppen«. Mit anderen Worten: Er mischte sich in jede Entscheidung ein, ohne selbst irgendeinen kreativen Beitrag zu leisten. Es hätte mir nicht so viel ausgemacht, wenn es sich bei besagtem sehr bekanntem Produkt nicht um einen Ohrenschmalzweichmacher gehandelt hätte.
Zu allem Übel mischte sich dann auch noch meine Chefin Amanda in die Diskussion zwischen mir und dem Werbefuzzi ein. »Was Romily auf ihre Weise zu sagen versucht – nicht sehr gut, zugegebenermaßen – ist, dass das Konzept, das Sie vorgeschlagen haben, unmöglich in einem Dreißig-Sekunden-Spot zu realisieren ist. Und wenn der gesamte Werbespot im Stil von Sigur Rós gesungen werden soll, wird Ihre Botschaft an unseren Hörern total vorbeigehen, weil die meisten die isländische Sprache einfach nicht verstehen.«
Klasse! Als wäre die Luft in der Fledermaushöhle nicht ohnehin schon zum Schneiden dick.
»Vielleicht schaffen wir ja einen Kompromiss«, schlug ich vor. »Wir könnten etwas im Arthouse-Stil komponieren und es als Untermalung für Ihren Text benutzen – auf Englisch natürlich. Würde das Ihren Vorstellungen entsprechen?«
Einen Moment lang glaubte ich ernsthaft, der Werbeleiter wäre beeindruckt. Doch ich hatte mich zu früh gefreut.
»Es bleibt so, wie es die Agentur konzipiert hat«, knurrte er, »andernfalls ziehen wir die Kampagne zurück.«
Amandas Miene sagte alles, als sie aus dem Studio rauschte.
Stöhnend legte ich den Kopf auf den Schreibtisch, während Mick ein paar deftige Flüche ausstieß.
Eigentlich hätte der Gedanke tröstlich sein müssen, nach einem so harten Tag meine Freunde zu sehen, doch in Anbetracht des bleiernen Schweigens, das sich seit Toms SMS über uns alle gesenkt hatte, schwebte die bevorstehende Probe wie eine dunkle Gewitterwolke über mir.
Nachdem wir unsere Ausrüstung entladen hatten – das schweigsamste Entladen in der Geschichte der Band –, versammelten wir uns um sechs in Toms Proberaum in der alten Schuhfabrik. Wir bauten alles auf, doch jedem im Raum war die Sinnlosigkeit dieser Aktion bewusst. Dies hätte die Generalprobe für jenen Gig sein sollen, der für unsere Band so wegweisend hätte werden können – und so gingen wir jetzt nur der Form halber die Stücke durch, bevor wir erfahren würden, was eigentlich passiert war.
Charlie und Jack lehnten lustlos an den Gitarren- und Bassverstärkern, während Tom und Wren reglos auf dem Sofa saßen. Ich hantierte mit Teekessel und Tassen herum, da mir nichts anderes einfiel. Nach etwa zehn Minuten angespannten Schweigens ging die Tür auf, und D’Wayne kam herein, sein Gesichtsausdruck ebenso steinern wie der aller anderen. Als er meinen Blick auffing, hoben sich seine Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln, das sofort wieder erlosch.
»Was ist passiert, Tom?«, stellte er schließlich jene Frage, die uns alle auf dem Herzen lag.
Tom schüttelte den Kopf. »Julian hat mich angerufen und gesagt, dass die Hochzeit verschoben würde, und zwar auf unbestimmte Zeit.«
»Und wieso?«
»Seine Tochter hatte vor kurzem einen schweren Autounfall, von dem sie sich wieder einigermaßen erholt hatte, aber am Montagabend verschlechterte sich ihr Zustand plötzlich. Offenbar sind die Nerven in ihren Beinen schwerer in Mitleidenschaft gezogen worden, als man zunächst angenommen hatte, und deshalb muss sie jetzt wieder operiert werden. Die Ärzte haben ihr strikt davon abgeraten, sich dem Stress einer Hochzeit auszusetzen, solange sich ihr Zustand nicht stabilisiert hat. Sie schätzen, es könnte bis zu einem Jahr dauern, bis sie wieder ohne Hilfe laufen kann.«
Charlie stöhnte auf: »Mann, jetzt habe ich ein richtig schlechtes Gewissen. Ich dachte, er hätte es sich anders überlegt und eine andere Band gebucht.«
»Das haben wir sicher alle gedacht, Chas«, sagte Jack. »Tom, wenn du das nächste Mal mit Julian sprichst, dann richte ihm doch bitte aus, dass wir seiner Tochter alles Gute wünschen.«
Tom nickte: »Es tut mir so leid, Leute. Ich fühle mich irgendwie schuldig. Hätte ich Julian nicht von unserer Band erzählt, hätte er uns den Gig nicht angeboten, und wir hätten unsere Erwartungen nicht derart hochgeschraubt.«
»Wahrscheinlich wären wir sowieso nicht gut genug gewesen«, murmelte Wren und zupfte an einem Faden ihrer abgewetzten Jeans.
»Wren, sag nicht so was!«
»Du weißt, was ich meine, Rom. Wir hatten noch nie einen derart anspruchsvollen Gig. Vielleicht wäre das einfach eine Nummer zu groß für uns gewesen.«
Plötzlich redeten alle gleichzeitig los und drückten lautstark ihren Protest aus. Schließlich hob D’Wayne die Hände, um die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.
»Niemand ist daran schuld, und ihr seid mehr als gut genug. Also, ich schlage vor, ihr probt jetzt ganz normal weiter, okay? Romily, kann ich dich einen Augenblick sprechen?« Er öffnete die Tür und trat in den Flur hinaus. Während die anderen widerwillig mit der Probe fortfuhren, folgte ich D’Wayne nach draußen.
Er schenkte mir wieder dieses schiefe Lächeln wie vorhin: »Ich weiß nicht, ob du das schon gesehen hast, aber wenn nicht, solltest du unbedingt davon erfahren.«
Er griff in seine Gesäßtasche und holte ein zusammengefaltetes Blatt hervor. Neugierig griff ich danach, doch er zog es zurück und sah mich eindringlich mit seinen braunen Augen an. »Eines möchte ich vorher noch sagen: Ich halte es für absolut ungerechtfertigt und finde, dass du es am besten ignorieren solltest.«
Was für eine seltsame Bemerkung. Wenn er der Meinung war, ich sollte die Sache ignorieren, wieso erzählte er mir dann mitten in der Probe davon? Kopfschüttelnd nahm ich ihm das Blatt aus der Hand und faltete es auseinander. Es war die Kopie eines Zeitungsartikels. Als ich genauer hinsah, entdeckte ich zu meinem Schrecken in der Mitte des Artikels ein Foto von mir, das von der Website der Pinstripes stammte.
VERZWEIFELT GESUCHT …
WER AUCH IMMER!
Wie weit DARF man gehen, um die wahre Liebe zu finden?
Es heißt, für jeden Menschen gebe es irgendwo auf der Welt den einzig Richtigen. Aber wann geht eine Suche nach dem Richtigen zu weit? CAYTE BROGAN hat darauf eine Antwort gefunden.
Wie viele Frauen glaube ich an die große Liebe. Ich weine wie das Mädchen von nebenan, wenn Elizabeth endlich ihren Mr Darcy heiratet oder Bridget mit Mark auf einer verschneiten Londoner Straße knutscht. Ich höre Songs über das Streben nach Liebe und lindere damit meinen Herzschmerz, wenn eine Liebe zerbricht. Und ich gebe zu, dass ich mich auch schon einmal auf ein Blinddate eingelassen habe, in der irrigen Hoffnung, dass der Fremde, mit dem ich mich treffe, der Mann meiner Träume sein könnte.
Aber würden Sie ein ganzes Jahr Ihres Lebens für die Suche nach einem Fremden opfern, dem Sie nur einmal kurz begegnet sind?
Romily Parker tut genau das. Nach einer zufälligen Begegnung mit einem Fremden auf dem Weihnachtsmarkt in Birmingham im vergangenen Dezember ist sie überzeugt, dass er der einzig Richtige ist, und hat sich auf eine verzweifelte Suche begeben, um diesen Mann wiederzufinden.
»Ich weiß, dass die meisten Leute meine Suche für verrückt halten werden, doch ich bin entschlossen, ihn zu finden«, erzählte sie mir. »Wenn einem etwas so Wunderbares widerfährt, sollte man alles versuchen, um den Traum wahr werden zu lassen.«
Ms Parker, 29, erhält bei ihrer Mission viel Unterstützung. Ihr Blog über die Suche hat bis jetzt bereits über hundert Anhänger gefunden, die unbedingt erfahren wollen, ob dieses Märchen sein Happy End bekommen wird. Bisher ist der geheimnisvolle Mann noch nicht aufgetaucht, doch Ms Parker – die seit über einem Jahr keine Beziehung mehr hatte – lässt sich davon nicht beirren. »Die Liebe begegnet einem nicht jeden Tag. Dies ist vielleicht meine einzige Chance, um mein Glück zu finden«, sagte sie.
Doch nicht alle ihre Freunde und Verwandten teilen diesen Enthusiasmus. »Romily lässt sich da von einer Laune leiten«, erzählte mir ein enger Freund von ihr. »In der einen Minute war sie noch unsterblich in einen unserer Kumpel verliebt und in der nächsten hat sie sich auf diese Suche nach einem Mann gemacht, den sie im Grunde gar nicht kennt. Ich glaube, sie ist ziemlich verzweifelt.«
Ms Parkers Mutter, Alice Parker, 49, ist entsetzt über diese öffentliche Suchaktion ihrer Tochter. »Sie hat schon einigen Unsinn angestellt, doch das schlägt dem Fass den Boden aus. Das ist ungeheuer peinlich für die ganze Familie.«
Eingefleischte Romantiker werden argumentieren, dass Ms Parker einfach ihrem Herzen folge und in der Liebe alles erlaubt sei. Aber ich glaube, ihre sogenannte Suche besitzt auch eine dunkle, gefährliche Seite.
Frauen haben in puncto Karriere, Freiheit und Anerkennung enorme Fortschritte gemacht, und trotzdem lassen wir uns auf unser privates Leben und unsere Beziehungen reduzieren? Sollen wir unser Leben etwa damit vergeuden, irgendeinem rückschrittlichen utopischen Ideal hinterherzujagen, das uns von der Gesellschaft und den Medien aufgezwungen wird?
Ob Romily Parker mit ihrer Suche nun Erfolg haben wird oder nicht, dieser verzweifelte Akt wirft kein gutes Licht auf moderne junge Frauen. Happy End? Von wegen!
Ich bekam keine Luft mehr. Fassungslos überflog ich den gehässigen Artikel wieder und wieder, als könnte ich ihn dadurch auslöschen. Aus jeder Zeile schrie mir Caytes vernichtendes Urteil über mein Leben entgegen, und die beleidigenden Worte trafen mich bis ins Mark. Eine Woge von Schwindel und Übelkeit überrollte mich, und meine Hände zitterten.
»Das ist … eine Katastrophe …«, stieß ich hervor. »Mit so etwas habe ich im Leben nicht gerechnet!«
Hilflos und besorgt sah D’Wayne mich an. »Es tut mir so leid.«
»Sie hat mit meiner Mutter darüber gesprochen.« Es zog mir förmlich den Boden unter den Füßen weg, als ich mir die daraus resultierenden Folgen ausmalte. »Und einer meiner Freunde hat mich als verzweifelt beschrieben …« Wer war es? Vermutlich Tom. Aber was, wenn es Jack oder Wren gewesen waren, oder gar Charlie? Ich schloss die Augen, um gegen meine aufsteigenden Tränen anzukämpfen. Wer immer die Person war, sie kannte mich gut genug, um zu wissen, wie lange meine letzte Beziehung zurücklag. Warum zum Teufel sollte jemand etwas so Privates einer ehrgeizigen Journalistin mitteilen, die derlei Informationen erbarmungslos ausschlachtete?
Um nicht total in Depressionen zu versinken, schaltete ich mein Gehirn auf Schadensbegrenzungsmodus. Ich musste aufhören, Panik zu schieben, und stattdessen die Sache mal ganz nüchtern betrachten: Es war ein Artikel in einer Lokalzeitung mit einer sehr begrenzten Leserschaft. Mit einigen Leuten, die mich kannten, könnte ich ein paar Probleme kriegen, und das unvermeidliche Gespräch mit meinen Eltern würde die Hölle werden. Doch sobald das erste Interesse abgeflaut wäre, würde der Artikel hoffentlich sehr bald in Vergessenheit geraten.
»Woher hast du das?«, fragte ich D’Wayne schließlich.
»Meine Schwester Shenice hat den Artikel heute früh auf der Website der Edgevale Gazette entdeckt, und als ich daraufhin die Lokalzeitung überprüfte, war er auch auf deren Website.«
»Hm, das ist gar nicht mal so schlecht. Cayte meinte, ihre Artikel würden oft an mehrere Lokalblätter verkauft. Edgevale liegt bei Stone Yardley, nicht wahr?«
»Ich glaube ja, aber …«
Ich holte tief Luft, um wieder ins Lot zu kommen. »Okay, gut, dann ist es auf diese Gegend begrenzt …«
»Romily«, fiel mir D’Wayne ins Wort, und seine Stimme verhieß nichts Gutes. »Es kommt leider noch schlimmer.«
»Was verstehst du unter ›schlimmer‹?«
»Ich, äh … Also, es ist quasi ein Virus.«
Verwirrt blinzelte ich. »Was soll das heißen?«
»Ich habe den Artikel gegoogelt, um zu sehen, in welchen Zeitungen er erschienen ist. Er ist überall! Websites, Zeitungen, Blogs … Außerdem ist irgendeine Kolumnistin der Daily Mail darauf gestoßen und hat heute Morgen in ihrer Kolumne darauf Bezug genommen. Ich habe es dir nicht kopiert, aber du kannst dir bestimmt vorstellen, wie bösartig die Kolumne ist.«
Als Cayte meinte, ihr Artikel werde für eine breite Publicity sorgen, hatte sie nicht übertrieben. »Das glaube ich einfach nicht. Ich habe nichts von dem gesagt, was sie geschrieben hat. Ihre Zitate sind schlicht erfunden.«
»Warum hast du Cayte überhaupt in deine Suche eingeweiht?«
»Sie sagte, sie könne mir helfen, und ich sei eine Inspiration für viele Frauen«, erwiderte ich, obwohl diese Erklärung mir nun wie blanker Hohn erschien.
Ungläubig schüttelte D’Wayne den Kopf: »Sie ist Journalistin. Sie würde jeden Mist behaupten, um an ihre Story zu kommen. Ich kapiere nicht, wieso du ihr vertraut hast.«
»Sie ist mit einem meiner besten Freunde zusammen und hat mir ihre Hilfe angeboten. Wieso hätte ich da misstrauisch sein sollen?« Erneut blickte ich auf den Artikel in meiner Hand und fühlte mich wie der größte Trottel aller Zeiten. »Findest du auch, dass ich verzweifelt bin?«
»Nein.« Liebevoll lächelte er mich an. »Absolut nicht.«
Bei meiner Rückkehr in den Proberaum brachte ich es nicht über mich, Tom anzusehen. Ich hatte nicht vor, diejenige zu sein, die ihm erzählte, mit was für einer Frau er da liiert war. Außerdem war ich zu wütend, um sachlich argumentieren zu können. Und so behielt ich Caytes Verrat für mich und konzentrierte mich so gut es ging auf die Probe.
Ich weiß nicht, ob ihr es schon gesehen habt, aber meine Suche ist zur Zielscheibe des Spotts geworden …
Nein, das war nicht gut.
Habt ihr euch schon einmal so gefühlt, als hätte euch jemand ein Messer in den Rücken gerammt?
Mist, das ging auch nicht.
Frustriert starrte ich auf den Bildschirm meines Laptops, der auf dem Küchentisch stand, als könnte ich kraft meines Blicks die richtigen Worte herbeizaubern. Nach der angespanntesten Probe in der Geschichte der Pinstripes hatte ich mich sofort unter einem Vorwand verabschiedet und in die Sicherheit meines kleinen Häuschens geflüchtet. Ich staunte über mich selbst, wie es mir gelungen war, weder Wren noch Jack etwas davon zu erzählen. Ich glaube, mich hielt einzig die Angst davon ab, dass ich etwas sagen könnte, was ich später bereuen würde. Mit der Stimmung in der Band stand es an diesem Tag ohnehin nicht zum Besten, da musste ich nicht auch noch einen Streit vom Zaun brechen und alles verschlimmern.
Jetzt, da ich bei meinem dritten Glas Rotwein angelangt war und Caytes gemeiner Text unablässig in meinem Kopf widerhallte, hatte ich nur noch den Wunsch, meinen inneren Aufruhr irgendwie auszudrücken. Doch mir wollten einfach nicht die richtigen Worte einfallen. Schließlich gab ich mich geschlagen, stand auf und ging mit dem Weinglas in der Hand in die laue Nacht hinaus.
Diese Sache war in mehr als nur einer Hinsicht eine Katastrophe. Es war peinlich, beschämend und absolut schrecklich, doch am schlimmsten war die Vorstellung, PK könnte der Artikel zufällig in die Hände fallen. Er würde dann wahrscheinlich eher Reißaus nehmen als in meine offenen Arme zu sinken. Ratlos und zutiefst verunsichert lehnte ich mich an die Hausmauer und beobachtete die Fledermäuse, die über das dunkle Wasser des Stourbridge Kanals flatterten. Normalerweise wäre Charlie die erste Person gewesen, die ich um Rat gefragt hätte. Das Wissen darum, dass mir diese Möglichkeit nicht mehr offenstand, erfüllte mich mit tiefer Trauer. Es gab nur eines, was ich tun konnte. Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte.
»Hi, ich bin es. Caytes Artikel ist erschienen, und er ist …«, ich schluckte »… grauenvoll. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Komm morgen gleich nach der Arbeit bei uns vorbei, Schätzchen. Wir kriegen das wieder hin.«
Als ich mich am nächsten Tag auf den Weg zur Arbeit machte, war ich noch völlig benebelt von der zweifelhaften Kombination aus zu viel Rotwein und zu wenig Schlaf. Es war zwar noch früh am Tag, aber trotzdem beunruhigte es mich, dass ich keine einzige SMS meiner Freunde erhielt. Hatten sie Caytes Artikel noch nicht gelesen, oder gingen sie in Deckung, weil ihr Verrat an mir nun schwarz auf weiß zu lesen war? Entschlossen, mir den Tag nicht vermiesen zu lassen, schüttelte ich meine Bedenken ab und genoss die warmen Strahlen der Junisonne.
Sobald ich bei Brum FM eintraf, merkte ich, dass etwas in der Luft lag. Ted war so verhalten heiter wie immer, doch ich hätte schwören können, dass er hämisch grinste, als sich die Lifttüren hinter mir schlossen. Die Leute in den Korridoren wandten die Blicke ab und lachten leise hinter meinem Rücken. Aber erst als ich die Fledermaushöhle betrat, erfuhr ich von Mick, was Sache war.
»Du solltest mal einen Blick auf das Schwarze Brett im Personalraum werfen«, sagte er mit einem nervtötenden Grinsen im Gesicht.
Mit weichen Knien ging ich in den kleinen Raum und entdeckte – wie befürchtet – Caytes Artikel in der Mitte des Schwarzen Bretts.
»Interessante Lektüre, was?«, ertönte hinter mir eine selbstgerechte Stimme. Amanda Wright-Timpkins – die personifizierte Schadenfreude. Na toll!
Ich zuckte die Achseln. »Geschmackssache.«
Sie schnaubte verächtlich. »Für dich ja wohl eher schwere Kost.«
Wie überaus geistreich. »Tja, nachdem ihr jetzt alle euren Spaß hattet …« Ich riss den Artikel ab und zerknüllte ihn. »So. Das ist schon viel besser.« Ich bedachte Amanda mit einem zuckersüßen Lächeln und wandte mich zum Gehen um.
»Das verstehe ich natürlich, Romily. Wobei die anderen natürlich alle noch da sind.«
Ich blieb in der Tür stehen und drehte mich langsam zu Amanda um. »Die anderen?«
»Weiß du das etwa nicht? Der Artikel hängt im ganzen Gebäude an jedem Schwarzen Brett, Süße.«
Verstört ging ich in die Fledermaushöhle zurück, wobei Amanda hinter mir her stolzierte.
»Weißt du, wir feiern bei Brum FM gern die Erfolge von Kollegen. Es ist nur fair, dass jeder seine fünfzehn Minuten Ruhm erhält.«
Als wir das Studio betraten, blickte Mick auf. »Du machst ja einen recht zufriedenen Eindruck, Amanda.«
»Wirklich? Nun, ich muss zugeben, als ich den Artikel heute früh gelesen habe, war ich einigermaßen erheitert. Ich meine, wie schrecklich peinlich für dich, Romily. Dein trauriges kleines Liebesleben ist jetzt jedermann bekannt. Aber die Schuld liegt einzig und allein bei dir. Ich meine, ein ganzes Jahr für die Suche nach einem Mann zu verschwenden, der eindeutig nicht an dir interessiert ist? Sicher, jetzt, wo du fast dreißig bist, wird das Angebot merklich kleiner, aber selbst du musst zugeben, dass so eine sinnlose Suche ziemlich verzweifelt ist.«
»Kannst du dich nicht auf deinen Besen schwingen und wegfliegen, oder so?«, knurrte Mick, während er mir einen Pappbecher mit Kaffee und ein Schinkenbrötchen reichte. »Wir haben zu arbeiten.«
»Okay, okay, schon verstanden.« Kapitulierend hob sie die Hände mit den künstlichen Acrylnägeln und beugte sich noch einmal zu mir, ehe sie ging. »Vielleicht sollte auch eine gewisse andere Person in diesem Raum lernen, ein paar Wahrheiten zu akzeptieren.«
»Diese Frau hat ein so übles Schandmaul …«
»Egal. Soll sie ihren Spaß haben.« Ich überflog den Arbeitsplan, um zu sehen, welche Freuden uns heute erwarteten. »Müsliriegel, Fahrstunden, Abführmittel … hmm. Soll einer sagen, unser Job sei nicht abwechslungsreich!«
»Wir sind auf jeden Fall sehr vielseitig«, bemerkte Mick grinsend. »Bist du auch wirklich okay?«
»Irgendwann wird sich hoffentlich alles wieder beruhigen, und in der Zwischenzeit versuche ich einfach, über den Dingen zu stehen.«
Mick lachte: »Das machst du richtig. Hey, ich habe da etwas, das dich sicher aufheitert …« Er öffnete das Musikarchiv auf seinem Bildschirm, wählte ein Stück aus und duckte sich dann, um meinem leeren Kaffeebecher auszuweichen, der bei den ersten Klängen von »Desperado« auf seinen Kopf zuflog.
Als ich am späten Nachmittag bei Our Pol ankam, war ich fix und fertig von den dümmlichen Witzen und der kaum verhohlenen Belustigung meiner Kollegen. Sicher, das war alles nicht böse gemeint, aber es traf mich dennoch.
Tante Mags wartete schon aufgeregt neben der Kabinentür. Sobald sie mich erspähte, sprang sie vom Boot, eilte in ihren Pantoffeln und mit einem Geschirrtuch in der Hand auf mich zu und nahm mich fest in die Arme.
»Ooooh, Schätzchen! Komm, lass dich drücken! Diese schreckliche Frau! Du Armes!« Sie trat einen Schritt zurück und musterte mich eingehend. »Du brauchst Karottenkuchen. Das ist jetzt das einzig Wahre.« Liebevoll nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins gemütliche Innere von Our Pol. Als wir in die Kombüse kamen, brühte Onkel Dudley gerade Tee in der alten gelben Teekanne auf.
»Da ist sie ja! Unser Medienstar!«
»Sei still, Dudley. Das ist im Moment nicht hilfreich.« Tante Mags schlug mit dem Geschirrtuch nach ihm, doch er wich gekonnt aus, was von jahrelanger Übung zeugte. »Romily ist hier, um aufgeheitert und nicht, um verspottet zu werden.«
»Keine Bange, ich habe heute so viel Spott abbekommen, dass ich inzwischen dagegen immun bin.« Ich ließ mich auf der Sitzbank nieder, und sogleich sprang Elvis auf meinen Schoß.
»Siehst du? Sogar der Hund legt mehr Sensibilität an den Tag als du!«, schimpfte meine Tante ihren Gatten.
Onkel Dudley sah so zerknirscht drein, dass ich ihn spontan umarmte. »Schon gut, Onkel Dudley. Ich brauche nur dringend eines deiner berühmten Hochihochs.«
Schlagartig hellte sich seine Miene auf. »Na, in diesem Fall bis du auf diesem Boot genau richtig, Schätzchen.«
Ich staunte immer wieder darüber, dass fünf Minuten in der Gesellschaft meines Onkels und meiner Tante genügten, um meine Sicht der Dinge komplett zu verändern. Sie sollten diese Gabe in Flaschen abfüllen oder ein »Optimismus-Center« eröffnen – irgendeinen Ort, wo die Leute ein exklusives »Hochihoch-Paket« buchen und in köstlichen, stimmungsspezifischen Backwaren schwelgen konnten …
»Wichtig ist doch nur, Kleines, dass diese ganze Sache deiner Suche keinen Abbruch tut«, sagte Onkel Dudley, während er mir die dritte Tasse Tee einschenkte.
»Aber was, wenn er den Artikel gelesen hat und eine einstweilige Verfügung erwirkt oder irgendetwas in der Art?«
»Romily Louise Parker, so etwas will ich von dir nicht hören! Der Artikel ist in ein paar lokalen Zeitungen und auf einigen komischen Websites erschienen«, sagte Tante Mags streng. »Sollte ihm der Artikel tatsächlich in die Hände fallen, was ich für höchst unwahrscheinlich halte, dann würde er dich in der falschen, lügenhaften Beschreibung dieser Person gar nicht wiedererkennen. Deine Suche läuft nun seit sechs Monaten – willst du etwa auf der Hälfte der Strecke schlappmachen, nur weil diese Person sich profilieren möchte?«
»Außerdem geht es inzwischen nicht mehr allein um dich«, fügte Onkel Dudley hinzu. »Hast du die neuesten Kommentare in deinem Blog gesehen? Nein? Warte.« Er machte eine weit ausholende Handbewegung, als wollte er eine Armee befehligen: »Magsie, hol den Laptop!«
Tante Mags rührte sich nicht von der Stelle. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
Onkel Dudley machte ein langes Gesicht. »Habe ich ihn nicht im Schlafzimmer stehen lassen?«
»Keine Ahnung, Dudley. Leider kann ich immer noch nicht durch Wände hindurchsehen, selbst wenn sie aus Spanplatten sind. Möchtest du, dass ich den Laptop für dich suche?«
Leicht errötend nickte er. »Wenn es dir nichts ausmacht, du liebliches Weib.«
Tante Mags tätschelte seinen kahl werdenden Kopf, zwinkerte mir zu und machte sich dann auf die Suche nach dem verlorenen Gerät. Als sie kurz darauf mit dem Laptop zurückkehrte, klickte mein Onkel meinen Blog auf den Bildschirm.
»Da.« Er schob den Laptop zu mir rüber. »Lies selbst.«
Zu meiner Überraschung hatte ich auf den letzten Eintrag vor dem Erscheinen des Artikels ungefähr zwanzig neue Kommentare erhalten. Wie sich herausstellte, hatten etliche meiner Blog-Anhänger den Artikel gelesen und über die sozialen Netzwerke zu meiner Unterstützung aufgerufen. Inzwischen hatte ich über einhundertfünfzig Leser, und die neu eingegangenen Kommentare waren wirklich herzerwärmend.
Mach weiter und vergiss, was diese dumme Journalistin über dich gesagt hat. Wir glauben an dich! X rosienyc
Du folgst deinem Herzen. Das finde ich super. x MissEmsie
Ich kannte deinen Blog vorher nicht, aber dieser Artikel, den ich zufällig gelesen habe, ist einfach gemein. Von jetzt an werde ich deine Fortschritte mitverfolgen. Ich hoffe, du findest ihn. xx pasha353
Romily, ich möchte dir nur sagen, dass du mit deiner Suche nicht allein bist. Es gibt eine Menge Leute, die sich wünschen, dass du diesen Mann findest, also mach weiter! xx Ysobabe8
Und es gab noch weit mehr ermunternde Botschaften. Ich konnte es kaum glauben.
»Du hast in diesen Menschen eine Saite zum Erklingen gebracht«, sagte Tante Mags lächelnd.
»Da ist sie nicht die Einzige«, bemerkte Onkel Dudley grinsend, während er zu den letzten Kommentaren scrollte und den Bildschirm zu meiner Tante hindrehte.
Kann ich von deiner Tante ein paar Rezepte haben? Ihre Kuchen klingen superlecker! x cupcakefairy
»Ach, du meine Güte! Was will sie denn mit den ollen Rezepten?«, rief Tante Mags entsetzt, doch die tiefe Röte in ihren Wangen sagte etwas anderes.
»Du solltest sie aufschreiben, Magsie, das sage ich dir schon seit Jahren.«
»Vielleicht sollte ich das tatsächlich … Wenn ich ein paar Rezepte auf der Schreibmaschine tippe, würdest du sie dann per E-Mail an die junge Dame senden, Romily?«
»Natürlich. Das ist großartig, Onkel Dudley. Danke, dass du mir die Nachrichten gezeigt hast. Ich habe mich den ganzen Tag über so verdammt mies gefühlt, aber nachdem ich nun weiß, dass es Leute gibt, die hinter mir stehen, geht es mir schon viel besser.«
Wir begaben uns zu der gemütlichen Sitzecke, und Tante Mags brachte noch mehr Tee und Kuchen. Nun schwenkte das Gespräch auf ein eher heikles Thema um.
»Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?«
Oh, ja. Zum Glück bisher nur am Telefon. Ich hatte mich davor gedrückt, doch in der Mittagspause hatte ich schließlich in den sauren Apfel gebissen.
Es hieß, in dieser Welt sei nichts sicher außer dem Tod, doch was meine Mutter anging, so konnte man sich auf eines mit Sicherheit verlassen: Wenn sie wütend war, erfuhren das alle. Mum hatte so viele Leute wie möglich angerufen, um ihnen mitzuteilen, wie sehr sie sich für mich schäme. Folglich musste ich mir in den ersten zehn Minuten unseres Gesprächs im Detail anhören, wie entsetzt jeder gewesen sei.
»Ein Blog, Romily? Ist dir nicht klar, wie billig und geschmacklos das auf andere wirkt? Wir waschen unsere schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit. Das ist eine unglaubliche Blamage – das hat jeder gesagt, mit dem ich heute gesprochen habe.«
Ich hatte mich entschuldigt, klar, vor allem dafür, dass sie auf diese Weise von meiner Suche erfahren musste. Doch Mum ließ nicht locker und setzte zu einer ausufernden Schimpftirade an, indem sie die Band schlechtmachte, meinen Onkel und meine Tante und so ziemlich jeden, der sie in den letzten Jahren gekränkt hatte. Schließlich endete sie mit der Forderung, ich solle diese Suche sofort abbrechen.
»Tut mir leid, Mum, das kann ich nicht.«
»Aber was bringt es dir, außer dass deine Freunde über dich lachen?«
Das hatte gesessen, denn wenn man Caytes Artikel glauben wollte, war einer meiner engsten Freunde mir gegenüber alles andere als loyal gewesen. »Es gibt Menschen, die nach wie vor an das glauben, was ich tue. Und zufälligerweise bin ich einer von ihnen.«
»Schön dumm von dir. Na gut. Mach nur so weiter. Entblöße dich vor allen und jedem. Aber erwarte nicht, dass dein Vater und ich die Scherben für dich aufsammeln, wenn alles zu Bruch gegangen ist.«
»Das hat sie gesagt?«, stieß Tante Mags fassungslos hervor. »Ich weiß, sie ist als Mutter nicht gerade ein Ausbund an liebevoller Unterstützung, doch das ist selbst für sie ziemlich hart.«
»Ich habe ihr einfach gesagt, dass dies mein Leben ist und die Verantwortung dafür allein bei mir liegt.«
Onkel Dudley ergriff meine Hände. »Hör mir jetzt genau zu, Schätzchen, das ist einfach nur ein kleiner Rückschlag. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass du ihn finden wirst. Sollen deine Eltern doch darüber denken, was sie wollen. Der einzige Mensch, dem du Rechenschaft schuldest, bist du selbst. Vergiss das nie.«
Später am Abend auf dem Heimweg fühlte ich mich schon weitaus besser. Manchmal begriff man erst dann, wie wichtig die eigenen Vorstellungen und Werte für einen waren, wenn jemand daran rüttelte. So frustrierend das Gespräch mit meiner Mutter auch gewesen war, es bestätigte das, was ich schon immer vermutet hatte: Ich würde nie der Mensch sein, der ich in den Augen meiner Eltern sein sollte. Irgendwie fühlte ich mich jetzt freier: Ich hatte herausgefunden, dass ich an mein wahres Ich, so wie ich wirklich war, glauben konnte, an diese junge Frau, die ihrem Herzen folgte …
Auch am nächsten Tag hörte ich nichts von der Band, bis auf ein paar besorgte SMS von D’Wayne. Der Gute. Er schien sich persönlich für die Verletzung, die mir dieser Artikel zugefügt hatte, verantwortlich zu fühlen. Ich sah der nächsten Bandprobe nicht gerade mit Begeisterung entgegen, vor allem, weil ich mir nach wie vor unsicher war, um wen es sich bei dem in Caytes Artikel zitierten »engen Freund« handelte.
Natürlich setzte das voraus, dass Cayte mit der Tradition gebrochen und tatsächlich eine Quelle befragt hatte, statt auch dies – wie den restlichen Artikel – frei zu erfinden. Ich war immer noch schockiert über ihr skrupelloses Vorgehen. Glaubte sie, ich würde ihr für diesen Artikel dankbar sein? Kümmerte es sie überhaupt, was ich dachte und fühlte?
Als ich am späten Nachmittag in Toms Proberaum eintrudelte, lächelte mir Charlie zu, doch es war ein kurzes Lächeln und überzeugte mich nicht von seiner Unschuld. Jack war da schon zuvorkommender: Er blickte von seinem Keyboard auf, eilte quer durch den Raum auf mich zu und nahm mich in den Arm.
»Oh, Mann, ich habe es gestern gelesen. Was für ein übles Miststück! Sophie war so wütend, dass ich sie nur mit Mühe davon abhalten konnte, sofort zu Tom zu gehen und Cayte zur Rede zu stellen. Aber wahrscheinlich hat sie ein paar sehr deutliche SMS geschrieben.«
»Aber du hast mir keine SMS geschrieben.« Ich blickte zu Charlie hinüber, der mich anstarrte. »Niemand von euch.«
Jack trat einen Schritt zurück, sein schlechtes Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ich weiß. Wir waren … Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Trotzdem hätte ich anrufen sollen. Tut mir leid.«
»Egal. Wenn es einem von euch passiert wäre, hätte ich vermutlich auch nicht gewusst, wie ich reagieren sollte. Aber ich glaube, ich hätte versucht, irgendetwas zu sagen.« Ich sah Jack direkt in die Augen. »Hast du Cayte etwas über mich erzählt?«
In seiner Miene stand blankes Entsetzen. »Nein! Niemals! Herrgott, dachtest du, das Zitat wäre von mir?«
Sogleich kam ich mir schäbig vor, weil ich diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung gezogen hatte. »Nein … na ja, ich weiß nicht, wer es war, deshalb …«
»Ich war es auch nicht«, sagte Charlie und gesellte sich zu uns. »Ich hoffe, du glaubst mir.« Sein ernster Blick verriet mir, dass er die Wahrheit sagte.
»Ach, wahrscheinlich hat sie das alles nur erfunden. Aber es hat mich dazu gebracht, meine Freunde infrage zu stellen, und ich hasse dieses Gefühl.«
Charlie nickte in Richtung der Tür, die quietschend aufging. »Ich nehme mal an, dies ist die Person, die dir mehr darüber sagen kann.«
Wortlos und ohne ein Lächeln kam Tom herein und stellte seinen ramponierten Gitarrenkoffer neben dem Schlagzeug ab. Jack, Charlie und ich sahen zu, wie er umständlich seine Gitarre auspackte und an den Verstärker anschloss. Er schien unsere durchdringenden Blicke gespürt zu haben, denn nach einigen Sekunden seufzte er tief auf und wandte sich uns zu:
»Also, raus damit.«
Toms defensives Verhalten brachte Jack kurz aus dem Konzept. »Hey, immer mit der Ruhe …«
»Reden wir Klartext. Sagt einfach, was ihr loswerden wollt.«
»Tom«, begann Charlie, doch Tom kam ihm zuvor.
»Seht mal, ich hatte keine Ahnung, was sie schreiben würde. Es ist nicht meine Schuld, dass sich dieser Artikel so verbreitet hat. Ich kontrolliere Cayte nicht, und ich bin für ihr Tun nicht verantwortlich. Okay?«
Aufgebracht funkelte Jack ihn an. »Das ist alles? Ist es dir egal, dass deine dämliche Schnepfe eine deiner besten Freundinnen so durch den Kakao gezogen hat?«
Das wollte ich nicht. Ich wollte keine Feindseligkeiten zwischen uns. »Jack, lass uns nicht streiten. Ich schlage vor, wir reden nicht mehr darüber, okay? Ich würde das alles gern vergessen und weitermachen wie bisher.«
»Nein, tut mir leid, Rom. Du wurdest angegriffen und gedemütigt, und ihm scheint das völlig egal zu sein. Ich finde, da besteht noch eine Menge Erklärungsbedarf.«
»Richtig!« Tom knallte seine Gitarre auf den Verstärker, ging mit großen Schritten quer durch den Raum und baute sich vor Jack auf. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es mir ins Gesicht.«
»Jederzeit«, knurrte Jack und nahm Angriffshaltung ein.
»Wenn du mit Jack Streit anfängst, kriegst du auch Streit mit mir«, drohte Charlie.
Das war zu viel. Cayte würde mir nicht auch noch meine engsten Freunde nehmen. »Es reicht!«, brüllte ich so laut, dass die Kampfhähne überrascht innehielten. »Okay, sie ist deine Freundin, Tom. Wenn du sie in Schutz nehmen willst, ist das in Ordnung. Jack, ich brauche niemanden, der meine Kämpfe für mich ausficht. Und du, Charlie, solltest eigentlich klüger sein, als sofort auf den Köder anzuspringen. Also hört jetzt auf damit, weil ich zu dem ganzen Schlamassel nicht auch noch blutige Nasen sehen möchte. Benehmt euch verdammt noch mal endlich wie Erwachsene!«
Verdattert starrten sie mich an. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und marschierte hinaus.
Ich ging nicht weit – nur bis zu dem kleinen Café um die Ecke, in dem früher eine Goldschmiedewerkstatt gewesen war –, doch weit genug, um ein Zeichen zu setzen. Ich bestellte einen Karamell-Latte und atmete den wohltuenden Duft von frischem Kaffee und altem Holz ein, bis sich mein rasender Puls wieder beruhigte. Mir war klar, dass die angespannte Stimmung zwischen uns nicht nur auf Caytes Artikel zurückzuführen war. Uns alle beschäftigte noch der geplatzte Millionärs-Gig, von dem wir uns so viel erwartet hatten, und nun waren wir umso enttäuschter. Da wir niemandem die Schuld daran geben konnten – vor allem angesichts der schrecklichen Umstände, die zu der Absage geführt hatten –, mussten die aufgestauten Emotionen ein anderes Ventil finden.
Nach etwa zehn Minuten erhielt ich eine SMS: Rom, wo bist du? Wir brechen die Probe ab. Willst du reden? Jack x
Da mein Gesprächsbedarf für diesen Tag gedeckt war, schrieb ich rasch zurück: Macht euch keine Sorgen um mich. Ich hatte nur keine Lust auf den Stress. Lasst uns ein anderes Mal reden. Rom x
Eure Kommentare sind eine Wohltat, vielen Dank.
Ich komme mir vor wie ein totaler Idiot, weil ich Cayte Brogan geglaubt habe, als sie mir ihre Hilfe anbot. Rückblickend betrachtet war es total offensichtlich, was sie vorhatte. Aber ich bin nun mal kein misstrauischer Mensch und verstehe Leute nicht, die überall sofort eine Verschwörung vermuten. Ich vertraue Menschen. Ist das eine schlechte Eigenschaft?
Meine Tante und mein Onkel haben mir sehr geholfen, vor allem am Anfang, als der Artikel herauskam. Manche Leute, die ich kenne, verurteilen mein Tun, aber mir ist klar geworden, dass ich mich nicht um die Meinung anderer kümmern kann, weil es mein Leben ist, und ich allein darüber entscheide.
Bin ich wütend? Ja, alles andere wäre eine Lüge. Doch am meisten ärgere ich mich darüber, dass ich auf Caytes Süßholzgeraspel hereingefallen bin. Ich bin sauer, weil ich mich durch diesen Artikel selbst infrage gestellt habe – und was noch schlimmer ist, auch die Menschen, die ich gernhabe. Aber durch diese Erfahrung habe ich begriffen, wie viel mir diese Suche bedeutet, und ich werde mich auch von dieser unangenehmen Geschichte nicht beirren lassen. Ich bin schon zu weit gekommen, um mich von jemandem, der mich nur für seine eigene Karriere benutzt, von meinem Weg abbringen zu lassen. Würde ich mich von ihrem Artikel einschüchtern lassen, hätte sie gewonnen. Also werde ich ihr beweisen, dass sie sich geirrt hat.
Danke für euren Glauben an mich. Die Suche geht weiter!
Rom x
Gib nicht auf! Ich weiß, dass du ihn finden wirst. pasha353
Du musst weitermachen, Romily, und darfst diese Frau nicht gewinnen lassen. Bleib stark! xx Ysobabe8
Mach weiter, Schätzchen, du schaffst es! P. S. Ich habe gestern Abend den Ingwerkuchen deiner Tante gebacken – ein Gedicht! ☺ cupcakefairy
In allen großen Liebesfilmen gibt es eine Stelle, wo der Glaube der Hauptdarstellerin durch irgendwas erschüttert wird und sie sich wieder aufrappeln muss. Genau wie bei dir. Es wird sicher ein Happy End für dich geben! x MissEmsie
Am Tag darauf traf ich mich mit Wren und spazierte mit ihr in die Innenstadt. Sie war entsetzt und traurig, dass sie von meinen Freunden als Letzte von Caytes Artikel erfahren hatte und dass es zwischen Charlie, Jack und Tom beinahe zu einer Schlägerei gekommen wäre.
»Ich verstehe nicht, warum du dich nicht sofort bei mir gemeldet hast«, sagte sie, während sie zwei Tassen Cappuccino und zwei Kuchenstücke mit weißer Schokoladenglasur auf dem Tisch abstellte. »Ich habe erst davon gehört, als Jack mich angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass die Probe abgebrochen wird. Ich habe mehrfach versucht, Tom anzurufen, aber bei ihm läuft ständig der Anrufbeantworter. Ach, was für ein schreckliches Chaos.«
»Finde ich auch. Ich habe die Jungs einfach sich selbst überlassen. Natürlich ist der Artikel nicht Toms Schuld, aber Jack ist da anderer Meinung.«
Wren hob die Brauen. »Wundert dich das? Tom hätte dich verteidigen müssen, nicht sie. Tom und du, ihr seid schon Ewigkeiten befreundet. Dagegen ist diese Frau ein Hühnerschiss in seinem Leben. Und wer weiß, vielleicht benutzt sie ihn ja für ihre nächste Schlagzeile. Also, ich finde, er sollte endlich Prioritäten setzen.«
So hatte ich mir einen entspannten Sonntagvormittag nicht vorgestellt. »Wren, lass es. Ich will nicht, dass wir uns deswegen alle zerstreiten. Es ist nun mal passiert, Punkt. Können wir nicht ganz normal weitermachen?«
»Aber sie ist eine hinterhältige Schlange!«, protestierte Wren.
»Mag sein, trotzdem ist sie es nicht wert, dass ich ihretwegen meine Freunde verliere.«
Am selben Abend entdeckte ich Post in meinem E-Mail-Account. Ich öffnete den Posteingang, und mir verschlug es den Atem …
Von: ladywren@hotmail.com
An: jack@funkster-studio.com, mistertom@gmail.com,
charliew@galleryQ.co.uk
CC: romilyp@bubblemail.co.uk
Betreff: Pinstripes, vertragt euch!
Leute,
wir sind alle Idioten. Ich dachte, das solltet ihr wissen. Unsere liebe Rom ist schon verletzt genug, da müssen wir ihr das Leben nicht noch schwerer machen. Also, Jack, krieg dich wieder ein. Tom, egal, was deine Freundin sagt, zeige Rom, was sie dir bedeutet. Und du, Charlie, schalte wieder deinen klaren Verstand ein, den wir im Moment brauchen. Sonst geht unsere Freundschaft in die Brüche – und wofür?
Das muss jetzt aufhören. Tut etwas dafür.
Wren xx
Von: jack@funkster-studio.com
An: romilyp@bubblemail.co.uk, mistertom@gmail.com,
charliew@galleryQ.co.uk
CC: ladywren@hotmail.com
Betreff: RE: Pinstripes, vertragt euch!
Rom – es tut mir so leid. Ich hätte mich nicht so bescheuert aufführen sollen. Du bist wundervoll, und wir sind alle für dich da.
Tom – entschuldige meinen Auftritt. Ich war einfach wütend, aber das ist nicht deine Schuld.
Charlie – du bist ein Freund, und ich schätze dich sehr, aber du hättest dich aus meinem Streit mit Tom raushalten sollen.
Wren – danke, dass du mir den Kopf gewaschen hast. Du hast Recht. (Das soll aber nicht zur Gewohnheit werden! Ist nicht gut für meinen Stolz.)
Jack x
Von: mistertom@gmail.com
An: romily@bubblemail.co.uk, charliew@galleryQ.co.uk,
jack@funkster-studio.com
Betreff: RE: Pinstripes, vertragt euch!
Leute,
Wren hat Recht. Ich will nicht mit euch streiten, aber ihr müsst es auch mal von meiner Warte aus sehen. Cayte ist meine Freundin, und natürlich verteidige ich sie. Trotzdem war ihr Artikel über Romily total unmöglich, und seitdem liegen wir uns nur noch in den Haaren. Rom, ich mag dich sehr, vielleicht mehr, als du weißt, und ich finde es schrecklich, dass du wegen meiner Freundin in so eine Lage gekommen bist. Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatte, aber selbst wenn, hätte ich sie wohl nicht davon abhalten können. Ich finde es schlimm, dass sie dich verletzt hat und dass du dachtest, ich hätte diese Dinge über dich gesagt. Ich habe Cayte nichts über dich erzählt.
Das ist so ein Durcheinander. Ich muss überlegen, wie es mit Cayte und mir weitergehen soll, und im Moment bin ich da noch ziemlich ratlos. Ihr liegt mir sehr am Herzen, Leute, und ich will diesen Streit genauso wenig wie ihr.
Alles Liebe,
Tom x
Von: charliew@galleryQ.co.uk
An: romilyp@bubblemail.co.uk, mistertom@gmail.com, jack@funkster-studio.com, ladywren@hotmail.com
Betreff: RE: Pinstripes, vertragt euch!
So viel Liebe in der Luft heute.
Ernsthaft, das ist großartig. Wir sollten nicht streiten.
Rom, entschuldige, dass ich mich gestern wie ein Trottel benommen habe. Du hast Recht, ich lass’ mich zu leicht provozieren und sollte eigentlich klüger sein. Jack, tut mir leid, dass ich mich in deine Angelegenheiten eingemischt habe. Und Tom, entschuldige meine Parteinahme. Wir sind auch alle für dich da. Wren, danke für deine klaren Worte. Zum Glück haben wir jemanden wie dich, der uns wieder zur Vernunft bringt. Können wir jetzt wieder zusammen Spaß haben? Gut.
Alles Liebe,
Chas ☺
Meine Freunde wieder vereint zu sehen, erfüllte mich mit tiefer Freude. Wenigstens musste ich zu allem Übel nicht auch noch eine Trennung der Pinstripes auf meine Kappe nehmen. Jetzt galt es nur noch, mit meiner plötzlichen unfreiwilligen Berühmtheit klarzukommen …
»Ich bin mir sicher, dass ich Sie kenne«, wiederholte die Dame in der Schlange vor der Supermarktkasse. Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf zur Seite, als könnte das ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
Ich lächelte höflich und wünschte, ich wäre in einen Laden außerhalb der Stadt gegangen. »Das glaube ich nicht«, antwortete ich, in der Hoffnung, der Dame den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Waren Sie nicht im Fernsehen? Ooh, ich weiß … Sie waren letzte Woche in Casualty, richtig?«
Bitte langweilen Sie mich nicht und lassen Sie mich endlich in Ruhe!, flehte ich stumm, doch die Dame in dem kirschroten Trainingsanzug war offensichtlich nicht auf der richtigen Empfangsfrequenz. Höchste Zeit für eine andere Strategie: »Ähm, ich glaube, die Kasse da drüben ist jetzt frei.«
»Million Pound Drop? EastEnders?«
Warum nicht gleich Crimewatch? Wife Swap? Wenn sie weiterhin alle Sendungen aufzählte, die sie in letzter Zeit gesehen hatte, würde ich bis Weihnachten hier stehen. Leider fiel mir nichts Legitimes ein, um die lästige Dame zum Verstummen zu bringen, außer ihr mit dem Baguette aus meinem Einkaufskorb das Maul zu stopfen oder sie mit Tampons zu bombardieren.
Das war heute schon das fünfte Gespräch dieser Art, und allmählich hatte ich die Nase gestrichen voll davon. Wie ich mittlerweile herausgefunden hatte, lag das Problem meines Prominentenstatus’ darin, dass mich die Leute zwar wiedererkannten, aber nicht wussten, wo sie mich gesehen hatten. Folglich mussten sie jedes Mal denselben Denkprozess durchlaufen: Waren wir zusammen auf der Schule, kennen wir uns von der Arbeit, sind Sie eine Bekannte meines Mannes/meiner Mutter, sind Sie die beste Freundin meiner Schwester, waren Sie in einer Werbung/im Fernsehen, haben Sie bei Big Brother mitgemacht, waren Sie letzte Woche in der Zeitschrift Heat …?
Eine Woche nach Cayte-gate, wie Wren es nannte, ging die Anzahl der Leute, die mich zu kennen meinten, langsam zurück. Man hatte mich überall angesprochen: in Zügen, in Geschäften und sogar bei Marks & Spencer, als man mir Maß nahm für einen neuen BH. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, mir Caytes Artikel auf ein T-Shirt drucken zu lassen, um dieses ständige Ratespiel zu umgehen.
Von Jack erfuhr ich, dass – einen Tag nachdem die Kolumnistin der Daily Mail den Artikel kommentiert hatte – »verzweifelte Frau« ein beliebtes Thema bei Twitter und Gegenstand mehrerer Telefondiskussionen in lokalen und nationalen Radiosendungen gewesen war.
Meinem Onkel und meiner Tante gelang es wie immer, etwas Positives in der Situation zu sehen. In diesem Fall meinten sie, dass die Publicity meiner Sache nur förderlich sei. Ich hätte diese Zuversicht gern geteilt, nur erwies sich die öffentliche Aufmerksamkeit in der Realität als entschieden weniger positiv als die daran geknüpfte Hoffung. Doch ich sollte bald erfahren, wie sehr ich mich da geirrt hatte …
Etwa zwei Wochen nach dem Artikel war auf meinem Anrufbeantworter eine atemlose Nachricht von Onkel Dudley: »Schätzchen! Ich bin es. Ich glaube, diese Journalistin könnte dir einen Gefallen getan haben. Wir haben gerade eine E-Mail erhalten, die der erhoffte Durchbruch sein könnte! Ruf mich sofort zurück, sobald du das hörst …«