
DER KNOPF
Irgendwo in der Ferne ratterte ein Zug über die Schienen.
Conor saß in der Küche, die Vorhänge waren zugezogen und die Lampe auf dem Tisch hatte ihr gleißendes Auge auf sein Werk geworfen. Es hatte die Größe einer Schuhschachtel und war aus Holz. Und schwer. Darin waren Dinge, von denen er nichts verstand, nichts verstehen konnte. Schaltverbindungen und Hebel und exakt ineinandergreifende Zahnräder. Und in alles hatte er äußerst sorgfältig Symbole eingeritzt. Er wusste nicht, was sie bedeuteten, wusste nicht, wozu sie gut waren, doch solange er sich erinnern konnte, waren sie in seinem Kopf gewesen. Diese Symbole nach all den Jahren auf Metall und Holz zu übertragen, war … ganz einfach wunderbar. Es war eine Erleichterung. Es war, als hätte er sein ganzes Leben in Anspannung verbracht, jeder Muskel verkrampft, die Zähne zusammengebissen und die Augen fest zugekniffen. Und jetzt konnte er plötzlich entspannen. Eine seltsame Art von Ruhe durchströmte ihn, sie war fast euphorisch.
Er nahm einen Schraubenzieher von dem Berg rostiger Werkzeuge auf dem Tisch und schraubte den Deckel fest. Seine Hände waren übersät mit Schnitten und Krusten. Schon vor Tagen waren ihm die Pflaster ausgegangen. Einige der Schnittwunden schmerzten noch. Bestimmte Schaltverbindungen und Symbole verlangten einfach nach Blut. Er wusste nicht, weshalb – er wusste nur, dass es so war. Es war alles in seinem Kopf. So war es immer gewesen. Dieses Gerät, dieses Kästchen, die Entwürfe, diese Schaltverbindungen, Hebel und Symbole – sie waren immer ein Teil von ihm gewesen. Er dachte an nichts anderes. Deshalb hatte er die Schule nicht zu Ende gebracht. Deshalb verlor er immer wieder seine Jobs. Deshalb hatte Cathy ihn verlassen. Dieses Gerät hatte ihm jeden Weg zum Glück versperrt – doch jetzt stand es vor ihm. Fertig. Ein hölzernes Kästchen mit einem großen roten Knopf auf dem Deckel.
Conor richtete seinen Oberkörper auf. Wirbel knackten. Wie lange hatte er so vornübergebeugt dagesessen? Wie lange hatte er überhaupt hier gesessen? Plötzlich wurde ihm bewusst, wie voll seine Blase war und wie leer sein Magen. Er musste einen Spaziergang machen. Er brauchte frische Luft. War es überhaupt Tag? Die Vorhänge waren zugezogen und mit Ausnahme des Tisches lag alles im Dunkeln. Es war Nacht. Aber welche Nacht? War immer noch Wochenende?
Da drüben bei der Tür war etwas, ein dunkler Schatten im Dämmerlicht. Er sah aus wie ein Mann, der reglos dasteht. Conor betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen, drehte dann den Kopf und schaute ihn aus den Augenwinkeln an. Doch egal wie er das Ding ansah, diesen Mantel oder diesen Schatten oder was immer es war, es sah immer aus wie ein Mann. Ein großer Mann. Mit Hut.
Conor runzelte die Stirn.
„Hallo, Conor“, sagte der Mann.
Angst und Schrecken schossen aus Conors Bauch in seine Brust, doch er rührte sich nicht. Würden seine Beine ihm überhaupt gehorchen, wenn er versuchte aufzuspringen? Er saß hier schon so lange, dass er es bezweifelte.
Conor hatte einen trockenen Mund. Wie lange war es her, dass er das letzte Mal einen Schluck Wasser getrunken hatte? Auch seine Stimme gehorchte ihm nicht. Die Frage, die er krächzend stellte, lautete nicht Wer sind Sie? oder Was wollen Sie? – zwei Fragen, die seiner Meinung nach dringend einer Antwort bedurft hätten –, sondern: „Wie lange stehen Sie schon da?“
„Nur ein paar Minuten“, antwortete der Mann. Sein Tonfall war beruhigend. Seine Stimme hatte einen weichen Klang. „Du hast mich nicht hereinkommen hören. Du warst beschäftigt. Was hast du denn da?“
„Das können Sie nicht haben“, wehrte Conor ab. „Wenn Sie mich ausrauben wollen, rauben Sie mich aus. Ich habe irgendwo ein bisschen Geld. Aber das hier können Sie nicht haben.“
„Ich bin nicht hergekommen, um dich auszurauben“, entgegnete der Mann. „Was passiert, wenn du auf diesen Knopf drückst, Conor?“
Der Druck auf seine Blase, sein trockener Mund, sein leerer Magen und jetzt auch noch die beginnenden Kopfschmerzen, wahrscheinlich von der Hitze, die auf seiner Haut brannte und ihn zum Schwitzen brachte. Er fühlte sich krank. Er war krank. Er musste sich hinlegen.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Conor.
Der große Mann mit Hut drehte kaum merklich den Kopf. „Du weißt nicht, was er bewirkt? Aber du hast das Gerät doch gebaut, nicht wahr?“
Conor nickte.
„Woher wusstest du, was du tun musst?“
„Das wusste ich schon immer“, antwortete Conor. „Mein ganzes Leben lang wusste ich das. Ich hatte diese Bilder in meinem Kopf. Aber ich konnte sie nicht deutlich genug erkennen bis … Augenblick – der wievielte ist heute?“
„Der einundzwanzigste“, antwortete der große Mann. „Vier Tage vor Weihnachten.“
Conor runzelte die Stirn. „Das kann nicht sein. Vor … vor wenigen Tagen war doch erst der achte.“
„Dir ist die Zeit davongelaufen“, ließ sich eine andere Stimme vernehmen, von irgendwo drüben beim Fenster. Es war die Stimme eines Mädchens.
„Wer seid ihr?“, fragte Conor schließlich doch noch.
„Niemand Besonderes“, antwortete der Mann. „Wir erledigen einen Job, das ist alles. Wir kommen Leuten zu Hilfe.“
„Ich brauche eure Hilfe nicht.“
„Du vielleicht nicht“, sagte das Mädchen, „aber alle anderen.“ Sie trat ein paar Schritte vor, bis der äußerste Schein der Lampe ihr Gesicht beleuchtete. Sie war hübsch. Dunkelhaarig. Trug Schwarz. Siebzehn oder achtzehn, nicht älter. „Was passiert, wenn man auf den Knopf drückt?“, fragte sie.
„Ich hab’s doch schon gesagt“, antwortete Conor. „Ich weiß es nicht.“
„Warum liegt dann dein Finger darauf?“
Er schaute nach unten. Da war er, sein Finger, lag auf dem großen roten Knopf, als hätte er nicht die Absicht, sich von dort je wieder wegzubewegen. Er runzelte erneut die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, ihn dort hingetan zu haben, und dennoch … dennoch schien es keinen anderen Ort für ihn zu geben. Sein Finger gehörte auf den Knopf.
„Es tut mir leid“, sagte Conor, „aber mir geht es nicht gut.“
„Conor Delaney, nimm deinen Finger vom Knopf“, verlangte der Mann.
Und fast hätte Conor es getan. Ohne darüber nachzudenken, hob er den Finger ein paar Millimeter an, bevor das Gewicht seiner Verpflichtung ihn wieder nach unten zwang.
Verpflichtung? Welche Verpflichtung? Was zum Teufel ging hier vor?
„Wie haben Sie das gemacht?“, fragte er den Mann. „Wie haben Sie mich dazu gebracht?“
Der Mann gab ein Geräusch von sich, es klang wie ein unzufriedenes Grunzen, und das Mädchen antwortete an seiner Stelle: „Wie hast du es geschafft, nicht zu gehorchen? Hast du einen Namen angenommen?“
„Wie? Was meinst du damit?“, fragte Conor.
„Wie hast du es geschafft, nicht zu gehorchen?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet, versteht ihr? Ich weiß weder, wer ihr seid, noch, was ihr hier wollt.“
„Es heißt, das Ende der Welt sei gekommen“, antwortete das Mädchen.
Das brachte Conor einen Moment aus dem Konzept. „Was?“
„Es heißt, das Ende der Welt sei gekommen“, wiederholte sie. „Hast du davon gehört?“
„Meinst du … meinst du diese Maya-Geschichte? Was ist damit? Der Maya-Kalender endet am 21. Dezember. Na und? Es ist ein Kalender. Denen ist der Platz ausgegangen oder sie haben aufgehört zu rechnen oder es beginnt wieder ein neuer Zyklus oder so … Es tut mir leid, aber was hat das hiermit zu tun? Das ist doch Unsinn.“
„Weißt du, was ein Sensitiver ist, Conor?“, fragte das Mädchen. „Das ist eine Person mit medialen Fähigkeiten, ein Medium. Glaubst du an Medien?“
„Nein“, antwortete Conor. „Ich glaube auch nicht an Astrologie oder an Tarotkarten oder Handlesen.“
Das Mädchen nickte. „Handlesen ist Quatsch. Genau wie Astrologie. Die meisten Tarotkarten-Leser haben keinen Schimmer, was sie tun. Ich hab mal eine getroffen, die mir versichert hat, ich hätte ein glückliches Leben vor mir – sie ist also ziemlich eindeutig ein Idiot. Aber Medien haben vorausgesagt, dass das Ende der Welt mit dem Ende des Maya-Kalenders zusammenfällt.“
„Und?“
„Und deshalb denken wir, dass das Ende der Welt hier beginnt“, meldete sich der Mann wieder.
„In Irland? Ihr glaubt, das Ende der Welt beginnt hier in diesem Land?“
„Ich glaube sogar, es beginnt hier in dieser Küche.“
Conor blinzelte. „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
„Ist es ausnahmsweise aber.“
„Und – was jetzt? Ihr glaubt, der Knopf lässt alles in die Luft fliegen?“ Conor musste fast lachen. „Ihr glaubt, dass es das ist, was ich gebastelt habe? Das hier ist ein Kästchen mit Schaltverbindungen und Schrott und Dingen, die alle keinen Sinn ergeben! Da drin ist kein einziger Computerchip oder irgendein Stück Technologie. Es ist mit nichts verbunden. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich auf den Knopf drücke, aber was auch immer es ist, wird in diesem Kästchen passieren und in dem Kästchen allein. Es wird keine Kettenreaktion in Gang setzen, nicht explodieren, es wird keine Atomsprengköpfe zünden und überhaupt … Es ist nur ein blödes Kästchen.“
„Ein blödes Kästchen, das dein ganzes Leben lang in deinem Kopf war“, sagte der Mann.
„Aber jetzt ist es draußen“, erwiderte Conor. „Es ist nicht mehr in meinem Kopf. Es ist weg. Ich muss nicht mehr … ich muss nicht mehr dran denken.“
„Wie geht es deiner Mutter, Conor?“
Das Lächeln auf Conors Gesicht erlosch.
„Soviel ich weiß, geht es ihr gut“, fuhr der Mann fort. „Sie spricht auf die Behandlung an. Natürlich malt sie immer noch an die Wand. Seltsame Symbole. Seltsame Muster. Schaltverbindungen und Hebel und einen großen roten Knopf.“
„Meine Mutter ist krank.“
Der Mann im Halbdunkel nickte. „So wie ihr Vater vor ihr. Und sein Vater vor ihm. Es zieht sich durch alle Generationen. Und ihr alle hattet dieses Gerät im Kopf. Dieses Kästchen. Diesen Knopf. Aber du, Conor, bist der Einzige, der es deutlich genug gesehen hat, um es bauen zu können.“
„Ich habe den Kreis durchbrochen“, bestätigte Conor. „Ich werde nicht im Irrenhaus enden wie die anderen. Ich hab’s getan. Ich hab’s geschafft. Jetzt kann ich ein normales Leben führen. Jetzt, da meine Pflicht fast erfüllt ist, werde ich mich davon befreien.“
„Welche Pflicht?“, fragte das Mädchen.
Die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Ihm wurde immer heißer. Wahrscheinlich hatte er Fieber. „Habe ich Pflicht gesagt? Ich weiß es nicht. Das ist nicht das Wort, das ich benutzen wollte.“
„Aber du hast es benutzt“, sagte der Mann. „Hast du eine Pflicht, Conor? Fühlt es sich für dich so an?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich … Ich …“
„Dieses Kästchen lag über Hunderte von Jahren wie ein Fluch über deiner Familie“, sagte der Mann. „Vielleicht noch länger. Es zu bauen, war wie ein Zwang für dich, nicht wahr? Du konntest gar nicht anders. Womöglich hast du nicht einmal genau gewusst, was du da tust. Du fühlst dich diesem Kästchen verpflichtet, so ist es doch, Conor, oder?“
Conor nickte. „Eine Verpflichtung“, flüsterte er.
„Eine Verpflichtung diesem Kästchen gegenüber. Warum liegt dein Finger auf dem Knopf, Conor? Ist das Teil deiner Verpflichtung? Dass du den Mechanismus auslöst, sobald das Kästchen fertig ist?“
In Conors Herz zersprang etwas, sein Gesicht verzog sich und Tränen traten ihm in die Augen. „Ich muss auf den Knopf drücken. Ich muss nur ein Mal draufdrücken, dann ist alles vorbei. Ich werde frei sein und muss nie mehr daran denken.“
„Wenn du auf diesen Knopf drückst, werden eine Menge Leute zu Schaden kommen.“
„Es ist doch nur ein Kästchen!“, schluchzte Conor.
„Es ist mehr als ein Kästchen.“
„Es ist nur ein Kästchen, wenn ich es euch doch sage. Es kann überhaupt nichts ausrichten. Ich bin kein Wissenschaftler und auch kein Ingenieur. Ich bin nur ein Mann. Ein ganz gewöhnlicher Mann. Ich wüsste gar nicht, wie ich etwas bauen sollte, das Menschen verletzt. Ich will niemanden verletzen. Ich will das alles einfach nur hinter mir lassen können.“
Von draußen war ein Geräusch zu hören. Ein Wagen fuhr vor. Ein Lichtkegel drang durch den Spalt zwischen den Vorhängen und streifte das Kinn des Mannes. Es sah aus, als hätte er kalkweiße Haut oder als trüge er eine Maske oder etwas Ähnliches.
„Bin gleich wieder da“, sagte der Mann und verschwand durch die Tür.
„Wer ist da draußen?“, wollte Conor wissen.
„Ein paar Leute“, antwortete das Mädchen. „Es gab ein Wettrennen darum, wer als Erster bei dir ist. Wir haben gewonnen.“
„Was wollen sie?“
Draußen ertönte ein Schrei. Urplötzlich wurde es hell, wie beim Auflodern einer Flamme. Dann war wieder alles dunkel.
„Sie wollen das Kästchen“, antwortete das Mädchen. „Sie wollen es verkaufen oder benutzen oder verehren, keine Ahnung. Einige dieser Leute verstehe ich einfach nicht. Du siehst müde aus.“
„Mir ist übel.“
Von draußen kam wieder ein Geräusch. Laut. Abrupt.
„War das ein Schuss?“, fragte Conor.
„Ja.“
„Hast du keine Angst?“
„Dein Finger liegt auf einem Knopf, der das Ende der Welt herbeiführt“, erwiderte das Mädchen. „Weshalb sollte ich vor Gewehren Angst haben, die nicht mal auf mich gerichtet sind?“
„Ich werde das Ende der Welt nicht herbeiführen.“
„Dein Finger liegt auf dem Knopf.“
„Ich kann kaum mein eigenes Telefon bedienen – woher soll ich wissen, wie der Planet zu zerstören ist? Das ist doch lächerlich. Bitte lasst mich in Frieden.“
„Ich wünschte, das könnten wir. Aber wenn wir es tun, wirst du auf diesen Knopf drücken und uns alle umbringen. Du wirst meine Freunde und meine Eltern und meine kleine Schwester umbringen. Ich kann das nicht zulassen, Conor.“
„Ich werd niemandem etwas tun. Das Kästchen kann überhaupt nichts ausrichten. Es ist nur ein blödes Kästchen mit einem blöden Knopf, aber es war mein Leben lang in meinem Kopf, genau wie das andauernde Pfeifen in meinem Ohr. Um es loszuwerden, brauche ich nur auf dieses Ding zu drücken. Das ist alles. Kinderleicht. Ich drücke darauf, niemand wird verletzt, die Welt endet nicht und ich muss dieses Pfeifen nicht mehr hören. Ich muss nicht mehr von Schaltverbindungen und Symbolen träumen. Ich werde meine Augen schließen können, ohne zu sehen, wie ein Zahnrad ins andere greift. Ich werde in Frieden leben können, was meiner Mutter nie vergönnt war. Du … du kannst es nicht wissen. Du kannst nicht verstehen, wie es war, sie so zu sehen … mitansehen zu müssen, was mit ihr geschah. Mitansehen zu müssen, wie es immer schlimmer wurde. Als ich zehn Jahre alt war, forderte sie mich auf, mich hinzusetzen, und prophezeite mir dann, dass diese Träume, die ich hatte, nur immer schlimmer würden. Sie würden mein Leben beherrschen, so wie sie ihres beherrschten. Das ist meine Chance, diesem Wahnsinn zu entkommen. Bitte lasst mich einfach in Frieden. Das ist die einzige Chance, die ich je haben werde.“
„Mit Wahnsinn hat das, woran du leidest, nichts zu tun“, erwiderte das Mädchen. „Mein Freund, der gerade draußen in deinem Vorgarten kämpft, hat mir erklärt, was mit dir los ist. Du bist ein Leiter für eine Idee, eine Idee, die euch schon vor Jahrhunderten eingepflanzt wurde. Sie wuchs in den Köpfen deiner Vorfahren, wurde weitergesponnen, verbessert … und heute Abend wurde sie endlich verwirklicht. Du bist nicht verrückt, Conor. Deine Mutter ist auch nicht verrückt. Ihr seid einfach nur empfänglich für einen Informationsfluss, zu dem wir anderen keinen Zugang haben.“
„Und wer hat sie eingepflanzt?“, fragte Conor. „Diese Idee, von der du sprichst? Wessen Idee war es? Die der Mayas?“
„Die Mayas haben das Ende nur vorhergesehen“, antwortete der Mann von der Tür her. Conor hatte ihn gar nicht zurückkommen hören. „Mit dem hier hatten sie nichts zu tun. Wir wissen nicht, wer damit angefangen hat. Wir wissen nicht einmal, ob es ursprünglich in ihrer Absicht lag, das Ende der Welt herbeizuführen. Wir wissen nur, dass unsere Sensitiven Visionen hatten von einem Mann in einem dunklen Zimmer, der ein Kästchen baut. Und als er auf den Knopf drückte, hat einfach alles … aufgehört.“
„Und woher wusstet ihr, dass ich der Mann bin?“
„Sie hörten in der Ferne einen Zug.“
„Das ist alles? Das war’s?“
„Das hat es eingegrenzt. Das und noch ein paar andere Indizien. Warum hast du noch nicht auf den Knopf gedrückt?“
„Warum ich noch nicht …? Aber ihr wollt doch nicht, dass ich es tue.“
„Das ist nicht der Grund, weshalb du ihn noch nicht gedrückt hast. Dein Finger liegt darauf. Nichts hindert dich daran. Warum hast du es noch nicht getan?“
„Ich weiß nicht … ich bin mir nicht sicher.“
„Du hast es nicht getan, weil du weißt, dass es nicht einfach nur ein blödes Kästchen ist und das nicht nur ein blöder Knopf. Du glaubst uns, nicht wahr?“
„Nein, ich … Oh Gott. Ich weiß es nicht.“
„Gibst du uns das Kästchen, Conor?“
„Was passiert dann?“
„Wir bringen es an einen sicheren Ort“, antwortete das Mädchen. „Wir können es nicht entschärfen und auch nicht vernichten – dabei könnte etwas schiefgehen. Aber wir kümmern uns darum. Wir verstecken es an einem Ort, an dem niemand es jemals findet.“
„Es wird nicht eingesetzt, um jemandem zu schaden“, sagte der Mann. „Das verspreche ich.“
„Und ich?“, fragte Conor. „Was passiert mit mir?“
Der Mann zögerte. „Ich will dich nicht belügen. Du wirst wahrscheinlich immer den Drang verspüren, auf den Knopf zu drücken. Das wird nicht vergehen. Damit musst du bis zum Ende deiner Tage leben.“
„Aber ich bin so nah dran. So nah dran, alles hinter mir zu lassen.“
„Wir bitten dich um ein Opfer“, sagte das Mädchen. „Wir bitten dich, damit weiterzuleben, sodass der Rest der Welt auch weiterleben kann. Bitte, Conor.“
Jetzt flossen wieder Tränen, doch sie flossen leise. Conor nahm seinen Finger vom Knopf und schob das Kästchen mit der anderen Hand langsam über den Tisch. Das Mädchen kam, um es an sich zu nehmen. Conor fiel auf, dass sie einen schwarzen Ring trug. Einen Augenblick lang sah es so aus, als spielte der Ring mit den Schatten, dann hob das Mädchen das Kästchen hoch und trat ganz vorsichtig wieder vom Tisch zurück.
Das letzte Restchen Kraft verließ Conor. Er war erschöpft, verwirrt, voller Angst und wollte nur eines: sich über den Tisch werfen und auf diesen großen roten Knopf drücken, bevor das Mädchen ihn wegnahm.
„Danke“, sagte der Mann. Conor nickte nur.
Der Mann blickte auf etwas hinunter – auf eine Taschenuhr? – und öffnete die Tür. „Noch zwei Stunden bis Mitternacht. Wir sollten massenhaft Zeit haben.“
„Massenhaft Zeit wofür?“, fragte Conor, obwohl er wusste, dass der Mann nicht mit ihm gesprochen hatte.
Das Mädchen ging langsam mit dem Kästchen hinaus. Conor zwang sich, sitzen zu bleiben.
„Es gibt da eine Frau, die glaubt, all ihre toten Geliebten seien im Mittelpunkt der Erde gefangen“, erklärte der Mann. „Sie will die Welt aufbrechen, um sie zu befreien.“
Conor runzelte die Stirn. „Kann sie das denn?“
„Ja. Deshalb müssen wir sie aufhalten, bevor sie uns alle umbringt.“
„Aber … aber haben eure Medien nicht gesagt, ich sei verantwortlich für das Ende der Welt?“
„Einige ja. Andere haben gesagt, sie wäre es. Wir haben heute schon acht Möglichkeiten der Apokalypse abgewendet. Sie ist unsere letzte. Um Mitternacht können wir uns entspannen. Dann bleibt uns nur noch zu hoffen, dass die Amerikaner die Sache nicht vermasseln.“
„Die Amerikaner?“
„Von einem Ende der Welt zum anderen kann ein Tag neunundvierzig Stunden dauern“, sagte der Mann und ging hinaus. Conor blieb allein an seinem Küchentisch zurück. „An so einem Tag kann eine Menge passieren.“