Vignette

SIEBEN

Sie fuhren in die Innenstadt von Dundrum und stellten den Bentley im Parkhaus ab. Auf dem Weg musste Skulduggery drei Mal anhalten, damit Ryan pinkeln konnte. Dass dies unter keinen Umständen dazu beitrug, dass Walküre ihn für älter und reifer hielt, war Ryan absolut klar.

„Woher weißt du überhaupt, dass sie hier ist?“, wollte Walküre wissen, als sie ausstiegen.

Skulduggery checkte seine Fassade im Seitenspiegel und richtete sich dann auf. „Einfache Detektivarbeit. Wir müssen uns einen ruhigen Ort suchen, an dem wir warten können, bis alle weg sind. Heute Nacht suchen wir dann nach der Maschine, entschärfen sie und der ganze Spuk ist vorbei.“

Sie setzten sich in Bewegung. „Sollten wir nicht die Sensenträger rufen?“, fragte Walküre. „Wir finden das Ding schneller, wenn hundert Leute danach suchen.“

„Ich ziehe es vor, mit etwas mehr Feingefühl an die Sache heranzugehen“, erwiderte Skulduggery. „Wir drei sollten reichen.“ Er blickte Ryan an. „Nervös?“

„Ein wenig“, gab Ryan zu. „Was ist, wenn Foe und die anderen schon auf uns warten?“

„Möglich, dass sie der Maschine einen Besuch abstatten“, sagte Skulduggery, „aber sie werden nicht auf der Lauer liegen. Sie haben keine Ahnung, dass wir wissen, wo sie ist.“

Sie betraten das Einkaufszentrum. Walküre schien Skulduggery blind zu vertrauen, doch Ryan war vorsichtiger. Wann immer jemand zu dicht an ihm vorbeiging, machte er einen Satz zur Seite und wartete nur darauf, dass die Person zu flackern begann, das Trugbild verschwand und Mercy, Obloquy oder Foe zum Vorschein kamen. Doch die Leute in diesem Einkaufszentrum schienen ganz normale Leute zu sein. Sie konzentrierten sich auf ihre Unterhaltung oder aufs Einkaufen und blickten Ryan nur an, wenn er linkisch zur Seite hüpfte.

Walküre schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Unauffälliges Benehmen ist wohl nicht deine Stärke.“

„Ich hab vergessen, wie’s geht“, bekannte Ryan und sprang einer verdächtig aussehenden Zweijährigen mit einem Luftballon aus dem Weg.

Er folgte Skulduggery und Walküre die Rolltreppe hinauf. Beim Anblick einer älteren Dame mit einem Gesicht wie eine runzlige Pflaume zuckte er zusammen. Skulduggery steuerte auf einen gedrungenen Sicherheitsbediensteten zu.

„Entschuldigen Sie, guter Mann …“, begann er.

Der Sicherheitsbedienstete drehte sich um. „Ich bin eine Frau.“

„Und eine recht attraktive dazu“, fuhr Skulduggery lächelnd fort. „Wo geht es bitte zur Sicherheitszentrale?“

Die Frau runzelte die Stirn. „Warum fragen Sie? Was wollen Sie dort? Wer sind Sie?“

Skulduggery nickte. „Alles gute Fragen. Und alles Fragen, die ich sehr gern beantworten würde. Leider reicht unsere Zeit nur für eine Antwort. Und da meine Frage die erste war und, wenn wir ehrlich sind, auch die wichtigste, denke ich, dass diese Frage eine Antwort verdient. Also, wo ist die Sicherheitszentrale?“

Die Frau vom Wachdienst verschränkte die Arme vor der Brust. „Wer sagt mir, dass Sie sich dort aufhalten dürfen? Haben Sie eine Berechtigung?“

Skulduggerys Fassade fixierte sie finster. „Ob ich eine Berechtigung habe? Ob ich eine Berechtigung habe? Sagen Sie, meine Liebe, sehe ich nicht eindeutig danach aus? Sehe ich nicht aus wie jemand, der einfach überall hingeht, wo es ihm angebracht erscheint? Oder sehe ich aus, als bräuchte ich eine Erlaubnis, um zu tun, was getan werden muss?“

„Äh …“, begann die Frau und ließ die Arme wieder sinken.

Skulduggery blickte auf sie herunter. „Es gibt Dinge auf dieser Welt, die Ihr Haar auf der Stelle weiß werden ließen. Dinge, die eine Bedrohung und Gefahr für Ihr ganz persönliches Leben darstellen und die Sie schreiend und zitternd und schluchzend in eine Ecke treiben würden. Jemand muss die Welt vor diesen Bedrohungen und Gefahren schützen. Sind Sie diese Person? Ja? Denn wenn dem so ist, machen meine Kollegen und ich auf dem Absatz kehrt und vertrauen darauf, dass Sie unser Überleben sichern. Sollten Sie jedoch Zweifel haben und fürchten, Sie könnten genau in dem Moment versagen, in dem Sie das ultimative Opfer bringen müssen, dann sagen Sie uns das jetzt und treten Sie zurück. Denn die Welt zu retten, ist unser Job, und wir sind wirklich sehr gut darin.“

Die Unterlippe der Sicherheitsbediensteten zitterte, als sie auf eine Tür wies. „Da entlang und dann links.“

Skulduggery legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sie machen Ihre Arbeit sehr gut“, lobte er und marschierte voraus zur Tür. Auf der anderen Seite ging er statt nach links geradeaus bis zu einem Zimmer am Ende des Flurs. In dem Zimmer standen ein Tisch und zwei Stühle. Ryan nahm an, dass Ladendiebe bis zum Eintreffen der Polizei hier festgehalten wurden.

Skulduggery schloss die Tür hinter ihnen. „Hier sollte uns keiner stören.“ Seine Fassade schmolz und er schaute auf seine Taschenuhr. „Noch drei Stunden bis Ladenschluss. Macht es euch gemütlich.“

Er setzte sich an den Tisch und nahm seinen Hut ab. Ryan und Walküre blieben stehen.

„Ich verstehe immer noch nicht, weshalb sie die Welt vernichten wollen“, begann Ryan. „Foe sagte, er sähe keinen Sinn im Leben, aber ich bitte euch, das ist doch ein echt bescheuerter Grund …“

„Sie sind schlechte Menschen“, erklärte Walküre. „Echte Bösewichte. Einige Bösewichte haben wenigstens einen ordentlichen Plan. Andere nicht. Sie leben einfach schon seit ein paar Hundert Jahren. Und wenn er genug Zeit hat, kann aus einem bloßen Gedanken eine Obsession werden und dann ein Lebensinhalt. Sie sind bekloppt, Ryan. Das sind Irre, die alle dieselbe Macke haben.“

Skulduggery nickte. „Wahnsinn beflügelt Wahnsinn, genauso wie Dummheit Dummheit beflügelt.“

„Wo wir gerade von Dummheit sprechen“, meinte Walküre. „Ich frage dich das jetzt noch ein Mal und du gibst mir besser eine Antwort, weil ich keine Ahnung habe, wie du darauf gekommen bist. Woher wissen wir, dass die Maschine hier ist?“

Es verging ein Moment, bevor Skulduggery antwortete: „Ryan hat mich darauf gebracht.“

Ryan schaute ihn an. „Worauf hab ich dich gebracht?“

Skulduggery hob den Kopf und blickte ihn aus diesen leeren Augenhöhlen an. „Du hast mir gesagt, dass sie die Maschine in Dundrum versteckt haben. Vollkommen unbewusst natürlich. Du hast versucht, Dundrum unter deiner Coladose verschwinden zu lassen. Und dann hast du uns mit einem Hustenanfall abzulenken versucht.“

„Uh“, machte Ryan. „Was?“

„Die Fahrt hierher war dann die Bestätigung. Drei Mal anhalten, um dich zu erleichtern? Du wolltest das Unvermeidliche hinauszögern.“

„Nein, wollte ich nicht“, widersprach Ryan. „Was redest du da überhaupt? Woher soll ich denn wissen, wo die Maschine versteckt ist?“

„Und warum sollte Ryan nicht wollen, dass wir sie finden?“, fragte Walküre.

Skulduggery zögerte. „Ryan, warum hast du nicht gefragt, ob du nach Hause gehen kannst?“

Ryan runzelte völlig verwirrt die Stirn. „Was?“

„Du hast nicht gefragt, ob du nach Hause gehen kannst. Du hast nicht versucht, zu Hause anzurufen und deinen Leuten zu sagen, dass alles in Ordnung ist, obwohl sie sich inzwischen bestimmt Sorgen um dich machen.“

Ryans Miene verfinsterte sich. Es war ihm peinlich, das jetzt vor Walküre zugeben zu müssen. „Ich … ich laufe von zu Hause weg.“

Walküre riss die Augen auf. „Was? Wieso?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Stimmt gar nicht“, widersprach Skulduggery.

Walküre schlug dem Skelett auf den Arm. „Jetzt halt doch mal die Klappe, Skulduggery. Ryan, was ist los?“

„Mein … mein Dad ist gestorben. Meine Mum hat wieder geheiratet. Der Typ ist okay, aber … Ich mag nicht mehr in diesem Haus sein. Es erinnert mich ständig an …“

„Nein, tut es nicht“, unterbrach ihn Skulduggery.

„Unterbrich mich nicht dauernd!“, rief Ryan. „Du weißt doch gar nicht, wie das ist! Du hast ja keine Ahnung!“

„Du auch nicht“, erwiderte Skulduggery. „Es tut mir wirklich leid, dir das sagen zu müssen, Ryan, aber du willst aus dem einen Grund nicht nach Hause, weil es kein Zuhause gibt. Ryan, du bist nicht echt. Dich gibt es nicht.“

Ryan starrte ihn an. „Was?“

„Du bist Deacon Maybury. Du bist ein Versteck, das sich für einen Jungen hält.“