Vignette

SÜSSES ODER SAURES

Tanith wischte das Blut von ihrem Schnitzmesser und arbeitete weiter an ihrer Kürbislaterne, ohne sich um die Leiche des Mannes, den sie gerade mit dem Messer erstochen hatte, zu kümmern. Zu dieser Jahreszeit erwies sich ihr Geschick im Umgang mit einer Klinge immer als äußerst hilfreich. Während andere Leute sich mit dreieckigen Augen und gezackten Zähnen zufriedengaben, verwandelte Tanith ihre Halloween-Kürbisse in langsam faulende Kunstwerke. An diesem Abend schnitzte sie ein Porträt ihrer lieben und verehrten Freundin Walküre Unruh. Nach allem, was man so hörte, weigerte Walküre sich immer noch, ihr Schicksal als Zerstörerin der Welt anzunehmen, doch Tanith konnte ihr diese kleine, selbstzweiflerische Schwäche verzeihen. Wäre Tanith nicht von einem Restanten befallen worden, hätte sie Wally schließlich geholfen, vor dem Unausweichlichen davonzulaufen.

Es war der Restant in ihr, dieses Ding aus Grausamkeit und Gehässigkeit, das Tanith jene Zukunftsvision vermittelt hatte, in der Walküre zu Darquise wurde und alles Leben in Schutt und Asche legte. Es war eine wundervolle Offenbarung gewesen, eine, die Tanith zu Projekten und Plänen angespornt hatte, die sie sich vorher nie zugetraut hätte. Tatsache war jedoch, dass es keine freien Restanten mehr gab. Ihre Brüder und Schwestern waren alle in Gefangenschaft, weggeschlossen und unerreichbar für sie. Tanith war also auf sich allein gestellt. Mehr oder weniger. Es gab da einen texanischen Psychopathen, der ganz vernarrt in sie war, und es gab Zeiten, zu denen er zweifellos recht nützlich war. Aber sie liebte ihn nicht. Ihre Liebe galt nur Darquise und Darquise allein.

Sie legte das Schnitzmesser beiseite, holte eine Kerze und stellte sie vorsichtig in die Kürbislaterne. Sie zündete sie an und trat einen Schritt zurück. Die Ähnlichkeit war erkennbar. Nein, die Ähnlichkeit war verblüffend. Walküre war ein so hübsches Mädchen. Tanith widerstand der Versuchung, ein Foto zu machen und es ihr zu schicken. Sie wusste, dass Walküre es nur Skulduggery zeigen und dieser das Foto hierher zurückverfolgen würde, in diese Kleinstadt in Ohio. Dann würde es hier von Sensenträgern plötzlich nur so wimmeln. Es war alles so unfair. Tanith wollte schließlich nur eines: Darquise vor den Leuten beschützen, die ihr etwas antun wollten. In gewisser Weise war sie auf Walküres Seite. Warum konnte Wally das nicht genauso sehen?

Scheinwerferlicht schwenkte durchs Zimmer. Tanith trat ans Fenster und schaute hinaus. Vor dem Haus nebenan kam ein verbeultes, altes Auto ruckelnd zum Stehen und ein schäbig gekleideter Mann mittleren Alters stieg aus. Während Tanith beobachtete, wie er seine Hose am Bund nach oben zog, achtete sie darauf, ganz ruhig zu bleiben und ihren Kopf von gewalttätigen Gedanken frei zu halten. Manche Sensitiven fingen feindselige Gefühle auf. Sie wusste zwar nicht, ob Jerry Ordain zu der Sorte gehörte, aber sie konnte kein Risiko eingehen. Von diesem Abend hing zu viel ab, als dass sie sich einen verirrten Gedanken zur falschen Zeit leisten konnte. Die Tatsache, dass er überhaupt nach Hause kam, bedeutete, dass er die Ereignisse des Abends nicht vorhergesehen hatte, und das war schon mal ein vielversprechender Anfang.

Natürlich war es auch sehr gut möglich, dass Jerry ganz genau wusste, dass sie hier war, und sie schon beim ersten Schritt in eine Falle tappte. Das war das Problem bei Sensitiven – sich an sie heranzupirschen, war ausgesprochen schwierig.

Sie nahm ihr Schwert vom Tisch und verließ das Haus durch die Hintertür. Leichtfüßig sprang sie über den Zaun und landete lautlos in Jerrys Garten, gerade als im Haus die Lichter angingen. Sie schlich sich zum Fenster. Keinerlei Anzeichen für einen Hinterhalt. Sie sah, wie Jerry zu seiner Kochnische schlenderte. Falls er spürte, dass sie ihn beobachtete, ließ er sich nichts anmerken.

Tanith atmete tief durch, ging zur Tür und legte die Hand aufs Schloss. Es sprang mit einem Klick auf und sie betrat leise das Haus. Jerry war Junggeselle und lebte auch so. Das Haus roch nach Staub und alten Socken. Sie zog ihr Schwert aus der Scheide und ging an der Wand hinauf. Die Holzdielen waren alt und sie nahm stark an, dass sie knarrten. Kopfunter von der Decke hängend schlich sie sich an, wobei sie darauf achtete, dass sie im Vorbeigehen nicht an die Glühbirne stieß und ihr Schatten nicht auf ihr Opfer fiel. Jerry stand mit dem Rücken zu ihr und war dabei, sich ein gigantisches Sandwich zuzubereiten. Sie erreichte die hintere Wand und ging an ihr hinunter, bis sie wieder normal stehen konnte. Er drehte sich immer noch nicht um. Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und schrieb eine SMS. Wenige Augenblicke später tauchte Billy-Ray Sanguin neben ihr aus dem Fußboden auf.

Sie warteten darauf, dass Jerry die Feindseligkeit spürte, die nur ein Psychopath von Sanguins Format verströmen konnte – die Art von Feindseligkeit, die er einfach nicht unterdrücken konnte, egal wie sehr er sich darum bemühte. Doch Jerry arbeitete weiter an seinem Sandwich. Vollkommen cool und gefasst. Tanith war beeindruckt. Es war fast, als sei er sich ihrer Anwesenheit überhaupt nicht bewusst. Jetzt fing er sogar an, vor sich hin zu summen. Sanguin schaute Tanith an. Sie runzelte die Stirn. Jetzt schien es tatsächlich so, als sei er sich ihrer Anwesenheit nicht bewusst.

Als Jerry sich sämtliche vorrätigen Fleischsorten auf sein Sandwich gehäuft hatte, schnitt er die Kruste ab und halbierte es. Er nahm eine Hälfte, hob sie langsam an den Mund und biss, während er sich umdrehte, hinein. Er sah sie, schrie und spuckte alles wieder aus, als er an den Kühlschrank zurückwich. Ein Salatblatt blieb feucht an seinem Kinn kleben.

„Hi“, sagte Tanith. „Wir wollen nur sichergehen – Sie sind doch Jerry Ordain, richtig?“

Dem Mann fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Wuah“, machte er.

„Jerry Ordain? Sie sind doch Jerry, das Medium, oder?“

Er schüttelte den Kopf. Das Salatblatt fiel herunter. „Nein. Nein. Ich nicht. Nein. Sie haben die falsche Person.“

„Wer sind Sie dann?“, fragte Sanguin.

Der Mann glotzte ihn an. „Ich?“

Es war Jerry. Es war zweifellos Jerry, das sah man an seiner Miene, als sein vor Angst erstarrtes Gehirn versuchte, sich einen falschen Namen einfallen zu lassen. „Ich bin … ich bin …“

Sanguin legte einen drohenden Unterton in seine Stimme. „Wie heißen Sie, verdammt noch mal?“

„Jerry!“, platzte es aus Jerry heraus. „Aber ich bin nicht der Jerry, den Sie suchen! Ich bin ein anderer Jerry.“

Jerry war der schlechteste Lügner, dem Tanith je begegnet war.

„Ich kann ihn aber holen“, sagte Jerry und machte ein paar Schritte zur Seite. „Wenn Sie hier warten, hole ich ihn. Ich hole ihn. Warten Sie einfach hier. Ich bin gleich wieder da. Mit Jerry. Dem Jerry, den Sie suchen.“

Sanguin schlenderte hinüber, um ihm den Weg abzuschneiden. Jerry änderte die Richtung und ging jetzt aufs Fenster zu.

„Machen Sie es sich bequem“, forderte er die beiden auf. „Wollen Sie ein Sandwich? Ich habe mir gerade ein Sandwich gemacht. Sie können mein Sandwich haben. Es dauert nicht lang. Dreißig Sekunden, maximal.“

„Jerry“, begann Tanith von Neuem, „wir sind von weit her gekommen, um mit Ihnen zu reden.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie sind von weit her gekommen, um mit dem anderen Jerry zu reden.“

Tanith zeigte ihm ihr Schwert. Jerry starrte es an. Dann machte er einen Satz in Richtung Fenster.

In seiner Eile vergaß er allerdings vollkommen den Couchtisch, denn als er mit dem Schienbein dagegenknallte, hatte er kaum Zeit aufzujaulen, bevor er der Länge nach hinschlug. Tanith beobachtete ihn, wie er sich vor Schmerzen krümmte, eine Hand am Schienbein, die andere über seinem Mund. Er hatte sich auf die Zunge gebissen. Sie verzog das Gesicht. Wie sie das hasste.

Mit Tränen in den Augen sprang Jerry auf und rannte gegen die Wand. Es war beeindruckend, wie er davon abprallte, eine Drehung vollführte und zum Fenster stolperte. Ungeschickt fummelte er an der Verriegelung herum. Endlich schob er das Fenster nach oben, vergewisserte sich mit einem Blick zurück, dass er noch genügend Zeit hatte, und in dem Moment, in dem er sich wieder umdrehte, fiel das Fenster zu. Er donnerte mit dem Kopf gegen die Scheibe, sie bekam einen Sprung und er wankte ein paar Schritte zurück, bevor er auf dem Teppich zusammenbrach und sich zu einer schluchzenden, stöhnenden Kugel zusammenrollte.

„Bitte flagt mich nicht mehr“, lispelte Jerry.

Tanith seufzte. „Wir haben Sie nicht angerührt, Jerry.“

„Ich hab ja schon viel gesehen in meinem Leben“, meinte Sanguin, „aber noch nie einen Mann, der sich selbst k. o. geschlagen hat. Das war ausgesprochen unterhaltsam.“

Tanith ging zu Jerry hinüber.

Jerry schluchzte weiter. „Bitte bringen Fie mich nicht um.“

„Keine Bange“, beruhigte Tanith ihn, „das hatten wir nicht vor.“

Sanguin schaute sie überrascht an. „Nein? Warum nicht? Er ist doch eindeutig ein Idiot.“

Sie machte ein finsteres Gesicht. „Wir sind nicht hergekommen, um irgendjemandem wehzutun. Wir sind hergekommen, um ein paar Fragen zu stellen. Danach gehen wir wieder.“

„Aber bevor wir gehen, bringen wir ihn doch um, oder?“

Jerry quiekte leise.

„Nein, tun wir nicht“, beteuerte Tanith. „Gewalt ist nicht immer die Antwort, Billy-Ray. In diesem Fall kann Jerry den Rest seines Lebens in Frieden zubringen – verstanden?“

„Nicht wirklich.“

Sie kauerte sich hin und tätschelte Jerrys Schulter. „Hören Sie nicht auf ihn, Jerry. Er hat schlechte Laune. Er ist es gewohnt, der einzige Amerikaner in meinem Leben zu sein, aber jetzt sind Sie auch noch da. Eifersucht bei einem erwachsenen Mann ist etwas Schreckliches, nicht wahr?“

„Ich bin nicht eiferfüchtig.“

„Natürlich nicht, mein Lieber. Was halten Sie davon, Jerry – Sie beantworten unsere Fragen und danach lassen wir Sie in Ruhe?“

Jerry nickte.

„Brav. Was macht Ihre Zunge?“

„Ich hab draufgebiffen.“

„Das sehe ich.“

„Ef blutet.“

„Das sehe ich auch.“

Er streckte ihr die Zunge heraus. „Ift ef flimm?“

Seine Zunge war blutig und eklig. Sie holte ein kleines Blatt aus ihrem Mantel und legte es ihm vorsichtig in den Mund. „Sagen Sie jetzt mal ein paar Sekunden lang nichts, damit es heilen kann.“

Jerry blinzelte sie an. Seine Augen waren feucht. Ein besonders ansehnliches Exemplar der menschlichen Rasse war er nicht.

„Zeigen Sie her“, bat sie und er streckte die Zunge erneut heraus. Sie nickte. „Es heilt schon. Es war nur eine kleine Wunde. Jetzt können Sie doch unsere Fragen beantworten, in Ordnung?“

Er nickte und sie richtete sich auf.

„Sie gehören zu einer Gruppe von Leuten, nicht wahr? Einer Gruppe von Zauberern aus verschiedenen Sanktuarien rund um den Globus.“

„Woher … woher wissen Sie das?“

„Während der letzten Monate habe ich einer Menge Leute eine Menge Fragen gestellt. Ich habe mir gedacht, dass da draußen bestimmt einer ist, der versuchen wird, etwas gegen Darquise zu unternehmen, noch bevor sie überhaupt erscheint. In diesem Zusammenhang habe ich Ihren Namen zum ersten Mal gehört. Sie sind ein Medium, nicht wahr, Jerry?“

„Ich … ich bevorzuge den Ausdruck Hellseher.“

Tanith musste sich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. „Ein Hellseher, natürlich. Und als Hellseher hatten Sie bestimmt Visionen von Darquise.“

Jerry nickte. „Selbstverständlich.“ Er hockte immer noch auf dem Boden, setzte sich jetzt aber ein wenig aufrechter hin. Er drückte sogar ein klein wenig die Brust heraus. „Selbst Sensitive der untersten Ebene haben etwas aufgeschnappt. Bei einem Hellseher mit meinen Fähigkeiten war es ein wahrer Tsunami an Bildern, Empfindungen und Gefühlen. Sehr eindrücklich.“

„Was haben Sie gesehen?“

„Ich habe Tod und Verderben gesehen.“

Sanguin stieß einen nur mühsam unterdrückten Seufzer aus.

„Was meinen Sie damit?“, hakte Tanith nach und lächelte Jerry zu.

„Ich habe eine zerstörte Stadt gesehen. Kaputte, aufgerissene Straßen. Brennende Gebäude. Und ich habe sie gesehen. Ich habe Darquise gesehen.“

„Haben Sie ihr Gesicht gesehen?“

„Leider nein. Doch es besteht für mich kein Zweifel, dass sie es war. Drei Meter groß war sie. Wahrlich ein grässlicher Anblick.“

Tanith musste an sich halten, um ihm keine zu scheuern, weil er den Ausdruck „wahrlich“ in einem nicht-ironischen Zusammenhang verwendete.

„Drei Meter groß?“, hakte Sanguin nach.

Jerry nickte. „Oh ja. Mindestens. Und wie sie sich bewegte … wie eine Katze.“

Sanguin kniff hinter seiner Sonnenbrille die Augen zusammen. „Was, auf allen vieren?“

„Verzeihung?“

Sanguin machte weiter: „Von anderen Medien – sorry, Hellsehern – habe ich gehört, dass Darquise lange schwarze Fingernägel hatte, mit denen sie den Leuten den Kopf absäbelte. Haben Sie das auch gesehen?“

Wieder nickte Jerry. „Es war schrecklich.“

„Und aus ihren Augen kamen Laserstrahlen.“

„Na ja.“ Jerry zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob es Laserstrahlen waren, aber verheerend war es allemal.“

„Dieser Freund von uns, der Hellseher“, fuhr Sanguin fort, „konnte auch einen Blick auf rotes Haar unter ihrer Kapuze erhaschen. Haben Sie das auch gesehen? Falls nicht, dann machen Sie sich nichts daraus. Unser Freund ist wahrscheinlich der mächtigste Sensitive der Welt. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie nicht so viel gesehen haben wie er.“

„Rotes Haar?“, hakte Jerry nach. „Ja. Ja, das hab ich auch gesehen. Jetzt, da Sie es sagen, fällt es mir wieder ein. Langes, krauses rotes Haar.“

„Er sagte, es sei glatt gewesen.“

„Langes, glattes rotes Haar, ja.“

„Er sagte, es war kurz.“

„Das habe ich ja gemeint, kurzes, glattes rotes Haar.“

Sanguin schaute Tanith an. Die machte ein finsteres Gesicht und stieß Jerry in die Seite. Er schrie. Sie hatte ihm mit ihrem Schwert in die Seite gestoßen.

„Sie lügen uns an“, sagte sie. Er schrie erneut. „Wir haben gar keinen Freund, der mediale Fähigkeiten besitzt. Billy-Ray hat das alles frei erfunden. Sie hatten gar keine Vision, stimmt’s?“

Sie drehte das Schwert in der Wunde und Jerrys Schreie erreichten eine neue Frequenz. „Nein! Nein, hab ich nicht. Es tut mir leid! Hören Sie auf, in mir herumzustochern!“

Sie zog das Schwert aus seiner Seite und wischte die Spitze an seinem Ärmel ab. „Sind Sie überhaupt ein Sensitiver?“

„Ja“, wimmerte er und legte die Hand über seine Wunde, „aber kein besonders guter. Manchmal … manchmal, wenn es ein schöner Tag ist, kann ich das Wetter vorhersagen.“

„Regnet es morgen?“, wollte Sanguin wissen.

„Keine Ahnung“, gab Jerry zu. „Ich kann nur ein paar Minuten in die Zukunft sehen. Meistens muss ich den Wetterbericht im Fernsehen abwarten, wie alle anderen auch.“

„Sie sind das schlechteste Medium, dem ich je begegnet bin“, sagte Sanguin.

„Weiß sonst noch jemand, dass Sie ein Betrüger sind?“, fragte Tanith.

„Nein“, schluchzte Jerry. „Bis jetzt konnte ich die Leute immer zum Narren halten. Es war nicht einfach, aber wenn sie mich bitten, einen Blick in die Zukunft zu werfen, versuche ich immer, so allgemein wie möglich zu bleiben. Ich erzähle von Schatten und Tod und unheilvollen Gefühlen. Gewöhnlich ziehen sie ihre eigenen Schlüsse daraus und lassen mich dann in Frieden.“

„Als diese Gruppe von Zauberern Sie also gebeten hat, mehr über Darquise herauszufinden, haben Sie im Grunde nur nachgeplappert, was jeder andere Sensitive erzählt hat?“, fragte Tanith.

„Im Prinzip ja“, gab Jerry zu. „Kann ich einen Verband haben? Ich blute ziemlich stark.“

„Zuerst sagen Sie uns, was die Gruppe vorhat. Dann werden wir sehen, was sich in puncto Verband machen lässt.“

„Ich verliere eine Menge Blut.“

Tanith ließ ihre Adern anschwellen und ihre schwarzen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Sagen Sie uns, was die Zauberer vorhaben.“

Jerry entgleisten die Gesichtszüge. Er wurde blass. „Ja. Ja, selbstverständlich. Sie sind auf der Suche nach Waffen. Nach vier Göttermördern, von denen sie annehmen, dass sie Darquise schaden können.“

„Wo sind diese Waffen?“

„Überall verteilt. Auf der ganzen Welt. Sie wollen sich auf die Suche danach machen.“

„Und Sie wissen, wohin sie gehen?“, fragte Sanguine.

„Ich habe eine Liste der möglichen Örtlichkeiten.“ Jerry zog seinen Geldbeutel heraus, suchte darin herum und brachte schließlich ein zerknittertes Blatt Papier zum Vorschein.

Tanith nahm es, las und nickte. „Sieht so aus, als bräuchten wir Sie nicht mehr.“

Er strahlte. „Dann war es das? Sie lassen mich in Ruhe?“

Sie zog ihn auf die Füße. „Wir lassen Sie in Ruhe.“ Sie lächelte, ihr Schwert blitzte auf und sie schlug ihm den Kopf ab.

„Du bist fabelhaft, so grauenhaft“, schwärmte Sanguin.

Sie grinste und ging vor ihm her zur Haustür. Tanith öffnete sie und erstarrte.

Sechs Kinder in Halloween-Kostümen schauten zu ihr auf.

„Süßes oder Saures“, sagte die kleine Hexe. Um sie herum standen ein Pirat, ein Zombie, ein Vampir, der verrückte Hutmacher und ein Kaninchen. Sie klapperten mit ihren Eimerchen.

„Äh“, machte Tanith.

Sanguin trat neben sie und lächelte die Kinder an. „Da schau her, ein kleiner Zombie. Riecht verdammt viel besser als die echten, was? Und ein Vampirmädchen! Ist sie nicht süß? Und ein Kaninchen!“ Er geriet ins Stocken. „Ein Kaninchen. Das … das ist jetzt nicht unbedingt furchterregend, oder?“

Das Kaninchen blickte zu ihm auf. „Wenn du dich vor Kaninchen fürchtest, schon.“

Tanith nickte. „Ein gutes Argument, das musst du zugeben.“

„Du redest komisch“, stellte die Hexe fest. „Woher kommst du?“

Tanith lächelte. „Ich komme aus London.“

Der Pirat runzelte die Stirn. „Ist das in Frankreich?“

Der verrückte Hutmacher machte ein finsteres Gesicht. „In England, du Blödmann.“ Er schaute Tanith an. „Du bist Engländerin. Warum hast du ein Schwert?“

„Weil ich ein englischer Ninja bin. Wir sind genau wie die gewöhnlichen Ninjas, nur dass wir Lederkleidung tragen und stärker flirten.“

Die Kinder waren zufrieden mit dieser Erklärung und nickten. Dann klapperten sie wieder mit ihren Eimerchen. „Süßes oder Saures!“, riefen sie im Chor.

„Das ist gar nicht unser Haus“, bekannte Tanith, „aber ihr könnt alles haben, was ihr da drin findet.“

Der Pirat wurde munter. „Auch den Fernseher?“

„Den Fernseher in jedem Fall.“

Die Kinder schauten sich an und stürmten dann in die Wohnung. Tanith wartete noch einen Moment und beobachtete, wie sie sich vorsichtig Jerrys kopfloser Leiche näherten. Das Kaninchen zögerte kurz, dann stupste es Jerrys Kopf mit seinem flauschigen Fuß an. Der Kopf kullerte in seinem eigenen Blut herum und das Kaninchen zuckte nur mit den Schultern. „Das ist so was von schlecht nachgemacht“, meinte es und drehte sich dann weg, um dem Piraten mit dem Fernseher zu helfen.