18

Ich hatte fest vor, Danny wegen der Bemerkung seiner Mutter sofort zur Rede zu stellen  –  doch Simon kam mir zuvor. Kaum war der Wolseley außer Sicht, berichtete er Danny von einem Bauarbeiter in Kington, dem man unerwartet einen Auftrag abgesagt hatte, sodass er übermorgen zu uns kommen könnte, um den Teich zu betonieren. Der Mann habe ihm seinen Preis genannt, den sie mit einem Handschlag besiegelt hätten. »Wenn wir uns ins Zeug legen«, sagte Simon, »sind wir, bis er kommt, mit der Sandgrundierung fertig. Er wird das Ganze mit Sicherheit besser hinkriegen, als wir es könnten.« Er war sichtlich erleichtert darüber, dass alles so gut klappte.

Danny schien dem nicht widersprechen zu wollen. Unterdessen waren wir in der Küche angelangt, wo Trudie das benutzte Teegeschirr spülte  –  vielleicht ebenso wie ich von dem Gefühl befallen, dass wir den Haushalt in letzter Zeit zu sehr hatten schleifen lassen. Da ich für das Gespräch mit Danny kein Publikum haben wollte, gab ich ihm ein Zeichen, mit mir nach oben zu gehen, aber Trudie warf ein: »Hiergeblieben, ihr beiden. Zum Tee gibt es Corned Beef und Salat, und ich brauche etwas Hilfe, damit ich rechtzeitig fertig werde.«

Während Trudie Gurke und Tomaten schnitt, öffnete ich die Corned-Beef-Dose, und Simon deckte den Tisch. Danny hatte sich mit der Begründung entschuldigt, er müsse auf die Toilette. Diese erzwungene Beschäftigung mit den alltäglichen Dingen unseres Lebens ließ mein Gespräch mit Mrs Ivanisovic beinahe unwirklich erscheinen. Ich war mir inzwischen fast sicher, es handele sich nur um ein dummes Missverständnis, das Danny mit wenigen Worten ausräumen könnte. Ich drehte den Metallschlüssel um die Mitte der Corned-Beef-Dose, zog dann, ohne nachzudenken, die beiden Hälften auseinander. Der scharfe Dosenrand schnitt in meinen Daumenballen, und ein Strom hellrotes Blut quoll hervor. Es tropfte gleichmäßig auf den Boden, während ich starr vor Entsetzen zusah. Zum Glück bemerkte Simon, was passiert war, und eilte mir zu Hilfe, indem er einen Küchenstuhl unter dem Tisch hervorzog, mir befahl, darauf Platz zu nehmen, und gleichzeitig ein Papiertaschentuch aus seiner Jeanstasche hervorzog, das ich mir auf den Daumen pressen sollte.

»Das Bluten hört nicht auf«, jammerte ich. »Sieh nur, es tropft schon durch das Taschentuch.«

»Keine Angst«, sagte er. Inzwischen hatte er die Schublade geöffnet, wo die sauberen Geschirrtücher aufbewahrt wurden, und eines der verblichensten herausgeholt. »Die Wunde ist bestimmt nicht tief. Sie blutet so stark, weil in deinem Daumen ein Puls ist. Hier«, er nahm meine Hand und ersetzte das Taschentuch durch das Geschirrtuch, »lass deine Hand ein paar Minuten so eingewickelt und heb sie hoch  –  ja, genau so  –, um die Blutung zu stoppen. Ich werde inzwischen ein Pflaster besorgen.« In seiner Stimme lag etwas, das mich völlig beruhigte. Trudie hatte bei ihrer Arbeit innegehalten, aber als sie sah, dass Simon sich der Sache angenommen hatte, wandte sie sich wieder ihrem Schneidebrettchen zu. Als er wenige Minuten später mit Pflaster und Nagelschere zurückkam, hatten meine Knie aufgehört zu zittern, und ich hatte sogar gewagt, den verletzten Daumen zu inspizieren, der tatsächlich, wie Simon vorausgesagt hatte, nicht mehr blutete.

»Besser?«, fragte er und begutachtete die Wunde, ehe er einen Pflasterstreifen abschnitt.

»Ja, danke.«

Er ging vor mir in die Hocke, um das Pflaster aufzukleben. Als er fertig war, trafen sich unsere Blicke, und ich fühlte mich seltsam beschämt  –  als würde er all die hässlichen Gedanken kennen, die ich über ihn gedacht hatte. »Danke«, wiederholte ich kleinlaut.

»Keine Ursache. Bleib am besten noch ein paar Minuten hier sitzen. Bei solchen Unfällen kann man leicht umkippen.« Er ergriff die Corned-Beef-Dose, hob die obere Hälfte mit Hilfe eines Messers ab, holte das Fleisch heraus, schnitt es säuberlich in acht Scheiben und drapierte je zwei davon auf einen Teller  –  jeder Handgriff mit der eleganten Präzision, die alle seine Bewegungen kennzeichnete.

Bis Danny wieder auftauchte, stand unser Essen bereits auf dem Tisch. Während wir das Corned Beef und den Salat aus Tomaten, Gurke und Kopfsalat aßen  –  der mit etwas Dressing, das wir leider vergessen hatten einzukaufen, deutlich besser geschmeckt hätte  –, schwatzten Simon und Trudie über ihre Fahrt in die Stadt und über die Arbeit, die vor der Ankunft des Bauarbeiters noch anstand. Die beiden waren in der Leihbücherei vorbeigefahren, um Simons Buch über Gartenteiche zurückzugeben, und bei dieser Gelegenheit hatte Trudie ein Buch über interessante lokale Begebenheiten entdeckt. Es hieß Menetekel, Mord & Mysterium, und sie hatte Simon überredet, es mit seiner Karte auszuleihen. Unnötig zu sagen, dass der Fall Agnes Payne darin beschrieben war, und natürlich konnte Trudie es kaum erwarten, darin zu schmökern.

»Ich habe viel über Agnes nachgedacht«, sagte Trudie nun.

»Das ist ja mal was ganz Neues«, murmelte ich, aber niemand reagierte darauf.

»Ich glaube, wir könnten im Wald Kontakt zu ihr herstellen. Ich wette, ihr Geist spukt dort herum.«

»Eine mitternächtliche Geisterjagd?« Simon grinste. »Gruselig.«

Ich versuchte, Dannys Blick einzufangen, aber er merkte es nicht. »Ich wette, sie wird nicht erscheinen, selbst wenn ihr die ganze Nacht dort herumhängt«, sagte er.

Trudie sprang sofort darauf an. »Um was wetten wir?«

Mein Versuch, ihn unter dem Tisch zu treten, misslang, und ich stieß mir stattdessen den Zeh am Tischbein an.

»Wie viel Geld hast du denn?«

»Hundert Pfund«, sagte Trudie.

»Blödsinn, glaube ich nicht«, entgegnete Danny. Hundert Pfund waren für uns ein Vermögen. Woher, um alles in der Welt, sollte Trudie hundert Pfund haben?

Trudie war sauer. Sie mochte es nicht, wenn man ihre Worte anzweifelte. Mit einer fließenden Bewegung schob sie ihren Stuhl zurück und stapfte die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf.

»Hör auf«, bat ich. »Stachel sie nicht noch mehr an. Eine Geisterjagd im Wald ist völlig blödsinnig. Das würde sie nur wieder aus der Bahn werfen.«

»Reg dich ab«, sagte Danny. »So viel Kohle hat sie nicht. Glaub mir. Sie wird gleich wieder da sein und behaupten, die ermordete Agnes habe es geklaut oder etwas in der Art.«

Auf der Treppe waren erneut Trudies Schritte zu vernehmen. Die Hände hinter dem Rücken, betrat sie die Küche und förderte dann mit einer schwungvollen Geste eine Handvoll Geldscheine zutage.

»Meine Fresse«, rief Simon. »Damit könnten wir den Bauarbeiter bezahlen und hätten immer noch einiges übrig.«

»Es gehört euch«, sagte sie. »Wenn Agnes nicht erscheint.«

»Du kannst die Wette nicht annehmen«, sagte ich zu Danny. »Bei dem Betrag kannst du nicht mithalten.«

»Wir sollten es bleiben lassen«, stimmte Simon zu. »Es ist okay, Trudie. Wir wollen dein Geld nicht haben.«

»Vielleicht sollten wir um andere Dinge wetten«, schlug Danny vor.

Trudie schniefte verächtlich. »Wie zum Beispiel was?«

»Keine Ahnung. Dass wir eine Woche lang kochen oder  – hey, ich hab’s: Wer verliert, muss nackt in dem neuen Teich schwimmen  –  was haltet ihr davon?«

»Das wird mir allmählich zu blöd«, sagte ich. »Wie auch immer, wir werden jedenfalls nicht bei Nacht und Nebel in den Wald gehen und nach Geistern Ausschau halten. Das ist eine total bescheuerte Idee.«

Aber niemand hörte auf mich. Trudie und Danny übertrafen sich gegenseitig mit immer verrückteren Wettideen: einem Polizisten den Helm klauen, nackt durch die Kathedrale flitzen. Genervt ging ich schließlich nach oben, um mir ein Bad einzulassen. Das Badezimmer befand sich direkt über der Küche, und ich konnte die anderen lachen und rufen hören, ihre Stimmen schwächer als das stete Tropfen eines Wasserhahns, der irgendwo in der Nähe zu hören war.

Der untere Teil des Badezimmers war in nüchternem Weiß gefliest. Eine einzelne Reihe grüner Kacheln markierte die Stelle, wo die Fliesen endeten und die cremeweiß gestrichenen Wände begannen. Das Fenster hatte eine mit kleinen Dellen gemusterte Milchglasscheibe. Selbst in Klöstern oder Gefängnissen gab es wahrscheinlich schönere Badezimmer. Der Boiler war noch nicht lange angeschaltet, deshalb war das Wasser noch nicht richtig heiß. Dennoch zog ich mich aus, stieg in die Wanne und seifte mich mit energischen Bewegungen ein, als könnte ich damit die Demütigungen des Tages wegwaschen. Dann legte ich mich in die Wanne und beobachtete, wie sich mein Haar über der Wasseroberfläche ausbreitete. Eine Faser aus grünem Moos schwamm dazwischen. Das Wasser war gerade warm genug, um die Kacheln mit Dampf zu überziehen. Hin und wieder bildete sich ein Tropfen, der unmerklich größer wurde, bis er sich nicht mehr halten konnte und die Wand hinunterlief, wodurch ich in meinem peripheren Gesichtsfeld immer eine Bewegung im Raum wahrnahm.

Ich dachte an Mrs Ivanisovics mütterlichen Rat bezüglich meines Kleides. Mir missfiel die Vorstellung, Mrs Ivanisovic als Schwiegermutter zu haben. Sie würde ständig etwas an mir auszusetzen haben. Andererseits gab es sicher eine Menge Mädchen, die liebend gern mit mir tauschen würden. Danny war ein begehrter Junge  –  gut aussehend, intelligent, witzig. Seine Eltern waren gut situiert. Vielleicht war ich ja verrückt, dachte ich  –  vielleicht sollte ich ihn tatsächlich heiraten. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, sah ich wieder rot. Wie konnte er es wagen, derlei Dinge mit seinen Eltern zu besprechen, ohne vorher mit mir darüber zu reden? Oder war alles doch nur ein dummes Missverständnis? Was, um alles in der Welt, hatte er ihnen erzählt? Er konnte doch nicht ernsthaft behauptet haben, wir würden heiraten? Sobald ich ihn fünf Minuten für mich allein hätte, würde ich auf jeden Fall eine Erklärung von ihm verlangen.

Nach dem Bad verbrachte ich eine halbe Ewigkeit damit, meine verfilzten nassen Haare durchzukämmen. Ich wollte nicht dieselben schmutzigen Sachen anziehen, die ich tagsüber getragen hatte; leider blieb da nur ein knapper Morgenmantel, noch freizügiger sogar als der Gänseblümchenfummel. Aber ich hatte auch nicht unbedingt etwas dagegen, im Zimmer zu bleiben und auf einen Abend mit Simon und Trudie zu verzichten. Ich hatte keine Lust auf Trudies Geschichten über Agnes Payne oder über die komische Bibliothekarin mit dem altmodischen Dutt oder auf Simons Bericht über seine Verhandlungen mit dem Bauarbeiter. Wenn ich hierbliebe, würde Danny bestimmt bald hochkommen, um nach mir zu sehen, und dann könnte ich ungestört über alles mit ihm reden. In der Zwischenzeit würde ich unsere schmutzigen Sachen sortieren, um sie gleich morgen waschen zu können.

Nach einer Weile merkte ich, dass es unten still geworden war  –  einen panischen Moment lang fragte ich mich, ob sie tatsächlich in den Wald gegangen waren. Mir blieb fast die Luft weg bei der Vorstellung, ganz allein im Haus zu sein  –  während die Vögel ihr Abendlied zwitscherten und die Sonne immer tiefer sank. Ich huschte auf den Treppenabsatz hinaus und war schon auf der obersten Stufe, als von unten ein neuer Schwall herzhaften Gelächters heraufdrang. Die trinken Bier, dachte ich. Sie haben schon ziemlich einen sitzen.

Verdrossen trabte ich zu meinem Zimmer zurück, fühlte mich vergessen und ausgeschlossen. Als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, fiel mein Blick auf die Tür des Séance-Zimmers, die sich, von einem gelegentlichen Luftzug angetrieben, hin und her bewegte. Ich beschloss, die Tür zu ignorieren, doch als ich mich abwandte, schlug sie erneut gegen den Rahmen, forderte mich nervtötend und hartnäckig auf, etwas zu unternehmen. Ich überquerte den Treppenabsatz und schob zögernd die Tür auf. Das Zimmer ging nach Osten hinaus, deshalb war die Wärme des Tages schon längst daraus entwichen und alles war in abendliche Schatten gehüllt. Es sah noch genauso aus wie am Abend der Séance. Kein Versuch war gemacht worden, im Zimmer Ordnung zu schaffen  –  obwohl jemand drinnen gewesen war, der das Fenster geöffnet und dadurch wohl den Luftzug verursacht hatte. Ich war schon drauf und dran, wieder hinauszugehen und die Tür hinter mir zu schließen, als ich entdeckte, dass die Brise einen der Vorhänge über den Sims nach draußen gefegt hatte, wo er offenbar irgendwo festhing. Wenn ich den Vorhang so ließe, würde er beim nächsten Regenguss nass werden oder vielleicht auch von einem Windstoß zerfetzt. Das wäre natürlich nicht meine Schuld. Schließlich hatte nicht ich das verdammte Fenster aufgemacht. Dann dachte ich an Simon, der seinem Onkel Rede und Antwort stehen müsste. Ein, zwei Kleinigkeiten waren bereits in die Brüche gegangen  –  aber so etwas passierte in jedem Haushalt und war entschuldbar. Kaputte Vorhänge ließen sich freilich nicht so leicht rechtfertigen  –  vor allem in einem Zimmer, das wir erklärtermaßen nicht benutzt hatten –, doch um den Vorhang zu retten und das Fenster zu schließen, müsste ich mitten durch das Zimmer gehen.

Du hast doch nicht etwa Angst, Katy?

Die Tür hinter mir weit geöffnet, flitzte ich durch das Zimmer. Neben dem offenen Fenster war es kalt, und der schimmernde Vorhang fühlte sich wie Eis an. Der Stoff hatte sich an der Außenmauer verfangen, ließ sich jedoch leicht lösen und schien auch nicht beschädigt zu sein. Ich hob den Vorhang nach innen und zog das Fenster zu. Die Bewegung erzeugte einen jähen Luftzug, wodurch die Tür so heftig zuknallte, dass der Boden unter meinen Füßen vibrierte. Als ich mich vom Fenster abwandte, schien es im Zimmer auf einmal viel dunkler geworden zu sein. Das Echo des Knalls in meinen Ohren, taumelte ich in Richtung der Tür. Ich stolperte beinahe über den aufgerollten Teppich und stieß mit meinen bloßen Füßen das Marmeladeglas mit den Räucherstäbchen um, sodass es über das Linoleum rollte. An der Tür angelangt, rüttelte ich wie verrückt an der Klinke. Warum ging das verdammte Ding nicht auf?

»Danny«, wollte ich schreien, aber ich brachte nur einen erstickten Laut heraus: irgendetwas zwischen Gurgeln und Schluchzen.

Mitten in meiner Panik fiel mir ein, dass sich die Tür nach innen öffnete. Ich riss die Klinke so heftig in meine Richtung, dass die Tür über meinen großen Zeh schrammte, stürmte dann über den Treppenabsatz in mein Zimmer zurück und kroch, zitternd wie ein nasser Hund, ins Bett. Ich kuschelte mich in meinem Morgenmantel unter die Decke, genoss deren Wärme und Gewicht. Eigentlich wollte ich wach bleiben und auf Danny warten, doch schon nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen.

Ich muss in dieser Nacht sehr tief geschlafen haben, weil ich nicht hörte, wie Danny ins Bett kam. Als ich am nächsten Morgen erwachte, schlief er friedlich neben mir, völlig reglos, bis auf die Bewegung seines Atems. Die neue Erfahrung, miteinander in einem Bett zu schlafen, hatte noch nichts an Reiz verloren, aber obwohl der Anblick des schlafenden Danny normalerweise ein Lächeln auf meine Lippen zauberte, machte er mich an diesem Morgen eher gereizt. Er roch nach abgestandenem Bier, und ich rückte von ihm ab, als wäre er kontaminiert. Er rührte sich nicht, als ich aus dem Bett stieg, meinen Morgenmantel glatt strich und dann mit einem Armvoll schmutziger Wäsche nach unten ging.

In der Küche war niemand, dafür lagen auf dem Tisch noch die Überreste des feuchtfröhlichen Abends verstreut. Ich schleifte die altmodische Waschmaschine über den Boden, befestigte den Gummischlauch am Wasserhahn und wartete, während das Wasser einlief. Simon hatte irgendetwas über früh Aufstehen gesagt, doch die Küchenuhr zeigte kurz vor zehn an und widerlegte damit die guten Absichten. Als die Maschine mit Wasser gefüllt war, stellte ich die Temperatur ein und stopfte die Wäsche hinein. Es würde nicht schaden, die Wäsche einzuweichen, während das Wasser sich erwärmte.

Ich war gerade fertig, als Danny hereinschlenderte. Er kam offensichtlich geradewegs aus dem Bett und hatte sich nur die Zeit genommen, eine Jeans überzustreifen. Sein Haar war zerzaust, und er wirkte noch völlig verschlafen.

»Hey«, begrüßte er mich mit einem unterdrückten Gähnen, kam näher, um mir einen Kuss zu geben, und sah mich dann verdutzt an, als ich mich ihm entzog und auf die andere Seite des Tisches auswich. »Was hast du denn?«, fragte er.

»Es ist wegen deiner Mutter«, sagte ich. Nun, da der Moment gekommen war, wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte.

»Meine Mutter? Wieso bist du wegen meiner Mutter so sauer?«

»Weißt du, was sie gestern Nachmittag zu mir gesagt hat? Sie meinte, dein Dad und sie würden sich sehr darüber freuen, dass wir heiraten.«

Zu meinem Erstaunen verzog sich Dannys Gesicht zu einem Grinsen. »Hey, da bin ich aber erleichtert«, sagte er.

»Was?«, explodierte ich.

»Das ist doch gut, oder? Stell dir vor, wie unangenehm es wäre, wenn sie dich nicht mögen würden.«

»Danny, das ist kein Scherz oder so. Hast du deinen Eltern tatsächlich erzählt, wir würden heiraten  –  ohne mich überhaupt zu fragen? Das  –  das geht so nicht.«

»Aber Baby …« Immer noch lächelnd, kam er näher, bereit für eine Umarmung.

Erneut wich ich ihm aus und ging zur Speisekammer. Sein ganzes Verhalten diente nur dazu, mich noch mehr auf die Palme zu bringen. »Was fällt dir ein?«, schäumte ich. »Was fällt dir ein, einfach so über mich zu bestimmen  –  deinen Eltern irgendetwas von Heiraten zu erzählen, ohne überhaupt vorher mit mir darüber gesprochen zu haben?«

Jetzt lächelte er nicht mehr. »Nur weil du ein Problem mit deinen Eltern hast, bedeutet das nicht, dass es bei anderen Leuten genauso ist. Ich habe ein enges Verhältnis zu meinen Eltern, deshalb erzähle ich ihnen viele Dinge, kapiert?«

»Aber keine Dinge, die nur dich und mich etwas angehen«, brüllte ich. »Dinge, die noch gar nicht entschieden sind. Wie kannst du einfach so behaupten, wir würden heiraten?«

»Ich kriege immer, was ich will.« Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht ganz. Er war sauer, weil ich ihn anschrie.

»Sei nicht so scheißarrogant«, kreischte ich.

»Hör auf, mich hier so anzumachen, du blöde Kuh.«

Mit erschrockener Miene tauchte Simon in der Tür auf. »Was ist denn hier los?«

Schützend schlang ich die Arme um meinen Morgenmantel: halb nackt vor Simon zu stehen war meiner Würde nicht unbedingt zuträglich. Innerlich war ich völlig verstört. Danny und ich hatten uns noch nie wirklich gestritten. Ich hatte Verständnis und Reue erwartet und keinesfalls damit gerechnet, dass er mich angreifen würde.

»Ein kleiner Ehekrach«, sagte Danny. »Nichts Schlimmes. Katy hat sich über etwas aufgeregt. Ist wohl gerade eine ungünstige Zeit im Monat.«

»Ich gehe nach oben«, fauchte ich.

Danny drehte sich zum Spülbecken um, klapperte geschäftig mit dem Geschirr.

»Danny, komm bitte mit.«

»Kommandier mich nicht herum, okay?«, warf er mir über die Schulter hinweg zu. »Ich komme nach, wenn ich fertig bin.«

Ich blieb noch einen Moment in der Tür stehen, aber keiner von beiden blickte in meine Richtung, und so kehrte ich in unser Zimmer zurück, um auf Danny zu warten. Ich dachte, er würde in jedem Fall kommen, um sich etwas zum Anziehen und Schuhe zu holen, doch nach einer Weile wurde mir klar, dass die beiden Jungs in den Garten gegangen sein mussten. Die Stiefel, die sie bei der Gartenarbeit trugen, standen immer auf der hinteren Veranda, und Danny hatte sie offenbar ohne Socken angezogen, um nicht nach oben gehen zu müssen. Hoffentlich kriegt er Blasen, dachte ich.

Nach etwa einer halben Stunde trieb mich der Hunger nach unten. Ich erinnerte mich an die Erdbeeren, die Mrs Ivanisovic am Tag zuvor mitgebracht hatte, und fragte mich, ob die anderen etwas dagegen hätten, wenn ich mir meinen Anteil schon einmal für ein spätes Frühstück nehmen würde; doch als ich in den Kühlschrank blickte, war von den Erdbeeren nichts zu sehen. Dann erspähte ich die leeren Körbchen, die jemand neben den wie immer überquellenden Plastikmülleimer geworfen hatte. In diesem Moment kam Trudie durch die Hintertür herein.

»Wo sind die ganzen Erdbeeren?«, fragte ich.

»Die haben wir gestern Abend gefuttert, nachdem du ins Bett gegangen bist.«

»Ihr miesen, verfressenen Schweine!« Die Worte sprudelten lauter hervor als beabsichtigt.

Simon war hinter Trudie aufgetaucht. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragte er.

»Katy ist eingeschnappt, weil wir ihr keine Erdebeeren übrig gelassen haben«, sagte Trudie.

»Herrgott noch mal«, murmelte Simon. »Hier, Trudie, nimm du den Flaschenöffner, und ich nehme das Bier.«

Sie ließen mich allein in der Küche zurück. Nach einem kurzen Moment nahm ich meine Suche nach etwas Essbarem wieder auf und griff schließlich auf Brot und Marmelade zurück. Ich knallte Marmeladeglas und Messer auf den Tisch und räumte danach absichtlich nicht ab. Die Wäsche war bereits fertig, und so wusch ich mir die Marmelade von den Fingern, warf die Wäsche in die Schleuder und füllte die Waschmaschine mit der nächsten Ladung Schmutzwäsche. Nun tauchte jedoch ein neues Problem auf: Ich konnte die Wäsche nicht in diesem kurzen Morgenmantel draußen aufhängen, weil ich mich darin unmöglich nach oben strecken könnte, um die Sachen auf der Leine festzuklammern. Überdies hatte ich mich selbst schachmatt gesetzt  –  ich könnte für den Gang zur Wäscheleine noch nicht einmal kurz irgendein schmutziges Höschen anziehen, weil sich jedes einzelne Kleidungsstück, das ich mithatte, entweder in der Schleuder oder in der Waschmaschine befand.

Als ich das Durcheinander aus Klamotten aus der Schleuder holte, die Socken und Büstenhalter auseinanderzog und aus den größeren Stücken die schlimmsten Falten herausschüttelte, heulte ich vor Wut. Irgendwo inmitten des Kleidergewirrs tauchte mein Bikini auf. Das war die Lösung. Ich würde meinen Bikini anziehen. Es spielte keine Rolle, dass er noch feucht war  –  es würde sich genauso anfühlen, als wäre ich zuvor eine Runde im See geschwommen.

Draußen angekommen, merkte ich, dass eine kühle Brise wehte, die nicht unbedingt für Badebekleidung sprach. Die Wäscheleine war zwischen zwei Pfosten in Sichtweite des Teiches gespannt, aber weit genug davon entfernt, um eine Unterhaltung auszuschließen. Danny arbeitete in der Grube, doch ich vermied es bewusst, in seine Richtung zu blicken, wandte ihm den Rücken zu, während ich mich zügig durch den Korb mit feuchter Wäsche arbeitete.

Als alles aufgehängt war, kehrte ich ins Haus zurück. Ich rechnete damit, dass Sonne und Wind die leichteren Sachen rasch trocknen würden. In der Zwischenzeit wollte ich mir einen kleinen Imbiss und eine Tasse Tee zubereiten, die ich mit ins Bett nehmen würde, wo ich den feuchten Bikini gegen den Morgenmantel austauschen und gemütlich Frenchman’s Creek lesen könnte. Die Diskussion mit Danny würde ich aufschieben, bis ich in der Position wäre, sie zu meinen Bedingungen zu führen.

Sobald ich oben angelangt war, schälte ich mich aus meinem Bikini. Der Kommodenspiegel war von zwei Holzsäulen mit runden Blattverzierungen an den Spitzen flankiert, an die ich jeweils Bikinioberteil und -höschen hängte. Ich hatte meinen Morgenmantel wieder angezogen und wollte gerade ins Bett hüpfen, als mir der Gedanke kam, dass ich unser Zimmer, da der Wäscheberg nun verschwunden war, mit ein paar wenigen Handgriffen noch weiter verschönern könnte. Also hob ich erst einmal die Reste der Sonntagszeitung auf, die Danny und ich nach dem Lesen Seite für Seite aus dem Bett hatten fallen lassen, knüllte sie zusammen und warf sie auf den Treppenabsatz hinaus, um sie später mit nach unten zu nehmen. Zwischen gelegentlichen Bissen an meinem Marmeladebrot und kleinen Schlückchen Tee sammelte ich meinen Föhn und diverse verstreute Schuhe auf, ordnete den Krimskrams auf der Kommode und staubte die Oberfläche mit einem Papiertaschentuch ab. Als ich innehielt, um mein Werk zu begutachten, ließen mich Schritte auf der Treppe aufhorchen.

»Hey«, sagte Danny. Er durchquerte das Zimmer und umarmte mich, ehe ich etwas sagen oder tun konnte. »Und? Wieder besser?«, fragte er.

Ich entwand mich seinen Armen. »Was meinst du mit besser?«

»Ich meine, ob du deinen Koller überwunden hast. Wieder bereit bist, Liebe zu machen, nicht Krieg.« Sein verschmitztes Lächeln, das mich normalerweise dahinschmelzen ließ, schürte meinen Groll nur noch mehr.

»Danny«, sagte ich. »Wir sind noch nicht fertig. Du hast einen Fehler gemacht, und das musst du eingestehen.«

»Ach, komm schon, Katy.« Er trat einen Schritt vor, während ich einen Schritt zurückwich. »Wir wissen doch, wie das enden wird. Komm zu Danny. Du willst das doch auch … Wer ist denn in den Garten gekommen und hat sich halb nackt vor mir zur Schau gestellt?«

»Habe ich nicht!« Ich kochte vor Empörung. Ich hatte mich noch nie im Leben zur Schau gestellt.

»Jetzt krieg dich wieder ein.« Er befühlte die Bikiniteile. »Die sind ja noch nicht mal trocken.«

»Ich hatte nichts anderes zum Anziehen«, sagte ich kühl.

»Du bist zu mir nach draußen gekommen. Wolltest mich verführen, dir nach oben zu folgen.«

»Wollte ich nicht. Aber da du schon einmal hier bist, kannst du dich ja endlich entschuldigen: dafür, dass du mich blöde Kuh genannt hast und dass du deinen Eltern erzählt hast, ich würde dich heiraten  –  was ich zufällig nicht vorhabe.«

Abrupt schlug seine Stimmung um. »Was ist heute bloß mit dir los?«, brüllte er. »Du bist total daneben. Bist nur auf Streit aus. Ich kapier nicht, was in dich gefahren ist. Ich dachte, du liebst mich. Du hast recht: Wir sind noch nicht fertig.« Mit diesen Worten wandte er sich um und marschierte hinaus.

Schweigend ließ ich ihn gehen. Während ich seinen Schritten auf der Treppe lauschte, merkte ich, dass ich zitterte. In meiner idealisierten Vorstellung von unserem ländlichen Liebesnest war nie die Frage aufgetaucht, was geschehen würde, wenn wir einen ernsthaften Streit hätten. Ich hatte plötzlich das Gefühl, allein auf offenem Meer zu treiben, ohne Koordinaten, an die ich mich halten könnte. Ich hörte seine Schritte in der Diele und das dumpfe Zuknallen der Küchentür. In der Stille, die darauf folgte, warf ich mich auf das ungemachte Bett und weinte.