7
Nach Trudies Ankunft verliefen unsere Tage etwas geregelter: Während die Jungs an dem großen Gartenprojekt arbeiteten, kümmerten sich Trudie und ich um den Haushalt, lagen danach in der Sonne und lasen Bücher oder Zeitschriften, die wir im Haus fanden. Wenn die Jungs genug vom Herumbuddeln hatten, spielten wir Handtennis oder Rounders, ein Schlagballspiel, wofür wir das Bein eines alten Stuhls, den wir im Schuppen entdeckten, als Schläger umfunktionierten. Dann fand Simon ein altes Kricketspiel, und wir spielten auch damit – nach unseren eigenen selbst erfundenen Regeln. Abends unterhielten wir uns, sangen und spielten Karten – zumeist Idiotenspiele wie »Cheat« und »Crazy Eights«. Wir waren gezwungen, selbst für unsere Unterhaltung zu sorgen, da es im Haus keinen Fernsehapparat gab.
»Irgendwie komisch«, sagte Trudie, »so ohne Telefon und Glotze.«
»Mein Onkel ist kaum hier«, sagte Simon. »Das Haus gehörte meiner Großmutter, die bis zu ihrem Tod hier gelebt und lieber Radio gehört hat.«
»Komisch«, wiederholte Trudie.
In einem der unteren Räume stand eine alte Musiktruhe, aber außer einigen fremdsprachigen Wortfetzen und einer Menge statischem Rauschen konnten wir ihr nichts entlocken. Also benutzten wir stattdessen ein batteriebetriebenes Transistorradio, das immer auf Radio One eingestellt war. Hin und wieder schnappten wir Kurznachrichten auf, doch die Ereignisse schienen alle in einer fernen Welt zu passieren.
Trudie war erst ein paar Tage bei uns, als die Teekanne mit den rosafarbenen Rosen verschwand. Sie war es auch, die uns darauf aufmerksam machte, wohingegen uns das Fehlen der Kanne wahrscheinlich überhaupt nicht aufgefallen wäre. Trudie war die Einzige, die das gute Teeservice benutzte. Kurz darauf vermissten wir eine hässliche Vase, die vorher zufrieden auf dem Sims des Küchenfensters gestanden hatte – ein grauenvolles gelbes Ding mit einem Relief aus purpurroten Stiefmütterchen. Dann verschwand das Spülmittel und danach die Nagelschere, die Simon auf dem Küchentisch hatte liegen lassen. Die letzten beiden Gegenstände tauchten binnen Stunden wieder auf, und zwar exakt am selben Platz, wo sie vor ihrem Verschwinden gewesen waren, doch Vase und Teekanne blieben verschwunden. Im Verlauf der folgenden beiden Wochen machten sich alle möglichen Gegenstände selbstständig – die meisten wurden Stunden, manchmal auch Tage später wieder gefunden.
Zunächst hatte ich die Theorie, Trudie sorge selbst für diese kleinen Irritationen, um die Aufmerksamkeit auf sich und ihre »Gabe« zu lenken, die bis dahin niemand besonders ernst genommen hatte. Dann fragte ich mich, ob das nicht alles nur ein ausgeklügelter Plan war, um zu vertuschen, dass sie die Teekanne zerbrochen hatte und dies aus Angst nicht zugeben wollte. Als ich das Verschwinden eines gläsernen Briefbeschwerers bemerkte, entwickelte ich eine neue Theorie. Trudie schien nie knapp bei Kasse zu sein, und ich hielt es für möglich, dass einige der verschwundenen Gegenstände sowie die Porzellankanne in den Antiquitätenläden in Leominster gelandet sein könnten. Wenn Simon in die Stadt fuhr, begleitete Trudie ihn immer, meist mit ihrer über die Schulter geworfenen griechischen Hirtentasche.
Ich setzte Danny meine Theorie auseinander, als wir eines Abends im Bett lagen, doch er schien nicht viel davon zu halten. Danny hatte sie gern, und er war immer loyal gegenüber Menschen, die er mochte. Außerdem fehlte ihm meine weibliche Neugierde. Die Tatsache, dass Trudie es schaffte, all meinen beiläufigen Fragen über ihre Person und ihre Herkunft auszuweichen, war ihm offenbar komplett entgangen. Wann immer ich ihn darauf aufmerksam machte, meinte er lediglich, sie gebe sich vielleicht absichtlich geheimnisvoll: »Vielleicht will sie nicht zugeben, dass sie jünger ist als wir und noch nicht viel rumgekommen ist.«
»Trotzdem – die verschwundenen Dinge haben keine Beine bekommen und sind allein weggelaufen. Meinst du nicht, wir sollten Simon mal darauf ansprechen?«
»Trudie sagt, es sei der Geist der ermordeten Agnes, der auf sich aufmerksam machen will«, erwiderte Danny grinsend.
Ich schnaubte. »Ermordete Agnes, so ein Quatsch. Es hat erst angefangen, seit Trudie bei uns wohnt. Ich finde, wir sollten Simon fragen, ob sie allein losgezogen ist, als sie gestern zusammen in Leominster waren. Es gibt einen Riesenärger, wenn sein Onkel zurückkommt und feststellt, dass ein Haufen Zeug fehlt.«
Danny blieb geradezu nervtötend ungerührt und tat, als würde er schnarchen. Doch ich ließ mich nicht abwimmeln. »Morgen werde ich es Simon sagen«, brummte ich.
»Ihm was sagen?«
»Was ich glaube.«
»Man könnte fast meinen, du magst Trudie nicht«, sagte er.
»Natürlich mag ich sie«, rief ich. »Darum geht es gar nicht.« Oder ging es vielleicht genau darum? Ich sann darüber nach, als ich in dem dunklen Zimmer lag und auf die Stelle starrte, wo sich die Vorhänge als fahler Fleck an der Wand abzeichneten. Seit ihrer Ankunft hatte Trudie mit Danny gescherzt und geflirtet, und ich hatte so tun müssen, als wäre es mir egal. Während ich nichts gegen jemanden einzuwenden hätte, der uns Simon vom Hals halten würde, war ich wahrscheinlich nicht allzu begeistert von der Vorstellung einer ungebundenen Trudie, die frei herumschwirrte. Ich sagte mir, dass das natürlich Unsinn sei – trotz ihrer diversen Macken war es mir einfach unmöglich, Trudie nicht zu mögen. Sie war warmherzig und freundlich und wirklich sehr umgänglich. Sie leistete mehr als nur ihren Anteil am Kochen und Abspülen und machte begeistert bei allen Freizeitaktivitäten mit. Sie war einfach einer jener Menschen, die anderen ganz selbstverständlich den Arm um die Schultern legten oder durch die Haare zausten – es war wirklich nichts dabei –, und abgesehen davon reagierte Danny niemals auch nur annähernd darauf. Ich war nicht eifersüchtig auf sie, falls Danny das gemeint haben sollte.
Obwohl die Aushebung des Teiches weit oben auf unserer Prioritätenliste stand, genossen wir es nach wie vor, morgens lange im Bett liegen zu bleiben. Als ich am nächsten Tag aufstand, war es schon fast elf Uhr, und im Haus rührte sich noch nichts. Das Erste, was ich beim Betreten der Küche sah, war der Briefbeschwerer aus der Bibliothek. Wie eine Reihe anderer Gegenstände kam er auf dem Küchentisch wieder zum Vorschein und nicht an der Stelle, wo er verschwunden war. Ich wusste, dass Trudie ihn dorthin gelegt haben musste, aber dennoch war mir die Sache unheimlich. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass der Briefbeschwerer wohlbehalten wieder zurück war. Hoffentlich würde alles andere zu gegebener Zeit auch wieder zurückkehren – dann gäbe es später keine Probleme wegen fehlender Wertgegenstände. Die Tatsache, dass ich am Abend zuvor gedroht hatte, Simon meinen Verdacht mitzuteilen, ließ mich nun vor Scham erröten.
Obwohl wir vermutlich alle insgeheim davon überzeugt waren, dass Trudie hinter dem Verschwinden der Gegenstände steckte, ließen wir uns mehr als nur halbherzig auf ihr Gerede über rastlose Gespenster und Poltergeister ein. Es war irgendwie witzig, und eine direkte Konfrontation hätte nur für Unfrieden gesorgt. Die Gegenstände waren größtenteils unbedeutend und tauchten meist wieder auf; und abgesehen davon gab es keinen eindeutigen Beweis für Trudies Verwicklung in die Sache. Zur Rede gestellt, würde sie vermutlich argumentieren, dass jeder von uns gleichermaßen dafür infrage käme, und auf dem Thema herumzureiten hätte mehr oder minder bedeutet, sie als Lügnerin hinzustellen. Also hielten wir den Mund – was wiederum zu einer Art diffuser Akzeptanz von Agnes Paynes unsichtbarer Gegenwart führte.
Wir gingen alle sehr unbeschwert damit um – selbst Trudie, die vorgab, feinere Antennen für diese Dinge zu haben als wir. Es wurde zu einer Art Insiderwitz – wenn irgendetwas nicht auffindbar war (ein nicht seltenes Ereignis in einem so unorganisierten Haushalt wie dem unseren), neigte irgendeiner von uns den Kopf und murmelte wissend: »Schon wieder Agnes …« Doch obwohl Agnes dazu diente, die Unannehmlichkeiten, die auf unsere allgemeine Schlampigkeit zurückzuführen waren, zu entschärfen, gab es keinen praktischen immateriellen Sündenbock für die verschiedenen anderen Probleme, die mit deprimierender Regelmäßigkeit auftauchten: Wenn einer von uns wegen übermäßigen Alkoholgenusses mit pochenden Kopfschmerzen aufstand und feststellen musste, dass etwas Ekliges das Waschbecken blockierte, oder wenn man mit nackten Füßen in getrockneten Schlamm trat, der am Vortag ins Haus eingeschleppt worden war.
Der Tag, an dem der Briefbeschwerer wieder auftauchte, war besonders heiß und schwül, sodass wir froh waren, als endlich der Abend anbrach und die Temperatur auf ein angenehmes Maß zurückging. Im Haus war es immer noch stickig, und so trugen wir unser Essen nach draußen, setzten uns auf den verdorrten Rasen und genossen unser Mahl aus Fischstäbchen und Bohnen (ich war mit Kochen dran gewesen), als hinter uns plötzlich ein lautes Scheppern ertönte. Ich schrie auf, Danny fluchte, Simon und Trudie sprangen beide gleichzeitig auf.
»Jesusmaria, was, zum Teufel, war das denn?«, rief Danny.
Simon sah zum Haus hinüber. »Da ist etwas auf der Terrasse.«
Die gepflasterte Terrasse verlief längs an einer Hausseite. Abgesehen von einigen kleinen Grasbüscheln, die zwischen den Platten hervorsprossen, war sie eintönig grau. Doch an der Stelle, wo Simon hindeutete, war nun ein greller Farbklecks aus Gelb und Purpurrot zu erkennen.
Wir ließen unsere Teller auf dem Rasen zurück und näherten uns zaghaft der Terrasse, wobei es offensichtlich keiner von uns darauf anlegte, als Erster dort zu sein. Der Anblick war niederschmetternd. Eine gezackte Tonscherbe lag wenige Zentimeter von der Hausmauer entfernt. Es war ein Bruchstück der hässlichen Vase, die früher einmal auf dem Sims des Küchenfensters gestanden hatte. Sie war zweifellos mit erheblicher Wucht aufgeschlagen, weil die anderen Scherben mehrere Meter über die Steinplatten und darüber hinaus geflogen waren.
»Hier ist niemand«, sagte Simon. »Wo, zum Teufel, ist diese dämliche Vase hergekommen?«
Alle blickten wir nach oben. Trudies offenes Zimmerfenster lag direkt über der Stelle, wo die Vase aufgetroffen war.
»Es ist den ganzen Tag offen gewesen«, antwortete sie auf unsere stumme Frage.
»Vielleicht ist jemand ins Haus eingedrungen?«, fragte ich.
Nach einer kurzen Debatte beschlossen die Jungen, die Räumlichkeiten gründlich zu durchsuchen, während Trudie und ich vor der Eingangs- beziehungsweise Hintertür Stellung beziehen sollten. Von einem Bein auf das andere hüpfend, stand ich in der Küche und lauschte angespannt auf irgendwelche Geräusche im Haus. Wie üblich hatte ich mich ohne Murren gefügt: die folgsame Katy, die immer allem zustimmt, um dann mit wild klopfendem Herzen dazustehen und auf das Erscheinen des wahnsinnigen Axtmörders zu warten.
Doch es war Simon, der schließlich aus der Diele hereinkam, um zu melden, dass es keinerlei Anzeichen von einem Eindringling gebe.
»Ich glaube nicht, dass jemand im Haus war«, verkündete Trudie, als wir uns wieder zurück auf den Rasen begeben hatten. »Ich glaube, es war ein Zeichen, dass Agnes immer unruhiger wird. Vielleicht bittet sie uns, etwas für sie zu tun – eine Séance abzuhalten oder etwas in der Art.«
Danny stocherte mit dem Messer in den kalt gewordenen Bohnen herum. »Ich bin Katholik«, sagte er. »Wir sind für so einen Scheiß nicht zu haben.«
»Ich finde, wir sollten mit solchen Dingen nicht herumspielen«, sagte ich. In Wahrheit kam mir dieser dramatische Auftritt der Vase – direkt unter Trudies offenem Fenster – höchst fragwürdig vor. Sie konnte sie nicht selbst heruntergeworfen haben, weil sie mit uns zusammen in der Wiese gesessen hatte, aber vielleicht hatte sie eine Möglichkeit gefunden, die Vase so wacklig hinzustellen, dass sie unvermeidlich irgendwann im Laufe des Abends aus dem Fenster fallen musste.
»Wenn wir sie weiter ignorieren, werden vielleicht schlimmere Dinge geschehen«, beharrte Trudie.
»Also, ich möchte bei so etwas jedenfalls nicht mitmachen«, sagte ich in der Erwartung, Danny werde sich meiner Meinung anschließen; aber er war damit beschäftigt, seinen Teller auf dem Schoß zurechtzurücken, und schien mich gar nicht zu hören.
»Ich hätte gegen einen Versuch nichts einzuwenden«, sagte Simon. »Was kann es schon schaden?«
»Hm, wenn alle mitmachen, bin ich auch dabei«, sagte Danny. Nein, ein zweiter Ignatius von Loyola war er gewiss nicht.
»Du hast doch nicht etwa Angst, Katy, oder?«, fragte Simon. »Neulich abends sagtest du doch, du würdest nicht an Geister und diesen ganzen Kram glauben.«
Ich hörte den Spott in seiner Stimme. Ich hasste es, gehänselt zu werden. »Nein, habe ich nicht, und nein, ich glaube auch nicht daran.«
»Es steht sowieso drei zu eins«, sagte Simon. »Eine demokratische Mehrheitsentscheidung.«
»Du musst nicht mitmachen, wenn du nicht willst«, sagte Danny in beschwichtigendem Ton. Ich versuchte, seinen Blick einzufangen, aber er stocherte immer noch auf seinem Teller herum und bemerkte es nicht. Er musste scherzen. Es war ausgeschlossen, dass ich allein irgendwo in diesem großen leeren Haus herumsaß, während die anderen mal eben versuchten, irgendwelche Geister zu beschwören. Ich wollte gerade etwas sagen, als er schrie: »Verdammt. In meinem Essen ist ein Käfer.«
Trudie beugte sich zu ihm hinüber, sodass ihr Haar über seine Schulter fiel. »Blödsinn«, sagte sie. »Das ist nur ein verbrannter Brotkrümel.«
»Für das Herunterfallen der Vase ist ja wohl eindeutig Trudie verantwortlich«, sagte ich verstimmt.
»Wie meinst du das?«, fuhr sie mich sofort an.
»Wie ich es sagte. Es ist einfach nur wieder einer deiner kleinen Tricks – um Aufmerksamkeit zu kriegen.«
»Sei nicht albern«, sagte Simon. »Wie hätte Trudie die Vase aus dem Fenster fallen lassen sollen, wenn sie mit uns in der Wiese gesessen hat?«
»Da gibt es durchaus Möglichkeiten.«
»Okay, dann nenn mir eine«, forderte mich Simon heraus und warf einen triumphierenden Seitenblick in Trudies Richtung.
»Keine Ahnung. Ich bin kein Mitglied des Magischen Zirkels.«
»Sie auch nicht.«
»Wieso bist du dir da so sicher? Wir wissen so gut wie nichts über sie.«
Danny stellte seinen Teller ins Gras, beugte sich zu mir und drückte mein Knie. »Komm schon, Katy«, sagte er. »Lass uns nicht so ein Riesentheater aus der Sache machen.«
»Also ich habe diesen blöden Agnes-Scheiß gründlich satt. Dass Gegenstände verschwinden und alle so tun, als würden sie diesen Quatsch glauben. Simon glaubt gar nicht wirklich daran. Er gibt sich nur so, um zu provozieren …«
»Woher willst du denn wissen, was ich glaube?«, fiel Simon mir ins Wort.
»Du deckst Trudie nur deshalb, weil du aus Prinzip immer anderer Meinung bist als ich.«
»Vielleicht deshalb, weil du immer unrecht hast.«
»Hört auf, Leute«, bat Danny. »Ihr macht den ganzen Abend kaputt.«
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte Simon. »Ich glaube, du hast einfach nur Schiss – du beschuldigst Trudie, weil dir die Vorstellung einer Geisterbeschwörung eine Heidenangst einjagt.«
»Das ist nicht wahr!«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Danny sanft. »Du hast kein Problem damit, Katy, stimmt’s? Und wenn es uns glücklich macht, wirst du mit uns auch ein wenig Hokuspokus veranstalten, oder?«
Er war zur Seite gerutscht, damit er den Arm um mich legen konnte. Offenbar hatte er keine Ahnung, wie viel Angst mir diese ganze Sache tatsächlich einjagte – ich wusste, er hätte mich andernfalls nicht dazu gedrängt –, aber wenn ich mir nicht Simons Spott zuziehen wollte, indem ich mich noch mehr darüber ereiferte, blieb mir keine andere Wahl. »Von mir aus«, sagte ich so lässig, wie ich konnte. »Wenn es wirklich alle wollen, dann bin ich dabei.«