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Marjories Freundin Pam hat wieder mit dem Schwimmen angefangen. Die Knieoperation ist offenbar gut verlaufen, und der Chirurg hat ihr grünes Licht gegeben. Während mir das eine Atempause von Marjorie verschafft, sorgt es gleichzeitig für neue Qualen, weil ich beim Schwimmen unentwegt ihre vom Dach des Pools widerhallenden Stimmen vernehme, wie zwei Vögel, die in einer Voliere kreischen  –  oder im Dschungel  –, ein Eindruck, der durch den Plastikefeu und die künstlichen Bananenbäume, die letzten Donnerstag quasi über Nacht um das Becken herum gewachsen sind, noch verstärkt wird. (Das Komitee der Freizeiteinrichtung hat zum Jahresende offenbar einen Überschuss zu verzeichnen.) Die Miniaturbaumfarne (die Pam für Ananas hält) überleben die Woche nicht. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit überdimensionierten Handgranaten werfen die einheimischen Jugendlichen sie sich gegenseitig in hohem Bogen zu, bis eine Sicherheitsverordnung dem Treiben Einhalt gebietet. Die künstlichen Efeuranken durften jedoch bleiben, und außer Pam und Marjorie, die für die Geräuscheffekte sorgen, bedürfte es nur noch einen oder zwei an den Dachsparren herumturnende Affen, um die Illusion eines Tropendschungels zu vervollständigen.

Es sind nur noch drei Tage bis zu meinem Besuch bei Mrs Ivanisovic. Auf dem Heimweg werde ich ein Zimmer im Travelodge buchen  –  etwas, das ich bis jetzt hinausgeschoben habe, in der schwachen Hoffnung, die Reise nach Sedgefield werde nicht stattfinden, solange ich keine feste Buchung vornehme. Ich habe vergebens auf eine Nachricht von Mrs I. gewartet, in der sie mir mitteilt, der 25. sei für sie ungünstig, aber die traf nicht ein. Schweigen. Nichts als unheilvolles Schweigen.

Aufgrund schlechten Timings treffe ich im Umkleideraum auf Marjorie und Pam.

»Nein, hat er wirklich?«, fragt Marjorie gerade.

Beide täuschen Entsetzen über das, was immer »er« gemacht haben soll, vor, gefolgt von einer Menge unangemessenem mädchenhaftem Gekicher und Gekreische, was eher auf Entzücken als auf Empörung schließen lässt. Nach und nach komme ich dahinter, dass »er« ein Mann ist, der Pam offenbar Avancen macht. »Ehrlich«, zwitschert sie. »Ich sagte zu ihm  –  in unserem Alter …«

Es ist unübersehbar, dass Pam über das Interesse des Mannes trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen völlig aus dem Häuschen ist  –  wie eine Vierzehnjährige, die am Morgen nach ihrem ersten Rendezvous über ihre Erlebnisse hinter dem Fahrradschuppen erzählt. Wachsen manche Frauen denn nie aus dieser schrecklichen Anfälligkeit für männliche Aufmerksamkeit heraus? Kurz bevor ich die Dusche aufdrehe, höre ich, wie Pam schrill verkündet: »Ich war total geschmeichelt.«

Total geschmeichelt. Ja, an so ein Gefühl erinnere ich mich auch noch gut. Es war dieser Moment, als Danny mich nach meiner Telefonnummer fragte. Falsche Bescheidenheit mal beiseite, aber ich muss zu der Zeit, als ich auf die Hochschule ging, recht hübsch gewesen sein. Ich brauchte keine Zahnspange mehr zu tragen und hatte so gut wie keine Pickel  –  wenngleich ich nach wie vor unter Schüchternheit und mangelndem Selbstvertrauen litt. Meine Eltern hielten mich an der kurzen Leine, und nachdem ich auf einer reinen Mädchenschule gewesen war, ging ich an eine Pädagogische Hochschule, wo der Anteil der weiblichen Studenten sechsmal so hoch wie der der männlichen war. Demzufolge war ich also auch nicht gerade mit Einladungen zu einem Date überhäuft worden.

Cecile war meine beste Freundin in diesem ersten Hochschuljahr. Keine von uns beiden war besonders gefragt oder beliebt: Ich war schüchtern und versuchte ständig, mich irgendwie unsichtbar zu machen, während die arme alte Cecile schlicht unattraktiv war. Erzählst du Leuten, deine Freundin sei Halbfranzösin, erwarten sie eine zweite Brigitte Bardot; aber Cecile sah aus wie das, was sie war  –  ein ernstes jüdisches Mädchen mit dunklem Haar und Brille. Sie schrieb immer gute Noten, schmiss dann aber ihre Ausbildung hin, um einen Rabbi zu heiraten und eine Familie in Hendon zu gründen; ihre gallischen katholischen Verbindungen brach sie nahezu vollständig ab. Wir schreiben uns keine Weihnachtskarten, weil sie Weihnachten nicht feiert.

In jener Zeit war Cecile weitaus unternehmungslustiger als ich. Ich träumte zwar von Abenteuern und Romanzen, hatte aber keine Ahnung, wie ich dazu kommen sollte. Cecile wiederum war überzeugt, der Weg dorthin bestehe darin, sich an Orten herumzutreiben, die fast ausschließlich von Mitgliedern des anderen Geschlechts bevorzugt wurden, und so schleppte sie mich in Kung-Fu-Filme und zu Auftritten von zweifelhaften einheimischen Bands, in der Gewissheit, dies sei der natürliche Lebensraum des männlichen Geschlechts. Aber leider hatte Cecile nicht die Dunkelheit bedacht, die in Kinos und abgedunkelten Nebenräumen von Kneipen die Norm war  –  und wenn wir in dem düsteren Licht nicht gänzlich übersehen wurden, hatten wir irgendwelche dumpfen, aknegesichtigen Typen am Hals, die den ganzen Abend an einem kleinen Bier nuckelten und fettige Finger von den Chips hatten, die sie auf dem Heimweg kauften.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer von uns beiden die Idee zu dem Jahrmarktbesuch hatte, aber bei mir war es ein Akt der Rebellion, weil, meinen Eltern zufolge, Rummelplätze voller ungehobelter Burschen und gewöhnlicher Mädchen waren und folglich keine geeignete Umgebung für ihre Tochter  –  was diesen Rummelplätzen natürlich einen Reiz verlieh, der mich geradezu magnetisch anzog. Der Jahrmarkt fand auf dem Billesley Common statt, und beim Näherkommen empfing uns der Geruch von gebratenen Zwiebeln und fettigen Donuts, gemischt mit dem feuchten, erdigen Geruch des Wintergrases, das unter dem Ansturm der zahllosen Menschen platt getreten und rutschig war. Mein Herz schlug schneller beim Klang der vielen bunt gemischten Melodien, die von Gelächter und Kreischen durchsetzt waren: eine Mikrowelt aus pulsierenden Lichtern, eingegrenzt von einem Kreis aus Wohnwagen und Anhängern.

Sobald wir innerhalb dieser Grenze waren, ließen wir uns in der Menge treiben und verglichen die Preise der Fahrgeschäfte. Die größeren waren teuer, und ohne Freunde, die für uns bezahlten, konnten wir uns nicht viele Runden erlauben. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass meine Mutter recht gehabt hatte, was die Anzahl der gewöhnlich aussehenden Mädchen betraf. Sie schienen allerdings alle wesentlich mehr Spaß zu haben als wir, ob sie nun kreischten, wenn sie auf wild kreisenden Karussells herumgeschleudert wurden, oder Zuckerwatte naschten, während ihre Freunde Wurfringe warfen, mit Pfeilen auf Dartscheiben zielten oder nach Plastikenten fischten, in der Hoffnung, einen Preis für ihre Angebetete zu gewinnen. Aus nächster Nähe wirkte alles schäbig und billig, und ich begann mich zu fragen, warum wir so versessen auf diesen Besuch gewesen waren. »Wollen wir Autoskooter fahren?«, fragte ich halbherzig. Ich dachte, ich würde mit Cecile reden, doch als ich mich umdrehte, entdeckte ich, dass sich zwei Männer zwischen uns gedrängt hatten. Der Mann neben mir hatte einen kümmerlichen Schnauzbart und Schweinchenaugen. »Alles klar, Schätzchen«, sagte er. »Du fährst mit mir.« Sein Kumpel brach in Gelächter aus. Beide rochen nach Bier. Es war gerade mal acht Uhr  –  ziemlich früh, um schon betrunken zu sein. Ich beschloss, die Männer zu ignorieren, doch als ich versuchte, an dem Schnauzbart vorbeizugehen, trat ich ihm aus Versehen auf den Fuß. Wütend funkelte er mich an und packte mich am Arm, da er wahrscheinlich glaubte, ich hätte es absichtlich getan. Ich weiß nicht, was genau er im Sinn hatte, denn links von mir ertönte eine Stimme, die dem Spuk ein Ende bereitete.

»Lass sie los und zieh Leine!«

Die Stimme hatte etwas an sich, das den Schnauzbart automatisch dazu bewog, meinen Arm loszulassen und einen Schritt zurückzutreten. Sein Kumpel beschloss offenbar, dass ein Rückzug im Moment das Klügste sei; er bedeutete seinem Freund mit einem Nicken, ihm zu folgen, und tauchte in der Menge unter. Ich drehte mich zu meinem Retter um und sah mich zwei Jungen unseres Alters gegenüber, beide größer als die Betrunkenen, der eine hell, der andere dunkel, beide gut aussehend.

»Er hat dir doch nicht wehgetan, oder?«, erkundigte sich der dunkelhaarige Junge. Ich tauschte einen raschen, ungläubigen Blick mit Cecile. Er war genau der Typ von Retter, wie sie in schmalzigen Filmen auftauchten  –  viel zu wundervoll, um wirklich wahr zu sein.

Ich versicherte ihm, dass mir nichts fehlte.

»Vielleicht solltet ihr eine Weile bei uns bleiben, falls diese beiden Primitivlinge noch irgendwo herumlungern. Ich heiße übrigens Danny  –  und das ist Simon.«

»Ich heiße Katy«, sagte ich. »Und das ist Cecile.«

Der schäbige Jahrmarkt hatte sich plötzlich in einen verzauberten Ort verwandelt. Danny nahm meine Hand und führte mich durch die Menge, sodass Simon nichts anderes übrig blieb, als sich mit Cecile zusammenzutun und uns zu folgen. Zwei Minuten später hatten wir uns alle in einen Autoskooter gequetscht, und Danny lenkte mit einer Hand, während er den anderen Arm beschützend um meine Schulter legte.

Wir fuhren noch mit mehreren anderen Karussells und waren gerade auf dem Weg zur Achterbahn, als ich in einer Schießbude die überdimensionierten Plüschtiere erspähte. Beim Anblick eines Hasen in Frack und Zylinder quietschte ich vor Entzücken auf.

Sofort blieb Danny stehen. »Willst du so einen haben?«

»Du musst genau ins Schwarze treffen«, wandte ich ein. »Das schafft niemand.«

Danny grinste mich an. »Ich werde es schaffen«, sagte er. »Ich bekomme immer, was ich will.« Ich liebte die Sicherheit in seiner Stimme und die Art, wie er mich dabei ansah, die unmissverständlich ausdrückte, dass seine Wünsche weit über Plüschhasen hinausgingen.

Gespannt sahen wir zu, wie Danny bezahlte, das Gewehr hob und zielte. Wir lachten, feuerten ihn an und stöhnten im Chor, als die ersten drei Schüsse meilenweit danebengingen. Mit einer Handbewegung bedeutete Danny dem Schießbudenbetreiber, dass er einen neuerlichen Versuch starten wolle.

»Es macht nichts«, sagte ich rasch. Ich kannte ihn kaum eine halbe Stunde und wollte nicht, dass er sein Geld für einen Plüschhasen rausschmiss.

»Los, komm«, sagte Simon etwas ungeduldig. »Gehen wir zum Twister.«

Doch Danny drückte dem Budenbetreiber bereits eine Pfundnote in die Hand und ergriff erneut das Gewehr. Seine ganze Körperhaltung strahlte Konzentration aus. Die nächsten drei Schüsse gingen gleichfalls weit am Ziel vorbei.

»Die manipulieren die Gewehre«, sagte Simon leise und mit einem wachsamen Blick auf den Schießbudenbetreiber, der nur einen Meter von uns entfernt war und gerade Geld von einem anderen hoffnungsvollen Schützen kassierte. »Verstellen das Visier oder so. Du wirst nicht treffen«, fügte er, an Danny gerichtet, mit lauterer Stimme hinzu.

»Also, es macht mir wirklich nichts aus …«, begann ich.

Der Schießbudenbetreiber kam gemächlich zu uns zurück. Er bedachte Simon mit einem feindseligen Blick. »Du behauptest also, hier wird mit Tricks gearbeitet, Bürschchen?«

In diesem Moment schoss Danny erneut und traf mitten ins Schwarze. Er warf das Gewehr auf die Theke, riss die Arme in die Höhe wie ein Fußballspieler, der im Endspiel das entscheidende Tor geschossen hat, und wandte sich in dieser Siegergeste mir zu, um mich schließlich in einer Umarmung an sich zu drücken.

»Gut gemacht, mein Sohn«, sagte der Schießbudenbetreiber und bückte sich nach einem Plüschhasen; auf ein Zeichen von Danny hin reichte er den Hasen mir, was ihm gleichzeitig Gelegenheit bot, Simon herausfordernd anzustarren. Simon wich rasch einen Schritt zurück, doch Danny nahm in seinem Siegestaumel die Spannung gar nicht wahr. Sein entschlossenes Vorgehen, um meine launische Anwandlung zu befriedigen, gepaart mit der Tatsache, dass er der bei Weitem hübscheste Junge war, der je Interesse an mir gezeigt hatte, sorgten dafür, dass ich mehr als nur »total geschmeichelt« war  –  ich schwebte geradezu auf Wolken.

Obwohl Cecile mit Simon verkuppelt worden war, ging es zwischen den beiden nicht über einen Kinobesuch mit Danny und mir hinaus. Sie passten einfach nicht zusammen. »Er ist ein hoffnungsloser Fall«, erzählte sie mir nach dem Kino. »Als würde man versuchen, einen Plattfisch zu küssen.«

Danach gingen Danny und ich noch einige Male allein miteinander aus. Für mehr war keine Gelegenheit, bevor Simon und er an die Universität zurückgingen; allein das Wort »Universität« löste Angst und Schrecken in mir aus, waren damit doch schemenhafte weibliche Wesen verbunden, die es wahrscheinlich kaum erwarten konnten, ihn in ihre Klauen zu bekommen. Ich fürchtete insgeheim, nie wieder von ihm zu hören, doch er rief mich beinahe täglich an, und einmal im Monat kam er mit dem Zug nach Birmingham gereist  –  jeder kurze Besuch wie eine aufregende Farbexplosion auf einer sonst grauen Leinwand.

Wenn Danny da war, war immer etwas los. Während ich nur davon redete, einen Tag in London zu verbringen, ging er los und besorgte die Fahrkarten. Durch ihn lernte ich Rock-Konzerte, Folk-Clubs und chinesisches Essen kennen. Mein Leben spielte sich nicht mehr nur zwischen den engen Grenzen von Elternhaus und Hochschule ab, sondern schien die ganze Welt zu umfassen. Endlich nahm ich am Leben teil, statt nur Beobachterin zu sein. Ich glaube, es war zu dem Zeitpunkt, als die Blumen zu meinem Geburtstag eintrafen  –  nicht nur irgendwelche langweiligen Blumen, sondern ein Strauß roter Rosen; eine Geste, die sowohl kostspielig als auch unglaublich romantisch war  –, dass unsere Beziehung eine rasante Entwicklung vom bloßen »Sichtreffen« hin zur großen Leidenschaft machte. Von da an war ich ihm rettungslos verfallen.

Einen Freund zu haben galt damals als Beweis dafür, dass man kein Versager oder Freak war. Es definierte deinen Wert als Mensch. Mitschülerinnen von der Hochschule, die uns zusammen gesehen hatten, machten sich an mich heran und säuselten: »Ein Supertyp. Wo hast du den denn her?« Danny bezauberte jeden, der ihn kennenlernte, und ich sonnte mich im Neid der anderen. Natürlich konnte ich mich bei meinen Eltern darauf verlassen, dass sie für einen Misston sorgten. Obwohl sie Danny überfreundlich willkommen hießen, murrten sie innerhalb der Familie, ich sei geradezu besessen von jemandem, den ich angeblich kaum kannte.

»Du bist nicht wirklich verliebt in ihn, weißt du«, belehrte mich meine Mutter. »Du bist in die Vorstellung verliebt, verliebt zu sein.« Ich kannte diese Songzeile aus ihrer Rodgers-and-Hart-LP und ignorierte den Hinweis. »Du bist noch zu jung, um dich selbst zu kennen«, beharrte sie. »Du warst schon immer eine Träumerin. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass du dich in den erstbesten Jungen verliebst, der des Weges kommt.« Es war absolut typisch für sie, dass sie mir in dieser glücklichen Zeit, die sich zur besten meines Lebens entwickelte, einen Eimer kaltes Wasser verpasste. Sie hat nie verstanden, dass man, wenn man auf Wolken schwebt, auf keinen Fall in den Abgrund hinunterblicken möchte.

Etwa drei Monate nach unserer ersten Begegnung unterbreitete mir Danny erstmals den Vorschlag, den Sommer bei Simons Onkel zu verbringen. »Sag, dass du mitkommen wirst«, bat er. »Wir werden eine tolle Zeit haben.«

»Wäre das für Simon denn in Ordnung?«, fragte ich. Ich hatte Simon bis dahin nur wenige Male getroffen, doch Danny versicherte mir ohne zu zögern, dass dies überhaupt kein Problem sei. »Je mehr Leute, desto lustiger«, sagte er, was mich zu der Annahme verleitete, wir würden eine ganze Gruppe sein, die den Sommer über in einer Art Kommune in einem großen alten Haus leben und eine Menge Spaß haben würde.

Die Aussicht, den ganzen Sommer mit Danny zu verbringen, bescherte mir die wildesten Tagträume. Damals lebten nur wirklich avantgardistische Paare offen vor der Ehe zusammen. Anständige Paare mit ländlichem Mittelklassehintergrund »gingen miteinander«, um sich irgendwann formell zu verloben. Eher liberale Eltern erlaubten dann vielleicht gelegentliche Besuche über Nacht oder sahen geflissentlich über die offenkundige Bedeutung gemeinsamer Ferien hinweg oder einer Wohnung, die offiziell mit Freunden desselben Geschlechts geteilt wurde; doch für die meisten von uns bestand die Zukunft aus einem weißen Hochzeitskleid und Scherzen über »die Nacht der Nächte« beim Hochzeitsempfang.

Ich war klug genug, um das Haus-des-Onkels-in-Hereford-Thema zu Hause nicht anzuschneiden  –  meine Eltern wären niemals einverstanden gewesen, und hätte ich an dem Arrangement irgendetwas hinzuerfunden, wäre Hereford für meine Eltern nahe genug gewesen, um dorthin zu fahren und meine Angaben zu überprüfen. Also heckte ich mit Ceciles tatkräftiger Hilfe einen Plan aus, der mir meine Eltern vom Leib halten würde. Trotz meiner neunzehn Jahre war es für meine Eltern undenkbar, dass ich selbst darüber entschied, wie ich meine Sommerferien verbringen wollte  –  der Vorschlag mit Frankreich führte zu einer langen Debatte, in der mein Bruder Edward seine Meinung äußerte und sogar meine kleine Schwester ihr Stimmchen erhob, bis meine Eltern sich geschlagen gaben und den Obsternte-Plan akzeptierten, falls diverse Bedingungen erfüllt sein würden. Tatsächlich waren meine Eltern zu Beginn der Sommerferien sehr zufrieden mit sich und ihrer Entscheidung, mich mit Cecile nach Frankreich fahren zu lassen. Sie machten kein Geheimnis daraus, dass der Plan nebenbei den großen Vorteil hätte, mich von Danny fernzuhalten, über den sie mir ständig in den Ohren lagen, ich solle es nicht »zu ernst« werden lassen, weil das mein Studium beeinträchtigen könnte. Zu ernst! O Gott!

Als ich aus der Dusche komme, ist Pam bereits zu den Haartrocknern hinübergegangen, wo sie vor dem Spiegel Make-up und Lippenstift aufträgt. Der Vorgang erfordert eine gewisse Konzentration, was sie daran hindert, sich weiter mit Marjorie zu unterhalten, die sich daraufhin mir zuwendet.

»Ich habe Sie gestern Abend in der Menlove Avenue gesehen.« Sie wirft mir die Worte fast ohne hochzublicken zu, während sie damit fortfährt, ihren feuchten Badeanzug in ihr Handtuch zu wickeln und verschiedene andere Dinge in ihrer Schwimmtasche zu verstauen.

In ihrem Ton liegt keinerlei Anklage, aber sie hat mich überrumpelt. Vor Schreck wage ich nicht, ihrem Blick zu begegnen  –  starre unverwandt die funktionellen weißen Kacheln an und fahre damit fort, meine Oberschenkel abzutrocknen. In dem Versuch, Zeit zu schinden, sage ich: »Menlove Avenue?«, als hätte ich den Namen noch nie gehört. »Wo genau soll die sein?«

»In Kings Heath, gleich bei der Harding Lane.« Dummerweise hat mein gekünsteltes Unverständnis lediglich ihre Neugier entfacht. »Sie waren gestern Abend dort«, beharrt sie. »Es sah aus, als würden Sie auf jemanden warten.« An Marjories Neugierde ist nichts Subtiles. Jemand anders würde vielleicht Abwehr wahrnehmen und nicht weiterbohren, aber sie weicht keinen Millimeter zurück.

»Nein«, sage ich. »Das ist ausgeschlossen  –  ich war gestern den ganzen Abend zu Hause.« Ich sehe sie nicht an. Trockne jeden einzelnen Zeh ab, als hinge mein Leben davon ab.

»Nun, ich war mir sicher, Sie gesehen zu haben. Gut, es war dunkel.« Sie hält eine Millisekunde inne  –  gerade lange genug für mich, um dankbar einzuatmen und mich gleich darauf fast zu verschlucken, als sie hinzufügt: »Ich sagte zu meiner Freundin Gwenda: ›Das ist doch Kate vom Schwimmen  –  ich kenne diesen Wagen.‹«

»Das kann nicht mein Wagen gewesen sein.« Gott, warum hält diese dumme Person nicht einfach die Klappe und geht nach Hause? »Es sei denn, jemand hätte ihn ohne mein Wissen ausgeborgt.« Der Versuch zu einem Scherz  –  vielleicht würde ihr das den Wind aus den Segeln nehmen.

Marjorie hat ihre Jacke angezogen und den Reißverschluss ihrer Tasche geschlossen, macht aber noch keine Anstalten zu gehen. »Ist das nicht seltsam? Als Gwenda mir die Tür aufmachte, sagte sie: ›Das muss ein Zivilfahrzeug der Polizei sein, Marjorie. Da sitzt schon seit fast einer halben Stunde jemand drin. Sie müssen eines der Häuser beobachten.‹«

»Das wird es gewesen sein«, stimme ich zu. »Vermutlich war es die Polizei.«

»Oh, das glaube ich nicht  –  nicht in der Menlove Avenue. Das ist eine so nette Straße.«

Retter kommen manchmal in seltsamster Verkleidung: Pam und Marjorie bilden eine Fahrgemeinschaft, und heute ist Pam mit Fahren an der Reihe. Sie hat mittlerweile ihre Toilette beendet, ist bereit für den Bridge-Klub oder womit auch immer die beiden Damen sich heute Vormittag zu beschäftigen gedenken, und steht ziemlich demonstrativ an der Tür des Umkleideraums. Gute Manieren halten Marjorie davon ab, sie noch länger warten zu lassen. Erst nachdem die beiden gegangen sind, fällt mir auf, dass die Hintergrundmusik noch immer dudelt  –  wieder Musicalhits  –  Elaine Page schmettert Don’t Cry For Me, Argentina. Ich wünschte, sie würde ebenfalls die Klappe halten.