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Acht Stunden später saß Gaddis beim Abendessen im Haus von Charlotte Berg in Hampstead. Berg war seine Mitbewohnerin in Cambridge gewesen, und vor seiner Heirat – für kurze Zeit – seine Geliebte. Sie war eine ehemalige Kriegsberichterstatterin, die es verstand, ihre in Bosnien, Ruanda und der West Bank erlittenen seelischen Narben hinter einer Fassade aus Bonhomie und langsam verblassendem Glamour zu verbergen. Beim gebratenem Hähnchen, von ihrem Mann Paul zubereitet, begann Charlotte, ihm Einzelheiten ihrer neuesten Story zu erzählen, einer freien Auftragsarbeit für die Sunday Times, von der sie behauptete, sie hätte das Potential zu dem Politskandal der letzten zehn Jahre.

»Das ist ein echter Coup«, sagte sie.

Gaddis bemerkte, dass ihm das Wort heute schon zum zweiten Mal begegnete.

»Was ist es denn?«

»Wenn ich es dir verrate, ist es keiner mehr, oder?«

Das gehörte zu dem Spiel, das sie miteinander spielten. Charlotte und Sam waren enge Freunde und doch Rivalen, die sich oft besonders eifersüchtig auf die Finger schauten. Es war eine berufliche, intellektuelle Rivalität, die kaum jemals richtig ernst genommen wurde.

»Erinnerst du dich noch an Melita Norwood?«, fragte sie.

Sam blickte hinüber zu Paul, der andächtig Soße mit einem Brocken Weißbrot auftunkte. Norwood war die sogenannte Agenten-Granny, die während der 40er- und 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts britische Nukleargeheimnisse an die Sowjetunion geliefert hatte und erst 1999 enttarnt worden war.

»Ich weiß nur noch, dass die Dame unter den Teppich gekehrt wurde. Hat für Stalin spioniert und sein Nuklear-Programm um schätzungsweise fünf Jahre beschleunigt, und weil die britische Regierung Angst davor hatte, einer Achtzigjährigen wegen Landesverrats den Prozess zu machen – schließlich wäre das nicht gut fürs Image gewesen –, durfte sie friedlich in ihrem Bett sterben. Warum?«

Charlotte schob ihren Teller auf die Seite. Sie war eine äußerst expressive, unkonventionelle Frau mit weitreichenden Begehrlichkeiten: Zigaretten, geistige Getränke, Informationen. Paul war bis dato der einzige ihrer Männer, der ihre vielen Widersprüchlichkeiten ausgehalten hatte. »Vergiss Melita Norwood«, sagte sie plötzlich, griff versehentlich nach Sams Weinglas und trank es fast ganz leer.

»Wenn du es sagst.«

»Und was ist mit Roger Hollis?«, fragte sie schnell.

»Was soll mit ihm sein?«

»Glaubst du, er war ein Verräter?«

Sir Roger Hollis besetzte eine Grauzone in der Geschichte des britischen Geheimdienstes. 1981 veröffentlichte der Journalist Chapman Pincher den Bestseller Their Trade is Treachery, in dem er behauptet, Hollis, der ehemalige Chef des MI5, sei ein KGB-Spion gewesen. Gaddis hatte das Buch als Jugendlicher gelesen. Er erinnerte sich an einen leuchtend roten Einband, über den der Schatten einer Sichel fiel. Er hatte sich das Buch von seinem Vater ausgeliehen, während eines Strandurlaubs in Sussex.

»Um ehrlich zu sein, hab ich schon lange nicht mehr an Hollis gedacht«, sagte er. »Pincher konnte seine Behauptungen nie beweisen. Daran arbeitest du? Das ist der Knüller? Gibt es eine Verbindung zwischen Hollis und Norwood? Sie wurde mit einem KGB-Spion mit dem Codenamen HUNT‹ in Verbindung gebracht, der nie entlarvt werden konnte. War HUNT Hollis?«

Charlotte lachte. Es bereitete ihr Vergnügen, Gaddis’ auf seinen Fundus an Fachwissen abzuklopfen.

»Vergiss Hollis«, sagte sie mit derselben aggressiven Lust, mit der sie schon Norwood abgetan hatte. Gaddis war verwirrt.

»Warum sagst du das ständig?«

»Weil sie Würstchen waren. Nebendarsteller. Kleine Fische verglichen mit dem, über das ich gestolpert bin.«

»Und das wäre…?«, fragte Paul.

Charlotte trank ihr wahrscheinlich neuntes oder zehntes Glas Wein leer. »Wenn ich euch jetzt sage, dass es einen sechsten Spion in Cambridge gab, der nie enttarnt worden ist, zur selben Zeit wie Burgess und Maclean, Blunt, Philby und Cairncross, und dass der Mann noch am Leben ist?«

Gaddis wurde nicht gleich schlau aus dem, was Charlotte ihm da erzählte. Auch er hatte mindestens eine Flasche Côtes du Rhône intus. Hollis einer der Cambridge-Spione? Norwood das sechste Mitglied des Fünfer-Rings? Mit einem solchen Hirngespinst beschäftigte sie sich doch nicht ernsthaft. Aber er war bei ihr zu Gast, trank ihren Wein, also behielt er seine Zweifel für sich.

»Dann würde ich sagen, dass du auf einem Vermögen sitzt.«

»Hier geht es nicht um Geld, Sam.« Es war keine Zurechtweisung, sie trug nur das Herz auf der Zunge, wie es ihre Art war. »Hier geht es um Geschichte. Ich rede von einem legendären KGB-Spion mit dem Codenamen ATTILA, der während der Dreißiger am Trinity College in Cambridge immatrikuliert war. Einem Mann, der mindestens so gefährlich und einflussreich war wie Maclean und Philby. Einem Maulwurf in der politischen und geheimdienstlichen Infrastruktur Großbritanniens, dessen Verrat von der britischen Regierung ganz bewusst mehr als ein halbes Jahrhundert lang verschwiegen wurde.«

»Du lieber Gott!« Gaddis war bemüht, seine Skepsis zu verbergen. Es erschien beim besten Willen nicht plausibel, dass ein sechstes Mitglied des Trinity-Rings der Enttarnung entgangen sein sollte. Jeder Spion, jeder Akademiker, jeder Journalist mit einem Minimum an Interesse an der Welt der Geheimdienste war seit Jahrzehnten auf der Suche nach einem sechsten Mann. Jeder sowjetische Überläufer seit 1945 hätte ATTILAS Tarnung in null Komma nichts auffliegen lassen können. Und spätestens nach ihrer Enttarnung hätten Cairncross oder Blunt ihn mit Sicherheit aufgegeben.

»Woher hast du deine Informationen?«, fragte er. »Warum findet sich bei Mitrochin kein einziger Hinweis auf ATTILA

Wassili Mitrochin war ein Major des KGB, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion detaillierte Berichte über russische Geheimdienstoperationen an den MI6 weitergegeben hatte. Die Dokumente waren 1992 in Großbritannien veröffentlicht worden.

»Alle Welt glaubt, Mitrochin hätte die gesamte Geschichte der Sowjetspionage mit sich herumgetragen.« Charlotte zündete sich eine Zigarette an und schaute ausgesprochen zufrieden. »Dabei gab es haufenweise Vorgänge, von denen er nicht den blassesten Schimmer hatte. Unter anderem diesen.«

Paul legte Messer und Gabel zusammen. Charlottes Ehemann war ein großer, geduldiger Mann, gleichmütig bis an die Grenze zur Teilnahmslosigkeit. Der erfolgreiche Finanzier in der City – daher das Haus mit fünf Schlafzimmern für eine siebenstellige Summe in Hampstead – liebte Charlotte nicht zuletzt deshalb, weil sie ihm erlaubte, im Hintergrund zu bleiben, die Zurückhaltung zu bewahren, die ihm so wichtig war. Er war so unergründlich, dass Sam nie herausbekommen hatte, ob Paul ihn als Bedrohung seiner Ehe oder als guten Freund sah. Deshalb kam es einer kleinen Sensation gleich, dass er sich in die Debatte einschaltete.

»Na, sag schon, wer ist deine Quelle?«

Charlotte beugte sich vor in eine stimmungsvoll konspirative Zigarettenqualmwolke und sah die beiden Männer einen nach dem anderen an. Ihr Ehemann war der einzige Mensch, dem sie eine solche Information bedenkenlos anvertrauen konnte. Gaddis mochte ein treuer Freund sein, ein taktvoller und diskreter Mensch, doch es fehlte ihm nicht an einer gewissen Boshaftigkeit, die es ihr riskant erscheinen ließ, ihn in ein Geheimnis einzuweihen.

»Aber das bleibt unter uns, okay?« Sie sagte es so, dass Gaddis verstand, dass es ihr ernst damit war. Er verspürte einen Stich des Neids, so gewiss war sie sich ihres Preises.

»Ehrenwort. Ich schweige wie ein Grab.«

»Darf ich es Polly erzählen?«, murmelte Paul und legte Charlotte die Hand auf den Rücken, als er aufstand, um das Geschirr abzuräumen. Polly war ihr arthritischer schwarzer Labrador, ihnen als Kamerad umso teurer, als sie kinderlos waren.

»Ich meine es ernst«, sagte sie. »Ich bin zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Aber die Geschichte ist so irrsinnig, dass ich den Mund einfach nicht halten kann.«

Gaddis spürte die brennende Neugier des Historikers. Der sechste Mann. War das wirklich möglich? Es war wie die Suche nach dem Heiligen Gral. »Erzähl weiter«, sagte er.

»Lass mich ganz von vorne anfangen.« Charlotte schenkte ihr Glas wieder voll Wein. Paul fing Sams Blick auf und zog kaum wahrnehmbar die Stirn in Falten. Sie trank ganz schön was weg: eine Flasche Wein zum Lunch, zwei zum Abendessen, ein paar Gins um sechs, vor dem Zubettgehen ein paar Gläschen Laphroaig. Aber das alles schien ohne Wirkung auf ihr Verhalten zu bleiben, von einem leichten Anstieg der Dezibelzahl ihrer Stimme einmal abgesehen. Auf Dauer machte der Alkohol sie natürlich fertig: bürdete ihr Jahre und Körpergewicht auf, hängte ihr Tränensäcke unter die Augen. »Vor ungefähr einem Monat ist mir ein Brief von einem Mann namens Thomas Neame ins Haus geflattert. Er behauptet, der Vertraute eines britischen Diplomaten zu sein, der während seiner ganzen Karriere, vom Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1980er-Jahre, als Spion für den KGB arbeitete. Ich habe ein paar simple Erkundigungen eingezogen, festgestellt, dass der Mann koscher ist, und dann hab ich ihn besucht.«

»Wo?« Was das Kommen und Gehen im Berufsleben seiner Frau anging, war Paul ahnungslos. Manchmal verschwand sie für Wochen am Stück, um im Irak, in Kalifornien oder Moskau eine Story zu recherchieren.

»Das ist das Geheimnis Nummer eins«, antwortete Charlotte. »Nicht einmal dir darf ich verraten, wo Thomas Neame lebt.«

»Vertrauen zwischen Mann und Frau ist eine wunderbare Sache«, murmelte Gaddis. »Wie alt ist der Knabe?«

»Einundneunzig.« Charlotte schüttete mehr Wein in sich hinein. Ihre Haut war unter dem trüben Licht in der Küche dunkler geworden, die Lippen glitzerten rubinrot von Lippenstift und Wein. »Aber ein Einundneunzigjähriger, der aussieht wie Mitte siebzig. Zum Armdrücken hätte ich ihn nicht herausgefordert. Hart und zäh, ein Schotte der Kriegsgeneration, so einer raucht vierzig Zigaretten am Tag und klettert vorm Frühstück mal eben auf den Ben Nevis.«

»Im Gegensatz zu einer anderen mir bekannten Person«, bemerkte Paul spitz und mit Blick auf die Zigarette in der Hand seiner Frau. Die Korrespondentenjahre im Ausland hatten Charlottes einstmals eiserne Konstitution offenbar geschwächt, nicht gestärkt. Sowohl Paul als auch Gaddis sorgten sich um sie, aber ihren Lebensstil ändern zu wollen war ungefähr so aussichtsreich wie ein Fahrradtrip zum Mond.

»Und wenn Neame weiß, dass sein Freund ein Spion war«, fragte Gaddis, »warum ist es dann nicht früher bekannt geworden?«

Bevor Charlotte antworten konnte, klingelte Gaddis’ Telefon. Er zog es aus der Jacketttasche und warf einen Blick auf das Display. Es war eine Nachricht von Holly Levette.

SCHLAFTRUNK …?

Zwei widersprüchliche Impulse regten sich in ihm: Er wollte den Wein austrinken und mit dem Taxi in die Tite Street fahren. Und er wollte Charlotte reinen Wein über seine Not einschenken und ihr sagen, dass er dringend eine schlagzeilenträchtige Story finden musste.

»Kennst du diese Frau?«, fragte er und hielt das Handy hoch, als wäre ein Foto von Holly auf dem Display. »Holly Levette?«

»Der Name kommt mir bekannt vor.«

»Die Mutter hieß Katya. Sie arbeitete an einer Story über den KGB, als –«

»Katya Levette!« Charlotte reagierte mit theatralischem Entsetzen. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Weithin berüchtigt als die schlechteste Schreiberin der Welt.«

»Weshalb?«

Sie winkte ab. »Zu viel der Mühe. Wie sind uns ein-, zweimal über den Weg gelaufen, und da hat sie mir ständig erzählt, wie toll sie mich findet, nur weil sie auf das Gegenlob aus war. Ihre Tochter hat mir nach ihrem Tod eine E-Mail geschickt, um mir zu sagen, wie sehr Katya einen meiner Artikel über Tschetschenien bewundert hat. Bei der Gelegenheit hat sie mir einen Haufen Krempel aus den Rechercheunterlagen ihrer Mutter angeboten.«

»Einen Haufen Krempel«, wiederholte Gaddis mit einem Stich der Enttäuschung.

»Gut, vielleicht kein Krempel.« Charlotte schaute schuldbewusst. »Immerhin hab ich sie an dich verwiesen. Ich hab ihr geraten, das Material einem richtigen Historiker zu überlassen.«

»Zu gütig.«

»Und jetzt hat sie sich gemeldet?«

Gaddis nickte. »Dass ich nur der Ersatzmann bin, hat sie nicht gesagt, nur wie begeistert sie von meinem Platow-Artikel im Guardian war.«

Paul unterdrückte ein Lachen. »Süßholzraspeln öffnet Türen.«

Gaddis schenkte sich Wein nach. Ohne das unartige Wochenende in Chelsea zu erwähnen, berichtete er, dass Holly zu Daunt Books gekommen sei und ihm das Material angeboten habe.

»Wenn plötzlich ein gut aussehendes Mädchen vor dir steht und dir haufenweise Dokumente über den sowjetischen Geheimdienst anbietet, schaust du nicht einfach weg. Woher sollte ich wissen, dass diese Katya so ein verrücktes Huhn war.«

»Ach, gut aussehen tut sie auch noch?« Charlotte ergriff die Gelegenheit, ihn zu necken. »Sieh mal einer an.«

»Holly sieht sogar fantastisch aus.«

»Sie war bei der Buchvorstellung? Wieso hab ich sie nicht kennengelernt?«

»Weil du womöglich gesagt hättest, sie könne dich am Arsch lecken«, erwiderte Paul.

Charlotte lachte und kratzte einen Wachstropfen vom Tischtuch. »Und jetzt schickt das Mädchen dir um halb elf in der Nacht eine SMS. Verheimlichen Sie der Gruppe etwas, Doktor Gaddis? Braucht diese Miss Levette eine Bettgeschichte?«

Gaddis zog eine Camel aus ihrem offenen Päckchen. »Du Glückliche«, sagte er, bewusst das Thema wechselnd, »ich würde meine noch nicht geborenen Enkelkinder für deine Cambridge-Geschichte verkaufen.« Er zündete sich die Zigarette an der Kerze an.

Paul verzog das Gesicht, winkte ab und sagte: »Lieber Gott, du nicht auch noch.«

»Für den sechsten Mann? Wieso das denn?«

»Finanzielle Probleme.« Gaddis zuckte die Schultern. »Wie üblich.«

Es war ein sonderbares Gefühl der Blamage, mit dreiundvierzig pleite zu sein. Wie war es dazu gekommen? Er sog den Zigarettenrauch tief in die Lungen und atmete ihn zur Decke aus.

Charlotte runzelte die Stirn. »Unterhaltszahlungen? Ist die liebe Natasha doch nicht so lieb, wie wir alle dachten?«

Paul schüttete kochendes Wasser in eine Kaffeepresse und behielt seine Meinung für sich.

»Steuernachzahlung. Schulgeld. Schulden«, antwortete Gaddis. »Ich muss rund fünfundzwanzigtausend Pfund aufbringen. Heute habe ich mit meinem Agenten zu Mittag gegessen. Er sieht für mich nur eine Chance, aus dem Schlamassel herauszukommen: ein Buch über den sowjetischen Geheimdienst. Ich müsste es nicht einmal unter meinem richtigen Namen veröffentlichen. Da wäre ein sechster Cambridge-Spion natürlich genial. Ich klau ihn dir. Ich verscharre dich unter den Bodenbrettern und klau ihn dir.«

Charlotte schaute ernstlich besorgt. »Musst du nicht«, sagte sie. »Schreib das Buch einfach mit mir zusammen. Vielleicht könnten wir sogar das eine oder andere aus Katya Levettes Zauberarchiv verwenden.« Paul grinste. »Ganz im Ernst. Ich bringe die Cambridge-Geschichte als Exklusivstory, aber danach wird jemand ein Buch draus machen wollen. Du wärst der ideale Autor. Ich habe gar nicht die Geduld, mich hinzusetzen und mir zweihunderttausend Wörter über ein Thema aus den Fingern zu saugen, das ich längst abgehandelt habe. Ich will weiter zur nächsten Geschichte. Aber du könntest ATTILA in einen Zusammenhang stellen. Du könntest die nötigen Zutaten dazugeben. Niemand weiß mehr über Russland als du.«

Gaddis verspürte starke Hemmungen. Was für eine miese Tour, als Trittbrettfahrer auf Charlottes Triumph aufzuspringen. Sie war betrunken, machte im Rausch Versprechungen, die sie im kalten Licht des nächsten Tages nicht würde halten wollen. Aber sie ließ nicht locker.

»Schlaf drüber«, sagte sie. »Himmel, denk drüber nach, wenn du mit Holly Levette im Bett liegst.« Paul drückte den Kaffee durch. »Ich würde wahnsinnig gerne mit dir arbeiten. Es wäre mir eine Ehre. Und wie es scheint, könnte es dir aus einer schwierigen Lage helfen.«

Gaddis schob sein Handy zurück in die Jackentasche und ergriff Charlottes Hand. »Es ist eine Idee«, sagte er. »Mehr nicht. Ich finde es unheimlich nett von dir. Aber lass uns morgen weiterreden.«

»Nein. Wir reden jetzt.« Sie wollte nicht zulassen, dass Stolz und britische Höflichkeit einer guten Idee im Wege standen. Polly kam auf arthritischen Beinen in die Küche gehinkt und legte sich vor ihre Füße. Charlotte beugte sich hinunter, steckte ihr ein Stück Brot in den Mund und sagte zu ihr wie zu einem Kind: »Findest du die Idee nicht auch gut, Pol? Es ist doch eine wunderbare Idee.«

»Okay, okay.« Gaddis hob wieder die Hände, diesmal in gespielter Kapitulation. »Ich lass es mir durch den Kopf gehen.«

Charlotte sah erleichtert aus. »Na, dem Herrgott sei’s gedankt. Von wegen geschenkter Gaul und so.« Sie stand auf und holte ihnen drei Becher für den Kaffee.

»Und du sagst, ATTILA wird für tot gehalten?« Es war das erste Zeichen, dass Gaddis den Dingen auf den Grund gehen würde.

»Ja. Aber dieser Neame ist ungreifbar. Behauptet, Crane seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen zu haben. Ich weiß nicht, ob ich ihm das abkaufen soll.«

»Crane. So heißt der Kerl?«

»Edward Anthony Crane. Hat alles in einem Dokument niedergeschrieben, von dem Neame angeblich Teile vernichtet hat. Neame behauptet, da hätten Sachen dringestanden, die London und Moskau in den Grundfesten erschüttern würden‹.«

»Du meinst, über die Tatsache hinaus, dass unsere Regierung uns die Existenz eines sechsten Cambridge-Spions verschwiegen hat?«

»Ja, weit über diese Tatsache hinaus.«

Gaddis sah sie an, sah Paul an, dachte über die Möglichkeit nach, Charlotte könnte hereingelegt worden sein. Es klang zu schön, um wahr zu sein, aber man konnte es auch nicht einfach zu den Akten legen. »Was das für ein Skandal ist, hat er dir allerdings nicht verraten?«

Charlotte schüttelte den Kopf »Nein. Noch nicht. Aber Thomas war Cranes Beichtvater. Sein bester Freund. Er weiß über alles Bescheid. Und jetzt möchte er sein Herz ausschütten, bevor er den Löffel abgibt.«

»Metaphern sind sparsam zu verwenden«, murmelte Paul.

»Sie müssen ungefähr gleich alt sein«, fuhr Charlotte fort. »Neunzig, einundneunzig. Selber Jahrgang in Cambridge. Wie hoch schätzt du die Chancen ein, dass beide noch am Leben sind?«

»Gering«, antwortete Gaddis.